Verräter gehören in die Bilge
08. Mai 1821
Irgendwo auf dem Ozean
„Angst macht Verräter."
~ Christian Beifuss
Anne Bonny
Vehement versuchte sie gegen das Bedürfnis anzukämpfen, ihren Arm um ihren krampfenden Bauch geschlungen zu halten.
Stattdessen durchforstete sie konzentriert den Behälter mit Mehl auf unerwünschte Schädlinge.
Sehr zu ihrem Leidwesen entdeckte sie tatsächlich einzelne Maden, die sich durch das Weiß hindurch gruben.
Ihr wurde übel. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, die von ihrer Anstrengung herrührten, nicht zu würgen.
Die kleine Tiere wanden sich zwischen ihren Fingern, sobald sie sie auflas und aus dem Mehl entfernte.
„Bist'e fertig? Dann gib schon her! Die Männer warten auf den guten alten Mehlbrei! Hah! Nur mir mag er so gut gelingen!", prahlte Winston in ihrem Rückenund klopfte ihr auf die Schulter.
Ihre Auseinandersetzung von vor drei Tagen schien vergessen. Nur eine violett schimmernde Nase und eine noch immer leicht geschwollene Unterlippe erinnerten daran. Keiner grämte mehr dem anderen. Im Gegenteil - die kleine Prügelei schien die beiden Küchenhelfer sogar enger zusammengeschweißt zu haben.
„Prahl nicht so herum! Warte mal ab, bis wir neue Vorräte haben und ich ihnen meinen guten Kartoffeleintopf vor die Nase setze!", konterte sie, bevor sie ihm das Mehl überließ.
Sie beobachtete ihn dabei, wie er einen großen Teil davon in ein anderes Gefäß umfüllte, bevor er kochendes Wasser darüber goss.
Nach einer Minute Rühren war die durchaus sättigende Mahlzeit zur Mittagszeit auch schon bereit zum Servieren.
„Auf! Bewegt eure hageren Frauenärsche!", bellte Blackwood an die anderen beiden Männer gerichtet.
Ben und Theodore schoben sich an Winston und Anne vorbei, schnappten sich den Bottich mit dem fertigen Mehlbrei und machten sich daran, ihn nach oben zu tragen.
Anne entging der giftige Blick Scarletts nicht, den er ihr ihm Vorbeigehen zuwarf.
Sie ließ sich ihre Unsicherheit nicht anmerken, wandte ihre Aufmerksamkeit der nächsten Aufgabe zu - die Küchenmesser schärfen, auch wenn diese derzeit wenig Nutzen fanden.
Blackwood bestand allerdings darauf, sich dennoch ordentlich um die wichtigen Instrumente zu kümmern und sie zu pflegen, als wären es die eigenen Kinder.
Sobald der Smutje feststellte, dass die beiden hier gebliebenen Männer ohne einen weiteren benötigten Befehl ihrer Arbeit nachgingen, zog er sich zurück.
Anne ließ eine der Klingen wieder und wieder über den Schleifstein gleiten.
Während dieser monotonen Beschäftigung wurde Scarlett zum Zentrum ihrer Gedanken.
Bisher war es ihr erfolgreich gelungen einem Gespräch mit ihm aus dem Weg zu gehen, doch sie fürchtete, dass dies nicht mehr viel länger möglich war.
Mit jedem vergangenen Tag schien seine Wut auf sie zu wachsen und das, obwohl sie wahrlich nichts für seine Strafe konnte.
Sie hatte Calico keinen Namen genannt. Der Käpt'n war schlichtweg clever genug gewesen, eins und eins zusammenzuzählen.
Für die eigene Dummheit des Rattengesichtigen war sie mitnichten verantwortlich.
Jack.
Die Erinnerungen an ihre vergangenen Treffen verdrängten Ben aus ihrem Bewusstsein.
Klug. Das war Calico Jack durchaus. Wie schnell ihm doch die Lösung für ihr kleines Problem gekommen war.
Die alten, kaputten Segel der Marine erfüllten ihren Zweck, fingen das Blut auf und verhinderten weitere Flecken auf ihrer Hose.
Doch dass Calico an Grips besaß war nicht die einzige Sache, die ihr in der gemeinsam verbrachten Zeit an ihm aufgefallen war.
Seine Crew schien ihm das Wichtigste zu sein. Wie er ihr bereits mehrmals versichert hatte, kannte er seine Männer. Er hatte ihr Geschichten über nahezu jeden von ihnen erzählen können.
Sie wusste nun von Jonah und seiner Vergangenheit als Sklave, von Theodore und der Tragik um den Tod seiner Schwester und auch von Blackwood und seinem schwächelnden Bein.
Dabei hatte sie auch feststellen müssen, dass Jack verschlossenen war. Von jedem Maat sprach er frei, doch von seiner eigenen Person erzählte er nichts.
Anne hatte nicht gewagt nachzufragen. Noch nicht. Vielleicht würde sich das heute Nacht ändern. Er wusste Dinge von ihr, da war es nur fair, wenn sie auch von ihm erfuhr.
Doch über all diesen positiven Eigenschaften war weiterhin seine Überheblichkeit geschwebt. Häufig hatte er mit seinen Fähigkeiten geprahlt und Anne mehr als nur einmal mittels der Macht von Worten spüren lassen, dass er sie und ihre Zukunft weiterhin fest in seiner Hand hielt.
„Denken Sie daran, dass ich sie immer noch an den Mast binden kann, Parker", hatte er im Scherz zu ihr gesagt, als sie ihn in einer weiteren Runde Schach geschlagen hatte.
In den scheinbar witzelnden Worten war aber auch Wahrheit mitgeschwungen.
Grinsend hatte er sie angesehen.
Dieses gottverdammte Grinsen, das sie jedes Mal ungewollt in seinen Bann zog.
Mit aller Macht versuchte sie die Anziehung, die er auf sie ausübte, im Keim zu ersticken.
Aber Jack glich der verbotenen Frucht. Sie wusste, dass er schlecht für sie war und doch konnte sie ihre Finger nur schwerlich von ihm lassen.
Mehr als nur einmal hatte sie sich in den vergangenen Morgengrauen, wenn sein schönes Gesicht sie in ihren Träumen heimgesucht hatte, gefragt, ob es auf dieser Welt doch dunkle Kräfte geben konnte.
Schwarze Magie, mit der er sie verhext hatte, um ihr den Verstand zu rauben.
„Heilige Scheiße, Parker! Du blutest wie ein Schwein!"
Winstons erschrockener Ruf katapultierte sie zurück ins Hier und Jetzt.
Nicht darüber nachdenkend glitt ihr Blick sofort nach unten, doch anstelle von besudelten Hosen erkannte sie die rot befleckte Hand. Sie hatte sich geschnitten.
„Nur ein Kratzer!", meinte sie, griff in ihre Tasche und zog einen Streifen der alten Segel daraus hervor. Geschwind wickelte sie sich diesen um die Wunde, die zum Glück nicht sonderlich tief ging.
Misstrauisch zog Winston neben ihr die Augenbrauen nach oben. „Warum trägst du das bei dir?" Bevor sie darauf antworten konnte, winkte er schon wieder ab. „Ach, weißt'e was, du brauchst es mir nicht zu erklären. Hab ja beim letzten Mal gesehen, was dabei rauskommt, wenn man bei dir nachbohrt. Eine gebrochene Nase reicht mir."
Ohne einen weiteren Wortwechsel beseitigten sie gemeinsam das blutige Chaos.
„Komm, lass uns nach oben geh'n und uns auch ne Schüssel von dem Mehlbrei holen. Mir knurrt der Magen als hätt ich wochenlang nichts gegessen", meinte Winston anschließend.
Anne wurde erneut übel. Sollten die anderen das Zeug ruhig in sich reinschaufeln, sie konnte nach dem heutigen Madenfund darauf verzichten.
Anstelle in Winstons Vorschlag einzuwilligen, griff sie fix nach ein paar Scheiben Schiffszwieback. „Mir reicht der. Außerdem wollte ich noch nach der Bilge sehen."
„Wenn du meinst." Der Lange zuckte mit den Schultern. Ihre Wege trennten sich.
Mittlerweile waren ihre Bewegungen beim Hinabsteigen der Leiter um einiges flüssiger. Der muffige Geruch des brackigen Wassers umfing sie. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an die schlechten Lichtverhältnisse.
Sie watete durch die grünlich schimmernde Pampe, hin zu der Pumpe.
Bevor sie sich allerdings daran machte, das Leckwasser ins offene Meer zu entlassen, wollte sie sich um ein anderes Problem kümmern.
Der Baumwollstoff in ihrem Schritt war inzwischen so vollgesogen, dass es sich unangenehm anfühlte und sie Angst bekam, dass der nächste Schwall Blut nicht mehr darin versickern würde.
Sie zog einen weiteren Streifen von dem alten Segeltuch aus ihrer Tasche und wollte diesen gerade gegen den alten eintauschen, als das Holz der Leiter verräterisch knarzte.
Überrascht hoben sich ihre Augenbrauen, so war es doch recht ungewöhnlich, dass ein anderer freiwillig in den Schiffsbauch stieg, der an manch einem Tag bestialischer stank als ein verwesendes Tier.
Sobald sie den unerwarteten Besucher erkannte, schluckte sie gegen ihre aufsteigende Nervosität an.
Scarlett bewegte sich auf sie zu, rümpfte die Nase.
„Was willst du hier?", fragte sie ihn. „Du bist für die Kombüse eingeteilt. Der Kielraum gehört mir."
"Gar nichts gehört dir!", blaffte er sie an, während er weiter auf sie zukam, sodass sie zurückweichen musste. "Nicht mal dieses stinkende Wasser! Du bist nur kleiner Wurm auf einem riesigen Schiff."
Sie stieß mit dem Rücken gegen die Pumpvorrichtung. Scarlett ragte vor ihr auf wie eine ihr drohende Klapperschlange und im ersten Moment ließ Anne sich davon einschüchtern.
Doch dann fragte sie sich, was er denn tun wollte. Sollte er sie angehen, würde das Calico nur noch wütender stimmen, da war sie sich sicher.
„Lieber ein kleiner Wurm als eine ekelerregende Ratte", antwortete sie ihm also und richtete sich auf. „Was willst du von mir? Ist es, weil Jack herausgefunden hat, dass du es warst, der mich aufs Schiff geschleust hat? Tja." Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast hinter seinem Rücken gehandelt, ich hab dich nicht dazu gezwungen. Also steh nun auch für deine Fehler ein und akzeptiere die Konsequenzen."
Seine Schneidezähne schoben sich hervor, als er sich wütend auf die Unterlippe biss, was ihm mehr und mehr das Aussehen eines eben jener verhassten Tiere verlieh.
"Ich weiß, was du versuchst!", spuckte er ihr entgegen. "Ich sehe dich, wie du dich jeden Abend an seine Seite stellst als würde dir mein Posten bereits gehören." Die Hitze des Zorns schlich sich auf seine Wangen. "Aber du versuchst es vergebens. Nur weil du ein paar Knoten binden und Kommandos kannst, wirst du niemals mehr als nur ein bedeutungsloser Küchenjunge sein!"
Ein Tropfen seines Speichels traf auf ihre Wange. Zeitgleich suchte ein neuer Krampf ihren Unterleib heim.
Sie musste Scarlett loswerden. Jetzt.
„Wahrscheinlich hast du recht. Soll ich ein gutes Wort für dich bei Calico einlegen, wenn ich heute Nacht zu ihm gehe?"
Doch ihre Worte schienen Scarlett nur noch wütender zu machen. Grob griff er nach dem Kragen ihres Hemdes und drückte sie gegen die Bordwand.
"Du willst mich verscheißern! Ich habe für dich gelogen, meinen Posten, Jacks Vertrauen in mich aufs Spiel gesetzt und so dankst du es mir? Indem du mich verhöhnst?"
„Willst du zuschlagen? Dann tu es", zischte sie, ihre Nasenspitze nur noch wenige Zentimeter von seiner entfernt. „Aber rechne damit, dass ein Echo folgt."
Für den Bruchteil einer weiteren Sekunde loderte Zorn in seinen Augen auf. Dann spuckte er ihr ins Gesicht. "Es stinkt hier unten nach Verrätern", zischte er und schubste sie seitlich von sich, sodass sie fiel. "Du wirst dich fern halten von meinem Posten. Zumindest heute Abend!" Ein hinterhältiges Lächeln zierte seine Züge, als er auf sie hinabsah.
Sie bekam von der ekelhaften Pampe in den Mund.
Das brachte sie dazu sich schlussendlich doch noch zu übergeben.
Ihr Erbrochenes vermischte sich mit dem Leckwasser.
Sie keuchte. „Du mieses Arschloch, wenn ich dich in die Finger kriege ..." Aber als sie sich aufrichtete, um Ben ebenso eine zu verpassen wie Winston drei Tage zuvor, war dieser bereits verschwunden.
Sie hörte die Stufen der Treppe knarzen, darauf folgte das Geräusch der sich schließenden Luke und des Riegels, der davor geschoben wurde.
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