Kapitel 47
„Sie sind wo?!", geschockt starrte ich das Portrait vor mir an.
Nachdem ich die Jungs weder im Gemeinschaftsraum, noch in ihrem Schlafsaal aufgefunden hatte, war ich zurück auf den Gang gekommen. Ich musste ziemlich frustriert gewirkt haben, denn kaum hatte ich mich entschlossen zurück zu den Schulsprecherräumen zu gehen, hatte mich die Fette Dame angesprochen.
Nicht, dass sie mir irgendwie weitergeholfen hätte. Doch nach einer mehr oder wenig schmerzlichen Gesangseinlage, hatte eine ältere Dame in einem raffiniert aufwendigen Kleid mich ausgefragt, was mir denn auf dem Herzen lag. Wahrscheinlich hatte sie auf eine dramatische Herzschmerz Geschichte gehofft, aber trotz der Enttäuschung konnte sie mir weiterhelfen.
Allem Anschein nach waren die Rumtreiber aus dem Schloss geschlichen - mitten in der Nacht - ohne triftigen Grund.
Etwas verärgert über diesen Regelbruch schürzte ich die Lippen.
„Oh meine Liebe, wenn sie das schon aufwühlt", lachte die Dame im Gemälde. „Wenn man den Erzählungen trauen kann, machen sie das regelmäßig. Der Grüne Ritter berichtet immer zu von ihren nächtlichen Ausbrüchen. Als wäre ich nicht schon neidisch genug auf seinen Platz. Ach, was der Gute alles miterlebt dort unten bei der Großen Halle."
Ich bemühte mich etwas Mitleid aufzubringen, meine Gedanken hingen jedoch bei den Jungs. „Ich bin mir sicher, die Gryffindors halten Sie auch ordentlich auf trapp", erwiderte ich einfühlsam.
„Durchaus Liebes, da haben sie wohl Recht", kam die Antwort, bevor ich mich höflich verabschiedete.
Das mulmige Gefühl in meinem Bauch ignorierend, machte ich mich auf den Weg zum Portrait des Grünen Ritters und betete innerlich, dass die Jungs nicht wirklich so dämlich waren, sich nachts aus dem Schloss zu schleichen. Selbst nach all dieser Zeit, in der ich regelmäßig nächtliche Rundgänge gegangen war, hatte das Schloss bei Nacht etwas unbehagliches an sich. Mal davon abgesehen, dass es durch die unzähligen Geister dem Beginn einer Muggel Schauergeschichte glich, waren die unzähligen Nischen und finsteren Ecken kein bisschen hilfreich.
Um die aufkeimende Angst hinunterzuschlucken umklammerte ich meinen wegweisenden Zauberstab etwas fester, während meine Füße beinahe fliegend die Treppe hinunter eilten. Meine Schritte hallten bedrückend laut durch das alte Deckengewölbe und ich atmete erleichtert aus, als ich die letzten Stufen endlich hinter mir gelassen hatte.
Doch gerade, als mein Herz wieder seinen Rhythmus fand, gesellte es sich zu dem flauen Gefühl in meinem Bauch. Der Grüne Ritter hatte die Jungs schon vor einer ganzen Weile aus dem Schloss verschwinden sehen.
Die Minuten flossen zäh an mir vorbei, während ich unschlüssig auf die große Flügeltür starrte und die Neugier gestallt in mir annahm. Mein Verstand schrie mich regelrecht an, ich solle mir diese Idee gleich wieder aus dem Kopf schlagen. Und trotzdem, irgendetwas hinter mich daran auf dem schnellsten Weg zurück zu meinem Schlafsaal zu eilen. Das Unbekannte hatte mich in seinen Bann gezogen und ich glaubte zum ersten mal verstehen zu können, von welchem Reiz James so oft sprach. Dem kleinen aufregenden Kribbeln in der Wirbelsäule, das intensive Klopfen des Herzens und das Ziehen im Magen, welches mich nun Schritt für Schritt aus dem Schloss leitete.
Das Licht des Vollmonds ließ die weitläufigen Ländereien vor mir erstaunlich friedlich daliegen. Und die Furcht, welche sich bis eben noch an meine Schultern geklammert hatte, verlor ihre Kraft und fiel haltlos hinter mir zu Boden - einsam und vergessen. Da war nur noch fließende Neugier, welche mich hinaus auf die Wiesen trieb.
Als ich jedoch kurz darauf aus dem Augenwinkel eine Bewegung nahe des Waldrandes erhaschte, sank mein Herz panisch zu Boden. Was tat ich hier nur? Hatte ich den Verstand verloren?! Mein Atem kämpfte rasselnd mit der kühlen Luft und ich schlang die Arme um meinen Oberkörper. Obwohl ich die Gestalt in der Dunkelheit nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte, beschlich mich das merkwürdige Gefühl von Vertrautheit. Und während all meine Sinne versuchten mich vom Gegenteil zu überzeugen, brachten mich meine Beine an die ersten dicken Stämme des Verbotenen Waldes, der im kargen Mondschein noch bedrohlicher wirkte.
„James?", hauchte ich zittrig und meine Stimme brach unter meiner Furcht zusammen. Erneut waren meine Augen zu schwach und träge, um die Gestalt auszumachen, die tief im Wald umherstreifte. Sie war schnell. Zu schnell um menschlicher Natur zu sein, schoss es mir alarmierend durch den Kopf. Aber ich befand mich noch immer in Sichtweite des Schlosses. Welche Kreatur würde sich so weit aus dem schützenden Dickicht seiner Heimat schlagen?
Panik kroch mit eiserner Schlinge meinen Rücken hinauf und schnürte mir die Luft zum Atmen ab. Um mich an das letzte flackernde Fünkchen Hoffnung zu klammern, wiederholte ich seinen Namen erneut, während ich unbewusst einen Schritt zurück trat, hinein in das schützende Licht des Vollmondes.
„James?!"
Ein Knacken, wie das brechen von Ästen und getrocknetem Laub hallte als Antwort zurück und die feinen Härchen in meinem Nacken stellten sich warnend auf. Egal was sich dort an den Rand des Waldes vorgewagt hatte, es war mir mit Sicherheit nicht freundlich gesinnt.
Zu verängstigt die dunklen Schatten der Bäume aus den Augen zu lassen, fing ich an Schritt für Schritt zurückzuweichen. Ich vernahm ein flaches Schnüffeln, wie von einem Raubtier das seine Fährte aufnahm und dann sah ich es. Schneller als mein Verstand die Situation verarbeiten konnte, preschte eine gigantische Wolfsähnliche Gestalt aus dem Unterholz und hielt erschreckend schnell auf mich zu.
Ein Werwolf!
Ein wahrhaftig blutrünstiger Werwolf!
Und er hatte es auf mich abgesehen!
Die Lebensgeister ergriffen endlich wieder von mir besitz, während ich so viel Sauerstoff durch meine Lungen pumpte, dass sie stechend ihre Kapitulation androhten. Meine Füße überschlugen sich fast, während ich den Hügel hinauf hetzte. Mit jedem Schritt kam ich der Illusion von Sicherheit näher.
Und dann kam es wie es kommen musste.
Die Wucht mit der er auf mich traf, schien uns beide zu überwältigen. Mein Kopf schlug hart auf dem Boden auf und mein Brustkorb drohte zu zerbersten, als ich gierig nach Luft schnappte. Helle Sterne barsten vor meinen Augen, als ich auf meine blutverschmierten Hände starrte. Paralysiert von dem dunklen Rot, faste ich mir an die pochende Wunde an meiner Stirn. Mein Zauberstab war irgendwo im Gras versunken. Ich war dem Monster hilflos ausgeliefert.
Der Werwolf war durch seinen eigenen Schwung über sein Ziel hinaus geschossen und rappelte sich nun keinen Meter vor mir zornig auf die Beine. Mein Blick war gefangen von den gefährlich blitzenden Reißzähnen, die fletschend nach ihrer Beute gierten. Ich hörte das gedämpfte Schrillen in meinen Ohren, welches von meiner Kopfverletzung herrührte und wusste das dies mein Ende war. Auge in Auge mit einer der Gefährlichsten Kreaturen der Erde, würde ich meinem Ende entgegentreten müssen.
Heiße Tränen rannen über meine Wangen, während sich jede kleinste Bewegung wie ein weiteres Todesurteil anfühlte. Seine dunklen Augen fixierten mich, zum letzten finalen Sprung bereit. Und ich nahm meinen letzten Atemzug, bevor ich Tränenüberströmt die Augen schloss.
Und dann geschah – nichts.
Ein zorniges Knurren drang durch die Furcht in die Tiefen meines Bewusstseins. Erst ein schmerzverzerrtes Schnauben ließ mich schließlich doch erneut die Augen aufschlagen. Die blitzenden Zähne des Wolfs versanken soeben im Hinterlauf eines anderen Tieres.
Der Hirsch röhrte und sein Schmerz drang bis zu meinen Knochen hindurch, während ich taumelnd versuchte auf die Beine zu gelangen. Doch die Wunde an meinem Kopf zwang mich immer wieder zu Boden, dazu verurteilt, dem Leid des Hirsches beizuwohnen und auf mein eignes Schicksal zu warten. Ich sah gerade dabei zu, wie er sein massives Geweih gegen den schlaksigen Körper des Wolfes rammte, da durchzuckte ein neuer Schmerz meinen Körper und ich wurde ruckartig über den schlammigen Boden gerissen.
Panisch versuchte ich an meinen Knöchel zu gelangen, in den sich die reisscharfen Zähne eines riesigen schwarzen Hundes verkeilt hatten. Rückwärts zog er mich zurück in die Schatten des Waldes und mit jedem Ruck durchströmte eine weitere Schmerzenswelle meine Glieder. Mit jedem weiteren Zentimeter verkeilten sich seine Zähne tiefer in mein Fleisch und alles worauf ich mich noch konzentrieren konnte, waren die undeutlichen Schmerzenslaute aus meiner Kehle.
Mein Blickfeld pulsierte und ich erhaschte erneut einen Moment des bitteren Kampfes der beiden Tiere. Der Hirsch hatte sich endgültig aus den Fängen des Werwolfs befreit und hielt ihn mit seinem Geweih in Schach, während er immer wieder den Bissen seines Gegners auswich. Ein Fünkchen Erleichterung bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, bei dem Gedanken, dass zumindest der Hirsch diese Nacht heil überstehen könnte.
Aber bevor ich mich an diesen Gedanken klammern konnte, wurde er erneut von den Pranken des Wolfes zu Boden gerissen und der Hund an meinem Knöchel entließ mich für den Bruchteil einer Sekunde aus seinem Maul, nur um dann noch energischer an mir zu zerren.
Ich versuchte ihn mit einem gezielten Tritt meines freien Fußes von mir zu stoßen, doch selbst als ich seinen Kopf traf, verstärkte sich sein Biss nur knurrend. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf sein Gesicht und meinte, seine Augen zu dem Kampf hinter uns huschen zu sehen.
Die Ablenkung nutzend, trat ich ihm mit voller Wucht gegen die Schnauze und diesmal ließ er mich tatsächlich jaulend los. Er beugte seinen Kopf gen Boden, als versuche er die überwältigenden Schmerzen zu verdrängen. Und ich versuchte auf allen Vieren von ihm davon zu krabbeln. Mein Knöchel machte es mir fast unmöglich mein Bein zu bewegen, geschweige denn es zu belasten.
Mein Sieg war von kurzer Dauer, denn der schwarze Hund verbiss sich erneut in meinem Schuh und zerrte mich die restlichen Meter hinein in das Unterholz des Verbotenen Waldes. Äste schlugen mir blutige Schrammen ins Gesicht, während er mich durchs Gestrüpp zog, bis er schließlich zwischen einigen Büschen von mir abließ und ohne weiter zu zögern, zurück auf die Wiesen eilte.
Die hohen Bäume verschlangen beinahe jegliches Licht, weshalb ich seine dunkle Gestallt erst wieder erhaschte, als er ins gleißende Mondlicht hetzte.
In der Ferne konnte ich den Hirsch am Boden liegen sehen. Sein Huf schlug verzweifelt nach der Schnauze des Wolfes. Und gerade, als ich dachte sein Ende mit ansehen zu müssen, stürzte sich der große Hund auf den Rücken des Wolfes und vergrub seine Zähne in dessen Nacken. Jaulend überschlugen sich die Beiden, in einem erbitterten Kampf um die Oberhand.
Mein Herz nahm mir fast stockend das Leben, als ein Rascheln zwischen den Büschen auf mich zukam. Leise und schnell nährte es sich mir und ich zog schützend mein verletztes Bein an den Oberkörper. In diesem Zustand würde ich es nie im leben alleine auf die Füße schaffen, um mich in Sicherheit zu bringen.
Und dann erlitt mein Herz einen erneuten Stillstand, als ohne eine Vorwarnung, wie aus dem nichts, eine menschliche Gestalt neben mir erschien. In der Finsternis des Waldes brauchte ich einige Sekunden um zu erkennen, um wen es sich handelte und mindestens noch einmal genau so lange, um es wirklich zu glauben.
„Peter? Wo zum - wie – wo kommst du her?" Meine Stimme war nicht mehr als ein gehauchtes Krächzen, während Erleichterung, geballt mit Sorge meinen Körper durchströmte.
„Wir müssen hier so schnell wie möglich weg!", murmelte er gedämpft, wahrscheinlich um nicht noch weitere Kreaturen auf uns aufmerksam zu machen. Ich nickte, wobei das Schwindelgefühl mich fast in Ohnmacht fallen ließ. Eilig half er mir auf die Beine und ich musste mein gesamtes Gewicht auf seine Schultern stützen, damit ich nicht erneut in die Knie gezwungen wurde. Mein rechter Fuß schleifte nutzlos über den unebenen Boden und ich zischte jedes Mal, wenn ich an einer Wurzel hängen blieb.
„Wir schaffen es niemals zum Schloss, dass ist viel zu weit und der Werwolf bemerkt uns mit Sicherheit", brachte ich gepresst zu bedenken.
„Wir gehen auch nicht zum Schloss", keuchte Peter und sein Griff um meinen Brustkorb festigte sich noch etwas mehr. Verständnislos sah ich ihn an und erwischte ihn dabei, wie er aus dem Augenwinkel versuchte einen Blick auf die kämpfenden Tiere zu erhaschen. Besorgnis sprach aus ihm, er versuchte jedoch sich nichts anmerken zu lassen.
„Peter? Wo sind die anderen?" Es tat mir regelrecht in der Seele weh, auch nur daran zu denken, dass sie in die Klauen des Werwolfs geraten könnten. „Sind sie in Sicherheit?" Hustend klammerte ich mich an ihn. Aber statt mir zu antworten, sah er mich nur mitleidig an, bevor er das Tempo erhöhte und ich endlich verstand, was unser Ziel war.
Hagrids Hütte.
Ein sicherer Hafen umgeben von den gefahren des Verbotenen Waldes.
Ich fiel die wenigen Stufen zur Tür hinauf, während Peter panisch und bestimmt mit seiner Faust gegen das Holz hämmerte. Als ihm die Reaktion nicht schnell genug folgte, richtete er seinen Zauberstab auf die Tür, nuschelte „Alohomora" und zog mich am Arm mit sich in die Hütte.
Schluchzend brach ich auf dem Boden zusammen. Der Schein des Feuers im Kamin brachte mir nicht nur ein Gefühl von Sicherheit, sondern ließ auch alle verdrängten Gefühle in mir hochschäumen.
Angst. Schmerz. Panik. Verzweiflung.
Alles brach zeitgleich über mich herein und riss mich in die tiefen Abgründe dieses Abends.
„Bei Merlins Bart, was ist denn mit euch geschehen?!" Hagrids raue Worte holten mich in den Moment zurück. Ich sah gerade noch wie er eine Armbrust hinter dem Kaminsims verstaute und dann auf mich zu eilte. „Zeig mal her", er deutete auf den Saumen meiner blutdurchtränkten Hose.
„Werwolf", brachte ich keuchend hervor und ein Zittern nahm von mir besitz.
„Ich muss da wieder raus!"
Fassungslos sah ich zu Peter auf, der gebannt aus dem Fenster starrte. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest ballte er die Hände zu Fäusten.
„Das lässt du schön bleiben Junge! Los, hol mir einen nassen Lappen, damit ich ihre Wunden versorgen kann." Hagrids große warme Hand legte sich behutsam unter mein Kinn, während er die Verletzung an meiner Stirn versorgte.
Mein Blick blieb dabei auf Peter gerichtet und ich sah den Kampf den er mit sich selbst austrug. Er tigerte wie ein Tier im Käfig zwischen Fenster und Tür hin und her, bis er abrupt innehielt. Leider realisierte ich seinen Entschluss erst ein paar entscheidende Sekunden zu spät, um ihn aufzuhalten.
„Nein!", schrie ich ihm heiser nach und sah hilflos dabei zu, wie er die Tür aufriss und die Schatten der Nacht ihn verschlangen. Das letzte was ich wahrnahm, bevor die Tür ins Schloss fiel, waren die grauenvollen Schreie der kämpfenden Tiere.
Nächstes Kapitel gehts dann wieder aus James Sicht weiter. Hoffen wir, die Freunde richten sich gegenseitig nicht allzu übel her...
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