Zehn
Wir sollen einen Text an jemanden, den wir am meisten lieben, schreiben. Es fällt mir schwer, mich da zu entscheiden, weil ich meine Familie sowie meine beste Freundin über alles liebe. Deshalb werde ich das "am meisten" weglassen, da ich niemals sagen könnte, wen ich am meisten von ihnen liebe. Da ich bei der zweiten Wattpadcamp Aufgabe bereits ein Gedicht für meine Schwester geschrieben habe, werde ich jetzt für meine kleine Cousine schreiben. Ich liebe sie, sie ist ein wundervoller Mensch.
luisepoo
Hey, Cousinchen.
Wie beginne ich am besten? Wie beginne ich einen Brief an jemanden, der noch nicht lesen kann, der die folgenden Zeilen noch nicht begreifen und meine Intention dahinter nicht verstehen kann? Wie auch? Du bist schließlich erst zwei Jahre alt.
Ich weiß nicht, wie ich dir begreiflich machen kann, wie viel du mir bedeutest, wie viel es mir bedeutet, wenn du freudenstrahlend auf mich zugelaufen kommst.
Wie du es mit deinen zwei Jahren schaffst, mich zu verzaubern.
Und doch. Auch, wenn ich erst zwei Jahre mit dir ein Leben teile, auch, wenn ich erst zwei Jahre dein engelsgleiches Dasein bewundern kann, erscheint es mir, als würde ich dich schon ein Leben lang kennen.
Deine dunkelbraunen Augen spiegeln die Reinheit, sie strahlen voller Faszination und Schönheit. In ihnen kann ich die Augen meiner Tante, deiner Mutter, erkennen, die hart für ihre Ziele arbeitet und doch ihre Familie über alles stellt.
In deinen Augen sehe ich das Gute im Menschen, kann, trotz der Trauer und der Frustration über das naive und unnötige Menschendasein, einen Hoffnungsschimmer erblicken.
Ja, diese dunklen Augen, die mich gerade erwartungsvoll anblicken, sie strahlen voller Unschuld und Selbstlosigkeit. Deine Worte bringen mich zum Lächeln, wenn du entschieden und selbstsicher versuchst das Wort "Küsschen" zu sagen.
Weißt du eigentlich, wie sehr du mich dazu motivierst, mit deinem bloßen lebensfrohen Anblick, ein besserer Mensch zu sein? Dein kritischer Blick bringt mich zum Nachdenken, ich werde dadurch inspiriert, mein Leben aufblühen zu lassen, wie das einer wunderschönen Rose. Dein Blick scheint mich fordernd anzuschauen, als wolle er mir damit mitteilen, dass ich jeden Tag leben soll, als wäre es mein letzter.
Deine kleinen Beine, die gerade fröhlich auf dem polierten Parkett herumhüpfen, erinnern mich an deine große Schwester, die jetzt mit ihren fünf Jahren, deine schützende Hand, deine beste Freundin und Komplizin ist.
Dein Lachen erinnert mich an das deines Vaters, meines angeheirateten Onkels. Es ist wunderschön, erstrahlt und bringt Menschen dazu, mitzulachen. Es ist so humorvoll und unschuldig, es erklingt, wenn du gerade mal wieder den Fußboden mit Buntstiften bemalt hast oder, wenn du wie eine Ballerina deiner Schwester hinterher tanzt. Es erklingt wie Musik, wie Medizin für meine Ohren, wenn ich mal wieder nächtelang nicht schlafen konnte oder mich meine Trauer gepackt hat, wie eine Gefangene. Ja, wenn ich in Erinnerungen und Schmerz zu ertinken scheine, denke ich an dich, an das kleine, unschuldige Mädchen, das wie ein Engel in Lebensfreude erstrahlt und mir einen Hoffnungsschimmer schenkt.
Ein kleines Mädchen, das bald zu einer starken, wundervollen Frau heranwachsen wird, die mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Stärke, ihrer Individualität und ihrer Liebe ihre Mitmenschen bereichern wird.
Ja, in vielleicht fünfzehn Jahren werde ich dich ansehen und meine Augen werden mit Stolz und Liebe gefüllt sein. Mit Bewunderung werde ich dich einmal anblicken, werde mit dir deine Erfolge feiern, über Witze lachen, über Verluste trauern. Immer.
Also, sei dir gewiss, Cousinchen.
Egal, was kommen mag, ich werde dir zur Seite stehen, ich werde dir meine Dankbarkeit und Liebe widmen, die du mir gerade schenkst. Ich werde dir aus schweren Zeiten helfen, so wie du es mit deinem bloßen Dasein, bei mir tatest.
Ja, so werde ich dich auf deinem Weg begleiten, den du gerade erst begonnen hast, an dessen Beginn du gerade stehst.
Egal, was kommt.
Bitte.
Vergiss nie, dass auch mir ein Hoffnungsschimmer das Leben versüßte, mir den Duft vom Frühling offenbarte, das Gefühl des Lebens zeigte. Und dieser Hoffnungsschimmer warst ... Du.
Wenn du also jemals gerade in Trauer versinkst, wie ich es tat.
Wenn du in Angst lebst, der Schmerz dir die Luft zum Atmen nimmt, wie ich es durchlebte.
Wenn du das Gefühl hast, du kannst nicht mehr, du es beenden willst, ... so wie ich es wünschte.
Ja, wenn du das alles einmal durchleben solltest, dann lass mich dir ein Hoffnungsschimmer sein, wie du es für mich warst. Lass mich dir beistehen, dir Liebe schenken. Lass mich mit dir gemeinsam weinen, lass mich dich in den Arm nehmen.
Ich sitze gerade hier, mit einem fast leeren Stift in der Hand und blicke auf das Papier. Auf die Worte, die ich dir gerade gewidmet habe, auf die Buchstaben, die Worte der Liebe bilden.
Ich frage mich gerade, ob ich es geschafft habe, dir deine Bedeutung in meinem Leben begreiflich zu machen. Ob ich die richtigen Worte gewählt, die richtigen Sätze formuliert habe.
Ja.
Ich glaube das ist es, was ich an dir liebe.
Dein bloßes Dasein. Ich liebe den Gedanken dich glücklich zu sehen, ich liebe die Art, wie du denkst, wie du handelst. Ich liebe deine Sturheit, deine Eleganz, deinen Humor, deine Liebe. Ich liebe alles an dir.
Vielleicht.
Vielleicht wirst du in ein paar Jahren diesen Brief finden, wirst diese Zeilen lesen und sehen, wie unglaublich dich deine große Cousine liebt.
Aber vielleicht wirst du diesen Brief auch finden, wenn du schon achtzig Jahre alt bist, du in einem friedlichen Park das alte Papier auseinander faltest und mit deiner Brille auf die verwischten Zeilen blickst. Dann wirst du vielleicht weinen, Tränen um deine verstorbene Cousine vergießen, die dich ihr ganzes Leben lang geliebt und dir diesen Brief hinterlassen hat.
Doch all das spielt keine Rolle.
Es spielt keine Rolle, wann und ob du diesen Brief erhältst.
Denn Worte auf Papier sagen viel, sie geben uns die Möglichkeit Ängste und Gefühle, Gedanken und Träume auszudrücken. Ja, sie geben uns eine Chance etwas festzuhalten, etwas niemals zu verlieren und immer vor sich zu haben. Schwarz auf weiß.
Doch ich kann dir meine Liebe auch anders zeigen. Ohne Worte. Ohne einen Brief.
Selbst, wenn du diesen Brief nie erhältst, selbst, wenn du diese Worte nie lesen wirst, kannst du dir sicher sein, dass ich dir dennoch begreiflich machen kann, dass ich dich liebe.
Denn Worte können vieles sagen.
Doch eine Umarmung, ein Kuss oder ein einfaches Lächeln sagen noch vieles mehr.
Vergiss also nicht, Cousinchen.
Ich stehe dir bei.
Immer.
~ In Liebe, deine Cousine
985 Wörter
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