Kapitel 9
Severus Snape blinzelte gegen die helle Sonne, als er aus dem Tropfenden Kessel trat. Die Sonne an diesem Julitag brannte ungewöhnlich heiß. Der Mann sah sich kurz um, dann machte er sich auf den Weg zu dem kleinen Café am anderen Ende der Winkelgasse. Immer wieder folgten ihm Blicke. Längst hatte sich in der gesamten Zauberwelt herumgesprochen, dass er der leibliche Vater von Harry Potter war. Anfangs dachte er noch, es würde ihn nicht weiter belasten, aber seit er wieder zu Hause war, spürte er immer wieder die Blicke der Menschen. Die meisten schienen ihn zu verachten, denn er galt als ehemaliger Todesser und nun war ausgerechnet er der Vater des Jungen-der-lebte. Severus beeilte sich und hatte das Café bald erreicht. Er trat in den noch recht leeren Gastraum und sah seinen besten Freund sofort. Lucius Malfoy saß in einer Ecke am Fenster und winkte Severus. Dieser kam näher und setzte sich auf den noch leeren Stuhl.
»Schön, dass du da bist«, sagte Lucius, als auch schon die Kellnerin kam.
»Was darf es sein?«
»Ich nehme einen Tee und einen Scone mit Marmelade«, sagte Lucius.
»Ja, ich auch«, sagte Snape schnell und die Frau verschwand. Der Malfoy betrachtete Severus nachdenklich. Dieser rollte mit den Augen.
»Was ist?«
»Das frag ich dich. Du wirst überraschend Vater und ich erfahre es aus dem Tagespropheten?«
»Luc, ich ... ich wusste nicht wie und ...«, Severus rieb sich die Augen, als schon die Kellnerin mit ihrer Bestellung kam.
»Kann ich sonst noch etwas tun?«, wollte sie wissen, aber Lucius schüttelte den Kopf.
»Danke«, sagte er und die junge Frau ging.
»Also wie lange weißt du es schon?«, wollte er dann wissen. Severus seufzte tief.
»Seit September ...«, Lucius verschluckte sich an seinem Tee und hustete. Es dauerte einen Moment, ehe er wieder sprechen konnte.
»S-September? Und du sagst nichts?«
»Ich musste es erst verdauen.«
»Fast ein Jahr lang? Sev ich dachte, wir seien Freunde - beste Freunde?«
»J-ja das sind wir, aber ... ich kam doch selbst damit nicht zurecht und ...«
»Wie ist es passiert?«, fiel Lucius Severus ins Wort.
»Das solltest du eigentlich wissen, immerhin hast auch du ein Kind«, sagte der Tränkemeister spöttisch.
»Witzig. Du weißt, was ich meine«, Severus nahm einen Schluck von seinem Tee, bevor er begann, die Ereignisse zu schildern, die zu jener unerwarteten Nacht mit Lily führten.
»Es war knapp zwei Jahre nach unserem Abschluss ... Lily und ich ... wir trafen uns zufällig in London. Es war eine seltsame Begegnung, voller alter Spannungen und ungelöster Gefühle. Wir sprachen stundenlang, und i-irgendwie endete es damit, dass wir die Nacht zusammen verbrachten«, seine Stimme war leise, fast brüchig, als er die Erinnerung heraufbeschwor. Lucius lehnte sich zurück, sein Gesichtsausdruck einer von Schock gemischt mit Neugier.
»Und dir kam nie der Verdacht, dass Harry dein Sohn sein könnte?«, Severus schüttelte den Kopf.
»Ich habe es wohl einfach verdrängt. Die Möglichkeit ... es war zu schmerzhaft, darüber nachzudenken. Lily war mit James zusammen, und H-Harry war ihr Sohn, James' Sohn. So sah ich das.«
»Und was fühlst du jetzt für den Jungen?«, Lucius' Frage hing in der Luft, beladen mit einer Intensität, die Severus unbehaglich machte. Er sagte nichts. Er konnte die Wirrnisse seiner eigenen Gefühle kaum entwirren, geschweige denn sie laut aussprechen. Stattdessen fixierte er einen Punkt irgendwo hinter Lucius. Dieser seufzte.
»Draco hat erzählt, Harry sei vollkommen isoliert in der Schule. Er meinte, es liegt vor allem daran, wie du ihn behandelst. Ist da was dran?«, Severus' Miene verfinsterte sich.
»Draco sieht nur, was er sehen will. Ja, ich war vielleicht nicht ... nicht der warmherzigste Lehrer. Aber Harrys Isolation ... es ist komplizierter als das.«
»Draco sagte, du stellst deinen eigenen Sohn vor aller Augen bloß, lässt ihn für Kleinigkeiten nachsitzen und hast ihm sogar verboten, sich das Zimmer mit jemandem zu teilen. Ist denn das wahr?«, Severus, dessen Gesichtsausdruck hart und undurchdringlich blieb, gab es widerwillig zu.
»Ja, vielleicht«, sagte er, seine Stimme kalt und abweisend. Lucius war entsetzt.
»Bist du noch ganz bei Trost? Er ist noch keine 12 und hat schon so viel verloren im Leben. Und nun hat er einen Vater und der stößt ihn von sich«, doch Severus war merklich uneinsichtig.
»Die Situation ist komplizierter, als du denkst, Lucius. Es ist nicht so einfach«, entgegnete er steif.
»Es gibt nichts Kompliziertes daran, Severus! Er ist dein Sohn«, insistierte Lucius, sein Ton wurde lauter, fast schon flehend, als wollte er, seinen alten Freund aus einer tiefen Verleugnung wecken Severus schüttelte nur den Kopf, ein deutliches Zeichen seiner Unwilligkeit, das Thema weiter zu vertiefen.
»Ich möchte jetzt nicht weiter darüber sprechen«, Lucius, der spürte, dass er in diesem Moment nicht weiterkommen würde, gab schließlich nach, entschlossen, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Gut ... dann lassen wir das vorerst ruhen. Draco hat sich gewünscht, dass du und Harry zu einem nachträglichen Geburtstagsessen für ihn kommt. Würdest du das tun? Heute in einer Woche«, Severus zögerte einen Augenblick, bevor er zustimmte.
»Ja, wir werden kommen«, sagte er knapp, seine Gedanken offensichtlich schon weit entfernt. Ohne weitere Worte erhob er sich dann, legte ein paar Münzen auf den Tisch und verließ nach einem letzten Gruß das Café, ließ Lucius Malfoy zurück, der nachdenklich und besorgt in seine Teetasse blickte.
Die Tage zogen für Harry in einem monotonen, einsamen Rhythmus vorbei, der durch Eintönigkeit und Isolation geprägt war. Sein Dasein in Spinner's End fühlte sich zunehmend wie eine Gefangenschaft an, in der jeder Tag dem anderen glich, ohne Unterscheidung, ohne Höhepunkte. Die Mahlzeiten waren schlicht und boten kaum einen Lichtblick in der Einfachheit seines Alltags: Zum Frühstück gab es immer nur Toast, das Mittagessen bestand lediglich aus einem Apfel und etwas Brot, und zum Abendessen gab es Reis, Bohnen und gelegentlich etwas Gemüse. Er verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer, das mit jedem Tag mehr zu einem Gefängnis wurde. Die Hausaufgaben waren nach drei Tagen erledigt, und jedes Buch, das ihm zur Verfügung stand, hatte er gelesen. Was ihm blieb, waren die langen Stunden am Fenster, in denen er sich nach der Freiheit sehnte, nach frischer Luft und Sonnenlicht auf seiner Haut. Am Ende der ersten Woche, die Harry in dieser tristen Routine verbracht hatte, trat Snape in sein Zimmer.
»Ziehen Sie sich etwas Vernünftiges an. Wir sind bei den Malfoys eingeladen.«
»Ich auch?«, fragte Harry unsicher.
»Würde ich es sonst sagen?«, kam es kalt und knapp von Snape zurück, ohne einen Hauch von Geduld oder Verständnis für Harrys Unsicherheit. Mit wenig Auswahl durchstöberte Harry seinen Kleiderschrank und entschied sich letztlich für Hemd und Hose seiner Schuluniform, die noch am ehesten passend schienen. Alles andere, was ihm zur Verfügung stand, war entweder zerschlissen oder hing viel zu locker an ihm, ein Zeugnis der Jahre bei den Dursleys. Als Snape Harry in seiner gewählten Kleidung sah, konnte er sein Missfallen kaum verbergen. Doch statt weiter zu kritisieren, seufzte er nur leise, ein Zeichen, dass es keine bessere Option gab. Harry spürte die Peinlichkeit und die Last seiner Situation, doch er wusste, dass er keine andere Wahl hatte.
»Los jetzt und Sie benehmen sich gefälligst«, sagte Snape und führte Harry aus dem Haus. Dieser nickte nur und kurz darauf apparierten sie gemeinsam nach Malfoy Manor. Die abrupte Veränderung der Umgebung, das plötzliche Verschwinden der bedrückenden Atmosphäre von Spinner's End und das Erscheinen in der opulenten, fast überwältigenden Pracht des Malfoy Anwesens ließen Harry für einen Moment die Luft anhalten und seine Übelkeit vergessen. Die Sonne hatte sich bereits dem Horizont geneigt, und ihre letzten Strahlen hüllten die sorgfältig gepflegten Gärten, die sich vor ihnen ausbreiteten, in ein goldenes Licht. Harrys Augen weiteten sich vor Staunen angesichts der Schönheit des Ortes: Rosenbüsche standen in voller Blüte, akkurat geschnittene Hecken formten kunstvolle Muster, und in der Ferne plätscherte ein Brunnen leise vor sich hin. Für einen Moment vergaß er seine Sorgen und ließ sich von der majestätischen Ruhe des Gartens gefangen nehmen. Neben ihm stand Snape, der keinen Blick für die Schönheit des Gartens zu verschwenden schien oder zumindest keine Bewunderung zeigen wollte. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens führte Snape Harry auf einem Kiesweg durch den Garten zum Herrenhaus. Als sie die massiven Eingangstüren erreichten, wurde ihnen von Lucius Malfoy persönlich geöffnet. Sein Erscheinen war, wie immer, von einer unnachahmlichen Eleganz und kühlen Autorität geprägt.
»Sev, willkommen«, begrüßte er mit einer Stimme, die reich an Untertönen war.
»Und Harry Potter ... es ist mir eine Freude, dich hier zu begrüßen«, seine Worte waren sorgfältig gewählt, und in seinen Augen lag eine unerwartete Wärme, als er Harry ansah. Harry, der Lucius Malfoy zum ersten Mal begegnete, fühlte sich unter dessen wohlwollendem Blick überrascht und ein wenig unsicher. Die Höflichkeit und freundliche Aufnahme durch Lucius stand in starkem Kontrast zu dem, was Harry von den Malfoys eigentlich erwartet hatte. Lucius trat zur Seite und ließ sie eintreten. Während sie durch das Herrenhaus gingen, konnte Harry nicht umhin, den Reichtum und die Pracht zu bemerken, die sich in jedem Detail des Anwesens widerspiegelten. Von den hohen Decken, die von kunstvoll gestalteten Kronleuchtern erleuchtet wurden, bis hin zu den wertvollen Kunstwerken, die die Wände schmückten, sprach alles von der Macht und dem Einfluss der Familie Malfoy.
Lucius brachte sie direkt ins Esszimmer. Dort war nicht nur Draco, der sofort angerannt kam, sondern auch eine Frau, die Harry sofort mochte. Narzissa Malfoy schenkte ihm ein warmes Lächeln.
»Schön, dass ihr da seid«, sagte sie. Severus gab der Frau einen Kuss auf die Wange, ehe er sich Draco zuwandte. Er begrüßte diesen mit einer Herzlichkeit, die Harry von ihm nicht gewohnt war, und offenbarte, dass Draco sein Patenkind war. Harry konnte nicht anders, als einen Stich zu fühlen, als er beobachtete, wie Snape mit dem anderen umging, eine Beziehung, die ihm selbst so fremd war. Draco selbst wirkte hier noch lockerer und entspannter als in der Schule und er lächelte Harry immer wieder zu.
»So dann lasst uns mal essen. Die Hauselfen haben sich mal wieder selbst übertroffen«, sagte Narzissa irgendwann und wies auf den reich gedeckten Tisch. Beim Essen war Harry so still und zurückhaltend, dass selbst die sonst so geschäftigen Malfoys es bemerkten, aber vorerst keinen Kommentar dazu abgaben. Er zupfte nervös an den Kanten seines zu großen Hemdes, während er versuchte, dem Gespräch zu folgen, das um ihn herum stattfand.
»Harry, möchtest du noch etwas von den Kartoffeln?«, fragte Narzissa mit einer Stimme, die so warm war wie der Glanz des Kerzenlichts auf dem Tisch.
»Äh, nein, danke. Ich bin ... ich bin satt«, murmelte Harry, obwohl sein Teller fast unberührt geblieben war. Sein Blick war auf den Tisch gerichtet, zu scheu, um den Augenkontakt mit irgendjemandem zu halten. Draco, der neben ihm saß, lehnte sich leicht zu ihm herüber und flüsterte: »Du solltest wirklich mehr essen. Ich kann uns später auch noch Eis besorgen«, Harry nickte nur leicht, seine Wangen leicht gerötet vor Verlegenheit. Er fühlte sich wie ein Fremder, der in eine Welt gestolpert war, die er nicht verstand, und jede freundliche Geste ließ ihn nur noch mehr in sich selbst zurückziehen. Als das Essen vorbei war, stand Narzissa auf und lächelte.
»Draco, warum zeigst du Harry nicht dein Zimmer? Ich bin sicher, er würde gerne sehen, wo du lebst, wenn du nicht in Hogwarts bist«, Draco nickte und stand ebenfalls auf, ein Lächeln auf seinem Gesicht.
»Komm, ich zeige dir mein Reich. Du wirst sehen, es ist ganz anders als die Zimmer in Slytherin«, Harry, immer noch zögerlich und unsicher, folgte Draco aus dem Esszimmer. Das Verlassen des warmen Lichts und der lebhaften Gespräche machte ihn nur noch nervöser. Draco bemerkte Harrys Unsicherheit und versuchte, eine Brücke zu schlagen.
»Du musst nicht so nervös sein. Meine Eltern sind wirklich froh, dich hier zu haben. Und ich auch«, sagte er, während sie die prächtigen Flure von Malfoy Manor entlanggingen.
»Es ist nur ... alles so neu für mich«, gestand Harry leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Ich weiß nicht, was ich machen muss.«
»Sei einfach du«, sagte Draco und blieb vor einer großen weißen Tür stehen. Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer, ein großzügig eingerichteter Raum, der im Gegensatz zu dem spartanischen Zimmern in Hogwarts stand. Überall waren persönliche Gegenstände zu sehen, die Dracos Interessen und Privilegien zeigten.
»Sieh dich ruhig um. Ich verbringe hier viel Zeit, wenn ich zu Hause bin«, erklärte dieser, während er Harry ermutigte, näher zu treten. Dieser sah sich um, sein Blick glitt über die zahlreichen Bücherregale, die Quidditchposter und die kunstvollen Möbel. Es war offensichtlich, dass Draco in einer Welt voller Reichtum und Luxus aufgewachsen war, eine Welt, die Harry fremd war.
»I-ist das alles deins?«, fragte er.
»Ja, ziemlich viel, ich weiß«, Draco lachte leicht, aber sein Lachen war nicht höhnisch, sondern eher einladend. Harry blickte sich weiter um. Besonders die Fotos zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. Familienbilder, auf denen Draco mit seinen Eltern zu sehen war, Urlaubsaufnahmen, und sogar einige, auf denen Snape zu sehen war – diese Momentaufnahmen eines Lebens, das so anders war als seines, faszinierten ihn zutiefst. Er verweilte bei jedem Bild, nahm die glücklichen Gesichter und die warmen Szenen in sich auf, und spürte eine seltsame Mischung aus Neid und Sehnsucht. Snape, der auf einigen Fotos zu sehen war, lächelte sogar – ein Anblick, den Harry kaum glauben konnte.
»Snape sieht ... er sieht glücklich aus«, bemerkte er leise, mehr zu sich selbst als zu Draco. Dieser trat neben ihn und blickte auf die Fotos.
»Ja, er kann ganz anders sein, als die meisten Leute denken. Er ist eigentlich ... er ist ein netter Mensch«, sagte er fast schon entschuldigend. Nach einem Moment des Schweigens, während Harry weiter die Fotos betrachtete, fragte er dann zögerlich: »Und ... wie läuft es so mit ihm, jetzt, wo du dort wohnst?«, Harry zuckte mit den Schultern, ein Hauch von Unsicherheit in seiner Geste. Er wollte nicht, dass Draco schlecht von Snape dachte, unabhängig davon, wie rau seine eigene Erfahrung gewesen sein mochte.
»Es ist okay, denke ich«, antwortete er ausweichend. »Er ist ... beschäftigt. Und ich versuche, nicht im Weg zu sein«, Draco sah Harry einen Moment lang an, sein Blick durchdringend, als würde er versuchen, hinter Harrys Fassade zu blicken.
»Wenn du jemals reden willst ... über irgendwas ... du kannst mir vertrauen,« bot Draco an, seine Stimme war ernst. Harry nickte, dankbar für das Angebot, auch wenn ein Teil von ihm bezweifelte, dass er jemals die Worte finden würde, um seine Gefühle und Erfahrungen auszudrücken. Nachdem sie dann eine Weile über belanglose Dinge gesprochen hatten, holte Harry tief Luft, sammelte all seinen Mut und wandte sich wieder Draco zu.
»Draco, ich habe eine große Bitte« begann er, seine Stimme unsicher.
»Snape ... er erlaubt mir nicht, Briefe zu schicken. Zu niemandem«, Dracos Augen weiteten sich ein wenig vor Überraschung.
»Echt?«
»Ja, es ist nur ... Adam und Taylor. S-sie werden sich Sorgen machen, wenn ich nicht antworte, sie wissen nicht, dass ich bei Snape bin«, Harrys Stimme zitterte leicht.
»Könntest du ihnen vielleicht schreiben? Nur, damit sie wissen, dass es mir gut geht und ... und wo ich bin«, Draco sah Harry einen Moment lang an, dann nickte er.
»Klar. Das mach ich«, versprach er. »Ich kann verstehen, wie wichtig das für dich ist«, Harrys Augen leuchteten vor Dankbarkeit.
»Danke. Das bedeutet mir wirklich viel. Hier ist die Adresse«, Harry gab Draco einen kleinen zerknitterten Zettel. Dieser sah aus, als würde er ihn schon seit Wochen immer bei sich haben und Draco ahnte, dass das wohl auch so war.
»Kein Problem«, erwiderte er dann mit einem Lächeln und nahm den Zettel.
»Ich schreibe ihnen noch heute. Severus muss ja nicht wissen.«
»D-Danke Draco«, sagte Harry und lächelte matt.
Als der Abend bei den Malfoys zu Ende ging, verabschiedeten sie sich von Harry mit einer Herzlichkeit, die ihn tief berührte. Auch Draco neigte sich kurz zu ihm und flüsterte: »Mach dir keine Sorgen. Ich schreibe Adam und Taylor.« Diese Worte gaben Harry einen kleinen Lichtblick der Hoffnung, ein Gefühl, dass nicht die ganze Welt gegen ihn war.
Als sie durch die dunklen Straßen von Cokeworth gingen, die Stille um sie herum fast greifbar, war es Severus Snape, der das Schweigen durchbrach.
»Potter, es wird eine Änderung geben in der Art, wie wir miteinander umgehen«, sagte er, ohne Harry anzusehen.
»Nichts Großes. Ich werde anfangen, dich zu duzen. Nicht, dass es irgendeine Zuneigung meinerseits impliziert. Es ist lediglich ... praktischer. Ich erwarte immer noch, dass du mir den gebührenden Respekt erweist und mich als ‚Sir' ansprichst«, Harry nickte, unsicher, wie er diese Geste interpretieren sollte.
»Verstanden, Sir.«
»Das hoffe ich«, erwiderte Snape kurz angebunden und setzte seinen Weg fort. Die Kühle in seiner Stimme ließ keinen Raum für Missverständnisse oder Wärme; es war eine klare Ansage, eine Änderung der Formalitäten, nichts mehr.
In der dritten Woche bei Snape, als wäre es eine kleine Geste des Einlenkens oder vielleicht der Erkenntnis, dass Harry etwas Abwechslung brauchte, gab Severus ihm schließlich die Erlaubnis, den kleinen, schäbigen Garten hinter dem Haus in Ordnung zu bringen.
»Es wird Zeit, dass dieser Garten etwas Pflege erfährt«, sagte er kühl, doch für Harry war es eine willkommene Ablenkung, eine Chance, frische Luft zu schnappen und sich körperlich zu betätigen, weit weg von den vier Wänden, die sein Gefängnis geworden waren. Als er zum ersten Mal den Garten hinter dem Haus betrat, offenbarte sich ihm ein Bild der Vernachlässigung. Überall wucherte Unkraut, das sich durch Risse und zwischen Steinen zwängte. Ein paar alte, kahle Bäume standen vereinzelt herum, neben einem verwitterten Schuppen, dessen Tür schief hing. Trotz des Verfalls entdeckte Harry Beete, in denen sich Reste von Kräutern wie Thymian und Rosmarin gegen das Unkraut behaupteten. Der Garten war ein vergessener Ort, ein stiller Zeuge vergangener Zeiten. Doch inmitten der Verwahrlosung fühlte Harry eine merkwürdige Verbundenheit. Vielleicht konnte er, trotz der Herausforderungen, ein wenig von der verlorenen Schönheit zurückbringen. Mit einem Hauch von Entschlossenheit begann er mit der Arbeit. Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel herab, doch er begrüßte die Wärme und das Licht, so sehr sie ihn auch ermüdeten. Er grub, schnitt und jätete, ließ den Schweiß und die Anstrengung für einen Moment die Schatten in seinem Herzen vertreiben. In diesen Stunden im Garten fand Harry ein kleines Maß an Frieden, eine vorübergehende Flucht vor der Einsamkeit und Isolation, die sein Leben bei Severus Snape definierten. Als Harry sich mittags eine Pause gönnte, um sein spärliches Sandwich zu essen, was ihm Snape zu seiner Überraschung hingestellt hatte, landete plötzlich Orpheus vor ihm auf dem Rasen. Der Rabe beobachtete den Jungen aus sicherer Entfernung, seine schwarzen Augen funkelten neugierig. Harry, der sich nach jeder Form von Gesellschaft sehnte, brach ein Stück seines Brotes ab und warf es dem Vogel zu. Orpheus schnappte sich das Stück geschickt aus der Luft und hüpfte langsam näher. Harry, ermutigt durch das Interesse des Raben, fütterte Orpheus weiter, bis der Rabe mutig genug war, sich auf Harrys Knie niederzulassen. Zu Harrys Überraschung ließ Orpheus sich sogar streicheln, seine schwarzen Federn glänzend im Sonnenlicht. In diesem Moment fühlte Harry eine unerwartete Verbindung zu dem Tier. Es war, als würde Orpheus, trotz seiner üblichen Distanziertheit, Harrys innere Not spüren und versuchen, ihn auf seine Weise zu trösten. Während Orpheus ruhig auf seinem Knie saß, überkam Harry ein Gefühl der Ruhe. Die Stille des Gartens, nur unterbrochen durch das gelegentliche Krächzen des Raben, bot einen seltenen Moment des Friedens. Er konnte fast vergessen, wie isoliert und einsam er sich in den letzten Wochen gefühlt hatte.
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