IV.
Kapitel 4
Sobald wir aus dem Auto steigen, bemerke ich, dass der Mann, nach dessen Name ich noch nicht gefragt habe, wie schon zu erwarten einen Kopf größer ist als ich. Wie ebenfalls zu erwarten, ist er ziemlich gut gebaut, hat breite Schultern und dementsprechend viele Muskeln. Ach wenn er noch ein Shirt trägt, kann ich sehr gut erkennen, dass er einen perfekt trainierten Körper hat. So gut wie er aussieht, kann er doch gar nicht böse sein, oder? Das hoffe ich zumindest.
Wir fahren mit dem Aufzug in das Erdgeschoss, um dort durch die Tür in die Innenstadt zu gelangen. Sobald wir durch die zweiflüglige Tür getreten sind, strahlt mir die Sonne ins Gesicht. Eventuell wird es in nächster Zeit doch noch sommerlich, was aber wirklich zu erwarten ist, immerhin ist es schon Juli. Wie mich dieser Sommer, der sich nicht zeigen will aufregt!
Ich frage auf dem Weg ein weiteres Mal, wohin wir gehen, doch wie schon zu erwarten ist die Antwort, das ich meine Klappe halten sollte. Was hätte es auch sonst sein sollen. So spiele ich, während wir durch die Mengen von Menschen laufen, erneut mit dem Gedanken, einfach abzuhauen, immerhin weiß ich jetzt ganz genau, wo ich bin. Letztendlich entscheide ich mich aber wieder dagegen, da mich der 'mysteriöse Typ' höchst wahrscheinlich einholen würde, denn meine Kondition ist grauenvoll. Ich könnte niemals so lange an einem Stück rennen.
Wir laufen an den alten Häusern Baden-Badens vorbei, die einem, wenn man durch die Stadt geht, meist nicht auffallen. Baden-Baden ist eine sehr alte Stadt, die von den Römern einst eingenommen wurde, deswegen haben wir hier auch Thermalbäder. Wie Frau Müller sagte, es gibt hier jede Menge Kultur.
An einem Juweliergeschäft bleiben wir letztendlich stehen. Es ist eines der Oma-Geschäfte, die ein normaler Mensch unter sechzig Jahren nicht betreten würde. Doch ich vergaß, dass der 'mysteriöse Typ' keineswegs normal ist, immerhin hört er Mozart in seiner Freizeit.
Der Mann öffnet die Tür und wir treten ein. Dabei klingelt eine Glocke, die der Verkäuferin oder dem Verkäufer signalisieren soll, dass jemand da ist. Ich schaue mich um und sehe eigentlich das Erwartete: jede Menge Schmuck und Diamanten. Der Laden ist nicht besonders groß. Eine etwas ältere, kurvige Frau steht hinter der Theke aus Glas. Sie trägt ein feines Kleid und perfekt aufgetragenes Make-Up.
,,Oh, da seid ihr ja!", ruft die Frau erleichtert, sobald sie uns erblickt und kommt hinter der Theke hervor. Dabei klacken ihre Absätze auf dem Parkettboden. ,,Isabelle macht sich schon Sorgen." Wer ist Isabelle? Und warum macht sich diese Isabelle Sorgen? Um was? Wieso kennen sich die beiden überhaupt? So viele Fragen bilden sich in meinem Kopf, doch der Moment ist nicht passend, um sie zu stellen.
Deswegen schaue ich verwirrt zu meinem Retter oder Entführer, ich kann mich nicht entscheiden, was er ist, doch er nickt der Dame nur zu. Danach beginnt er in Richtung einer Tür zu laufen, die höchst wahrscheinlich zu einem Lagerraum oder etwas derartigem führt. Da ich nicht weiß, was ich sonst tun sollte, folge ich ihm.
Hinter der Tür befindet sich ein Treppenhaus, das schlicht gehalten ist. Die Geländer sind aus Stahl und die Stufen aus weißen Fließen. Es sieht alles sehr steril aus. Wir steigen die Treppen auf, bis ganz nach oben, wo ich wirklich froh bin, dass wir fertig sind, denn bereits da bin ich außer Puste. Wie gesagt, meine Kondition ist schlechter als die einer Schnecke. Oder wer weiß, vielleicht haben Schnecken eine gute Kondition, sie können sie nur nicht verwenden, da sie sich zu langsam bewegen. Ich weiß es nicht.
Oben angekommen erblicke ich einen kleinen Flur mit zwei Türen. Wir laufen zu der Linken. Während mein Begleiter an die Tür klopft, fällt mir ein, dass ich ihn noch nach seinem Namen fragen wollte.
Doch gerade als ich meinen Mund öffnen möchte, geht die Tür auf und ein großer, schlaksiger Mann steht vor uns. Er hat braune Haare und einen Dreitragebart, ich würde ihn auf Mitte Dreißig schätzen. ,,Sie sind im Konferenzzimmer", teilt der Braunhaarige meinem Begleiter mit, woraufhin dieser nickt. Der Mann stellt sich aus der Tür und lässt uns eintreten. Dieser Raum ist sozusagen ein weiterer Flur. Es gibt zwei weiterführende Türen und eine Tür aus Glas, die zu einer Notfallleiter führt.
Während der 'mysteriöse Typ' die rechte Tür öffnet, frage ich: ,,Wie heißt du eigentlich?" Er hält mir die Tür auf und wir treten ein. Nachdem er die Tür wieder hinter uns geschlossen hat, entgegnet er mir: ,,Das hat dich nichts zu interessieren."
,,Was hat sie nichts zu interessieren?", erscheint eine lebendige Mädchenstimme hinter uns. Ich drehe mich um und erblicke eine lächelnde Frau mit olivebrauner Haut und wunderschönen Zöpfen. Es scheint, als wäre sie womöglich ein paar Jahre älter als ich.
,,Sein Name", erkläre ich ihr deswegen und lächle sie ebenfalls an, da sie mir auf Anhieb sympathisch ist. Eindeutig sympathischer als Mr-ich-bin-mir-zu-schade-um-mit-irgendjemandem-zu-reden.
,,Ach, Edward, geselliger wirst du nicht wirklich", seufzt die Frau und klopft ihm auf die Schulter. ,,Ich heiße übrigens Roxy, falls dich das auch interessiert. Aber ich denke, du hast noch deutlich mehr Fragen, nicht? Edward wird dir ja wohl kaum etwas erzählt haben." Sie schaut tadelnd zu besagtem Edward, lächelt aber dabei, was ihre weißen Zähne zeigt.
,,Oh ja, ich habe durchaus ein paar Fragen, ich weiß nicht einmal, wo ich bin oder was ich hier mache", antworte ich Roxy besorgt, woraufhin sie kurz auflacht.
,,Das wird dir schon noch alles erklärt, keine Angst. Das ist aber nicht mein Job. Ich wollte mir gerade ein paar Chips holen, möchtest du auch welche?" Als sie die Chips erwähnt, fällt mir auf, dass ich bis jetzt immer noch nichts gegessen habe, dementsprechend ziemlich hungrig bin.
Deswegen nicke ich glücklich. ,,Das wäre ziemlich cool, ich habe bis auf einen Apfel und einen Joghurt heute morgen noch nichts gegessen."
,,Geht klar", ruft Roxy, während sie bereits in eine Richtung fortläuft. Zum ersten Mal blicke ich mich in diesem Raum um. Es ist ein Loft, der eigentlich ein Wohnzimmer ist. Rechts von uns ist eine Küche, in die Roxy soeben auch geht, links eine Sitzecke und viele Regale. Eine weitere Tür ist dort ebenfalls.
Auf diese laufen Edward und ich geradewegs zu. Er klopft dort an und öffnet die Tür anschließend. Hinter der Tür befindet sich ein großer Raum, in dem ein Tisch steht, der mit seinen Stühlen fast den gesamten Raum ausfüllt. An dem Tisch sitzen eine Frau mit ebenholzfarbenen Haaren und ein Mann, der ebenso wie Roxy farbig ist (ihr generell sehr ähnlich sieht). Die Frau ist etwas älter, eventuell um die dreißig oder vierzig, während der Mann noch ziemlich jung aussieht.
Sobald die Frau uns erblickt, steht sie mit großen Augen auf und kommt auf uns zu. ,,Isabelle", warnt der Mann, der noch am Tisch sitzt, die Frau, woraufhin sie stehen bleibt, als hätte sie etwas vergessen. Sie atmet ein Mal tief ein- und aus, reicht mir anschließend lächelnd die Hand.
,,Hallo, Felicia", sagt sie währenddessen und zieht ihre Hand wieder zurück. ,,Du hast bestimmt einige Fragen, setz dich bitte." Zögernd setze ich mich neben den Mann, während Edward sich neben Isabelle setzt, sodass ich ihm gegenüber sitze. Mein Blick bleibt jedoch verwundert auf der Frau, da ihr Verhalten wirklich seltsam ist.
,,Ich bin übrigens Leonard, Roxys großer Bruder, du kannst mich aber Lee nennen", flüstert mir der muskulöse Mann neben mir zu, woraufhin ich ihn anlächle.
,,Also, ich darf jede Frage stellen und Sie beantworten sie mir?", frage ich anschließend an Isabelle gerichtet, da sie mir als so etwas wie eine Chefin erscheint. Dennoch erscheint mir diese gesamte Situation als äußerst seltsam. Ich soll fragen über etwas stellen, von dem ich keine Ahnung habe. Was mache ich hier überhaupt? Es ergibt einfach keinen Sinn, egal wie ich diese Situation auch drehe. Womöglich ist alles nur ein Traum und morgen wache ich in meinem kuscheligen Bett im Waisenhaus auf. Das hoffe ich zumindest.
,,Ich gebe dir natürlich keine Garantie, dass ich sie dir beantworten kann oder möchte, aber ich werde mein Bestes geben", entgegnet sie mir lächelnd, sodass ich auch zurück lächle.
,,Okay, also erst einmal würde mich interessieren, was ich hier überhaupt mache? Wieso bin ich hier? Was ist das hier überhaupt?"
Isabelle zögert etwas, bevor sie mir antwortet: ,,Felicia, du bist in großer Gefahr. Deswegen bist du hier. Wir sind dafür da, dich zu beschützen."
,,Warum bin ich in Gefahr? Hat das etwas mit diesen Männern zu tun, die mich entführt haben? Woher soll ich wissen, dass ihr nicht auch die Gefahr seid? Und woher kennt ihr mich überhaupt und interessiert euch für mich?"
,,Das waren eventuell ein paar Fragen zu viel", bemerkt Leonard neben mir, woraufhin die Tür aufgeht und Roxy eintritt. Sie setzt sich lächelnd neben Leonard und reicht ihm und mir Chips.
,,Warum du in Gefahr bist kann ich dir leider nicht sagen Felicia, so Leid es mir tut...ich...nein, ich kann das nicht, Edward, kannst du bitte übernehmen, ich schaffe das nicht." Ich beobachte verwirrt, wie Isabelle aufsteht, ihren Stuhl wieder an den Tisch schiebt und sich anschließend in Richtung Tür bewegt. Wir alle beobachten sie dabei, niemand sagt etwas.
Erst, als Isabelle die Tür hinter sich schließt, meint Roxy: ,,Na das werden bestimmt sehr lange Antworten, wenn Edward übernimmt." Leonard und ich schmunzeln etwas, während Edward nicht weiter die Miene verzieht.
,,Also, ich fasse es kurz", sagt er dann, schaut mir dabei tief in die grünen Augen. Erst jetzt fällt mir auf, wie faszinierend das Grau seiner Augen ist. ,,Wie gesagt, du wirst nicht erfahren, warum du in Gefahr bist und auch nicht, was es mit deiner Entführung auf sich hat. Du wirst auch keinen Beweis dafür bekommen, du musst es uns einfach glauben. Als ein solch naiver Mensch wie du wird es dir aber höchst wahrscheinlich nicht schwer fallen. Woher wir dich kennen und warum wir uns, oder eher gesagt Isabelle für dich interessieren, darfst du ebenfalls nicht erfahren."
Während ich Edward vollkommen perplex anstarre, weil er sich, wie auch immer, all meine Fragen gemerkt hat, bemerkt Roxy wahrheitsgemäß: ,,Genauer gesagt: Du bekommst auf nichts eine Antwort."
Doch ich starre weiterhin verwundert Edward an. ,,Wie konntest du dir meine ganzen Fragen merken? Selbst ich habe vergessen, welche genau ich gestellt habe."
,,Oh, Edward hat irgendwie so ein Gedächtnis, er kann sich so etwas immer merken. Ist zwar etwas gruselig, aber auch praktisch. Man gewöhnt sich dran", antwortet mir wieder Roxy, von Edward war schließlich keine Antwort zu erwarten.
Angestrengt versuche ich, mir die nächsten Fragen, die ich stellen möchte auszudenken, doch aus irgendeinem Grund fällt mir plötzlich keine Einzige ein. Ein Müdigkeitsgefühl überkommt mich wie ein Schlag, sodass ich sofort beginne, zu gähnen. Ich möchte nur noch zurück ins Waisenhaus. ,,Okay, um ehrlich zu sein bin ich ziemlich müde, die Spritze der Krankenschwester scheint noch ein paar Nachwirkungen zu haben. Ich würde jetzt gerne zurück ins Waisenhaus."
,,Das geht nicht", antwortet mir Edward jedoch prompt und schaut mir dabei weiterhin eindringlich in die Augen.
,,Wieso? Das ist mein Wohnort, natürlich kann ich dort hin!", protestiere ich sofort und runzle währenddessen meine Stirn. Das kann doch wohl kaum sein Ernst sein! Was sol diese Scheiße hier überhaupt?!
,,Ich hab von Anfang an gesagt, dass man es ihr sagen muss, so bringt das nichts!", schüttelt Leonard seinen Kopf und seufzt, während er sich in seinen Stuhl zurücklehnt und sich einen Chip in den Mund steckt.
,,Isabelle hat gesagt, wir machen es so, also machen wir das auch", entgegnet ihm Edward, während er Leonard tadelnd anguckt. ,,Felicia, du kannst nicht zurück ins Waisenhaus."
,,Bitte was?", lache ich, weil ich Edward immer noch nicht wirklich glauben kann. ,,Du machst Witze!"
,,Sehe ich wie der Typ aus, der Witze macht?", möchte er resigniert wissen, sodass ich abschätzend mit dem Kopf schüttle. ,,Es ist zu gefährlich in dem Waisenhaus. Genauer gesagt ist es überall zu gefährlich. Du darfst nicht mehr alleine sein."
,,Wie, nicht mal auf der Toilette?", frage ich sarkastisch, aber dennoch dümmlich, woraufhin Roxy und Leonard kichern, doch aufhören, sobald Edward ihnen einen strengen Blick zuwirft.
,,Du musst ständig in Bewachung sein, natürlich darfst du alleine auf die Toilette gehen. Es geht hierbei eher um die Orte, die gefährlich für dich sind. So wie das Waisenhaus, denn diesen Aufenthaltsort kennen sie. Ebenso das Krankenhaus, dort haben sie Spione."
,,Wer weiß, wo ich bin? Ich sollte doch mindestens wissen, vor wem ich mich fürchten muss! Woher soll ich wissen, dass ich euch vertrauen kann? Und wo soll ich wohnen, wenn nicht im Waisenhaus? Ich brauche keinen Aufpasser", protestiere ich weiterhin, wobei eine leichte Panik mich überfällt, deswegen nehme ich mir aus Frust einen weiteren Chip.
,,Wir können dir nicht erzählen, wer hinter dir her ist, aber es sind gefährliche Menschen, vor denen du geschützt werden musst. Ich denke, das könntest du dir auch denken, immerhin wurdest du erst vorhin von ihnen entführt. Genau aus diesem Grund brauchst du einen Aufpasser. Diese Aufgabe muss ich zu meinem Pech übernehmen, aus diesem rund wirst du auch leider bei mir wohnen. Jedenfalls so lange, bis sie herausfinden, dass du dort bist", erklärt mir Edward, woraufhin ich empört meinen Mund aufmache. Ich soll bei einem fremden Typen wohnen, zu dem ich kein Vertrauen habe? Das können sie vergessen!
,,Und ihr glaubt jetzt, dass ich einfach sagen könnt, dass ich jetzt bei euch wohnen muss und ich das mache? Also bitte, ich bin vielleicht naiv, aber so naiv auch wieder nicht!"
,,Oh du kannst dich keineswegs dagegen währen. Du wurdest sozusagen adoptiert. Vielleicht wird dir Isabelle irgendwann mal erzählen, wie das ging. Morgen früh werden schon ein paar Männer deine Sachen, die einer deiner Freunde zusammenpackt, abholen, alles ist bereits abgesprochen. Du musst uns vertrauen."
Ich schaue erst Edward perplex an, später Roxy und Leonard. Was ist das hier überhaupt für ein beschissener Blödsinn? Wie kann sich mein Leben in so kurzer Zeit verändern? Das kann ja wohl kaum alles wahr sein, oder? Das kann nicht stimmen! Dafür muss es doch eine Lösung geben! Und vielleicht gibt es diese auch.
,,Ich möchte mit Frau Müller sprechen. Erst danach kann ich euch vertrauen."
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