Kapitel 32
Als wir unseren kleinen Ford in unserer - mit Potters Anwesen vergleichsweise winzigen - Auffahrt parkten, schwärmte meine Mutter noch immer von den beiden Rumtreibern.
Wenn sie zwanzig Jahre jünger gewesen wäre, würde Sirius meinem Vater glatt Konkurrenz machen, so wie meine Mutter über ihn redete.
Belustigt und leicht verstört von diesem absurden Gedanken öffnete ich kopfschüttelnd die Autotür. Mum war gerade in eine Schwärmerei über die wundervollen Blumen vor Potter Manor vertieft, als ich ächzend meinen braunen Koffer, mit dem Hogwartswappen darauf, aus dem Kofferraum hievte.
„Kein Thema, ich brauch keine Hilfe", rief ich ihr sarkastisch hinterher, als sie fröhlich plappernd die Haustür aufschloss.
Etwas ungeschickt bugsierte ich den Koffer nur haarscharf an einigen von Mums heiligen Hortensien vorbei und stellte ihn schließlich neben der Treppe zum ersten Stock ab.
Schon an der Schwelle zur Küche schlug mir ein köstlicher Geruch entgegen, welcher mir das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Ich entdeckte Mum um den Esstisch herumwuseln, während ich Dad an der Herdplatte ausmachte, wo er energisch etwas Gemüse schnippelte.
Kein unbedingt gutes Zeichen.
Für mich war er schon immer der beste Koch der Welt gewesen und ich würde nicht mal das prunkvolle Hogwarts Essen, seinen weltbesten Eintöpfen vorziehen. Was mir jedoch ein flaues Gefühl im Magen verschaffte, war die Anspannung, mit welcher er in eben diesem Moment das Gemüse, mit einer schnellen Bewegung, von dem Schneidebrettchen in den Kochtopf schob.
Dad hatte seinen Ärger schon immer beim Kochen verarbeitet und gerade in diesem Augenblick schien ihn irgendetwas innerlich aufzufressen.
„Gleich gibt es Essen", trällerte Mum. Allerdings schien ihr der gleiche Gedanke durch den Kopf zu gehen, welcher mir beim Anblick meines Vaters durch den Kopf schoss. Überraschenderweise glättete sich Dads Stirn jedoch bei meinem Anblick in Sekunden schnelle und er setzte sein väterliches Grinsen auf, welches mir das unterschwellige Gefühl vermittelte die Welt sei wieder in Ordnung.
„Da ist ja mein kleines Mädchen", lachte er und schloss mich fest in seine Arme. Selbst jetzt war er noch um einiges größer als ich, irgendwie musste ich wohl die kleinen Gene meiner Großmutter geerbt haben. Das gute daran war jedoch, dass ich mich so bestens an sein Hemd schmiegen und die Umarmung in vollen Zügen genießen konnte.
Er roch nach Zwiebeln, Knoblauch und ich vermutete etwas Thymian, was ein Kitzeln in meiner Nase auslöste, sodass ich mich niesend von ihm lösen musste.
Sein vertrautes Lachen ließ mich ebenfalls kichern, während ich mich an ihm vorbei drängte, um eine Kostprobe seines Eintopfes zu probieren. Mit seinem stolzen Blick im Rücken, versuchte ich meine gelernten Kochkünste zur Schau zu stellen. Leider kam man in Hogwarts nicht selbst zum Kochen und somit hatte ich über die letzten Jahre nur in den Ferien mit meinem Vater zusammen meine Geschmackssinne erweitert.
Umso faszinierter war ich jedoch vom brauen von Zaubertränken. Es war schon fast, als würde mein Vater mir zuflüstern wie viel gemahlene Mehlwürmer und getrocknete Wurzeln ich noch hinzufügen musste, bis der Trank die perfekte Farbe angenommen hatte. Wenn man es genau bedachte, gab es zwischen diesen beiden Künsten keine allzu großen Unterschiede, nur das es wesentlich klüger war, keine Geschmacksprobe von einem Zaubertrank zu nehmen. Merlin weiß was dabei alles schief gehen könnte.
Von Dads Essen nahm ich jedoch gerne eine Geschmacksprobe, obwohl daraus meist eher fünf bis sechs wurden. Abschätzend fügte ich noch einige frische Basilikumblätter, von der kleinen Fensterbankpflanze, hinzu und nickte den Eintopf bestätigend ab.
Keine fünf Minuten später stocherte ich mit meinem Löffel appetitlos in meiner Schale herum.
Den freien Platz neben mir versuchte ich weitest Möglich aus meinem Bewusstsein zu verdrängen, scheiterte jedoch kläglich an diesem Versuch. Petunia war seit dem Streit mit Dad nicht mehr zuhause erschienen und ich hatte noch immer keinen Anhaltspunkt, weshalb die beiden überhaupt so aneinandergeraten waren. Für gewöhnlich lebten die beiden genügsam zusammen unter einem Dach und Mum war diejenige, welche sich über Tunias Eigenheiten aufregte.
Trotzdem hatte es sich Mum nicht nehmen lassen, Petunias üblichen Platz mit einzudecken, sodass dieser nun wie eine dunkle Wolke bedrückend über uns hing.
In Ermangelung eines besseren Gesprächsthemas sprach ich Mum auf James und Sirius an, in der Hoffnung ihren vorherigen Redeschwall wieder zurück ins Leben rufen zu können. Zu meiner Erleichterung funkelten ihre Augen wirklich etwas auf und sie berichtete Dad von Sirius unbändiger Begeisterung für Autos, was meinem Vater wiederum ein spitzbübisches Grinsen entlockte. Er strahlte so sehr, dass sich seine verärgerten Falten nun gänzlich glätteten.
„Wenn der Junge mir im Gegenzug dieses Besenflug-Sport-Ding erklärt", er grübelte kurz, „Wie heißt das nochmal, Lily?"
Belustig zog ich eine Augenbraue hoch. Dad war schon immer begeistert von der Idee, eine Sportart in der Luft auszuüben. Ich hatte mir schon vor Jahren vorgenommen ihn mal zu einem Spiel der Tutshill Tornados mitzunehmen, nur hatte es sich bis jetzt nie ergeben. Vielleicht würde ich es ja in naher Zukunft schaffen zwei Tickets für uns zu organisieren.
„Quidditch", half ich ihm auf die Sprünge und er klatschte sich begeistert in die Hände, fast als wolle er aufspringen, sich den nächstbesten Besen schnappen, um dann damit hinaus in den Garten zu rennen. Die Nachbarn würden vermutlich denken er habe den Verstand verloren.
„Quidditch! Genau! Was für ulkige Wörter ihr doch benutzt. Also wenn dein Schulfreund mir darüber mehr erzählen würde, dann würde ich unser Auto höchstpersönlich mit ihm auseinandernehmen, um ihm jedes einzelne Teil näherzubringen."
Es klang abwegig, aber die Art wie er es sagte wirkte, als meine er jedes seiner Worte todernst.
Mum schien dies auch bemerkt zu haben und räusperte sich kritisch. „Ich warne dich, Thomas, wenn ich eines Morgens unser Auto in tausend Einzelteilen vorfinde, dann wird dir aber hören und sehen vergehen!"
Dad verschluckte sich hustend an seinem Eintopf und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.
„Mach dir keine Sorgen, Mum, ich bin ja jetzt volljährig und kann das Auto im null Komma nix wieder zusammensetzen. Es gibt so einige sehr nützliche Zaubersprüche für den Alltag", versuchte ich Dad aus der patsche zu helfen.
„Als ein Alltagsproblem würde ich ein zerlegtes Auto nicht bezeichnen", erwiderte sie mit ernster Miene, welche sie jedoch nicht lange aufrechterhalten konnte.
Es war das erste Mal, dass ich wirklich locker mit meinen Eltern über die Zauberei scherzte oder überhaupt redete. Meist brachte Petunia etwas Reserviertheit bezüglich dieses Themas unter unser Dach, aber nun zauberte ich dass aller erste Mal vor den ungläubigen Augen meiner Eltern und ich genoss es in vollen Zügen.
Mit einem Schwenk meines Zauberstabs, ließ ich das dreckige Geschirr zum Spülbecken schweben, wo es sich fein artig selbst reinigte. Der fliegende Schwamm tauchte sich in das seifige Spülwasser und schrubbte gründlich über die Teller, bis sie schließlich hinter ihrer zugewiesenen Schranktür verschwanden. Meine Mutter war hin und weg. Ungläubig ging sie in die Küche, um das nun saubere Geschirr zu inspizieren, fast als könne sie nicht glauben, was soeben geschehen war.
Dad schien nicht weniger begeistert, wobei ihn ein von alleine zusammengesetztes Auto wohl mehr beeindruckt hätte.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl zuhause zu zaubern. Fast als würde ich die Magie noch einmal mit anderen Augen sehen. Selbst der banalste Zauber brachte plötzlich meine Finger zum kribbeln und als ich meinen Koffer neben mir her in mein Zimmer schweben ließ, fragte ich mich, wie ich es je anders zuhause ausgehalten hatte.
In meinem Zimmer angekommen ließ ich mein Gepäck in einer Ecke nieder und warf mich beflügelt von Freiheit auf mein Bett. Vielleicht war es ja wirklich an der Zeit meine Eltern etwas mehr in mein Hexenleben mit einzubeziehen. Vielleicht war es an der Zeit aufzuhören, mich hinter meinem früheren Ich zu verstecken, nur damit ich nicht zu sehr mit Petunia aneinander geriet.
Ein lautes Poltern und Stimmen ließen mich aus meiner wohligen Zufriedenheit hochschrecken. Ich schnappte mir eine dünne Strickjacke aus meinem Kleiderschrank und eilte die Treppe herunter.
Auf halber Strecke prallte ich mit meiner Schwester zusammen. Torkelnd versuchte ich das Gleichgewicht zurückzuerlangen, um nicht zu fallen. Wahrscheinlich zappelte ich dabei wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber das war mir immer noch lieber, als ein Sturzflug bis zum Treppenende.
„Oh nein! Petunia, ich warne dich!", hörte ich die autoritäre Stimme meines Vaters. Augenblicklich verkrampfte sich jeder Muskel in mir. So bestimmt hatte ich ihn noch nie erlebt. Der Streit zwischen den beiden musste wirklich schlimm gewesen sein. Als Dad am unteren ende der Treppe erschien, schubste Tunia mich beiseite.
„Aus dem Weg, du Freak!"
Der kleine Hoffnungsschimmer, dass wir uns nach unserem Gespräch im St. Mungos vielleicht besser verstehen würden, erlosch und die übliche Mauer aus Stein baute sich schützend um mein Herz auf. Fluchtartig stürmte sie die Treppe empor und ich entdeckte Mum, die mich verzweifelt musterte, als hoffe sie darauf ich könne die Situation entschärfen.
Ich war mir selbst nicht sicher woher ich die Kraft nahm, mich in die Höhle des Biest zu wagen, allerdings fand ich mich wenige Sekunden später, wie der tapfere Gryffindor der ich zu sein versuchte, im Zimmer meiner großen Schwester wieder.
Zunächst nahm ich an, sie würde im verzweifelten Versuch Wut abzubauen, in ihrem Zimmer auf und ab rennen, dann realisierte ich allerdings was sie da wirklich tat. Sie packte.
Sie warf allerlei Klamotten und Gegenstände in zwei Koffer und würdigte mich währenddessen keines einzigen Blickes.
„Tunia? Was ist passiert?", versuchte ich auf Tuchfühlung zu gehen, erntete jedoch nur einen Schwall giftiger Worte.
„Was interessiert dich das?! Und wenn wir schon mal dabei sind, du bist noch keinen Tag wieder zuhause und schon lauert dein freakiger Freund vor unserem Haus herum. Such dir ein vernünftiges Leben, Lily! Dieser Snape Junge bringt nichts als ärger!"
Zusätzlich zu der Mauer aus Stein gesellte sich jetzt noch eine Schicht aus Eis. Severus war vor unserm Haus? Hatte er denn immer noch nicht verstanden, dass er mich in ruhe lassen sollte?
In der Hoffnung Petunia auf diesem Weg entgegen zu kommen und die Situation etwas aufzulockern, stürmte ich die Treppe hinunter, an meinen Eltern vorbei, hinaus in den mittlerweile dämmernden Sommerabend.
Das Erste was meine Aufmerksamkeit erregte war Vernon Dursleys Auto, welches vor unserem Haus parkte. Hinter dem Steuer sah mir das aufgequollene schnauzbärtige Gesicht des Freundes meiner Schwester entgegen, sichtlich verblüfft mich hier anzutreffen.
Der hatte mir gerade noch gefehlt!
„Petunia möchte nicht, dass ich reinkomme", blaffte er mir entgegen, nachdem er sein Fenster heruntergekurbelt hatte. „Sie will das alles möglichst schnell hinter sich bringen", fügte er hinzu, als ich keine Anstalten machte ihm zu antworten.
Was denn hinter sich bringen?
Von zuhause abhauen?
Wegen diesem Walross von Person?
Um ein Problem nach dem anderen anzugehen, hielt ich weiter Ausschau nach Severus und tatsächlich entdeckte ich seinen dunklen Haarschopf einige Häuser entfernt auf der anderen Straßenseite. Von feuriger Wut getrieben rannte ich zu ihm herüber und funkelte ihn mit schäumenden Zorn an.
„Was hast du hier zu suchen?! Habe ich mich nicht klar ausgedrückt, dass du dich von mir fernhalten sollst?! Wenn nicht, dann hoffe ich, dass ich es hiermit verständlich gemacht habe! Halte dich von mir und meiner Familie fern! Du bringst nichts als Ärger! Wegen deiner kleinen spontanen Besuchsaktion ist Petunia noch mehr aufgebracht, als ohnehin schon!"
Die Worte sprudelten wie brennendes Öl über meine Lippen und hinterließen einen bitteren Geschmack.
Ich sah das er mir etwas sagen wollte.
Ich bemerkte wie sich seine Augen langsam hinter dunklem Nebel verbargen und dann drehte er sich wortlos um und ging.
Meine Wut verpuffte und hinterließ eisige Leere. Er hatte mir etwas wichtiges sagen wollen und irgendetwas an seinem Blick ließ mir den Atem im Hals gefrieren.
Wäre Petunia nicht in diesem Moment aus dem Haus gestürmt, mit meinen Eltern im Schlepptau, welche wild auf sie einredeten, wäre ich ihm wohl nachgelaufen.
So verdrängte ich das ungute Gefühl und eilte zurück zu meiner Familie. 'Ein Problem nach dem anderen', wiederholte ich wie ein Mantra in meinem Kopf.
„Petunia, Bitte!", flehte Mum, sie wirkte unruhig, wollte jedoch keine Szene machen. Dad hingegen brodelte innerlich und ließ dieser Wut über seine Worte ablas.
„Wenn du es auch nur wagen solltest einen Fuß in dieses Auto zu setzen, dann brauchst du in nächster Zeit nicht wieder hier aufkreuzen!"
Dads Worte trafen mich hart, obwohl sie nicht an mich gerichtet waren. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Mum standen die Tränen in den Augen und sie versuchte Petunia am Handgelenk zu sich zurückzuziehen. Sie wollte uns alle nur in den Arm nehmen und uns dazu bringen lieb zueinander zu sein. So wie es noch funktioniert hatte, bevor ich den alles verändernden Brief bekam.
„Petunia beruhig dich", versuchte ich zu intervenieren. „Wir bekommen das schon alles wieder hin. Komm mit rein und wir bereden das alles ganz in Ruhe."
Ich hatte zwar gehofft, dass meinen Worten eine ruhige Reaktion folgte, jedoch hatte ich nicht mit dieser erdrückenden Stille gerechnet. Ein Klos bildete sich in meinem Hals und das Schlucken fiel mir schwer, als ich alle anwesenden Blicke auf mir spürte.
„Schätzchen, komm wir gehen rein", hauchte meine Mutter mir entgegen, doch ich schüttelte nur abwehrend den Kopf. Verständnislos sah ich zwischen meinem Vater und Petunia hin und her, woraufhin sich Dads Gesichtszüge etwas glätteten, bis er mich fast mitleidig ansah.
„Dad, was ist hier los? Warum bist du so wütend auf Tunia?"
Und als ich schließlich meine Antwort erhielt, kam diese nicht von meinem Vater, sondern von meiner Schwester. Der großen Schwester, die bis zu meinem zehnten Lebensjahr meine beste Freundin gewesen war. Und ihre Worte rissen all die Schutzmauern in meinem Inneren in Grund und Boden, sodass mein Herz langsam zu bluten begann.
Und so schnell würde es damit wohl auch nicht mehr aufhören.
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