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Willkommen in den unendlichen Weiten der Welt

26.02.1821
London

„Die Freiheit der Seelen ist die Freiheit der Welt."
~ Jean Baptiste Henri Lacordaire

Anne Bonny

Schwarzes geflochtenes Haar fiel der älteren Frau über die Schultern, während ihre hellbraunen Augen Anne in dem fahlen Licht der Laternen fixierten.

Die Angesehene wagte es kaum zu atmen.
Was sollte sie Delia Bonny erzählen, weshalb sie zu dieser späten Stunde noch draußen auf den Straßen war? Vielleicht dass sie sich unwohl fühlte und dringend einen Arzt konsultieren wollte?

Gottverdammt, weshalb musste ihre Ziehmutter gerade am heutigen Abend zurückkehren? Ausgerechnet in dem Moment, in dem Anne die Flucht ergreifen wollte?

Der Mund der Jüngeren öffnete sich, aber bevor auch nur ein Ton über ihre Lippen kommen konnte, ergriff Delia das Wort: „Du willst gehen." Ihre Augen wanderten zu der Tasche, die Anne bei sich trug und wieder zurück auf ihr Gesicht.

Annes Finger verkrampften sich um den Tragegurt und sie schluckte schwer. Hitze stieg in ihr auf, lieferte sich mit der Panik einen inneren Kampf.  Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.
Sollte sie einfach losrennen? Delia wäre unmöglich schnell genug, um ihr hinterherzukommen. Sie müsste es nur bis zu dem weißen Pony schaffen ...

„Ich werde nichts sagen."

Die erlösenden Worte klangen so surreal, dass Anne glaubte, sie nicht richtig verstanden zu haben.
„W...was?", stotterte sie, schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Du weißt um meine Gedanken zu dir, Kind."
Aber natürlich.
Delia wäre froh um ihr Verschwinden. Womöglich würden sie und William dann weniger streiten wenn Anne fort war und Delia würde nicht mehr ständig an die Affäre ihres Gatten erinnert werden.

Anne konnte ihr Blut in den Ohren rauschen hören, fühlte ihren kräftigen und schnellen Herzschlag.
Sollte sie ihr danken? Sie umarmen?
Das wäre wahrscheinlich zu viel gewesen. Immerhin waren sie sich nie nahegestanden.
Also nickte sie ihrer Ziehmutter nur zu, lockerte den Griff um ihre Tasche wieder.
Schnell senkte sie den Blick und wollte einfach an ihr vorbeihuschen, hielt aber nochmal inne und wandte sich Delia ein letztes Mal zu. „Gib auf ihn Acht. Er ... er ist kein schlechter Mensch. Er hat nur nie gelernt, wie man richtig liebt."

Bevor die Ältere etwas darauf antworten konnte, eilte Anne weiter die Straße hinab und bog um die nächste Ecke.
In den Schatten des Gebäudes blieb sie für eine Minute stehen und atmete tief durch. Gerade nochmal gut gegangen.

Sie sammelte ihre Gedanken, riss sich zusammen und legte dann den restlichen Weg bis zum Nagelschmied zurück.
Wie erwartet stand der kleine Schimmel angebunden vor der Arbeitsstätte seines Herrn.
Sein warmer Atem blies kleine weiße Wolken in die kühle Nachtluft. In völliger Entspannung hing seine Unterlippe hinab, nur die Ohren zuckten und drehten sich hin und wieder aufmerksam.

Vorsichtig näherte Anne sich ihm, um ihn nicht zu erschrecken. Er durfte keine lauten Geräusche von sich geben, wenn sie ihn unentdeckt mitnehmen wollte. Stehlen wollte.

Zunächst hielt sie ihm die Hand vor die Nüstern, damit er an ihr schnuppern konnte.
Er schien sie zu akzeptieren, denn er blieb so ruhig wie zuvor.

Erleichtert darüber sah sie sich kurz um, ob sie jemand beobachtete, bevor sie ihre Tasche am Sattel befestigte und dann den Strick löste, der das Pony an Ort und Stelle hielt.

Schnell schwang sie sich auf seinen Rücken, tätschelte ihm den Hals. „Bereit für ein Abenteuer?", flüsterte sie ihm zu, gab ihm anschließend mit einem gesunden Schenkeldruck zu verstehen, dass er loslaufen sollte.
Als wären sie schon immer ein Team gewesen, gehorchte er sofort und trabte los.

Froh darüber, dass ihr Vater ihr schon früh das Reiten beigebracht hatte und sie dieses Handwerk äußerst gut beherrschte, lenkte sie den Wallach mit einer Hand, während die andere in der Tasche nach der Karte kramte.

Sie bekam sie zu fassen, zog sie heraus. Im Licht der Straßenlaternen versuchte sie zu erkennen, in welche Richtung sie nun musste. Sobald sie sich dessen im Klaren war, verstaute sie das Pergament wieder.

„Anne Bonny und die Geschichte des Werdegangs einer gesuchten Meisterdiebin", drang plötzlich eine Männerstimme an ihr Ohr. „Ein interessant klingender Titel eines Zeitungsartikels, nicht?"

Ihr Herz begann zu rasen, sie riss den Kopf herum und zog an den Zügeln, um den Wallach zum Stillstehen zu bewegen.

Samuel Cherleton tauchte aus einer Seitengasse auf, ebenfalls zu Pferd. Der Rappe zog einen Karren hinter sich her. Flaschen klirrten. „Ich war auf dem Weg zu dir, um dich zu holen, aber scheinbar haben sich deine Pläne doch geändert."

„Ich ... Es ist nicht wie es aussieht. Ich stand unter Zeitdruck, das weißt du! Und ich hatte Angst, dass ..."

„Dass ich dich im Stich lassen würde", beendete Samuel den Satz, bevor Anne es konnte. Er klang verletzt. Gekränkt. „Habe ich schon jemals mein Wort gebrochen? Dir jemals einen Anlass gegeben, mir zu misstrauen? Ich habe dir versprochen, dass wir gemeinsam gehen! Dass ich dir helfe, gottverflucht Anne!"

„Sei doch bitte leiser!", zischte sie ihm zu.
Einzelne Männer und Frauen, die noch unterwegs waren, wandten ihnen ihre Gesichter zu.
Wenn jemand mitbekam, wer sie war, dann war alles umsonst gewesen. Sie zog ihr Kopftuch enger, als fürchtete sie, man könnte sie jeden Moment erkennen.
„Verstehst du meine Situation denn nicht?", fügte sie ruhiger an. „Ich hatte keine andere Wahl. Noch zwei Tage und mein Leben wäre vorüber. Die Freiheit niemals mehr greifbar."

Ihr Freund führte sein Pferd näher zu ihrem Pony, das daraufhin unruhig zu tänzeln begann.
Sie straffte die Zügel, hielt den Wallach unter Kontrolle.

„Dann lass uns keine Zeit mehr verlieren", meinte er dann und trieb den Rappen an. „Erst nach Luton, weiter über Northampton und hin nach Harwich."

Ein Stein fiel Anne vom Herzen in dem Moment, in dem sie begriff, dass er sie begleiten würde, obwohl sie ihm allen Grund dazu geliefert hatte, es nicht zu tun.
Was ein guter Freund doch wert war. Sie liebte ihn mehr als ihre eigentliche Familie.

Zügig folgte sie ihm auf ihrem gestohlenen Reittier, fühlte sich in seiner Gegenwart sogleich sicherer.

London war groß und so dauerte es, bis sie die Stadt schließlich hinter sich ließen.
Sie tauchten in die Dunkelheit der umliegenden Gegend ein.
Außerhalb gab es keine Laternen mehr, die ihnen den Weg erhellten, nur die Sterne und den Mond.

Anne warf einen letzten Blick zurück über ihre Schulter. Das sich immer weiter entfernende Licht ihrer Heimat spiegelte sich im Blaugrau ihrer Augen wider.
Mit jedem weiteren Schritt, den ihr Pony tat, wuchs das Gefühl der Freiheit in ihrer Brust.
Es brachte sie schon fast zum Zerbersten, so überwältigend fühlte es sich an.

Tränen rollten über ihre Wangen. Aber das erste Mal nicht dem Kummer, sondern der blanken Freude geschuldet.

„Was ist? Was hast du?", fragte Samuel, sobald er das Schluchzen seiner Begleiterin vernahm.
Er drosselte sein Tempo, sodass der Rappe und der Schimmel nebeneinander hergingen.

Die salzigen Tropfen des Glücks glänzten in Annes Gesicht wie kleine Edelsteine, während sie Samuel angrinste. „Ich kann es kaum glauben", jauchzte sie. „Ich tue es wirklich. Wir tun es wirklich."

Er lachte herzhaft und streckte den Arm nach ihr aus. Sanft strichen seine langen Finger über ihre Schulter. „Willkommen in den unendlichen Weiten der Welt, meine liebste Anne Bonny. Nie wieder Zwänge, nie wieder Unterdrückung. Nur noch tun und lassen, was du willst und wann du es willst. Du bist nun eine freie Frau."

***

27.02.1821
Irgendwo zwischen London und Bristol

Die Sonnenstrahlen küssten Annes kalte Wangen und schenkten ihnen einen umschmeichelnden, rötlichen Ton.
Tau benetzte das weiße Fell ihres Ponys und den beigen Stoff ihres Mantel.
Trotz dessen Dicke hatte sich im Laufe der Nacht die Kälte unter ihn gekämpft.

Mittlerweile waren Annes Finger so steif, dass sie bei jeder kleinen Bewegung schmerzten.
Sie bildete sich ein, ihre Füße nicht mehr richtig spüren zu können.

Erschöpft ritt sie in einer nach vorne gebeugten Haltung. Wieder und wieder fielen ihr die Augen zu und wieder und wieder zwang sie sich dazu, sie erneut zu öffnen.
An Schlaf war nicht zu denken. Noch nicht. Erst mussten sie Luton erreichen.

Samuel führte seinen Rappen vor ihr her, wandte sich alle paar Minuten zu ihr um, um sicherzugehen, dass sie noch auf dem Rücken des Ponys saß.
„Es ist nicht mehr weit!", rief er ihr ermutigend zu, was beinahe in dem beständigen Klirren der Flaschen in seinem Karren unterging.
Es war ein Wunder, dass keines der Gefäße zerbrochen war, bei dem unebenen Pfad, den sie überquerten.

„Ich schaffe das schon. Mach dir keine Sorgen", antwortete Anne ihrem Freund nur halb so laut.
Sie wusste nicht, ob Samuel sie überhaupt gehört hatte. Doch ganz gleich ob dem so war, drehte er sich wieder nach vorne.

Ohne Pause ritten sie immer weiter, durchquerten einen kleinen Forst in dem es nach Tannennadeln und Harz duftete. Anschließend trabten sie an mehreren Feldern und bearbeiteten Äckern vorüber, ein Zeichen, dass sich ein Dorf oder eine Stadt ganz in der Nähe befinden musste.

Und tatsächlich. Nur wenige Minuten später tauchten in der Ferne Hausdächer auf. Viele. Das musste Luton sein.

Anne schöpfte aus dem Anblick neue Energie, richtete sich in ihrem Sattel auf und ignorierte die Schmerzen in ihren Gliedern.
Bald schon würde sie sich die wohlverdiente Ruhe gönnen können. Sie mussten nur ein angemessenes Gasthaus finden.

Unter dem Reiten griff sie in ihre Tasche und zog darauf den kleinen Beutel mit den Münzen heraus.

Als Samuel es Klimpern hörte, sah er zu ihr. Ernst auf seinen Gesichtszügen. „Lass das Geld dort wo es ist. Niemand sollte sehen, dass du welches mit dir führst. Luton ist eine große Stadt. Viele Gauner treiben dort ihr Unwesen und eine junge Frau ... nun ja ..."

Sie verstand, verstaute das Säckchen wieder. In ihr würde man ein leichtes Opfer sehen.

Schweigend passierten sie die Eingangspassage. Sofort drang der Alltagslärm an ihre Ohren. Etwas, das sie in der vergangenen Nacht nicht vermisst hatte. Die Geräusche der Natur hatten gutgetan, hatten heilend für die Seele gewirkt.

Nun waren sie wieder im Chaos angelangt. Bürger huschten von der einen Straßenseite auf die andere, Kutschen und Karren fuhren über die gepflasterten Wege.

Annes Augen wanderten die Geschäfte zu ihrer rechten und linken Seite ab. Sie erkannte Modeläden, Buchhandlungen, Druckereien. An kleineren Ständen verkaufte manch ein Händler frische Lebensmittel. Gemüse, gepökeltes Fleisch, Getreide, Gebäck.

„Wir werden eine Bleibe suchen. Dann kannst du dich ausruhen", verkündete Samuel, sobald sie in eine weniger belebte Gasse einbogen. „Ich kenne da eine Taverne, die auch Schlafplätze anbietet und einen Stall für Reittiere besitzt. Dort gibt es nicht unbedingt das beste Essen und auch keine wirklich bequemen Betten, aber der Besitzer ist zuvorkommend und in gewisser Weise bezeichne ich ihn als einen Freund. Du wirst ihn mögen. Er wird keine Fragen stellen. Das tut er nie. Wir müssen nur hoffen, dass er noch ein Zimmer frei hat."

Eine beruhigende Vorstellung, aber dennoch fragte sie sich: „Was ist mit dir? Du musst doch auch erschöpft sein. Wir sind immerhin die ganze Nacht geritten."

Auch wenn die Straße eng war, holte sie mit ihrem Pony zu ihm auf, solange kein Gegenverkehr kam.

Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich halte locker zwei bis drei Tage mit nur ein paar Stunden Schlaf durch. Bevor ich mich hinlege, will ich sehen, ob ich in Luton ein paar Flaschen meines Weins verkaufen kann. Wäre jedenfalls gut für uns, wenn mir das gelingt. Dann musst du nichts zahlen und kannst dir das wenige Geld für den Moment aufsparen, in dem du es brauchst. Und das wird erst sein, wenn sich unsere Wege trennen."

Ihre Brust zog sich bei dem Gedanken zusammen, irgendwann Abschied von ihrem Freund nehmen zu müssen, auch wenn es unausweichlich war.
Sobald sie sicher und bereit war, ihrem eigenen Pfad zu folgen, würde Samuel weiterreisen. Das war ihr von Anfang an bewusst gewesen.
Aber vielleicht würde sie das Schicksal eines Tages wieder zusammenführen.

Sie schüttelte den Kopf. Die Zeit um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, war noch nicht gekommen. Noch waren sie zusammen und würden es auch noch eine ganze Weile sein.

Schon bald erreichten sie die besagte Taverne.
Ohne nachzudenken führte Samuel seinen Rappen mitsamt dem Karren und Anne mit ihrem Pony in die dazugehörigen Stallungen.

Der Bursche, der dort arbeitete, erhob sich sogleich von einem Strohballen und schob sich in einer flinken Bewegung den schwarzen Filzhut zurecht.
Anschließend nahm er einen Halm aus seinem Mund, auf dem er gekaut hatte und nickte den beiden Eintretenden zu. „Madame, Sir."

Samuel schnippte ihm zwei Silbermünzen zu. „Zwei Boxen für die Pferde. Kümmere dich gut um sie und du erhältst noch etwas obendrauf."

Sobald der Angesprochene die Reittiere entgegengenommen hatte, schob Samuel mit reiner Muskelkraft den Karren in eine der hinteren Ecken. „Und gib darauf Acht, dass niemand sich an meiner Habe zu schaffen macht. Dafür bekommst du zwei Flaschen umsonst."

„Ja, Sir. Sehrwohl." Der Stalljunge klang mehr als nur erfreut über diese Abmachung. Scheinbar erinnerte er sich an seinen Gast und somit sicherlich auch an die qualitative Ware, die dieser mit sich führte.

Bevor Anne und ihr Freund die Taverne aufsuchten, verabschiedete sie sich noch von ihrem neuen, treuen Begleiter. Sanft tätschelte sie dem Schimmel die Stirn und kraulte ihn zwischen den Ohren. „Danke, dass du mich hierher gebracht hast", flüsterte sie ihm zu. „Wir sind jetzt Vertraute, weißt du? Wie du wohl heißt? Dein alter Herr hat dir sicher einen Namen gegeben ... Aber da ich ihn nicht weiß, werde ich mir einfach einen neuen für dich überlegen. Einen, der zu dir passt. Versprochen."

Das Pony schnaubte und drückte seine Nüstern kurz an ihre Hand.
Sie lächelte es an, wandte sich von ihm ab und folgte Samuel mitsamt ihrem Gepäck in das Hauptgebäude.
Dort wurden sie sofort von einer Wärme empfangen, die Annes ausgekühltem Körper eine Wohltat war.

Während ihr Begleiter alles bezüglich ihrer Betten mit der Schankfrau klärte, stellte sie sich an den prasselnden Kamin, der den Essraum aufheizte.

Für diese Uhrzeit typisch befand sich bis auf zwei männliche Besucher kein weiterer Gast hier. Die beiden hatten sicher in diesem Etablissement genächtigt und genehmigten sich nun noch ein Frühstück, bevor sie weiterzogen. Zumindest löffelten sie gerade Haferbrei und tranken aufgebrühten Kaffee, dessen herber Duft durch die Lüfte schwebte.

Anne rieb sich die Hände über den züngelnden Flammen und konnte zunehmend feststellen, wie das Gefühl in ihre Glieder zurückkehrte.
Mit jeder verstreichenden Sekunde schmerzte es weniger, wenn sie die Finger und die Zehen bewegte.

„Kommst du?"

Sie wandte sich erst vom Feuer ab, als Samuel nach ihr rief.
Schnell schritt sie zu ihm hinüber, lächelte der Schankfrau kurz zu, ehe sie ihrem Freund zu einem Treppenaufgang folgte, den sie dann auch gemeinsam erklommen.

Die alten Dielen knarzten unter ihren Stiefel, als sie den langen, recht dunklen Flur durchquerten bis sie schließlich vor einem der Zimmer zum Halten kamen. „Das ist deines."
Samuel drückte Anne einen Schlüssel aus kaltem Metall in die Hand, der an manchen Stellen bereits Rost angesetzt hatte. „Sperr von drinnen ab, damit niemand zu dir hereinkommen kann."

Anne schluckte. Das klang nach keiner sonderlich sicheren Gegend, wenn er so sprach. Aber sie nickte.

Beinahe schon mit brüderlicher Fürsorge drückte er ihr einen Kuss auf die Wange, fasste sie dabei an beiden Schultern. „Ruh dich gut aus. Wir sehen uns später und besprechen dann den weiteren Plan."

Lächelnd sah sie ihm nach, das Gefühl tiefer Dankbarkeit in ihrem Inneren verspürend. Erst als er um die Ecke gebogen war, betrat sie ihr Zimmer und wie versprochen, schloss sie direkt ab.

Langgezogen atmete sie aus, während ihr Blick durch den kleinen Raum wanderte, dem ein leicht muffiger Geruch anhaftete.
Wahrlich nicht vergleichbar mit dem, was sie in ihrem bisherigen Leben gewohnt war, aber wenn das der Preis der Freiheit war, bezahlte sie ihn gerne.

Der Boden wirkte, als wäre er schon Ewigkeiten nicht mehr geschrubbt worden, doch das war Anne gleich.

Sie legte ihre Tasche auf einem kleinen, schief stehenden Tisch ab, dem das Ende eines Beines fehlte und sah dann durch das kleine Runde Fenster, das einen Putzlappen ebenfalls bitter nötig hatte.

Auf den Straßen Lutons herrschte reges Treiben. Nicht allzu verwunderlich, wenn man bedachte, dass es noch früher Morgen war. Viele waren auf dem Weg zur Arbeit, waren ausgeruht und bereit für den neuen Tag.

Nicht aber Anne. Ihr steckte die Müdigkeit tief in den Knochen.

Sie setzte sich auf das Bett, das gerade groß genug für eine Person war und streifte sich die schweren Stiefel von den Füßen.
Selbst um sich das unbequeme Kleid auszuziehen, war sie zu erschöpft. Sie legte sich einfach mit ihm nieder, sich nicht an der harten Matratze störend und zog sich die zu dünne Decke bis zum Kinn.

An die Decke starrend breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus, als sie an ihren bisherigen Erfolg dachte. Sie hatte es tatsächlich geschafft zu fliehen und war bis nach Luton gelangt.

Bevor sie in einen tiefen Schlaf glitt, flog ihr Blick hinüber zu der Tasche auf dem Tisch, in der sich zwischen all den anderen Sachen der Zeitungsartikel über Harwich befand.
Sie berührte den Schmetterling, der ihren Hals zierte. Bald schon würde sie in die Heimatstadt ihrer Mutter einkehren und am eigenen Körper erfahren, wie es war, dort zu leben.

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