Elben in Thal
Wutentbrannt stürmte Líli aus der Galerie der Könige. Das junge Zwergenmädchen lief in ihr Gemach zurück. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und fing an zu weinen. Was war nur in Thorin gefahren? Er nannte sie eine Diebin, eine Lügnerin,eine Verräterin. Líli sah sich im Gemach ihrer Großmutter um. Das alles hier wollte sie nicht, jedenfalls nicht, wenn Thorin so ein Monster war.
Entschlossen stand sie vom Bett auf und packte Vílis Bücher, das Kettenhemd aus dem Trollhort und Dagorvali in ihren Rucksack. Sie legte Snotrás Mantel ab und faltete ihn sorgfältig. Dann legte sie den Pelz zurück in die Kleidertruhe und zog den Mantel aus, den ihr Tauriel damals in der Seestadt gegeben hatte. Líli versuchte sich zu beruhigen, aber immer mehr Tränen quollten aus ihren Augen.
Sie schulterte ihren Rucksack, seufzte traurig und sah sich noch einmal in dem königlichen Gemach um. Schließlich öffnete sie die Tür. Balin stand bereits vor ihr. ,,Es tut mir so Leid, Líli", sagte der alte Zwerg. Heiße Tränen liefen ihr über das Gesicht. ,,Ich habe sie gesehen", hauchte Líli, ,,ich habe sie in seinen Augen gesehen, Balin. Die Gier, die Drachenkrankheit!"
Der weißhaarige Zwerg seufzte nur traurig und umarmte sie zaghaft. ,,Ich hätte nie gedacht, dass er so wird, so...wie Thrór. Er wollte das nie und trotzdem ist es geschehen", sagte Balin leise. Líli erwiderte die Umarmung und nickte nur. Thorin war nicht mehr er selbst. Irgendwann lösten sie sich von einander. ,,Was hast du nun vor?", fragte Balin. Líli seufzte und antwortete: ,,Ich werde nach Thal gehen. Die Menschen dort brauchen Hilfe. Es tut mir so Leid, Balin. Sag den anderen, dass ich sie vermisse werde. Ich wünschte, Ich müsste euch und diesen Berg nicht verlassen. Ihr seid meine Famile und der Erebor ist mein Zuhause aber es geht nicht anders. Lebe wohl, Balin Fundinssohn!" ,,Lebe wohl, Líli Vílistochter!", murmelte Balin ihr hinterher. Líli lief in das kleine Zimmer und nahm den Geheimgang nach Thal.
Überraschung zeichnete sich auf Sigrids Gesicht ab. ,,Was machst du denn wieder hier?", fragte das junge Mädchen sie und musterte Líli, die ihre königliche Erscheinung offenbar verloren hatte. ,,Mein Onkel hält mich für eine Spionin, er ist von allen guten Valar verlassen", meinte Líli und wischte sich verlegen eine Träne aus dem Augenwinkel, ,,darf ich reinkommen, Sigrid?" Sigrid nickte und öffnete ihr die Haustür, die sie vorher nur einen Spalt breit geöffnet hatte.
Bards älteste Tochter führte sie in einen Salon. Dort lag Tilda auf einem zerschlissenen Sofa und schlief friedlich. ,,Tilda sagt, dass der Schlaf ihr ein wenig den Hunger vertreibt", sagte Sigrid leise. Líli sah traurig auf das kleine Mädchen herab. Es zerbrach ihr das Herz. ,,Wie viel habt ihr noch?...zu Essen, meine ich", fragte Líli mit stockender Stimme.
,,Nicht mehr viel, aber wenn wir es aufteilen, reicht es sicher noch für ein, zwei Tage", erwiderte Sigrid und fuhr sich müde über ihr hübsches Gesicht, ,,dann weiß ich auch nicht, wie es weitergehen soll. Da ist immer weg. Schließlich muss er den anderen helfen. Bald will er zum Berg reiten und den Zwergenkönig um Gold bitten". Líli biss sich auf die Lippe. So fest, dass es schon blutete. ,,Alles wird wieder gut, ganz sicher", meinte sie schließlich und umarmte Sigrid sanft.
Die Mädchen lösten sich von einander und Líli erklomm die Treppe. Sie wollte zu Bain. ,,Ach, Líli?", rief Sigrid ihr hinterher, ,,mein Bruder ist nicht gerade gut auf dich zu sprechen". Das Zwergenmädchen runzelte die Stirn und hakte nach: ,,Warum?" ,,Naja", entgegnete Sigrid verlegen, ,,du hast ihn heute morgen sitzen lassen".
Líli seufzte. Nicht das noch! Hatte sie denn nicht schon genug Probleme? Sie schüttelte diese egoistischen Gedanken ab. Jetzt musste sie sich erstmal bei Bain entschuldigen. Sie lief die breite Treppe des rosanen Hauses hinauf und ging auf Bains Zimmertür zu. Líli öffnete die Tür und sah sich im Zimmer um. Keine Spur von Bain aber das Fenster stand offen. Die junge Zwergin zog ihren Mantel enger, denn sie fröstelte. Sie durchquerte das Zimmer und kletterte durch das Fenster.
Vorsichtig stellte sie sich auf den Sims, klammerte sich mit den Händen am Dach fest und zog sich mühsam herauf. Zaghaft klettere Líli über die glutroten Ziegel und setzte sich schließlich neben Bain. Der Junge hatte seine Knie an seinen Körper gezogen und seinen Kopf darauf gebettet. Bain starrte stur gerade aus. Líli sah sich um. Unter ihnen plätscherte die Rotwasser. Es schneite und die kleinen weißen Flocken verfingen sich in ihrem dunklen Haar. Von hier oben hatten sie einen guten Blick auf Thal. Die Stadt wirkte traurig und düster.
Schließlich wurde Líli die Stille zwischen ihnen unangenehm. Ihr kam eine Idee und die kramte ihre kleine Pfeife aus ihrem Rucksack. Sie zündete sie an und tat einige Züge. Dann hielt sie die Pfeife Bain hin und lächelte ihn warm an. Wortlos nahm der Junge die Pfeife und rauchte. Er blies Rauchringe. ,,Das hatten wir schonmal", wisperte Líli und sah ihm direkt ins Gesicht. Bain schmunzelte und sagte schließlich: ,,Ja, das hatten wir schonmal. Aber da saßen wir in Seestadt auf einer alten Fischerhütte. Damals bist du einfach gegangen, wie du es immer machst und später einfach wieder kommst und tust, als wäre nichts passiert".
Líli seufzte. Er hatte Recht. ,,Es tut mir leid", meinte sie, ,,wirklich". ,,Achja?", fragte Bain. Sie nickte kräftig. Der dunkelhaarige Junge fragte: ,,Warum bist du wieder hier?" ,,Thorin hat mich vertrieben", antwortete Líli und nahm die Pfeife, die er ihr hinhielt. Sie zog kräftig daran. ,,Anscheinend kann ich keine Prinzessin sein, wenn ich meine Freunde dafür im Stich lassen soll". ,,Sind wir Freunde?", entgegnete Bain neugierig. ,,Oh, ich denke, wir sind mehr als das", sagte Líli und lächelte leicht.
,,Ich liebe dich, auch wenn du nun keine Prinzessin mehr bist", erwiderte Bain leise. Dann küsste er sie zärtlich auf die Lippen. Líli erwiderte den Kuss zaghaft. Seine Lippen waren kühl und rau von der Kälte. Außerdem rochen sie beide nach Pfeifenkraut aber trotzdem war es ein sehr schöner Kuss. ,,Ich liebe dich auch, Sanâzjung (*1)", flüsterte sie und lächelte ihn warm an. Und es war die Wahrheit.
Am nächsten Morgen saßen Líli, Bain, Sigrid und Bard am Tisch in der Küche. Es war noch früh. Die Sonne ging gerade auf. Sie tranken jeder eine kleine Tasse heißen Tee und eine winzige Portion Haferbrei. Líli schob ihre Portion Tilda zu. Das kleine Mädchen wollte abwinken, doch Líli bestand darauf. ,,Ich muss nicht mehr wachsen und mein Magen ist zäher", sprach sie, ,,und jetzt iss, kleine Tilda". Bain und seine Schwestern hatten ihren Vater davon überzeugt, dass Líli erstmal bei ihnen wohnen konnte. Nach einigem Zögern hatte der ehemalige Kahnführer eingewiligt. Líli war ihm sehr dankbar. Nach dem Frühstück folgten sie und Bain dem Bogenschützen.
Kinder weinten. Die Seestädtler kümmerten sich um die Verletzten. ,,Das sind schlimme Verbrennungen", meinte eine Frau nachdenklich. ,,Die Kinder haben Hunger!", protestierte ein Mann. ,,Wir brauchen was zu essen", sagte ein anderer Mann verzweifelt. Líli schauderte. Ihr war klar, dass sie von allen hier wohl den größten Luxus in den letzten Tagen hatte. Peridur, Pers Vater, kam auf die drei zugelaufen. ,,Wir halten nicht mehr lange durch. Bard, wir haben nicht genug", sagte er. ,,Tut, was Ihr könnt, Peridur", erwiderte Bard.
,,Kinder, Verletzte und Frauen gehen vor", entschied der Drachentöter, nachdem er sich im Lazarett umgesehen hatte. Er stieg eine Treppe hoch und Bain und Líli folgten ihm, Hand in Hand. ,,Guten Morgen Alfrid", sagte Bard, ,,irgendwas geschehen in der Nacht?" Alfrid wachte verschlafen auf und murmelte: ,,Alles ruhig, Herr. Nichts passiert. Mir entgeht nichts". Bard trat auf einen Hof und erwiderte: ,,Außer einem Heer von Elben, wie mir scheint". Líli schmunzelte und bestaunte dann das Heer, was im Hof Stellung bezogen hatte. Es war riesig und alle Elben trugen wertvolle Rüstungen. ,,Ich hörte, Ihr braucht Hilfe", schnarrte König Thranduil, der gerade auf einem riesigen Elch in die Stadt ritt. Líli schnaubte leise. Das Spitzohr war doch sicher nur für seinen eigenen Vorteil hier!
,,Mein Herr Thranduil, wir haben Euch hier nicht erwartet", meinte Bard erstaunt. Der Elbenkönig winkte einen Karren herbei. Der Karren waren voller Lebensmittel. ,,Das ist doch was!", stieß Bain hervor, mit glühenden Wangen vor Begeisterung. Líli nickte nur und musterte Thranduil misstrauisch. Hätte er vor 171 Jahren mal solche Nächstenliebe gezeigt, wäre das alles hier nie passiert, oder? Die Seestäddtler jubelten. In ihren Herzen keimte wieder Hoffnung auf. Die Elben verteilten das Essen. Bard sagte zu Thranduil: ,,Ihr habt uns gerettet. Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll". ,,Eure Dankbarkeit ist unnötig", entgegnete Thranduil kühl, ,,ich bin nicht Euretwegen hier. Ich komme, um etwas zurückzufordern, das mir gehört".
Bain trug das Essen zum Haus, in dem sie lebten. Aber Líli blieb noch etwas und musterte Thranduil und sein Elbenheer. Was hatte er vor? Bard stand neben ihr und hob die Augenbraue, als das Heer plötzlich ausrückte. ,,Was soll das?", fragte Líli verwirrt und sah den Mann fragend an. Bard sah zu Thranduil, der den Auszug beobachtete und eilte los. Líli folgte ihm hastig. ,,Wartet! Bitte, wartet!", rief der ehemalige Kahnführer, ,,Ihr zieht in den Krieg wegen einer Handvoll Edelsteine?" Er sah Thranduil ungläubig an. Thranduil würdigte ihn keines Blickes und meinte kalt und arrogant: ,,Die Erbstücke meines Volkes werden nicht leichtfertig aufgegeben". ,,Glaubt Ihr nicht, dass es auch andere Wege gibt, Eure Edelsteine zu bekommen?", fragte Líli ihn mit dem vollsten Respekt, den sie ihm gegenüber aufbringen konnte. Thranduil wandte sich zu ihr. ,,Ihr seid die Zwergin, die Eichenschield begleitet hat", stellte er fest.
,,Richtig, mein Herr", erwiderte Líli, ,,aber ich stehe nicht länger auf Thorins Seite. Doch auf Eurer bin ich auch nicht. Wollt Ihr nicht verhandeln?" ,,Sie hat Recht", warf Bard ein. Líli lächelte triumpfierend. ,,Wir haben dasselbe Ziel. Auch mein Volk hat einen Anspruch auf die Reichtümer in diesem Berg. Lasst mich mit Thorin sprechen".Thranduil sah ihn an und fragte: ,,Ihr wollt mit dem Zwerg verhandeln?" ,,Um einen Krieg zu verhindern?", fragte Bard, ,,ja".
Der Drachtöter schwang sich entschlossen auf ein weißes Pferd. ,,Lass mich bitte mitkommen. Ich weiß, wie man mit Thorin redet. Er ist mein Onkel!", sagte Líli und starrte Bard unverwandt an. ,,Er hat dich verbannt, schon vergessen?", fragte er und seufzte, ,,du würdest alles nur noch schlimmer machen. Geh zu Bain, Sigrid und Tilda. Achte auf sie! Sag ihnen, dass ich bald zurück bin!" Dann ritt er aus dem Stadttor und in Richtung des Erebors. ,,Sei stur...wie ein Zwerg!", sagte sie noch aber er hörte sie nicht mehr. Das Zwergenmädchen seufzte und lief zurück zu dem rosanen Haus.
(*1) Khuzdul: Perfekte (wahre) Liebe
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