Kapitel 6
„Also, die Regeln für den Jagdwettbewerb sind simpel: Wer bis Sonnenhoch die meiste Beute fängt und zum Treffpunkt bringt, gewinnt", erklärte Kirschpfote.
Das Gras war noch nass vom frühmorgendlichen Tau und die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich langsam ihren Weg durch die Baumkronen. Ein Mond war vergangen, seit Kirschpfote den Jagdwettbewerb vorgeschlagen hatte und seitdem hatte Dunkelpfote fleißig Jagen geübt.
Kirschpfote hatte kurzerhand beschlossen, die anderen drei Schüler ebenfalls miteinzubinden. „So ist der Ansporn größer", meinte sie.
Da traf es sich ganz gut, dass ihre Mentoren sie heute zusammen auf die Jagd geschickt haben. Gemeinsam saßen sie nun auf einer Lichtung, die Kirschpfote zum Start- und Treffpunkt für den Wettbewerb auserkoren hatte.
„Alles klar?", fragte sie in die Runde.
Reiherpfote, Nesselpfote, Lichtpfote und Dunkelpfote nickten.
„Gut. Dann, los geht's!"
Die fünf Schüler sprangen auf Kommando in verschiedene Richtungen davon. Dunkelpfote entschied sich, zuerst einmal Ausschau nach Mäusen im Unterholz Ausschau zu halten und vielleicht später zum Fluss zu gehen, wenn das Sonnenlicht das Wasser erwärmt haben würde und die Fische aus ihren Verstecken hervorlockte.
Er folgte einem schmalen Pfad zwischen den Bäumen zu einer Stelle, wo er in letzter Zeit schon mehrmals Kleintiere erbeutet hatte. Ein kleiner Nebenarm des Flusses, der wie eine Katzenkralle durch das Unterholz schnitt.
Am seichten Wasser kamen öfters Beutetiere vorbei, um zu trinken. Dunkelpfote prüfte routiniert den Wind und stellte sich gegen diesen, halb verborgen hinter einem Gebüsch, sodass er weiterhin einen guten Blick auf die Wasserstelle hatte.
Zu seiner Freude musste er nicht lange warten. Das kleine Kaninchen war schnell erlegt und er scharrte ein wenig Erde über seine Beute. Er würde es sich später wieder holen.
Die Sonne kletterte höher und Dunkelpfote machte sich auf den Weg zum Fluss. Er setzte sich an das Ufer und wartete. Zwei Fische schaffte er zu erlegen, bevor er beschloss, dass es Zeit war zum Treffpunkt zurückkehren.
Am Bach machte Dunkelpfote den Stein ausfindig, wo er das Kaninchen vergraben hatte. Zwei Fische und ein Kaninchen, das war doch eine ganz akzeptable Ausbeute für einen Vormittag, mit der man mindestens ein Katzenmaul satt bekam.
Dunkelpfote grub an der Stelle, wo das Kaninchen lag. Er konnte sich nicht daran erinnern, es so tief vergraben zu haben. Wo war es denn? Er grub etwas weiter rechts, etwas weiter links, doch da war auch nichts. Er war sich ganz sicher, dass er seine Beute hier verbuddelt hatte.
Verzweiflung stieg in Dunkelpfote hoch. Sonnenhoch nahte und er sollte sich langsam zur Lichtung aufmachen. Er versuchte es auf der anderen Seite vom Stein, auch nichts.
Hatte ein Fuchs das Kaninchen gerochen und es mitgenommen? Dunkelpfote konnte keine Spuren von einem Fuchs entdecken. Was sollte er jetzt machen?
Am Ende musste er sich geschlagen geben. Enttäuscht trottete er mit seinen zwei Fischen zum Treffpunkt zurück und ließ sich resigniert auf die Lichtung fallen.
Reiherpfote und Lichtpfote waren bereits anwesend. Reiherpfote fragte: „Warum so niedergeschlagen, Dunkelpfote?"
Dunkelpfote erzählte vom Kaninchen. „Ich habe es doch extra vergraben, damit kein Fuchs oder ähnliches die Beute findet", klagte er.
Kirschpfote, die sich mittlerweile auch mit ihrer Beute zu ihnen gesellt hatte, meinte: „Das ist wirklich ärgerlich. Wir sollte nachher aber unseren Mentoren von einem eventuell herumstreunenden Fuchs erzählen"
„Mir ist heute auch ein Kaninchen entwischt", erzählte Lichtpfote in einem aufmunternden Tonfall.
„Ja, aber kein Totes", grummelte Dunkelpfote.
Er ließ seinen Blick über die Ausbeute seiner Freunde und Gefährten wandern. Reiherpfote hatte drei Fische gefangen. Bei Lichtpfote lagen eine Wühlmaus und ein Eichhörnchen. Kirschpfote konnte drei Fische und eine Maus vorweisen.
Mit seinem Kaninchen wäre Dunkelpfote von den Punkten her sogar im Gleichstand mit Kirschpfote gewesen!
„Wo bleibt Nesselpfote eigentlich?", fragte Reiherpfote in die Runde.
Kirschpfote zuckte mit den Schultern. „Wenn er nicht gleich da ist, ziehe ich ihm Punkte für Verspätung ab"
Im nächsten Moment erschien Nesselpfote auf der Lichtung. Er schleppte ein Kaninchen an und als er noch einmal zurückflitzte, brachte er noch zwei Fische und eine Wühlmaus herbei. Ungläubig starrte Dunkelpfote auf Nesselpfotes Ausbeute.
Kirschpfote begann, die Punkte zusammenzuzählen. „Könntest du das Kaninchen nicht bitte mitzählen? Ich hab's auch wirklich gefangen", bat Dunkelpfote.
Kirschpfotes Gesichtszüge nahmen einen bedauernden Ausdruck an. „Tut mir leid. Ich glaube dir ja. Aber das könnte jeder behaupten und so haben wir die Regeln festgelegt"
Am Ende war Nesselpfote der Sieger vom Jagdwettbewerb. Glücklich jubilierend brachte er seine Ausbeute ins Lager. Mit gesenktem Kopf und herabhängendem Schweif trottete Dunkelpfote hinter ihm her.
Zurück im Lager warf er seine Beute auf den Frischbeutehaufen. Wozu hat er die letzten Wochen so fleißig jagen geübt? Früher wurde ihm nie die Beute weggenommen, er hatte immer angenommen, die Erdschichte würde sie ausreichend schützen.
Frohlockend brachte Nesselpfote seine Kaninchen zum Ältestenbau. Später am Tag sah Dunkelpfote, wie Nesselpfote sich mehrere kleine Erdklumpen zwischen den Krallen herauspulte.
Er stutzte. Nein, er hatte kein Recht, Nesselpfote zu verdächtigen. Aber je länger er darüber nachdachte, desto klarer schien es ihm. Was, wenn Nesselpfote sein Kaninchen ausgegraben und als seinen Fang ausgegeben hatte?
Er hätte Dunkelpfote sehen können, als er das Kaninchen neben dem Stein vergraben hatte. Die Erdklumpen sprachen dafür, dass er in der feuchten Erde am Fluss gegraben hatte. Und außerdem fingen selbst die Jäger fingen selten an einem Vormittag so viel und Nesselpfote hatte nie besonders oft gejagt. Außerdem ist er zu spät zum Treffpunkt gekommen.
Dunkelpfote schüttelte den Kopf. Er durfte nicht sein eigenes Versagen oder einen unglücklichen Zufall auf Nesselpfote schieben. Er sollte Nesselpfote seinen Sieg gönnen...
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