Zwölf
Wir sollen das letzte Kapitel für lina8214 's Buch schreiben.
luisepoo
Mein Leben hinter einer Krankheit
Ich hatte mich schon lange gefragt, was der Sinn des Lebens war. Klar, ich wusste, dass Menschen Spaß haben und glücklich werden sollten. Dass sie Dinge tun sollten, die sie einen Moment alles vergessen ließen und ihnen jede Last von den Schultern nahmen.
Aber was war der Sinn meines Lebens?
Sollte ich einfach nur ... sterben? Einfach so, ohne je eine Rolle gespielt zu haben, ohne wirklich existiert zu haben? Sollte ich niemals erwachsen werden, arbeiten, jemanden kennenlernen und mit jemandem mein Leben teilen, in Liebe und Frieden?
All diese Fragen schwirrten in meinem Kopf, nahmen jeden Platz in meinen Gedanken ein.
Ich sehnte mich nach Ruhe, Frieden und Erlösung.
Doch ich hatte auch Angst. Schreckliche Angst vor dem, was kommen könnte, vor dem Tod. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es vorbei sein könnte, dass mein kurzes, unwichtiges Leben einfach so ein Ende finden könnte, ohne je wirklich begonnen zu haben.
Ich war dankbar, ja, dankbar für die wunderschönen Momente, die ich erleben durfte. Es waren nicht viele, doch es waren die Situationen, die mein Leben geprägt hatten. Ich lächelte leicht, als ich an den Tanz im Regen zurückdachte, bei dem Lilly und ich singend durch den Sommerregen getänzelt waren. Oder die nächtlichen Kuscheleinheiten mit Mom, wenn ich mal nicht einschlafen konnte. Dann machte sie mir immer eine heiße Schokolade und kuschelte sich mit mir in eine Decke.
Ich zuckte zusammen, als die Tür des Krankenzimmers mit einem Ruck geöffnet wurde und einer der Ärzte mit seinem weißen Kittel den Raum betrat. Seine Mine war ernst und durchdringend.
Das bedeutete wohl schlechte Nachrichten.
Doch ich war nicht enttäuscht, nein, denn ich hatte mir sowieso nie Hoffnungen gemacht. Ich hatte nie daran geglaubt, das hier zu überleben, denn dazu war ich wohl bestimmt. Zu sterben.
„Hat die Chemotherapie nicht angeschlagen?“, fragte ich zaghaft, auch wenn es eher eine Feststellung war, denn ich wusste die Wahrheit bereits.
„Nein. Das hat sie nicht", erwiderte der Arzt, mindestens genauso zaghaft wie ich, in seinem Blick lag nichts als Mitleid.
Ich nickte langsam und lächelte leicht, um dem Arzt den kummervollen Blick zu nehmen.
„Das ist nicht schlimm“, erklärte ich leise, auch wenn ich Angst hatte, auch wenn ich weinen wollte. Aber es war doch nicht schlimm, oder? Ich wusste es nicht, doch ich würde es erfahren.
Der Arzt legte den Kopf schief, seine dichten Augenbrauen waren zusammen gezogen. Er beugte sich leicht zu mir und tätschelte mir den Kopf. Seine Augen waren bedrückt, als wäre er der Jenige, der sterben würde. Dabei war ich es.
„Du bist ein starkes Mädchen“, sagte der Arzt und drehte sich leicht weg, um sich hastig über die Augen zu wischen. Sie schimmerten wässrig.
„Ihre Augen glitzern“, stellte ich fest und strahlte. Ich strahlte nicht, weil er weinte, sondern, weil glitzernde Augen wunderschön waren.
„Ihre Augen glitzern“, wiederholte ich atemlos und lächelte. „Ihre Augen glitzern wie die Sterne, Herr Doktor. Ich werde auch bald so glitzern, wenn ich ein Stern bin, oder?“
„Ja, das wirst du, Kleine. Bald wirst du ein Stern sein und glitzern“, bestätigte der Arzt und lächelte mich warm an, er schien glücklich zu sein, auch wenn ihm Tränen an den Wangen hinab liefen.
Ich schloss zufrieden die Augen und lauschte der Stille. Wartend auf etwas, das kommen würde. Stunden vergingen, vielleicht waren es auch nur Minuten. Als ich die Augen leicht öffnete, war der Arzt fort und ich war alleine in dem kahlen, tristen Krankenzimmer.
Auch, wenn die Stille unerträglich war, genoss ich sie. Es war seltsam, denn trotz der Einsamkeit fühlte ich mich geborgen.
Würde ich Lilly und meine Mutter noch sehen, bevor ich starb?
Ich wusste es nicht. Wie vieles.
„Wie ein Stern“, flüsterte ich, um mir Mut zu machen, um meinen Glauben aufrecht zu erhalten.
Draußen dämmerte es bereits, der Tag neigte sich dem Ende zu. Würde mein Leben jetzt auch auf das Ende zu gehen? Würde ich bald ein Stern sein und leuchtend die Nacht erhellen?
Ich hatte Angst, doch ich wusste, dass ich es schaffen konnte. Ich wusste, dass ich durchhalten würde, bis zu Ende. Ja, bis zum Ende würde ich stark sein und lächeln.
Die Tür öffnete sich leise, ich hörte es kaum, denn mein schwerer Atem klang durch meinen ganzen Körper.
Das Ende. Bald würde es kommen.
„Schatz?“, flüsterte die Stimme meiner Mutter dicht neben mir, kraftlos und matt.
„Schatz, hörst du mich?“
„Ja, Mama“, flüsterte ich, leise und matt.
„Sch...ich bin bei dir. Alles wird gut.“
Nein, es würde nicht gut werden. Zumindest für mich nicht. Denn ich würde sterben. Hier und jetzt. Ich wusste es einfach.
Meine Augen waren immernoch geschlossen, ich hörte Stimmen im Zimmer, die meiner Mutter und die des Arztes. In meinem Kopf verschwammen alle Gedanken, ich spürte eine Welle von Gefühlen in mir hochkommen. Und ich spürte das Leben verschwinden. Langsam und sanft. Als würde es, wie die Sonne untergehen.
Meine Mutter schluchzte laut auf, ich spürte ihre Wärme dicht bei mir. Sie umgab mich wie ein Schutzwall der Liebe.
„Du wirst leben, Liebling“, flüsterte Mama neben mir, sie weinte.
Ich öffnete meine Augen einen Spalt weit und blickte meine Mutter an.
Tränen flossen über ihre Wangen und ein Schluchzer entwich ihrer Kehle. Sie lachte und umfasste mein Gesicht mit ihren warmen, schützenden Händen.
„Es war ein Irrtum, meine Kleine. Deine Probe wurde verwechselt“ Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern, als sie mich mit ihren verquollenen Augen ungläubig anblickte.
„Du wirst leben. Du wirst wieder bei mir sein. Du wirst wieder gesund...“
Die Tränen flossen nun wilder, als sprudelnde Flüsse aus ihren Augen, doch ihre Lippen lachten, ihre Augen strahlten.
„Aber, Mama“, sagte ich leise. „Ich wollte doch ein Stern sein. Ich wollte glitzern wie ein Stern, hoch oben im Himmel“
Meine Worte waren kraftlos und kaum hörbar, doch ich war dankbar. Dankbar dafür, dass ich eine zweite Chance erhielt, dass ich die Möglichkeit hatte erwachsen zu werden, zu arbeiten, jemanden kennenzulernen und mein Leben zu leben. Ja, ich war dankbar, dass ich leben durfte.
„Das wirst du, mein Schatz. Irgendwann wirst du ein Stern sein und den Menschen auf der Erde den Weg beleuchten. Irgendwann...“
Sie schluchzte und drückte mich an sich, so fest und liebevoll wie noch nie zuvor. Ihre Wärme umgab mich und ich umschlang sie mit meinen dünnen Armen. Ihr Duft nach Zuhause hüllte mich in Geborgenheit, ihre Umarmung war pure Liebe.
„Irgendwann wirst du ein Stern sein, das verspreche ich dir“, flüsterte meine Mutter nun, dicht bei mir, mit Tränen in den Augen.
„Aber noch nicht jetzt, Liebling. Denn jetzt wirst du leben.“
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