18| Getreidefelder, Teil 1
𝐜𝐡𝐚𝐩𝐭𝐞𝐫 𝟏𝟖
𝒗𝒐𝒊𝒅 - 𝒕𝒉𝒆 𝒏𝒆𝒊𝒈𝒉𝒃𝒐𝒖𝒓𝒉𝒐𝒐𝒅
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Pipers Haus war genau wie Piper.
Es schien laut und aufgedreht. Expressive, farbenfrohe und vermutlich sehr teure Kunst zierte die Wände in jedem Raum, zusammen mit allen möglichen Zimmerpflanzen, die es auf der Welt gab und Dekorationen in den verschiedensten Formen und Farben.
Eine schmale alte Holztreppe führte ins Obergeschoss, in dem das Sonnenlicht spärlich durch die schrägen Dachfenster fiel und verworrene Schatten auf den mit grauem Teppich ausgelegten Boden warf.
Pipers Mom hatte in der Küche Tee aufgesetzt und während ihr Mann noch voller Ruhe und Müdigkeit die Tageszeitung las, verteilte ihre Tochter jegliche Kleiderstücke, die sich in ihrem Besitz befanden auf dem Boden ihres Zimmers.
Ihre blonden Haare und das spitze Kinn hatte Piper von ihr geerbt, ebenso wie die leicht rosanen, vollen Lippen, die jeden Jungen in den Wahnsinn treiben konnten.
"Entspann dich mal, Piper.", sagte ich lachend, doch meine Freundin schien mir nicht zuzuhören. Stattdessen schnappte sie sich einen grauen Strickpullover, hielt ihn vor sich und warf ihn kurz darauf wieder weg.
Sie trug nur eine hellblaue High-waist Jeans und einen schwarzen BH, weshalb ihr vermutlich kalt war, da sie das Dachfenster angekippt hatte, doch das schien sie nicht im geringsten zu stören.
Pipers Zimmer war groß, sie wohnte direkt unter dem Dach, mit schrägen Wänden und einem hellbraunen Holzbalken inmitten des Raumes.
An der hinteren Wand stand ein Doppelbett mit vielen Kissen, dass es kaum noch Platz zum liegen bot.
Die Wände waren geschmückt mit den verschiedensten Bildern.
Einige waren gerahmte Zeichnungen und Landschaftsbilder, andere waren Fotos von ihr als Kind. Mal alleine mit einem niedlichen hellgelben Kleid, das mit irgendwas bekleckert war, ein anderes Mal mit Leuten, die ihre Großeltern zu sein schienen. Wiederum andere Bilder zeigten sie mit Freunden auf Partys, im Urlaub in Portugal, den sie und ihre Eltern vor zwei Jahren gemacht hatten.
Hier drinnen wirkte alles so einladend, dass mir bewusst wurde, wie düster mein eigenes Zimmer doch war.
Als Piper nach weiteren zehn Minuten schließlich doch den grauen Pullover trug und fertig war, sich mit Schmuck zu behängen, folgte ich ihr die Treppe nach unten ins Wohnzimmer. Es war so warm im gesamten Haus, dass man fast vergaß, dass es draußen langsam an die Minus-Grade ging. Pipers Dad,
Herold MacLeod, las noch immer seelenruhig in seiner Zeitung und beachtete und nicht einmal, als wir an ihm vorbei in die Küche liefen.
Wenig später startete Mr. Macleod, der darauf bestand, mit Harold angeredet zu werden, bereits den Motor seines Wagens und bog auf die die Haupstraße ein. Piper hatte neben ihm, auf dem Beifahrersitz Platz genommen, um das Radio kontrollieren zu können.
Durch die beschlagenen Fensterscheiben konnte ich trüb die alten Häuser der Stadt erkennen, deren krumme Dächer von Efeu bedeckt waren und deren Backsteine an den Seiten bereits zerbröckelten.
Blumentöpfe hingen an den Fensterbrettern, doch jetzt im November waren sie leer.
Rauch stieg aus den Schornstein auf, Lampen und Kerzen beleuchteten die Räume. Um diese Uhrzeit waren nur Hundebesitzer und Katzen zu sehen, die ihre morgendliche Runde durch die Stadt machten, fast so, als müssten sie sich selbst davon überzeugen, dass es noch die selbe verschlafene Kleinstadt war, die sie so liebten.
Die Hauptstraße war holprig und alt und eigentlich war Lewes keine hässliche Stadt, sondern vielmehr romantisch und adrette, doch mich hielt hier nichts.
"Ich versteh immer noch nicht, warum wir nicht einfach nach Brighton fahren.", sagte Harold, als wir das Ortsausgangsschild passierten und auf die Landstraße einbogen, von der sich nach rechts und links die Getreidefelder erstreckten.
Piper sah ihren Dad verständnislos an.
"Es wäre kürzer.", erklärte dieser achselzuckend, doch seine Tochter zeigte noch immer kein Verständnis.
"Dad", begann sie stattdessen, "London ist größer und hat definitiv eine breitere Auswahl an Kleidern als Brighton."
Sie sprach schon allein den Namen angewidert aus, obwohl sie wusste, dass Brighton eigentlich eine recht schöne Stadt war.
Harold zuckte nur erneut mit den Achseln.
Den Rest der fast zweistündigen Fahrt redeten Piper und ihr Dad fast ununterbrochen. Ich nehme an, dieses Gen hatte sie von ihm geerbt.
Ich betrachtete stattdessen weiter die Landschaft, die an uns vorbeizog, bis es immer städtischer wurde.
Zuerst kamen die Vororte von London. Kleine Einfamilienhäuser, Leute, die gut verdienten, es sich aber dennoch nicht leisten konnten, in die große Stadt zu ziehen.
Sie hatten schöne Vorgärten, einen Familienvan, vermutlich alles, um zu zeigen, dass sie eine ganz normale Familie waren.
Der Verkehr wurde zunehmend dichter, je weiter wir uns der Innenstadt nährten und Pipers Dad beschimpfte in regelmäßigen Abständen die Fahrer neben, vor oder hinter ihm.
Für jemanden, der aus einer Kleinstadt kommt, ist London einfach nur atemberaubend.
Millionen Menschen, die jeden Tag durch die Stadt laufen. Hier kennt nicht jeder jeden. Viele kennen vermutlich nicht einmal ihre Nachbarn. Ich denke, das war es immer, was mich an Großstädten so gereizt hat: dass man frei wählen konnte, wer man war, ist oder sein möchte. Das man das niemandem auf der Straße erklären musste. Man konnte inmitten von Leuten sein und doch konnte die Stadt einem das Gefühl geben, unabhängig und allein zu sein.
Lewes war dagegen wie ein Käfig, umgeben von Getreidefeldern.
Harold lenkte den Wagen in eines der stark überteuerten Parkhäuser in der Nähe der Oxford Street.
Die Kälte des Novembers schlug mir erbarmungslos entgegen, als ich die Tür öffnete und feststellte, dass ich definitiv nicht warm genug angezogen war.
Piper hingegen schien der eisige Wind nichts auszumachen, obwohl sie nur den Strickpullover und einen einfachen Mantel trug.
"Na dann, Mädels", sagte Harold und schloss den Wagen ab, woraufhin ein Klicken ertönte und die Scheinwerfer kurz aufleuchteten.
"Lasst uns gehen."
end of chapter eighteen.
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