15. Supermarket
Nur einen viertel Riegel bin ich ihm wert? Nein, ich sollte dankbar sein, dass er mir überhaupt etwas abgegeben hat! Mein Magen scheint dem Ganzen aber nicht sonderlich glücklich gegenüberzustehen. Er grollt und brummt und will, dass ich ihm Aufmerksamkeit schenke. Aber ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir etwas zum Essen finden. Aktuell suchen wir nach einem Supermarkt aber da wir in einer unbekannten Ecke von Seoul gelandet sind, gestaltet sich das nicht so einfach wie erwartet.
Chan hatte, bevor wir losgegangen sind, die großartige Idee vorgeschlagen, ein Picknick auf einem der Dächer zu veranstalten. Mit ein bisschen Alkohol könnten wir lockerer werden und die Sorgen des Alltags für eine Weile vergessen. Das klingt wie die perfekte Gelegenheit, um die anderen besser kennenzulernen.
Ehrlich gesagt bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich mit allen schon einmal ein richtiges Gespräch geführt habe... Hyunjin wirkt bisher auf jeden Fall sehr zurückhaltend und ich kann mich nicht erinnern je ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Auch Seungmin ist eher ruhig und zurückgezogen. Ein gemeinsames Essen könnte genau das sein, was wir brauchen, um das Eis zu brechen und echte Verbindungen zu knüpfen. Es wäre schön, die Distanz zwischen uns zu überwinden und vielleicht neue Freundschaften zu schließen.
Ich kann mich dann näher vorzustellen, damit die anderen wissen, dass ich ihnen nichts Böses will und auch, dass ich nichts hiermit zu tun habe. Aber wie sollte ich das auch gemacht haben? Mit meinen Fingern schnippen und die ganze Menschheit wird ausgerottet? Eher unwahrscheinlich.
„Das ist erst der zweite Tag ohne Menschen. Es fühlt sich an, als wären wir hier schon eine Ewigkeit gefangen."
Der Aussage von Jeongin kann ich nur zustimmen. Es ist, als ob die Worte meine eigenen Gedanken wiedergeben würden, die sich in meinem Kopf abspielen, seitdem wir in dieser verlassenen Welt gefangen sind. Die Tage vergehen langsam und alles fühlt sich unfassbar vertraut an. Obwohl ich die Personen kaum kenne, fühlt es sich richtig an, mit ihnen über die Straßen zu schlendern.
Ich erinnere mich an Gestern, wie surreal die ganze Situation war. Es ist wie ein Abenteuer, wie eine ungewöhnliche Herausforderung und die Zeit scheint sich gedehnt zu haben, als ob sie sich unseren Gefühlen und Ängsten anpassen würde.
Heute habe ich das Schicksal bereits mehr oder weniger in Kauf genommen. Mehr als dieses unverständliche Gedicht haben wir aktuell nicht. Und wo sollen wir als nächstes suchen? Kameras zeigen uns nichts, unsere Handys nützen uns auch nichts und selbst das Archiv haben wir bereits durchforstet. Sehr viel mehr Ideen bleiben uns nicht.
Ich nicke zustimmend, ohne etwas zu sagen, denn die Worte, die der jüngste spricht, treffen genau das, was ich fühle. Es ist ein seltsames Gefühl der Verbundenheit. Tief in mir spüre ich eine Mischung aus Verwirrung, Angst und eine seltsame Art von Trost, der aus der Tatsache kommt, dass wir nicht allein sind, dass wir diese seltsame Erfahrung gemeinsam durchstehen. Ich und meine Idole... Wenn ich meinen Freunden davon erzählen würde, würden sie mich für verrückt erklären und glauben, ich hätte einen Fiebertraum.
Meine Gedanken schweifen ab, zurück in die Zeit, bevor alles sich verändert hat. Damals, als wir zusammen waren, haben wir uns immer irgendeinen Blödsinn ausgedacht. Kein illegaler Kram, nein, das war nie unser Ding, meine Freunde haben sich auch immer von solchen Sachen ferngehalten. Aber die kleinen, verrückten Momente; die Streiche, die wir uns gegenseitig gespielt haben, oder die Nächte, in denen wir einfach nur zusammen gelacht haben – die machen unsere Freundschaft aus.
Ich erinnere mich an diesen einen Abend, als wir beschlossen hatten, unsere Karaokekünste unter Beweis zu stellen. Die Nachbarn mussten uns gehasst haben, aber das war uns egal. Wir sangen aus vollem Herzen, auch wenn wir die Töne definitiv nicht immer getroffen haben. Am Morgen nach genau solchen Tagen war ich immer heiser, aber es hat sich gelohnt.
Die Erinnerungen an diese Nächte sind wie ein vertrauter Schein in dieser fremden Welt. Ich kann fast das Lachen meiner Freunde hören, das so ansteckend war, dass wir uns gegenseitig immer weiter gepusht haben, bis wir alle vor Lachen auf dem Boden lagen. Der Geruch von frischer Pizza und das leise Summen der Karaokemaschine im Hintergrund... das ist alles so lebendig in meinem Kopf. Ich wünschte, ich könnte ihnen davon erzählen, wie surreal das alles hier ist, aber ich bezweifle, dass sie mir glauben würden.
In den Momenten, in denen ich an meine Freunde denke, fühle ich mich fast so, als wäre ich wieder dort, in meinem alten Leben, mit meinen Freunden, die mir jetzt so unendlich fern erscheinen.
Trotz der Dunkelheit, die uns umgibt, fühle ich mich nach meinem nostalgischen Ausflug weniger verloren, weniger allein. Vielleicht ist das, was wir hier erleben, mehr als nur eine körperliche Prüfung. Vielleicht ist es eine Chance, uns selbst und einander auf eine tiefere Weise kennenzulernen, eine Chance, unsere eigenen Grenzen zu erkunden und zu überwinden. Und in dieser Erkenntnis finde ich einen Funken an Hoffnung, dass wir trotz allem, was uns erwartet, gemeinsam stark sein können.
Chan dreht sich zu uns und läuft kurze Zeit mit dem Rücken nach vorne. „Was wollen wir später alles essen? Ich meine, wir haben alle Läden nur für uns!" Er breitet seine Arme aus um seine Worte zu verdeutlichen.
Ehrlich gesagt würde ich aktuell alles essen, selbst super scharfes würde ich verkraften, Hauptsache etwas in meinem Magen! Bevor ich meine Gedanken aussprechen kann, kommt mir Changbin zuvor.
„Ich würde sterben für eine Tüte frischer Pommes"
Bei der bloßen Erwähnung von Pommes knurrt mein Magen noch lauter. Es ist fast schon komisch, wie sehr wir uns gerade alle nach etwas so einfachem sehnen. Die Vorstellung von knusprigen, salzigen Pommes lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wo bleiben denn die verdammten Supermärkte?
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Der Tag verspricht einer dieser unvergesslichen Momente zu werden, jene, die sich wie ein Bild in unsere Erinnerungen brennen und uns immer wieder zum Schmunzeln bringen werden, denn ich bin zuversichtlich, dass wir trotz unserer Lage, oder vielleicht auch genau wegen unserer Lage die Schönheit des Lebens irgendwie genießen können.
Minho, Jeongin, Felix und ich sind für das Essen zuständig. Die anderen Vier sammeln Decken und Kissen, um es uns auf dem Dach gemütlich zu machen.
In meinem Kopf habe ich bereits eine Einkaufsliste zusammengestellt. Pommes, definitiv. Vielleicht etwas Scharfes für den Kick, und natürlich auch Süßigkeiten. Doch dann fällt mir plötzlich ein, dass ich gar nicht genau weiß, was die anderen eigentlich gerne essen. Ich kenne zwar ihre Lieblingsmahlzeiten aus verschiedensten Interviews, die ich als Fan jahrelang verfolgt habe. Aber das sind nur kleine Ausschnitte; einfach nur ausgewählte Antworten für die Kamera. Was mögen sie wirklich, wenn die Scheinwerfer aus sind und niemand zusieht?
Ich lege einen Blick auf die Gruppe, die sich fast wie eine enge Familie verhält. Sie wirken alle so entspannt und normal, wie sie vor mir laufen, manche ihren Arm um den Nebenmann geschwungen. Aber da ist dieses nagende Gefühl in mir. Wie viel von dem, was ich über sie weiß, ist echt? Oder besser gesagt, wie viel kenne ich überhaupt von den echten Menschen hinter den Kulissen?
Minho kommt mir in den Sinn. Mit ihm musste ich es auf die harte Tour lernen. Seitdem wir hier sind, war er nicht sonderlich nett zu mir. Jedes Mal, wenn er mich mit diesem kühlen Blick ansieht, zieht sich mein Magen zusammen. Was, wenn die anderen genauso sind? Vielleicht sind sie nur besser darin ihre echte Art zu verstecken...?
Ich versuche, diese Gedanken abzuschütteln, aber es ist schwer. Auch wenn die anderen bisher auf meiner Seite standen, schleicht sich die Unsicherheit ein. Sie sind berühmt, sie sind Idole; vielleicht ist ihnen auch der Ruhm zu Kopf gestiegen. Ich meine, das wäre irgendwie verständlich und definitiv nicht das erste Mal in der Geschichte. So bekannt, wie sie sind. Vielleicht ist das alles nur eine gut einstudierte Show, und die echten Persönlichkeiten, die sich dahinter verbergen, sind ganz anders.
Meine Gedanken springen von einer Sorge zur nächsten, als ich Chan dabei beobachte, wie er lachend etwas zu Changbin sagt. Sie wirken so ungezwungen und authentisch. Doch dann denke ich wieder an Minho und an die Möglichkeit, dass dies alles nur eine Fassade sein könnte. Es macht mir Angst, dass ich nicht weiß, was hinter diesen freundlichen Gesichtern steckt. Aber es macht mir noch mehr Angst zu wissen, dass ich die Möglichkeit habe, hinter diese Fassaden zu blicken. Ich glaube das will ich besser nicht wissen.
„Welchen sollen wir nehmen?"
Ich blicke in Felix' unschuldige Augen und da bin ich mir plötzlich ganz sicher, dass zumindest er mir nichts vorspielt. Felix greift nach zwei der vielen Packungen und hält sie vor meine Nase. So nah, dass ich fast nicht erkennen kann, welche er eigentlich gegriffen hat. Ich weiche einen Schritt zurück und spüre etwas unter meinem Schuh. Natürlich.
„Pass doch auf!", motzt Minho, der bereits einen Haufen an Dosen und Flaschen in seinen Armen balanciert. Schnell zieht er seinen Fuß unter meinem hervor und bringt etwas Abstand zwischen unsere Körper, voll und ganz konzentriert darauf, nichts fallen zu lassen. Ich wollte eigentlich gerade ansetzen mich zu entschuldigen, doch da wackelt Felix wieder ungeduldig mit dem Käse vor meiner Nase.
„Mozzarella, auf jeden Fall Mozzarella. Cheddar ist doch viel zu langweilig.", antworte ich schnell mit einem überforderten Ausdruck in meinem Gesicht.
Felix nickt zustimmend und will gerade die kleine Packung in den Einkaufswagen legen, doch da kommt Minho mit seinem Einspruch. „Du bist langweilig! Nichts geht über Cheddar."
In dem Moment breitet sich zwischen uns wieder diese unausgesprochene Spannung aus, die immer da zu sein scheint, wenn wir miteinander reden. Minho und ich haben einfach zu unterschiedliche Persönlichkeiten. Langsam zweifle ich daran, dass wir überhaupt ein friedliches Aufeinandertreffen erleben können.
Ich erinnere mich nur zu gut an seine Worte am frühen Mittag.
Nach meiner Meinung sind wir ohne dich besser dran!
Diese Worte sitzen weiterhin unangenehm tief in meiner Brust.
Es scheinen schon fast Blitze aus meinen Augen schießen zu können, so sehr bohrt sich mein Blick in seine Seele und es fühlt sich an, als ob es in unserem Moment des Starrens, gar nicht mehr wirklich um den Käse geht, sondern um etwas viel Tieferes. Langsam frage ich mich, wann der erste von uns nachgibt, und mache mir gleichzeitig das Versprechen, dass ich nicht derjenige sein darf. Ich kann es mir nicht leisten, schwach zu wirken, besonders nicht vor Minho. Mein Stolz steht auf dem Spiel, und ich bin entschlossen, ihm zu zeigen, dass ich mich nicht so leicht beugen lasse. Vielleicht ist es kindisch und stur, aber in diesem Moment ist es das Einzige, was zählt.
„Warum nicht einfach beide nehmen und gut ist?", sagt der Jeongin und guckt hinter Minho hervor. „Ihr benehmt euch echt wie kleine Kinder, die einfach aus Prinzip argumentieren wollen."
Der jüngste geht an uns vorbei, greift die Cheddar-Packung und wirft sie zu dem Rest in den Wagen. Dann fährt er mit dem Drahtgestell weiter und lässt und beide etwas verlassen zurück. Schnell hole ich ihn wieder ein, um einen Sicherheitsabstand zwischen mich und Minho zu bringen.
Wenn es nur bei dem Käse geblieben wäre, dann wäre es kein Ding gewesen, aber die nächsten 5 Minuten nörgelt Minho nur an meiner Auswahl herum.
„Vielleicht solltest du dich einfach um die Getränke kümmern und du lässt mich entscheiden, ja?", entfährt es mir, als Minho an meiner Wahl des Salates rummeckern wollte; dabei gibt es nur eine Sorte! Mittlerweile bin ich mir sehr sicher, dass er das nur macht, um mich zur Weißglut zu bringen und ich habe echt keinen Nerv dafür. Mein Magen schmerzt und langsam tritt die Phase der Übelkeit ein. Ist ja klar, dass er noch Energie hat, er hatte ja auch einen dreiviertel Riegel... Ich rolle meine Augen unbewusst bei diesem Gedanken. Er hält sich echt für etwas Besseres.
Minho hebt seine Hände zur Verteidigung. „Hey, ich wollte nur helfen, ok?" er zeigt auf den Salat. „Da ist schon eine braune Stelle, bin mir nicht sicher, ob man die noch essen sollte."
Ein Blick auf den Salat bestätigt Minhos Worte. Eine braune, matschige Stelle bildet sich, die nicht mehr sonderlich appetitlich wirkt. Es ist frustrierend, dass er recht hat, aber ich gebe es widerwillig zu. Mit einem Seufzen lege ich den Salat zurück ins Regal und greife nach einem anderen. Die Gedanken rasen durch meinen Kopf. Warum muss alles so kompliziert sein? Warum kann ich nicht einfach einen Salat auswählen, ohne dass es zu einer Diskussion wird?
„Siehst du, ich wusste, dass zu mir zustimmen würdest." Mit einem fetten Grinsen und Schulterzucken verlässt er weiterhin beladen mit den Flaschen den Supermarkt.
Hätte er nicht früher gehen können? Warum erst jetzt, wenn wir eh schon alles haben? Seine provokative Bemerkung reizt mich, aber ich schlucke meine Wut hinunter. Manchmal ist es einfacher, den Mund zu halten und weiterzumachen.
Mit unseren Einkäufen in den Händen machen wir uns auf den Weg zum Gebäude, welches den Weg zu unserem Abenteuer bahnt.
Wir stehen am Fuß der Feuerleiter und betrachten die Vorräte, die wir aus dem verlassenen Supermarkt zusammengetragen haben. Jeder von uns schleppt Taschen und Kisten voller Lebensmittel. Der Hunger ist mittlerweile unerträglich, aber wir wollen alle dieses Dachpicknick perfekt zu machen.
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