Die diesjährige Gala wird den Obdachlosen unserer Stadt gewidmet. All die Gelder die heute gespendet werden, kommen einem Projekt zugute das Obdachlose von der Straße holt, ihnen Wohnraum, Lebensmittel und Kleidung gibt, aber auch Perspektiven für die Zukunft.

Ich stehe neben meinem Vater und begrüße mit ihm die Gäste des heutigen Abends - allesamt äußerst gut betuchte alte Männer, die mit den jungen Frauen an ihren Seiten prahlen und angeben wollen. Es langweilt mich. Mindestens eine handvoll der Damen habe ich bereits... Auf meine Weise kennengelernt und wie ich an ihren leicht dezent errötenden Gesichtern erkennen kann, denken sie in dem Moment als sie mich sehen an genau das selbe.

Die Menge verstummt als die Initiatorin des Projekts die Bühne erklimmt und nach dem Mikro greift. Ich schaue nicht hin, werde viel zu sehr von einer schlanken Blondine abgelenkt, die nach Aufmerksamkeit sucht und diese nicht von ihrem versnobbten Mann erhält.

Zumindest bis zu dem Moment als ich ihre Stimme höre.

"Es freut mich außerordentlich das sie heute Abend so zahlreich erschienen sind um dieser Gala beizuwohnen, die ganz meinem Projekt »Garten Eden« gewidmet ist.
Wie viele von ihnen sicher wissen ist der Garten Eden bekannt als das Paradies, ein Ort an dem kein Leid, kein Hunger und keine Verarmung herrscht. Genau deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht ein Projekt ins Leben zu rufen, das sich besonders den Bedürftigen widmet. Durch Krankheit oder Schicksalsschläge sind viele Menschen in die Obdachlosigkeit geraten. Viele, die nicht wissen wie sie dort von selbst wieder heraus kommen sollen. Einige, die nicht die Kraft dazu haben, für sich und ihr Leben einzustehen. Garten Eden steht hier für genau das ein :
Wir helfen den Menschen wieder auf die Beine, ermöglichen ein respektables und würdevolles Leben, begleiten bei Therapien jeglicher Art und machen uns stark um für diese Menschen, die am absoluten Limit leben, zu kämpfen.
Leisten auch sie ihren Beitrag und helfen sie Projekt Garten Eden, allen Menschen ein Leben zu ermöglichen.
Vielen Dank."

Sie steckt das Mikro wieder weg und verlässt unter tosendem Applaus die Bühne. Ich stehe immer noch vollkommen erstarrt neben meinem Vater, der für die Initiatorin nur Lob übrig hat. Er merkt nicht, daß ich keinen Muskel bewege.

Ich habe mich verhört, oder?

"Dad, wie heißt die Initiatorin?", frage ich unauffällig leise, damit es niemand mitbekommt.

"Das ist Mary Richardson. Gerade aus Spanien wieder hierher gezogen."

Mary Richardson. Sie hat also nie geheiratet - oder zumindest nicht den Namen ihres Gatten angenommen.
Erinnerungen an längst vergangene Tage brechen über mir herein und vermiesen mir die Stimmung... Sogar so sehr, daß ich die Blondine die ich vorhin schon ins Auge gefasst habe, ignoriere und mich für einen Moment davon stehle um etwas Luft zu schnappen.

Sie ist es. Meine Mary.

Der frische Wind weht wild und ungestüm während ich über der Brüstung lehne und vom 10. Stock hinab blicke... Die Stadt wirkt so friedlich von hier oben, doch in mir tobt ein Sturm.

"Die Erde ist so verdammt groß, aber du kommst ausgerechnet hierher zurück. Großartig.", murmle ich knurrend, habe dabei aber nicht bemerkt das jemand hinter mir ebenfalls den Balkon betritt.

"Wie bitte?"

Oh nein. Gott nein. Warum!?

Ich schüttle leicht den Kopf und atme nochmal tief durch ehe ich mich zu Mary herum drehe. Ihr freundliches Lächeln verblasst nicht. Selbst dann nicht, als sie meine finstere Miene sieht.

"Ich dachte sie hätten gerade etwas gesagt, entschuldigen Sie.", erklärt sie und lächelt erneut.

Das leicht gedimmte Licht verhindert das sie mich vollends sieht, also tritt sie etwas näher heran.

"Ich bin Mary Richardson. Sie sind Mr. Montgomery Jr., korrekt? Ihr Vater sagte sie haben bei den Vorbereitungen für die heutige Gala geholfen, also wollte ich mich bei Ihnen bedanken."

Sie reicht mir die Hand. Mein Puls beginnt zu rasen und all die Dinge die ich über die Jahre sorgfältig verwahrt und verdrängt habe kommen wieder an die Oberfläche. All die Dinge, über die ich nie richtig hinweg gekommen bin.

"Mrs. oder Ms.?", frage ich und möchte mich dafür selbst schelten. Mein beschissener Trieb kennt offenbar keine Pause. Ich ergreife ihre Hand kurz, schüttle sie und lasse sie dann ruckartig wieder los.

"Oh, Ms. Danke."

Mir fallen auf Anhieb 1000 Dinge ein die ich jetzt gern tun würde - hier mit ihr zu stehen gehört allerdings nicht dazu.

"Nun Miss Richardson. Ich hoffe das sie viele Spenden erhalten werden. Ich werde auch einen Scheck ausstellen, wenn das genügt... Wenn sie mich jetzt entschuldigen, drinnen wartet jemand auf mich."

Eilig verabschiede ich mich, streiche meinen Smoking glatt und betrete die Räumlichkeiten der Gala. Ich habe ein Ziel, etwas das meinen Kopf wieder gerade rücken und mich selbst wieder fokussieren wird.

Natürlich dauert es keine 5 Minuten bis ich die Blondine von vorhin finde. Ich ziehe sie unauffällig mit mir, f*cke sie in einer der Besenkammern und verlasse dann gereizt aber befriedigt die Gala.

Ich brauche Abstand, einen Moment für mich... Will so viel Distanz zwischen uns bringen wie möglich.

Aber am liebsten wäre mir, ich könnte sie einfach vergessen.