73
Gerade noch rechtzeitig, so dass ich noch Zeit habe, mir etwas bequemeres anzuziehen und den Rechner zu starten kehre ich ins Hotel zurück.
Gespannt wie ein Flitzebogen starre ich auf den Monitor und warte darauf, dass sich dieses verdammte Fenster endlich öffnet und mir den Inhalt des USB Sticks präsentiert. Und endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit tut sich etwas.
Es gibt genau drei Dateien.
Die erste ist mit 24. Dezember betitelt und ist wohl demnach für heute gedacht. Die Zweite, wie sollte es anders sein, heißt da 25. Dezember und oh Wunder, Datei drei heißt doch tatsächlich 26. Dezember.
Schmunzelnd über diese zwar durchaus zweckmäßige, aber leicht fantasielose Bezeichnung klicke ich auf die Nachricht, die er für heute für mich vorgesehen hat und falle fast aus allen Wolken, als seine beruhigende, tiefe Stimme an mein Ohr dringt und mich verzückt aufseufzend lässt.
Hey meine Süße,
klingt seine Stimme weich an mein Ohr und ich kann förmlich das sanfte Lächeln sehen, dass auf seinen Lippen gelegen haben muss, als er die Nachricht aufgenommen hat.
Glücklich lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und lausche gespannt.
Heute ist der erste Tag und du hast ihn mit Sicherheit meisterhaft bewältigt. Ich bin stolz auf dich!
Lobt er mich liebevoll
Doch weil heute der erste Tag ist, habe ich eine kleine Bitte an dich, der du morgen sicher ganz ohne einen Hinweis nachkommen wirst.
Na, jetzt bin ich aber neugierig, worum er mich bitten wird.
Bitte, wenn du jetzt deinen Laptop mit ins Schlafzimmer nehmen würdest und dich ins Bett legen würdest, wäre ich dir sehr dankbar. Ich gehe einfach mal davon aus, dass du dich im Hotel befindest und nicht bei deinen Freunden...
Stirnrunzelnd starre ich auf den Rechner und warte, das er weiterspricht, doch das tut er erst nach einigen Sekunden, doch das was er sagt, bringt mich zum schmunzeln.
Worauf wartest du! Los! Ins Bett mit dir!
knurrt es aus den Lautsprechern, weshalb ich dann doch seinen Anweisungen folge. Allerdings grinse ich dabei übers ganze Gesicht. Er kennt mich einfach zu gut...
Ich habe mich kaum hingelegt und den Rechner auf den Nachttisch gestellt, als seine, jetzt wieder sehr sanfte und liebevolle Stimme an mein Ohr dringt.
War doch gar nicht so schwer. Oder? Und jetzt schließ die Augen.
Sagt er sanft, bevor er fragend hinzufügt.
Das Licht ist doch aus? Gut. Ich weiß, dass du vorhin sicher Böse auf mich warst, als du mein Geschenk geöffnet hast, doch ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Wenn nicht, darfst du mir jeder Zeit den Kopf abreißen, wenn wir uns wiedersehen.
Doch jetzt möchte ich dir sagen, wie sehr ich deine Stimme vermisse. Schon seit über 28 Stunden habe ich sie nicht gehört und es werden weitere 36 Stunden vergehen, bis du wieder bei mir bist.
Vielleicht hätte ich dich vorwarnen sollen, doch ich wollte nicht, dass du noch trauriger wirst, wenn ich dir sage, dass mein Vater keine Handys in seinem Haus duldet.
Deshalb kann ich dich nicht anrufen, oder dir schreiben. Bitte versuch du es auch nicht, denn da versteht mein Dad keinen Spaß.
Ach herrje! Was sind denn das für Zustände? Kein Handy im Haus? Keinen Spaß verstehen? Verdammt! Hätte er mir doch nur früher was gesagt, dann hätte ich ihn doch gar nicht versucht anzurufen, aber dafür ist es jetzt zu spät. Der Arme.
Ich vertraue auf dich und deine Stärke. Möge der Wunsch auch noch so groß sein. Doch damit dir das Warten nicht zu schwer fällt und du mich nicht zu sehr vermisst, habe ich dir diese Nachrichten hinterlassen, die du dir immer wieder anhören kannst, sollte deine Sehnsucht nach mir überhand nehmen.
Mein Schatz, wenn du wüsstest, wie sehr du mir fehlst. Schon jetzt! Und dabei liegst du Seelig schlummernd in unserem Bett. Nur ein Zimmer weiter. Dein Haar breitet sich verführerisch über dein Kissen aus und du weißt nicht, wie gern ich jetzt meine Nase darin vergraben würde um deinen verführerischen Duft einzuatmen.
Wusstest du, dass du nach Pfirsichen riechst? Nach Zitronen und Honig? Lieblich süß und einfach unwiderstehlich. Vielleicht wusstest du das nicht, aber ich weiß es und das ist das wichtigste.
Vermutlich breiten sich auch jetzt deine Haare über dein Kissen aus und wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich dich ganz deutlich vor mir. Mit geschlossenen Augen. Wie du meinen Worten lauschst und dir wünscht ich wäre bei dir. So wie ich mir wünschte du wärest bei mir.
Ohne dich werden die Nächte einsam und kalt sein, wie in den Tagen, als du noch nicht bei mir warst und so sehne ich die Nacht herbei, in der du wieder neben mir liegen wirst.
Wusstest du, dass ich tausend mal besser schlafe, wenn du da bist? Wenn ich deinen Atem höre, wie er leise über deine Lippen streicht, wenn ich deinen Herzschlag an meiner Seite fühle und die Wärme deines Körpers an meinem. Dann ist für mich die Welt in Ordnung, dann bin ich glücklich.
Vielleicht wusstest du das nicht, aber ich weiß es und das ist das wichtigste.
Ich bin die Dunkelheit und du das Licht.
Wenn ich mich in der Schwärze meiner Seele verirre bist du da und hilfst mir auf den rechten Pfad zurück. Ohne Kompass findest du den Weg zu mir, auch wenn dieser im Tiefsten Winkel meiner Seele endet. So fürchtest du dich nicht davor ihn zu beschreiten nur um mir die Hand zu reichen und mein Inneres mit deinem Licht zu erhellen, auf dass meine schwarze Seele von der Reinheit und dem strahlenden Weiß der deinen erhellt werde.
Ich bin sicher, du wusstest das nicht, aber ich weiß es und das ist das Wichtigste.
Du bist mein Engel. Für dich will ich stark sein, will ich stark bleiben, auch wenn es mir in den nächsten Tagen sehr schwer fallen wird, nicht in der Dunkelheit zu ertrinken. Doch ich hoffe, das ich dein Licht in mir bewahren kann, bis zu der Stunde in der wir uns wieder gegenüber stehen.
Es ist jetzt eine Stunde weniger als vorhin, worüber ich mehr als froh bin.
Und somit sind es nur noch zwei Tage die du ohne mich überstehen musst, doch noch warten zwei weitere Nachrichten auf dich, die dir das Warten erleichtern werde. Die Nächste ist für morgen Abend, wenn du von deinem Vater wiederkommst. Wie heute Abend auch werde ich zur selben Stunde an dich denken.
Doch jetzt schlaf gut mein Herz.
Wir sehen und bald wieder.
Seufzend atme ich auf und wische mir eine einzelne Träne von der Wange, die sich vor Rührung aus meinem Auge geschlichen hat und fast bin ich versucht mir auch seine beiden anderen Nachrichten anzuhören, doch stattdessen starte ich sein Geschenk für heute einfach noch mal und lausche seiner beruhigenden Stimme, die mich sanft in den Schlaf begleitet, mich aber auch ein klein wenig bekümmert, weil ich ihm nichts zurückgeben kann.
Am nächsten Morgen schlafe ich recht lange und werde vom Zimmerservice geweckt, der mir erneut das Essen ins Zimmer bringt.
Nach dem Frühstück mache ich mich fertig, gehe Duschen, ziehe mich schick an und mache mich dann mit dem Geschenk für meinen Dad auf den Weg zu unserem Haus.
Doch das recht große Anwesen ist lange nicht so liebevoll geschmückt, wie das Elternhaus von Mila, aber sie hat ja auch nicht so einen Drachen zur Stiefmutter wie ich und mein Vater scheint sich, was weihnachtliche Dekoration anbelangt, nicht bei ihr durchsetzten zu können.
Na ja. Eigentlich kann er sich mit gar nichts bei ihr durchsetzten, es sei denn, es ist ihm wirklich wichtig.
Doch da mein Dad ein sehr genügsamer Mensch, mit wenig Wünschen oder Abneigungen ist, lässt er ihr meistens freie Hand.
Bis auf das eine Mal, als es darum ging, den Lieblingsbaum meiner Mutter zu fällen.
Denn der steht noch immer an seinem angestammten Platz, sehr zum Leidwesen meiner Stiefmutter.
Doch ich liebe diesen Baum ebenso sehr, wie meine Mutter es getan hat und es hängen viele schöne Erinnerungen an sie, in seinen Zweigen. An seinem Stamm und den Blättern, sobald sie im Sommer wieder an den Ästen Hängen.
Doch auch die dichte Schneedecke, die ihn derzeit in ein verwunschenes Gebilde verwandelt liegt voller schöner Momente.
Ich weiß noch genau, wie wir im Winter im Schnee Schneeengel gemacht haben, oder Schneemänner gebaut, oder wie wir im Sommer unter diesem Baum lagen.
Auf einer Decke haben wir in den Himmel geschaut und den Wolken zugesehen, wie sie über unsere Köpfe hin wegzogen. Oder ich habe auf der Schaukel gesessen und bin in den Himmel geflogen, dorthin, wo sie jetzt auf mich wartete.
Heute ist die Schaukel fort doch noch immer trägt der Baum die Narben, die die Seile dort hinterlassen haben, so wie ich die Narben in meinem Herzen trage, die ihr Verlust in mir zurückgelassen hat.
In Erinnerungen versunken gehe ich über die schneebedeckte Wiese zu ihm hinüber und lege meine Hand auf seine raue Rinde.
"Du fehlst mir Mum." flüstere ich ihm zu und kann nur mit Mühe die Tränen unterdrücken, die mich zu überkommen drohen.
Jedes Jahr zu Weihnachten haben sie und ich den Baum geschmückt, doch seit dem sie nicht mehr da ist, hat Olivia es verboten.
"Das ist doch kein Weihnachtsbaum!" keifte sie ein ums andere Mal, wenn ich es trotzdem getan hatte und machte meine mühevolle Arbeit zu Nichte.
Auch heute habe ich ein wenig Schmuck mitgebracht, den ich verstohlen an einem der Äste befestige.
"Frohe Weihnachten Mum." wünsche ich ihr und nun rollt mir doch eine Träne über die Wange, bevor ich erschreckt zusammenzucke, als ich hinter mir eine Stimme vernehme.
"Ich wünsch dir auch frohe Weihnachten Kleines."
Langsamen Schrittes kommt mein Vater auf mich zu, nimmt mich liebevoll in den Arm und trocknet meine Tränen, bevor er eine einzelne Christbaumkugel hervorholt und sie neben meine hängt.
"Sie fehlt mir." sage ich erstickt und schluchze leise, aber mit einem liebevollen Lächeln auf, als er sich mir wieder zuwendet.
"Ja, mir fehlt sie auch." sagt er betrübt, doch dann erwidert er mein Lächeln "Sie war eine wundervolle Frau. Genau wie du Schatz."
"Ach Dad." tadele ich verlegen, bevor ich ihn in den Arm nehme und ihm Frohe Weihnachten Wünsche.
Schweigend stehen wir noch eine Weile da und lauschen der Stille um uns herum, die nur hin und wieder von einem vorbeifahrenden Auto, oder frühen Spaziergängern durchbrochen wird.
Seit dem meine Mum gestorben ist, haben wir diese Tradition eingeführt, was mir persönlich sehr viel bedeutet und bisher haben wir nicht ein Jahr ausfallen lassen.
Doch um so länger wir hier stehen, desto kälter wird mir. Immerhin haben wir Dezember. Es liegt Schnee und wir haben winterliche Minusgrade.
Und so lasse ich mich von meinem Dad zum Haus führen, doch bevor er die Tür öffnet nimmt er mich noch einmal liebevoll in den Arm, drückt mich sanft an sich und flüstert mir leise "Ich hab dich lieb Kleines ins Ohr."
"Ich dich auch Dad." erwidere ich ebenso leise und folge ihm dann in die zwar weihnachtlich geschmückte... aber es bleibt eine ...Hölle, die kaum dass sich die Tür hinter mir schließt von der kreischenden Stimme meiner Stiefmutter erfüllt wird.
"Wird auch langsam Zeit das du kommst Emely!" keift sie mir entgegen. Kein Frohe Weihnachten, kein...schön das du da bist...kein guten Tag. Nichts herzliches nur Kälte schlägt mir von ihr entgegen, die mich wünschen lässt diesen Ort so schnell es geht wieder zu verlassen.
Entschuldigend lächelt mich mein Vater an, bevor er mir voran in den Speisesaal geht, wo bereits Philippa mit einigen ihrer Onkel und Tanten sitzen, so wie ein Mann, den ich bisher noch nicht kennen gelernt habe.
Er entpuppt sich als Philippa's Freund, was mich zwar erstaunt, aber aufgrund ihres äußeren nicht gänzlich abwegig ist und so gratuliere ich ihm innerlich für sein schlechtes Gehör, denn den Müll, den sie von sich gibt und ihre Stimme, die für mich wie eine kreischende Säge klingt, hielt ich bisher kaum aus.
Sebastian, wie er heißt scheint mir ein sehr zurückhalteder Mensch zu sein, der ihrer arroganten Art nicht viel entgegen zusetzten hat, doch als sie ihn zum dritten Mal losschicken will, um irgendeinen Müll zu erledigen lehnt er höflich ab. Und wie durch ein Wunder wiederspricht Philippa nicht einmal, sondern erhebt sich selbst.
Staunend sehe ich ihr hinterher, dann mustere ich meinen gegenüber eingehender. Er muss irgendetwas haben, dass mir entgangen ist, von seinem "schlechten" Gehör mal ganz abgesehen, aber wenn er Philippa so leicht kontrollieren kann, muss mehr an ihn dran sein, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.
Doch so sehr ich die beiden am Abend auch beobachte, mir fällt nichts auf, das ihr verhalten ihm gegenüber erklären würde.
Und er scheint auch nicht dumm zu sein. Er ist zwar recht Still, doch wenn er den Mund auf macht, sind seine Worte erfrischend und bringen mich oft zum Schmunzeln, was auch ganz gut ist, denn ansonsten habe ich an diesem Abend nur wenig zu lachen.
Immer wieder scheucht Olivia mich, wie auch die Angestellten, durchs Haus. Mal soll ich frische Gläser aus der Küche holen, dann den Kaffee nachschenken, mit abdecken oder fürs Abendessen aufdecken, bis sie mich vor aller Ohren versucht bloß zustellen, als sie meint mir vorhalten zu müssen, dass ich ja so schrecklich währe, dass es niemand mit mir aushalten könnte.
"Ach!" seufzt sie theatralisch "Alexander war so ein netter junger Mann. Das der es nicht lange mit dir aushält, das war klar."
"Was soll das denn heißen? Nicht mit mir aushalten?" frage ich empört, versuche meine Stimme aber nicht zu heben und somit freundlich zu bleiben.
"Na." sagt sie spitz "Ich sehe ihn jedenfalls nicht? Du etwa Schatz?" wendet sie sich an Philippa, die mich mit ihrer Antwort regelrecht überrascht.
"Mutter! Sicher hat es seine Gründe, warum Alexander nicht kommen konnte. Nicht wahr Emely." sagt sie durchaus einfühlsam und sie sieht auch nicht so aus, als würde sie mich aufziehen, aber wer weiß, vielleicht irre ich mich da ja auch.
Aber da Weihnachten ist werde ich mal daran glauben, dass auch in ihr irgendwo ein Funken Anstand steckt und so stimme ich ihr höflich zu und schenke ihr ein durchaus ernstgemeintes Lächeln.
"Ja. Leider hatte er andere Verpflichtungen, aber ich soll euch ganz herzlich von ihm Grüßen." richte ich seine Wünsche aus, die Philippa mit einen erfreuten lächeln entgegennimmt, Olivia aber skeptisch die Stirn runzeln lässt.
"Phhhf!" stößt sie spitz aus "Das kann ja jeder sagen." bezichtigt sie mich der Lüge, was ich mal gekonnt ignoriere, mich stattdessen aber an Philippa wende, die mir durchaus wohlgesonnen scheint.
"Natürlich grüße ich ihn von dir." bestätige ich ihre Bitte, die in Olivias verstimmten Krächzen beinahe untergeht.
Bevor ihr meine Halskette ins Auge fällt, die sie verstummen lässt. Doch dann wirft sie mir vor alle Täuschen zu wollen.
"Das du so tief sinken würdest, Emely, das hätte ich nicht von dir gedacht!" sagt sie gespielt enttäuscht. "Dir selbst eine Kette zu kaufen und sie dann als sein Geschenk auszugeben, dass geht nun doch eindeutig zu weit." sagt sie tadelnd und schüttelt mit gespitzen Lippen missbilligend den Kopf. "Wenn das deine Mutter wüsste! Sie würde sich im Grabe umdrehen!" versetzt sie mir einen Hieb unter die Gürtellinie, der meinen Puls in die Höhe schnellen lässt.
"Lass meine Mutter da raus!" fahre ich sie erregt an und schleudere dunkle Blicke auf sie, doch eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass sie versucht mich zu reizen. Es ist doch jedes Jahr das gleiche. Nur dieses Jahr fällt es mir ganz besonders schwer ihre Sticheleien zu ertragen, weil mir Alexander so sehr fehlt. Und sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht hat um mich zu ärgern.
Beherrscht atme ich auf, dann entschuldige ich mich, ihre Schmähungen ignorierend, bei Philippa und Sebastian, um mich aufs Klo zurückzuziehen, wo ich erst einmal die Augen schließe und mich zu sammeln versuche.
Es sind nur noch ein paar Stunden, bis ich mir die Zweite Datei auf meinem Stick anhören kann, rufe ich mir ins Gedächtnis, was mich meine schlechte Stimmung ein wenig vergessen lässt und ein verliebtes Lächeln auf meine Lippen legt.
Und schon morgen Abend werde ich wieder in seinen Armen liegen, auch wenn mein Flug schon mittags geht, seiner hingegen erst am Abend.
Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass ich die Trennung bald überstanden habe.
Himmel! Wer hätte gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, ihn nicht zu sehen. Nicht mit ihm zu reden, ihm nicht zu schreiben.
Ich auf jeden Fall nicht.
Emotional gestärkt verlasse ich die Toilette und laufe prompt Philippa und Bastian in die Arme, die Hand in Hand den Flur entlang kommen.
Philippa sieht wirklich glücklich aus und auch Sebastian lächelt sie liebevoll an, wobei ich ihn nicht so gut kenne, als das ich sagen könnte, ob sein Blick vielleicht nicht immer so verträumt ist.
"Tut mir leid Emely." entschuldigt sich Philippa bei mir. "Mutter ist mal wieder etwas zu weit gegangen."
Erstaunt schaue ich sie an, zumal sie normalerweise dort weiter gemacht hätte, wo der Drachen aufgehört hat, doch irgendwie scheint sie verändert zu sein.
"Ähm...ja danke." sage ich verwirrt, dann sehe ich sie stirnrunzelnd an. Ich hab keine Ahnung, worüber ich mit ihr reden soll. Wir haben noch nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt. Zumal wir uns nicht ausstehen können.
"Eine schöne Kette ist das. Darf ich sie mir mal ansehen?" fragt sie freundlich und deutet auf das Schmuckstück an meinem Hals.
"Ja, sicher." stimme ich ihr unbehaglich zu, doch sie nimmt den Schlüssel nur vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und wendet ihn hin und her.
"Wirklich hübsch." sagt sie lächelnd und tritt von mir zurück. "Sind das echte Diamanten?"
"Ich weiß nicht." gebe ich zu "Aber ich nehme es mal an." ich kann mir nicht vorstellen, das Alexander bei so etwas knauserig ist.
Doch um ehrlich zu sein, habe ich mir darüber bis jetzt auch keine Gedanken gemacht. Mir ist es egal, ob die Steine Echt sind oder nicht. Die Bedeutung, die der Schlüssel für mich hat ist mir tausendmal wichtiger. Selbst wenn die Steine aus Glas wären fände ich den Anhänger noch immer wunderschön.
"Lass dich von Mutter nicht ärgern Emely. Ich freu mich für dich." sagt sie liebenswürdig und nimmt mich doch tatsächlich in den Arm.
Vollkommen perplex stehe ich da, doch bevor sie mich loslässt schaffe ich es doch tatsächlich ihre Umarmung zu erwidern.
"Bis später Emely. Bastian muss gleich los und ich möchte mich noch in Ruhe von ihm verabschieden." erklärt sie mir, nachdem sie mich losgelassen hat und schiebt ihre Hand in seine.
"Oh! Okay. Dann sage ich auch mal Tschüss, Sebastian. Es war wirklich nett dich kennen zu lernen." verabschiede ich mich von ihrem Freund und reiche ihm die Hand.
"Ich fand es auch nett, Emely. Und nächstes Mal lerne ich ja vielleicht auch deinen Freund kennen." sagt er höflich bevor er mit Philippa Richtung Ausgang davon schlendert.
Mit gemischten Gefühlen kehre ich in den Salon zurück und setzte mich zu meinem Vater. Unterhalte mich mit ihm und erzähle ihm von Alexanders Weihnachtsgeschenk, was ihn große Augen machen lässt.
"Ja, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll." verlegen senke ich den Kopf und spiele an dem Anhänger herum. "Es ist eine Bruchbude." stoße ich schmunzelnd aus.
"Ach Schatz." sagt mein Vater liebevoll. "Auch dieses Haus war eine Bruchbude, bevor deine Mutter es renoviert hat und jetzt sieh es dir an. Es ist wunderschön. Und überall sind Erinnerungen an sie. Denk nur an das Fenster oben im Dachgeschoss. Ich weiß noch, wie sie geflucht hat, weil irgendwas nicht so passte, wie sie es wollte, oder auch die Terrasse. Wusstest du, dass sie eigentlich weißen Marmor haben wollte?" Verneinend schüttel ich den Kopf und hänge an seinen Lippen. "Doch!" lacht er auf "aber als sie dann ein Muster da hatte, gefiel ihr die Farbe gar nicht. Na und jetzt. Ist sie dunkel." schmunzelnd lockert er ein wenig seine Krawatte, dann sieht er mich liebevoll an "Sicher möchte Alexander nur, dass du dem Haus deinen Stempel aufdrückst, so wie deine Mutter diesem Haus ihren Stempel aufgedrückt hat und mich somit immer wieder an sie erinnert." aufmuntern drückt er meinen Arm, doch ganz können mich seine Worte nicht überzeugen.
"Aber ich bin nicht wie Mum." widerspreche ich leise "Ich bin keine Architektin. Ich kenne mich mit Häusern nicht aus, weiß nicht worauf ich achten muss...ach Dad." seufzend lasse ich mich in die Kissen des Sofas sinken und vergrabe den Kopf in Händen.
"Nicht doch Kleines." tröstet mich mein Vater und legt begütigend eine Hand auf mein Knie. "Du hast mehr von deiner Mutter als dir klar ist. Warum sonst würde dich Alexander so sehr vergöttern."
"Dad!" tadele ich sanft. "Alexander vergöttert mich nicht. Er kann mich ganz gut leiden, so wie ich ihn. Aber mehr ist da nicht zwischen uns."
"Na, wenn du meinst. Du musst es ja wissen. Aber wenn ich etwas von deiner Mum gelernt habe, dann die Anzeichen zu erkennen, wenn junge Leute verliebt sind. Ich habe auch lange nicht wahrhaben wollen, dass ich sie Liebe und als ich es mir endlich eingestanden habe, war es beinahe zu spät. Warte nicht zu lange mein Schatz. Sei nicht so dumm wie ich." bittet er mich verträumt und streicht mir sanft über die Wange.
"Glaubst du, mir wäre nicht aufgefallen, wie du immer wieder zur Uhr schaust, wie du immer wieder an dem Anhänger herumspielst und vor dich hin träumst. Du liebst ihn Kleines. Und wenn du es bisher noch nicht getan hast, dann solltest du es ihm sagen."
"Meinst du?" frage ich unsicher und drehe nachdenklich den Schlüssel hin und her. "Und wenn er mich nicht liebt?" beinahe ängstlich bringe ich die Worte hervor, dabei traue ich der Einschätzung meines Vaters, was meine Gefühle anbelangt nicht über den Weg.
"Emely." sagt er sanft. "Sieh mich an." und das tue ich, als er mir die Hand an die Wange legt.
"Ich habe Alexander nur ein Mal getroffen, aber wenn ich nicht schon vollkommen senil bin, würde ich sagen, er hat dich schon damals geliebt, auch wenn ich weiß, das ihr mir nur etwas vorgespielt habt."
Erschreckt weiten sich meine Augen. Waren wir tatsächlich so durchschaubar?
"Und noch etwas will ich dir sagen. Wenn er dich nicht lieben würde, wäre er sehr dumm und den Eindruck hatte ich von ihm eigentlich nicht."
"Tut mir leid Dad." sage ich zerknirscht. "Das an deinem Geburtstag war nicht geplant. Er hat sich einfach als mein Freund vorgestellt und dann wollte ich dich nicht enttäuschen. Nur deshalb habe ich so getan, dass wir ein Paar sind, aber jetzt ist es anders. Ich wohne sogar bei ihm." sage ich verlegen und spüre, wie ich rot werde.
Irgendwie ist mir die ganze Sache ziemlich peinlich, auch wenn ich nicht weiß warum. Immerhin bin ich erwachsen und kann wohnen wo ich will. Doch es ist das erste Mal, dass ich mit einem Mann zusammen lebe.
Erfreut sieht er mich an, dann beginnt er zu schmunzeln "Das wurde aber auch mal Zeit. Ich bin froh, dass ich das noch erleben durfte." lächelt er fröhlich und strahlt übers ganze Gesicht, was mich zu Tränen rührt.
Wenigstens ihm konnte ich an diesem Tag eine Freude machen. Und Olivia wird spätestens dann glücklich sein, wenn sie mich wieder los ist.
Doch da es mittlerweile schon bedenklich spät geworden ist, werde ich ihr ihren Wunsch mal erfüllen.
"Ich hab dich lieb Dad." verabschiede ich mich bei ihm und schmiege mich in seine liebevollen Arme.
"Ich dich auch Kleines. Komm gut nach Hause und richte Alexander liebe Grüße aus." verlangt er lächelnd, dann steige ich in mein Taxi und lasse mich ins Hotel zurückbringen, wo ich so schnell ich kann ins Bett verschwinde und den Rechner anschalte, damit ich pünktlich um elf seiner Stimme lauschen kann und mich in Gedanken mit ihm treffen.
Denn er hat ja gesagt, dass er um diese Uhrzeit mir so nah ist, wie nur irgend möglich und so vertraue ich darauf, dass er jetzt, wo seine sanfte Stimme die Dunkelheit um mich herum erfüllt in Gedanken bei mir ist.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro