Kapitel 53
Die stetigen Schläge meines Herzens waren alles, was die Stille in meinen Ohren durchbrach, während es von Sekunde zu Sekunde schwerer wurde, Lilys Blick zu erwidern. Ihre Lippen hatten sich zu einem verblüfften Laut geöffnet und es war mehr als offensichtlich, dass ich sie überrumpelt hatte. Und das konnte ich ihr nicht einmal verübeln. Ich selbst hatte mit Sicherheit nicht geplant, den Abend auf diese Art ausklingen zu lassen – mit einer Frage, bei der sie mich noch vor einem Jahr einen Kopf kürzer gehext hätte.
Doch ihr Gespräch vorhin mit Remus hatte etwas in mir ausgelöst. Die sanfte Wärme in dem Grün ihrer Augen hatte so viel Mitgefühl für die Situation meines Freundes ausgestrahlt, dass mir beinahe schwindelig vor Glück und Geborgenheit geworden war. Bei ihrem Anblick war ich ihr erneut kopfüber und unwiderruflich verfallen.
Schließlich legte Lily den Kopf leicht schief, während ihre Augen sich fragen zusammenkniffen.
„Meinst du damit ein richtiges Date?"
Es war unmöglich zu sagen, in welche Richtung ihre Gedanken wanderten und das brachte mich fast um den Verstand.
„Ja." Meine Stimme war mehr ein Krächzen als alles andere, so staub trocken fühlte sich meine Kehle an. Ein beklemmendes Gefühl ergriff mich, während ich um ihre Antwort bangte. Ich wollte unsere Freundschaft nicht riskieren, zeitgleich hielt ich es jedoch keine weitere Sekunde mehr aus, ihr nicht näher zu kommen - ihr nicht zeigen zu können, was sie mir wirklich bedeutete. Aber der bloße Gedanke, mit meiner Frage erneut Distanz zwischen uns geschaffen zu haben, ließ mich erstarren. Plötzlich wünschte ich mir die Frage einfach zurückziehen zu können, um da weiterzumachen, wo wir vorhin standen. Die Furcht vor einer Zurückweisung war noch nie so allgegenwärtig wie in diesem Moment gewesen.
„Ich meine, wenn du nicht möchtest, ist das vollkommen in Ordnung. Ich hätte wahrscheinlich gar nicht erst fragen sollen", murmelte ich also kleinlaut und kam mir unfassbar lächerlich vor. Merlin, warum konnte ich nicht einmal die richtigen Worte finden, wenn es um dieses Mädchen ging?
Zu meiner Verblüffung schüttelte sie jedoch eilig den Kopf. Unsicher, was sie damit zum Ausdruck bringen wollte, musterte ich sie. Ihre Worte überschlugen sich förmlich, während sie sich fahrig ihre Haare hinters Ohr schob. „Nein, es ist nur- naja für gewöhnlich hast du diese Frage etwas plumper verfasst. Ich wollte nur sichergehen, dass ich es richtig verstanden hab." Mit einem unbeholfenen Schmunzeln versuchte sie die Situation aufzulockern.
Doch die Schwere auf meinem Brustkorb blieb und meine Nervosität steigerte sich ins Unermessliche. Also nahm ich meinen restlichen Mut zusammen und räusperte mich, um den Kloß in meinem Hals zu verbannen. Ich konnte nicht umhin, all meine Hoffnung in meine Worte zu legen.
„Also was sagst du?"
Mein Herz machte einen aufgeregten Hüpfer, als sich ein liebevolles Schmunzeln auf ihre Lippen legte.
„Ja. Ich würde unglaublich gerne mit dir nach Hogsmeade gehen, James."
Die Anspannung in meinem Brustkorb wich, als ich ungläubig ausatmete. Ich trug ein unbändiges Grinsen auf dem Gesicht, während die Bedeutung ihrer Worte in mein Bewusstsein sickerte. Schließlich entwich ein erleichtertes Lachen meiner Kehle, welches all den tobenden Emotionen in mir gehör verschaffte. In einem Anfall von Übermut warf ich all meine Zweifel vom Besen und schloss sie fest in meine Arme, um sie überschwänglich in der Luft herum zu wirbeln.
„Du gehst mit mir aus!", hörte ich meine eigene Stimme gemischt mit ihrem entzückenden Kichern, während das berauschende Schwindelgefühl des Drehens jede Faser meines Körpers erfasste.
„James, lass mich runter!", quietschte sie und ihr Atem kitzelte mich am Hals, als sie sich fester an mich klammerte. Augenblicklich umhüllte mich eine Gänsehaut und ich war mir sicher, dass sie das wilde Pochen meines Herzens hören musste.
„Tatze!", rief ich in den Spiegel. „Tatze, verdammt, wozu haben wir den Zweiwegspiegel, wenn du ihn ständig unter deinen Klamotten vergräbst?"
Ich hatte mich bäuchlings auf mein Bett geworfen und wusste gar nicht, wohin mit all der Freude die mich erfüllte. An Schlaf war heute jedenfalls so schnell nicht zu denken, dafür wollte ich umso mehr die unglaublichen Neuigkeiten mit Sirius teilen. Wobei ‚unglaubliche Neuigkeiten' wohl die Untertreibung des Jahrhunderts darstellte. Das unglaublichste Ereignis seit zweihundert Jahren traf es wohl schon eher. Oder der wichtigste Wendepunkt in der gesamten Geschichte meiner Familie. Das hier könnte mein Leben verändern und mein bester Freund bekam nichts davon mit, weil er seine Boxershorts lieber neben seinem Bett türmte, anstatt sie ordentlich wegzuräumen.
„Sirius, du verpasst gerade die besten Neuigkeiten deines Lebens! Heb endlich den verdammten Spiegel auf!", forderte ich ihn erneut auf, in der Hoffnung, dass er mich endlich hörte.
„Was auch immer du um diese Uhrzeit von mir möchtest, Krone, es gibt Menschen, die ihren Schönheitsschlaf brauchen", grummelte mir Sirius gähnend entgegen.
Ich zog belustigt eine Augenbraue hoch.
„Wenn das so ist, will ich dir und deinem äußeren Erscheinungsbild nicht im wegstehen, es reicht sicher auch, wenn ich dir erst morgen beim Frühstück von diesem unfassbaren Moment erzähle. Schlaf gut, Schnuffel." Grinste ich und versuchte ihm nicht zu zeigen, wie sehr ich mich zusammen reißen musste, um ihn nicht durch den Spiegel hinweg zu umarmen. Und wie zu erwarten hatte ich ihn schon am Harken, bevor ich den Spiegel überhaupt beiseitelegen konnte. Sirius war schon immer eine der neugierigsten Personen, die mir je begegnet war.
„Wehe, du lässt mich jetzt die ganze Nacht darüber grübeln, los rück schon raus mit der Sprache", forderte Sirius, nun sichtlich aufnahmebereiter. Wenn möglich, wurde mein Lächeln noch breiter. Ich stützte mich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab und sah meinen Kumpel verheißungsvoll an.
„Sie hat ja gesagt, Sirius! Sie hat tatsächlich ja gesagt!" Er sah mich skeptisch an, fast als fürchtete er mich gleich aus meiner Illusion reißen zu müssen. Unbehaglich räusperte er sich etwas und schien mit seinem Blick die anderen zu suchen, bevor er sich erschöpft übers Gesicht fuhr.
„Und, du hast das nicht bloß mal wieder geträumt?", erwiderte er schließlich und musterte mich besorgt. Am liebsten hätte ich ihn an den Schultern gefasst und einmal heftig durchgeschüttelt oder ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf verpasst. Wie konnte es sein, dass ich vor Freude in die Luft springen könnte, während mein bester Freund mich wahrscheinlich ins St. Mungos einweisen wollte?
„Tatze! Sie geht mit mir aus! Verstehst du nicht! Lily hat ja gesagt und du Töle glaubst mir nicht?" Egal wie frustriert ich über seine Begriffsstutzigkeit war, die Euphorie hatte mich noch immer fest im Griff und ließ mich weiter dümmlich in den Spiegel grinsen.
Sirius hingegen kratzte sich skeptisch am Kinn und zog ungläubig eine Augenbraue hoch. „Würde es dir was ausmachen, zu ihr zu gehen, damit ich das von ihr hören kann?", überlegte er und langsam war ich drauf und dran, mir den Tarnumhang überzuwerfen, um zu ihm zu rennen.
„Nein, ich werde ganz sicher nicht zu dem Mädchen gehen, was nach all den Jahren endlich ja gesagt hat und sie damit nerven, nur damit du sie mit begriffsstutzigen Fragen löchern kannst!"
Endlich schien sich Erkenntnis auf seinem Gesicht abzuzeichnen.
„Warte du meinst das wirklich ernst?!", stieß er aus und bevor ich ihm antworten konnte, hatte er den Spiegel auf sein Kissen geworfen und ich hörte seine aufgedrehte Stimme durch den Schlafsaal hallen.
„Moony, Wurmschwanz bewegt eure schlafenden Ärsche aus den Federn! Das achte Weltwunder ist gerade passiert und ihr verschlaft den ganzen Spaß!"
Ich hörte Remus klagende Stimme und wie Sirius ihnen die Ereignisse schilderte. Kurz darauf erschien Remus von Augenringen gezeichnetes Gesicht in meinem Sichtfeld.
„Du nimmst uns doch auf den Arm?" Doch mein Grinsen schien ihm Antwort genug, denn er griff sich fassungslos an den Kopf und drehte sich zu den anderen herum.
„Haben wir für den Anlass nicht irgendwo ne gute Flasche Feuerwhisky rumliegen?", murmelte er und verschwand erneut aus dem Bild.
Das letzte, was ich hörte, war Sirius feixende Stimme, die mich unmissverständlich aufforderte, meine vier Buchstaben so schnell wie möglich zu ihnen zu bewegen, bevor er sämtliche Gryffindors aus den Betten warf, um ihnen die Neuigkeiten zu mitzuteilen. Mein Magen drehte sich unbehaglich bei dem Gedanken, wie Lily reagieren würde, wenn er diese Idee wirklich in die Tat umsetzte. Also warf ich mir den Tarnumhang über und eilte zu meinen Freunden, um das Unmögliche zu feiern.
Mein Hochgefühl war auch am nächsten Morgen nicht verflogen. Ich wachte mit den ersten Strahlen der Sonne auf und stellte fest, dass Sirius am Fußende meines ehemaligen Bettes zusammengerollt wie ein Hund vor sich hin schnarchte. Amüsiert setzte ich mir meine Brille auf die Nase und schlich aus dem Schlafsaal. Der Gryffindor Gemeinschaftsraum war menschenleer und ohne das prasselnde Feuer im Kamin umhüllte mich eine morgendliche Kälte. Den Tarnumhang unter meinen Arm geklemmt, schlenderte ich gedankenverloren zu den Schulsprecherräumen, und als mein Blick auf den wolkenlosen Himmel der schottischen Landschaft fiel, überkam mich der Wunsch, mich auf meinen Besen zu schwingen und das Leben in vollen Zügen auszukosten.
Also schnappte ich mir zurück in meinem Zimmer meinen Besen und wollte gerade aufbrechen, als ich eine Silhouette an der Tür neben mir ausmachte.
„Morgen", murmelte Lily verschlafen. Ihre Haare sahen aus, als hätte sie soeben einen Rundflug um die Schlosstürme gedreht und sie rieb sich schläfrig die Augen. Für eine Millisekunde versagte mein Herz seinen Dienst, während es zu beschäftigt damit war, ihre Schönheit zu bestaunen, bevor ich wieder zu mir selbst fand und meine Hand verlegen zu meinem Haarschopf fuhr.
„Guten Morgen, hast du gut geschlafen", lächelte ich sie an und versuchte die heiße Röte aus meinem Gesicht zu verbannen. Sie nickte noch immer etwas desorientiert vom Schlaf.
„Ja, ich wollte mich noch an meinen Verwandlungsaufsatz setzen, bevor das Frühstück losgeht", murmelte sie, und als sie sich streckte und der Ansatz ihres Bauchs unter ihrem roten Shirt hervorlugte, schluckte ich schwer. Dieses Mädchen brachte mich noch um den Verstand. Aber ein weiterer Gedanke beschlich mich und ließ mich Grinsen wie ein Niffler im Goldrausch. Sie brachte mich zwar um den Verstand, aber endlich würde sie mir eine Chance geben.
Ihr Blick musterte mich prüfend, als das Strahlen auf meinem Gesicht noch weiter wurde.
„Du siehst aus, als könntest du einen Marathon laufen, so viel Energie wie du ausstrahlst", scherzte sie.
Ich zuckte abtuend mit den Schultern. „Deswegen werd ich diesen herrlichen Morgen auch nicht mit meiner Nase in verstaubten Büchern verschwenden, sondern die frische Luft auf meinem Besen genießen", erwiderte ich heiter und stützte mich auf dem Stiel meines Rennbesens ab.
Neugierig wanderten ihre Augen zu einem der Fenster und ein Zucken weckte ihre Mundwinkel.
„Wow es ist wirklich wundervolles Wetter", schwärmte sie und fuhr sich mit einer Hand nachdenklich über den Unterarm. Ich war schon drauf und dran, mich zu verabschieden, um sie nicht weiter von ihrer allmorgendlichen Lerneinheit abzulenken, da bemerkte ich ein spitzbübisches Funkeln in ihren Augen, welches mich innehalten ließ.
„Warte hier", forderte sie mich auf und verschwand dann für einige Minuten im Bad.
Gespannt ließ ich mich in einen der Sessel fallen und warf meine Beine lässig über dessen Lehne, um es mir bequem zu machen. Als sie schließlich erneut den Raum betrat, wirkte ihre Miene aufgeweckter und ihr Haar hatte sie zu einem lockeren Zopf nach hinten gebunden.
„An so einem schönen Tag kann ich das Lernen auch mal reduzieren", erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin und ich glaubte die Schmetterlinge in meinem Bauch Saltos schlagen zu spüren. Ein Gefühl, welches mich sonst nur bei wirklichen Loopings auf dem Besen erfasste.
„Du willst mit mir fliegen?", forschte ich berauscht von diesem Gefühl nach und sprang beflügelt auf die Beine.
Sie schürzte kurz die Lippen und griff sich eine Strickjacke von einem der Stühle neben sich. „Nun den Punkt müssen wir nochmal ausdiskutieren, weil ich diesen fliegenden Stöckern nämlich nicht wirklich über den Weg traue, aber auf jeden Fall möchte ich die Sonne etwas genießen", flötete sie in einer Stimmlage, die ich nur selten bei ihr gehört hatte und ganz sicher noch nie im Zusammenhang mit einer Unternehmung mit mir.
„Dann lass deine Argumente mal hören, denn was das Fliegen angeht, habe ich eine sehr gefestigte Meinung", grinste ich herausfordernd.
Ich war mir wirklich nicht sicher, wann ich mich das letzte Mal so im Einklang mit der Welt gefühlt hatte. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.
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