VII.
Kapitel 7
Um ehrlich zu sein verschlägt es mir die Sprache, sobald ich das Zimmer, dass die nächsten Wochen mir gehören soll, betrete.
Während ich mir im Waisenhaus mit vier Mädchen ein Zimmer geteilt habe, das längst nicht so groß war, wie dieses und ich dort in einem kleinen, klapprigen Holzbett geschlafen habe, steht hier ein riesengroßes, edles Himmelbett in der Mitte des Zimmers.
Statt einem Fenster hat dieses Zimmer eine eigene Glasfront, aus der man, wenn man im Bett liegt gucken kann. Rechts von dem Bett befindet sich ein offener Kleiderschrank, der endlich mal groß genug für die Menge an Kleidung ist, die ich habe. Ein Schminktisch und eine Kommode sind ebenfalls aufzufinden, alles in allem habe ich hier also alles, was ich brauche.
Vielleicht wird diese Zeit hier doch nicht so schlimm, wie gedacht. Jedenfalls, wenn man Edward vergisst. Und seine bescheuerten Regeln. Und seine arrogante, spießige Art. Und den Aspekt, dass ich hier keine Schokolade mehr essen darf. Oder andere Süßigkeiten. Oder Fast-Food. Das ist schließlich wirklich schrecklich.
Wenn ich es mir genauer überlege, wird es vielleicht doch nicht so toll.
Nun gut, das Training mit Edward wird mich auf mein Leben gut vorbereiten. Immerhin möchte ich sowieso Spionin werden, somit habe ich höhere Chancen, dass ich beim Deutschen Geheimdienst genommen werde. Vielleicht bin ich dann sogar so gut, dass ich nach Amerika zur CIA geschickt werde.
Okay, ich sollte es nicht übertreiben.
Aber auf jeden Fall wird es mir weiterhelfen. Immerhin kann ich mich dann selbst verteidigen. Ob ich dafür in Kauf nehme, dass ich so wahrscheinlich gefühlte 10 Stunden am Tag Sport machen muss, weiß ich noch nicht, aber bestimmt wird sich in nächster Zeit eine Meinung dazu bilden. Wenn ich weiß, wie anstrengend das wirklich ist.
Wie es wahrscheinlich jeder machen würde, schmeiße ich mich erst einmal auf das weiche Himmelbett, um auszutesten, wie gut es ist. Es ist toll. Das beste Bett, in dem ich jemals schlafen werde. Das glaube ich zumindest.
Nachdem ich mich ein paar Minuten in dem Bett herumgewältzt habe, zwinge ich mich dazu, aufzustehen und gucke mir den Schminktisch an. Wieso sollte ein erwachsener Mann, der so ziemlich wie nie Besuch hat, ein Zimmer mit einem solch schönen Schminktisch besitzen? Es ergibt für mich irgendwie keinen Sinn.
Vielleicht habe ich mich in ihm getäuscht und er hat doch des öfteren Damenbesuch. Aber dann würden sie doch kein extra Zimmer haben, oder? Außerdem ist dieser Schminktisch sehr hübsch, aus weißem Holz mit vielen, schönen Verzierungen, dementsprechend kann er nicht allzu billig gewesen sein. Edward würde so etwas doch nicht kaufen. Womöglich wurde der Tisch aber auch von der 'Organisation' (haben die überhaupt einen Namen?) gekauft. Vielleicht war es Roxys Idee, oder Isabelles?
Um ehrlich zu sein kann ich aber mit Isabelles Auftreten nichts anfangen. Ich konnte nichts aus ihr herauslesen, sie nicht vom Charakter einschätzen, was mir irgendwie Angst macht. Generell hasse ich es, wenn Menschen zu verschlossen sind, also so wie Edward, denn diese Menschen kann man grundsätzlich schwer einschätzen.
Aber Isabelle ist da noch einmal eine Tour harter. Sie schien mir irgendwie machtvoll, aber dennoch schwach. Wieso ist sie überhaupt abgehauen? Bin ich etwa so hässlich, dass sie in meiner Anwesenheit kotzen musste? Wohl er nicht, das schaffe nicht einmal ich. Aber was sonst?
Wenn ich so darüber nachdenke, dann sieht sie mir irgendwie ziemlich ähnlich. Die Haare, die Statur, die Augen... Vielleicht ist sie meine verschollene Mutter? Nein. Nein, ich sollte mir nicht irgendwelche Fantasien ausdenken, das ist viel zu weit hergeholt. Wir sind hier nicht in einem Actionfilm. Wahrscheinlich hatte sie einfach keine Lust oder einen schlechten Tag.
Eins ist jedenfalls klar: Ich muss all diesen Geheimnissen auf den Grund gehen. Schon immer war ich ein neugieriger Mensch, jetzt ist das Fass aber übergelaufen. Ich werde dieses Mal alles herausfinden. Nicht wie bei meinem kläglichen Versuch, aus Frau Müller herauszuquetschen, warum ich keine Eltern habe, nein. Dieses Mal werde ich nicht scheitern. Ich werde alles dafür tun, um herauszubekommen, was hier eigentlich los ist.
Und wenn es mich mein Leben kostet.
Nun gut, das war jetzt schon zu dramatisch. Mein Leben habe ich nicht vor, für ein paar Geheimnisse zu geben. Aber es klingt sonst wirklich gut. In einem anderen Kontext zumindest. Dennoch sollte ich aufhören, so eine Dramaqeen zu sein, das wird langsam wirklich zu viel.
Da ich letztendlich ziemlich schnell bemerke, dass ich eigentlich nichts in diesem Zimmer einzuräumen habe, beginne ich schnell, mich zu langweilen, immerhin habe ich nicht einmal ein Handy. Auf jeden Fall freue ich mich auf morgen, wenn ich meine Sachen bekomme. Hoffentlich packt Vivien alles Nötige ein, das ich brauche.
Ich entscheide mich also dazu, Edward ein wenig Gesellschaft zu leisten, um ihn mit Fragen zu löchern, deswegen verlasse ich schließlich das Zimmer. Vorbei an dem Wohnzimmer, dem großen Tisch und der Bar tapse ich, aus einem mir nicht verständlichen Grund, den Flur leise entlang. Dass ich leise laufe macht mich jedoch nicht unbedingt seriöser, denn währenddessen singe ich 'Wannabe' von den Spice Girls vor mich hin, was ich eventuell, wenn ich wirklich irgendetwas Wichtiges tue, nicht machen sollte.
Da ich ein gut erzogenes Kind bin und es mir keineswegs an Erziehung oder etwas derartigem fehlt, vergesse ich es natürlich, zu klopfen, sondern öffne die Tür sofort. Hinter der Tür sehe ich Edward stehen, der irgendwelches Gemüse schneidet. Und da er im Gegensatz zu mir wirklich seriös ist und auch so aussieht, nicht nur so tut, sieht das so aus, als wäre er wirklich gut im Kochen, was er hoffentlich auch ist, ich habe nämlich Hunger.
,,Was machst du hier?", fragt mich Edward in seinem üblichen, mürrischen und genervtem Ton, während ich noch in der Tür stehe. Er guckt mich, während er eine Paprika im schnellem Tempo malträtiert, von der Seite an.
Weil es ziemlich unklug wäre, ihm zu sagen, dass ich ihn ausfragen und damit auf die Nerven gehen möchte, ich mir aber auch noch keine andere Ausrede einfallen lassen habe, lächle ich erst einmal unschuldig und seufze anschließend theatralisch. Daraufhin blickt Edward nun wirklich zu mir und zieht dabei auf meine Antwort wartend eine Augenbraue hoch. ,,Ich bin hier, weil...äh...ich weiß es nicht." Wie einfallsreich ich doch heute bin.
Nicht.
Jetzt im Ernst, normalerweise bin ich für meine plausiblen und immer vollkommen logischen Ausreden bekannt und jetzt fällt mir nichts weiter ein, als 'Ich weiß es nicht'? Das ist wirklich schwach. Sehr schwach.
,,Na wenn du das nicht weißt, kannst du ja wieder gehen", entgegnet mir Edward und lächelt mich so an, als hätte er mir soeben das netteste Kompliment der Welt gemacht. Von wegen! Ich weiß ganz genau, wie falsch du hinter diesem perfekten Gesicht und diesem perfekten Oberkörper bist!
Wie war das nochmal mit der Dramatik?
Ich sollte wirklich langsam damit aufhören. ,,Ähm, lieber nicht, immerhin muss sich mein Unterbewusstsein etwas dabei gedacht haben, als es die Idee in meinem Kopf hat entspringen lassen, dass ich hier her kommen soll, nicht wahr? Demnach weiß ich es doch, nur...nicht wirklich." Ich fasse wieder meine übliche Sicherheit, schließe die Tür hinter mir und setze mich neben Edward auf die Theke. Genauer gesagt neben das Gemüse, schließlich steht Edward davor.
,,Und da du wahrscheinlich weißt, dass es unklug ist, nicht auf sein Unterbewusstsein zu hören, wäre es äußerst inakzeptabel, mich wieder hier rauszuschicken, denn das könnte schwere Konsequenzen mit sich tragen. Mal so nebenbei ist mir langweilig und ich kann hier meine Zeit vertreiben, was ziemlich gut ist, weil ich-"
,,Okay, stopp, Felicia, es reicht! Ehrlich gesagt wünschte ich, ich könnte genau so wie Sherlock einfach auf 'stumm' schalten, wenn du redest."
Kaum hat Edward das gesagt, beginnen meine Augen sich sofort weit zu öffnen und ich grinse ihn an. ,,Ist das etwa auch deine Lieblingsserie? Oh, Sherlock ist soooo cool."
,,Sie ist ganz okay, und jetzt runter von meiner Arbeitsplatte, die kracht sonst noch ein", antwortet er mir mürrisch, worauf ich entsetzt von der Platte springe und ihn mit meinen Armen beleidigt vor der Brust zusammengefaltet, anschaue.
,,Also bitte", empöre ich mich, während ich meinen Bitch-Fight-Blick auflege. ,,Ich wiege vielleicht die Hälfte von dir!"
,,Was bei einer Größe von 1,57 m nicht unbedingt eine Kunst ist." In genau diesem Moment wird Edward fertig, mit dem Schneiden, legt sein Messer ab, dreht sich zu mir und tätschelt mir mitleidig, als ob ich fünf wäre, auf den Kopf, sodass mein Blick noch empörter wird.
,,Also bitte, meine Größe ist vollkommen okay, ebenso mein Gewicht. Du kannst mir da nichts einreden, nur weil du so ein Riese bist!"
,,Also gut, dein Gewicht mag ja wirklich zu deiner Größe passen, aber wärst du ein paar Zentimeter größer, sähe das auch schon anders aus, dann wärst du nämlich untergweichtig. Aber Felicia, beim Besten Willen ist deine Größe nicht unbedingt ideal, wie oft soll ich dir noch sagen, dass die Ärztin das nur gesagt hat, um dich zu beruhigen?"
,,Pff, du hast doch keine Ahnung. Ich werde noch wachsen, und selbst wenn nicht ist das auch okay. Ich kenne viele Menschen, die auch so klein sind", kontere ich beleidigt, setzte mich wieder auf den Tresen, worauf ich einen grimmigen Blick von Edward abbekomme, der das Gemüse soeben in einer Pfanne anbrät.
,,Ach ja?", fragt er aber schließlich und guckt selbstgefällig zu mir. ,,Fünfjährige?"
,,Du bist gemein! Was kochst du überhaupt?"
,,Couscous mit Gemüse und Hühnerfleisch. Und jetzt hör endlich auf zu reden, es nervt wirklich!"
,,Weißt du, es nervt auch, dass du immer sagst, dass es nervt, dass ich rede", meine ich schulterzuckend und klaue mir anschließend eine Paprika von dem Schneidebrett, das Edward noch nicht in die Pfanne geworfen hat.
,,Und weißt du, dass dein Gelaber wirklich das Verwirrendste ist, dass ich je gehört habe? Wie kann man so viel Scheiße reden?"
,,Wie alt bist du überhaupt?", stelle ich eine Gegenfrage, denn auf seine kann man nicht wirklich antworten. ,,Zuerst dachte ich, dass du schon ziemlich alt bist, weil du dich so...erwachsen verhältst und naja, dein Gesichtsausdruck. Aber irgendwie wirkst du manchmal dann doch wieder jünger, als ob du dieses Erwachsensein nur vorspielst. Das ist echt komisch."
,,Tatsächlich bin ich schon erwachsen, dementsprechend benehme ich mich auch so, nicht so wie du, ich glaube du wirst mit 30 noch ein Kind sein. Ich spiele also nichts vor."
,,Also wenn ich dein Alter anhand deines Verhaltens schätzen sollte, würde ich dich, wenn ich nicht auf dein Aussehen achten würde, auf über 40 schätzen. Aber um ehrlich zu sein siehst du jünger aus, ich denke also eher, dass du, naja, jünger bist. Also wie alt bist du?"
Bevor mir Edward antwortet, nimmt er sich sich ein neues, größeres Messer als zuvor und dreht sich anschließend zu mir, während er die Kühlschranktür öffnet: ,,Ich denke, du kannst inzwischen den Tisch decken, das Geschirr ist in der Kommode neben dem Esstisch."
Anscheinend ist er nicht unbedingt erpicht darauf, mir sein Alter zu verraten, was es leider aber für mich noch spannender macht.
Also muss ich es eben auf einen anderen Weg herausfinden.
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Ja ich weiß, das Kapitel ist extrem kurz, aber irgendwie fand ich diesen Satz zum Abschluss so passend, dass ich mich dazu entschieden habe, das geplante Ende vorzuziehen, sorry. :)
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