Projekt 119
Secret ist verschwunden. Du bist wieder allein auf dich gestellt. Mit den neuen Informationen musst du dich erst einmal zurecht finden. Du setzt dich auf das Bett und denkst nach. Riccardo kennt deine Mutter. Er will ihren Azoth. Was zum Teufel ist ein Azoth?Außer dir und Mila hat Fiona keine weiteren Kinder. Zumindest nicht, dass du wüsstest. Mila war deine einzige Schwester. Vielleicht solltest du erst einmal mehr über den Azoth herausfinden. Du machst dich auf den Weg in die Bibliothek. Wenn du etwas herausfinden kannst, dann dort. Die Schlossbibliothek befindet sich im zweiten Stock auf einer Art Balkon, den man direkt von der Schlosssuite aus erreichen kann. Kommt man aus der Schlosssuite, steht man in einem Treppenhaus. Im Erdgeschoss ist ein Abstellraum, im ersten Stock gelangt man in den Speisesaal und im zweiten Stock eben auf diesen besagten Balkon. Du schleichst langsam und still, um bloß keinen Mucks zu machen. Die großen Säulen bilden im Licht der Kerzen riesige monströse Schattengestalten an der Wand, die kühle Nachtluft lässt dich ein wenig erzittern. Du erreichst die erste Tür. Ganz vorsichtig öffnest du sie. Du hörst das Ticken einer Wanduhr, aber sonst ist da nichts. Du lugst vorsichtig hervor. Fehlanzeige! Das war der falsche Raum. Hier stand nur ein riesiger alter verstaubter Flügel. Leise machst du die Tür wieder zu und nimmst die nächste. In diesem Raum hast du mehr Glück.Jeder Schritt, den du wagst, ist durchdacht und vorsichtig gesetzt. Ständig bist du in Alarmbereitschaft. Jedes Buch wird von dir ins Visier genommen.
Geschichte der Alchemie...das verbotene Buch des Wissens... Alchemie im Mittelalter...Geheimnisse des Doms...Kunst der Weisen....Furkanelli....Framel....Agrippa...alles Namen, die du noch nie zuvor gehört hast.
Es macht dich wirklich müde, nach dem richtigen Buch zu suchen. Du musst so viel blättern und pauken. Irgendwie fühlst du dich zurück in deine Schulzeit versetzt. Nur es ist das erste Mal, dass du dir wirklich sehnlichst wünscht, dass es wirklich nur die Schule ist, für welche du recherchierst. In der Schule machst du einen Fehler, dann korrigierst du ihn und versuchst es später erneut. Wenn du hier einen Fehler machst, wird es dein Leben und das deiner Familie kosten. Als du gerade das Gefühl hast, alles sei umsonst, stößt du schließlich auf den Begriff, den du gesucht hast.
„Azoth, auch bekannt als „Essenz des Lebens" oder „Seele". Azoth ist in der Alchemie ein wichtiges Element, um künstliches Leben zu erschaffen oder für die Herstellung vom „Stein der Weisen". Seine Form ist flüssig und existiert in jedem Lebewesen. Wo genau, ist allerdings bisher unbekannt. Er kann aus dem Blut extrahiert werden. Die Einnahme von Azoth kann das eigene Leben um einige Jahre verlängern."
Unter diesem Eintrag wurde etwas in roter Tinte gekritzelt. Wahrscheinlich eine Ergänzung von einem anderen Leser.
- Azoth kann bei Frauen nicht nur im Blut, sondern auch im Mutterleib
- Extrahierung durch Folter ist die einfachste Methode
- Ein besonders starker Azoth hat die Fähigkeit zur Immortalitas, der Unsterblichkeit
Dir wird schlecht. Was hast du auch anderes erwartet von diesen Psychopathen hier auf diesem Anwesen? Die Vorstellung, dass dieser Riccardo Menschen gefoltert hat, um zu diesen Erkenntnissen zu kommen...nein, nein, daran willst du gar nicht denken. Du schüttelst deinen Kopf. Jedes Mal, wenn du nur an Riccardos Stimme denkst, läuft es dir eiskalt den Rücken runter. Du willst mit deiner Recherche nicht aufhören. Du schleichst zurück in die Suite. Dort stöberst du im Bücherregal herum. Du hast im Gefühl, dass du etwas übersehen könntest, was wichtig ist. Du wirst schließlich fündig. Hinter einem großen dicken Wälzer kommt ein schwarzes Lederbuch zum Vorschein. Du nimmst es in die Hand und entfernst mit der Hand den Staub vom Buchrücken.
Tagebuch
Du öffnest es und beginnst, zu lesen.
„Immer noch spüre ich ihre warme weiche Haut unter meinen Fingern. Immer noch habe ich diesen rosigen Duft in der Nase. Meine liebste Fiona, die Trägerin des Azoth. Du hast dich gegen mich gestellt, du kleine Dirne. Du hast dich geweigert, dich gewehrt und mich versucht, umzubringen. Aber ich kann nicht einfach so sterben. Neu erschaffen bin ich noch stärker als zuvor. Eines Tages wird es so weit sein, Fiona, dann werde ich dich finden und dir das Kind nehmen, welches meinen süßen Azoth in sich trägt. Warte es nur ab, du kannst mir nicht entkommen. Eines Tages wird es soweit sein. Ich fühle, wie dieser Tag immer näher kommt."
Du blätterst weiter. Du willst noch mehr lesen.
„Durch neue Erkenntnisse ist es mir möglich, Azoth auf anderen Wegen zu extrahieren. Ich habe neue Möglichkeiten, Leben so zu erschaffen, wie ich es möchte."
Innerlich rast dein Puls und das Adrenalin in dir pumpt und pumpt und pumpt...du weißt, du solltest das eigentlich nicht lesen. Aber du musst. Du musst wissen, was hier vor sich geht.
„Mila ist tot, Francesco hat versagt. Ich habe dafür gesorgt, dass dies nicht noch einmal geschieht. Die Suche nach Fionas Azoth war erfolglos doch eine Chance haben wir noch. Die älteste Tochter. Doch es gestaltet sich schwieriger, an sie heranzukommen. Es wird Zeit, dass wir einer alte Freundin einen Besuch abstatten. Oh wie sehr mich dieser Gedanke reizt, dir bald wieder gegenüberzustehen, meine süße Fiona."
Deine Mutter muss davon gewusst haben. Du gehst zum Nachttisch und steckst dir das Foto von ihr und Hewie ein. Du willst es hier nicht stehen lassen. Deine Mutter soll nie wieder in irgendeiner Form in diesem Schloss sein müssen. Auch nicht auf einem Foto.Du gehst durch die Korridore, völlig ziellos, wie du weiter vorgehen sollst. Immerhin weißt du jetzt, was ein Azoth ist oder zumindest sein soll. Du weißt, dass diese Menschen hier hinter deiner Mutter her sind und dieser Azoth eigentlich in dir oder Mila hätte sein sollen. Doch laut Riccardo war es nicht der Azoth, nachdem sie suchten. Deine Mutter Fiona muss einen wirklich mächtigen Azoth haben, nur vielleicht....hat sie ihn ja behalten und gar nicht an ihre Kinder weitergegeben. Konnte das möglich sein? Während du so vor dich hin grübelst, erreichst du wieder den Balkon. Von hier aus hast du einen wunderbaren Blick auf den Himmel. Im Träumen versunken merkst du erst viel zu spät, dass du nicht mehr allein bist.Debilitas. Er hat dich bis hierher verfolgt, schon seit du aus der Bibliothek gegangen bist. Als du ihn erblickst, erschrickst du. Das Adrenalin schießt sofort zurück in deine Adern. Du willst rennen doch dann merkst du: etwas ist anders. Debilitas läuft nicht wieder wild mit wedelnden Armen auf dich zu. Er trottet zögerlich, als würde er damit ringen, ob er wirklich zu dir gehen kann oder nicht. Du bleibst an Ort und Stelle. Debilitas zieht etwas aus seiner Hosentasche. Es ist eine Puppe. Eine ziemlich hässliche Puppe, verdreckt und mit schwarzen Haaren. Er reicht sie dir. Vorsichtig nimmst du sie in die Hand. Dir kommt ein stechender Geruch entgegen, aber du versuchst ihn, zu ignorieren. Abwartend sieht der Riese dich an. Du weißt nicht so recht, was du machen sollst und was genau er von dir erwartet. Also lächelst du ihn an. Was dann geschieht, überrascht selbst dich. Debilitas beginnt, über beide Ohren zu strahlen und entblößt seine Zahnlücken. Er klatscht in die Hände und jauchzt. Du machst einen Schritt zurück, immerhin könnte Übermut bei ihm dazu führen, dass er dich doch ungewollt verletzt. Dir kommt ein Gedanke. Du ziehst das Bild deiner Mutter aus deiner Tasche.
„Debilitas, kennst du diese Frau hier auf dem Bild?"
Du gibst ihm das Foto von Fiona. Mit seiner großen Hand nimmt er es entgegen und sieht es sich an. Du siehst, wie er sich am Kopf kratzt und überlegt. Dann macht er ein lautes Geräusch, es klingt nach einer Mischung aus Lachen und Jauchzen.
„Darling....wunderschön....Engel....", sagt Debilitas.
„Sie ist meine Mutter", erwiderst du.
Debilitas verstummt und sein Gesicht wird traurig.
„Debilitas keine Mutter....Debilitas allein..."
Du bekommst Mitleid mit dem Riesen. Am Anfang dachtest du noch, er wäre einer von den Bösen. Doch jetzt bist du dir da nicht mehr so sicher.
„Wie bist du in dieses Schloss gekommen, Debilitas?"
Debilitas wirft dir unsichere und verwirrte Blicke zu. Er kratzt sich am Kopf und trottet dann davon, ohne auf deine Frage zu antworten. Du folgst ihm. Zusammen geht ihr ans Ende des Balkons, in eine Art Labor. Von dort aus kommt ihr nach draußen auf einen Vorsprung, von wo mal eine Treppe ausging. Die Treppe ist abgebrochen und am Rand siehst du hinunter, ein paar Meter nach unten, wo sich ein Innenhof erstreckt.Debilitas macht auf sich aufmerksam. Wild mit den Armen winkt er dir zu. Dann steigt er eine Leiter hinab. Du folgst ihm eilig. Es dauert eine ganze Weile, der nächtliche Spaziergang. Eine weitere Leiter wird bestiegen und ihr geht sogar über eine große Zugbrücke. Von der Zugbrücke aus siehst du nun das erste Mal den Wald, in welchem sich das Schloss befindet. Er ist riesig, scheint beinahe unendlich zu sein. Du bist fernab von jeglicher Zivilisation. Euer Weg führt euch ins Herrenhaus von Schloss Belli.
Zutritt für Unbefugte strengstens Verboten! Zuwiderhandlung werden mit dem Tod bestraft!
"Na das nenne ich mal eine fröhliche Einladung", sagt du sarkastisch.
Ob du hier stirbst oder im Herrenhaus, was spielt das noch für eine Rolle? Früher oder später, sollten sie dich kriegen, werden sie dich ohnehin umlegen. Da bist du dir sicher.Die Luft im Herrenhaus wird immer stickiger, die Wände und die Böden sind allesamt verdreckt. Es scheint, als habe sich das Hausmädchen um diese Gegend schon lange nicht mehr gekümmert. Trotz alledem sind die unbelebten Flure mit Fackeln ausgestattet. Du bleibst dicht an Debilitas Seite, als du weiße seltsame mumienartige Puppen entdeckst, die überall herumstehen und seltsame Geräusche von sich geben oder sich sogar eigenartig bewegen. Das waren keine Menschen. Es macht dir Angst. Diese Puppen scheinen weder dich noch Debilitas wahrzunehmen. Debilitas öffnet eine große Tür. Ihr gelangt in einen Raum mit seltsamen riesigen Behältern. Die Temperatur ist wärmer, die Luft stickiger. Die Flüssigkeiten in den Behältern haben dieselbe rote Farbe, wie die Wärmelampen, die an der Decke angebracht waren. Durch das Glas, direkt in der Flüssigkeit, entdeckst du menschlich aussehende Wesen, die in Fötusstellung herum schwimmen. Es sieht aus wie riesige Brutkästen. Debilitas steuert zu einem besonders riesigen Behälter mit der Aufschrift „Projekt Nummer 119 - Debilitas III". Dieser Behälter ist leer. Jetzt verstehst du, was der Riese dir sagen will. Debilitas ist nicht geboren, er ist künstlich erschaffen worden. Das wollte er dir also zeigen. Eure Blicke treffen sich. Du hast Mitleid mit ihm. Du siehst den Riesen mit anderen Augen. Er hat keine Mutter, er hat keinen Vater. Er ist ganz allein.
„Willst du mein Freund sein?", fragst du den Riesen und gibst ihm die Hand.
Debilitas scheint zu zögern, doch dann erwidert er die Geste. Endlich! Endlich hast auch du jemanden in diesem Schloss gefunden. Jemand, der dir wohngesonnen war. Einen Verbündeten, jemand, der sich hier auskannte und es mit deinem Widersacher sicherlich aufnehmen konnte. Du bist nun nicht mehr allein.
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