Auszug aus dem Buch: „Die Legenden der großen und kleinen Wandlerarten"
Es begab sich vor noch nicht allzu langer Zeit, da lebte im Orient ein Erzähler. Dies war die Zeit, wo Erzähler noch frei von Dorf zu Dorf wanderten, um ihre Geschichten zu erzählen und neue zu hören.
So auch dieser Erzähler. Meist wanderte er von Aleppo nach Damaskus und wieder zurück, denn dies war seine bevorzugte Strecke.
Wenn er unterwegs andere Reisende traf, so setzte er sich zu ihnen und erzählte sich mit ihnen. Dabei verbreitete er seine Geschichten, bekam aber auch viele neue geschenkt. Diese bewahrte er sorgsam in seinem Gedächtnis auf, um sie anderswo weiterzuerzählen.
Doch nicht nur der Erzähler kannte viele Geschichten, auch über ihn gab es viele. Man erzählte sich, dass er mit Tieren sprechen konnte, und wann immer er in einem Dorf war, brachten die Leute ihre kranken Tiere zu ihm. Manche nannten ihn gar einen Wunderheiler.
Doch der Erzähler, Kuma hieß er, war kein Wunderheiler. Er machte die Tiere auch nicht mit Zauberkraft gesund. Er redete nur ein wenig mit ihnen und sagte den Leuten dann, was ihrem Tier fehlte. Danach schickte er sie zum Arzt, wie es jeder andere vernünftige Mensch tun würde.
Kuma war also kein Wunderheiler, dass hieß aber nicht, dass ihn kein Geheimnis umgab. Kuma war nämlich ein Wandler. Wann immer er weit genug von einem Dorf entfernt war, weckte er die Hyäne in sich. Dann nahm er seine Sachen ins Maul und lief abseits der Wege durch die Wildnis. Dabei traf er oft andere Tiere und Wandler und so manches Mal ergab sich daraus ein gutes Gespräch. So hatte Kuma von der Geschichte über die große Flut gehört, für die er auf einer großen Hochzeit viel Applaus und Geld bekam, und so hörte er noch manch andere Geschichte.
Kuma reiste immer zwischen Damaskus und Aleppo hin und her und das hatte auch seinen Grund. Damaskus war nämlich seine Geburtsstadt und Kuma wollte dort zumindest hin und wieder nach dem Rechten sehen. Nach Aleppo aber reiste er, um seinen Freund zu besuchen.
Kumas bester Freund hieß Salam. Salam arbeitete als Schneider in Aleppo. Wann immer Kuma zu ihm kam, die Tür stand ihm offen. Salams Frau begrüßte ihn dann für gewöhnlich und kümmerte sich danach nicht weiter um ihn. Kuma gehörte schon zur Familie. Salam und seine Frau waren ebenfalls Wandler. Da sie ein eigenes Haus hatten, verwandelten sie sich meist drinnen, wo sie niemand sah. Dann flogen sie als zwei Schwalben zum Fenster hinaus und zwitscherten über Aleppo hin und her.
Die Jahre vergingen und Kuma wanderte unaufhörlich hin und her. Salam hatte sich inzwischen zur Ruhe gesetzt und wenn Kuma zu ihm kam, bot er ihm stets an, für immer zu bleiben. Doch das wollte Kuma nicht. Er meinte, er bräuchte den Wind in seinem Fell und die Einsamkeit der Wildnis.
Eines Tages aber kam Kuma nicht. Zuerst dachten Salam und seine Frau sich nichts dabei, war der Hyänenwandler doch schon öfter auf seiner Reise aufgehalten worden. Doch als auch am nächsten Tag kein Lebenszeichen von Kuma kam, begannen sie sich Sorgen zu machen.
Für gewöhnlich schickte Kuma ihnen eine Mitteilung, wenn er sich verspätete und da nichts kam, brach Salam am nächsten Tag auf, um seinem Freund entgegenzugehen.
Salam wanderte schnell, doch trotzdem fand er Kuma nicht. So musste er in einem Dorf übernachten und am nächsten Tag, setzte er seine Suche fort.
Da endlich fand er ihn.
Kuma lag als Hyäne unter einem Baum und schien zu schlafen. Salam rief nach ihn, doch Kuma antwortete nicht. Ganz ruhig lag die große Hyäne da. Salam berührte den Wandler und spürte die Kälte des Körpers. Da wusste er, dass Kuma tot war.
Er strich durch das ergraute Fell der Hyäne und sah, dass ein Lächeln um das Maul des Wandlers schwebte. Es war leicht geöffnet, als wolle Kuma auch im Tod noch seine Geschichten verbreiten.
Salam kümmerte sich um den toten Kuma. Er verständigte seine Frau und zusammen begruben sie Kuma unter einem Felsvorsprung auf halben Weg zwischen Damaskus und Aleppo. Hier hatte der Wandler gerne als Hyäne ausgeruht und übernachtet.
Kuma hatte nicht viele Freunde gehabt, doch alle die er hatte, lieh Salam zur Beerdigung ein.
Sie standen um Kumas Grab und mancher vergoss Tränen, nur Salam der unterdrückte immer mal ein Kichern. Schließlich sprach seine Frau ihn wütend darauf an.
Salam lächelte und fragte: „Erinnerst du dich noch an die Geschichte über das immer lustige Wildschwein, die Kuma so gern erzählte?"
Seine Frau nickte, nun musste auch sie lächeln.
„Und weißt du noch...", begann sie dann auch.
Und dann viel jedem etwas ein, was er den anderen unbedingt über Kuma und seine Geschichten erzählen musste. Unter Tränen lachten und freuten sich die Wandler an Kumas Grab und dachten an ihn.
Salam sagte später immer, das wäre seine schönste Beerdigung gewesen. Er wünschte sich auch so eine Freude an seinem Grab.
Seine Frau erfüllte ihm diesen Wunsch. Und weil zu der Beerdigung auch viele Zugvögel eingeladen waren, verbreitete sich der Brauch des Geschichten Erzählens am Grab weit unter den Wandlern.
So hinterließ Kuma nach seinem Tod noch viele Geschichten. Und manche sagen, wenn man auf einer Beerdigung während der Erzählung eines anderen genau hinhört, könnte man Kuma in der Ferne zufrieden heulen hören.
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