Das Loch (2)
Meine Finger klammerten sich in jede Rille, die sie im Stein zu finden vermochten. Der Fels schnitt in mein Fleisch. Meine Hände rissen auf und ich konnte feuchtes, warmes Blut spüren, das meine Hände bedeckte und rutschig machte. Ich durfte nicht abrutschen.
Das Schniefen kam hinter mir her.
Mittlerweile konnte ich warmen Atem auf meinen Waden spüren.
Verzweifelt sah ich nach oben.
Das Loch in der Decke, durch das das Licht fiel, war so schrecklich klein, so schrecklich weit entfernt.
Tränen stiegen in meine Augen. Wie sollte ich das nur schaffen? Ich hatte ja noch nicht einmal ein Drittel der Strecke zurückgelegt, und schon brannten die Muskeln in meinen Armen und meine Hände wollten den Fels nicht mehr umgreifen. Das Wesen jedoch, dass mich verfolgte, zeigte keine Spuren von Müdigkeit.
Verzweifelt schluchzend kletterte ich weiter, ich musste hier weg!
Ich riskierte einen Blick in die Tiefe und glaubte in der Dunkelheit unter mir eine langfingrige, fahle Hand mit krallenartigen Nägeln zu sehen, aber vielleicht bildete ich mir das nur ein.
Schnell sah ich wieder nach oben. Ich durfte keine Zeit verlieren!
Meine Taschenlampe konnte den Fels vor mir nicht komplett erleuchten, und so war ich größtenteils auf meinen Tastsinn angewiesen.
Plötzlich blieb das Kleid, dass ich ja aus unbekannten Gründen trug, an einem Felsvorsprung hängen.
Eine Ruck ging durch den Stoff, zog an meinen Schultern, ließ meine Arme zittern und brachte meine Hände zum rutschen.
Ehe ich mich versah verlor ich das Gleichgewicht und kippte hinten über.
Ein panischer Aufschrei entwich meinen Lippen, als ich nach unten fiel, unterwegs etwas feuchtes, weiches mitriss und dann in die pechschwarze Tiefe stürzte.
Es war als fiele ich in Zeitlupe. Mein Gehirn wollte die Tatsache, dass ich erneut in das Loch stürzte nicht wahrhaben. Ein Gedanke jagte den nächsten und doch konnte ich keinen zu fassen bekommen. Das Gesicht eines jungen Mannes mit olivbrauner Haut und schwarzen Locken huschte an meinem inneren Auge vorbei. Ein warmes Gefühl erfüllte mich. Das war Erik! Da war ich sicher.
Der Schniefer unter mir schrie.
Jedes sichtbare Detail das Lochs schien mir plötzlich unglaublich offensichtlich, jede Felskante wie ein kleines Kunstwerk.
Das Hirn arbeitet schneller, wenn man fällt.
Der Lichtkegel der Taschenlampe, die noch immer zwischen meinen Zähnen klemmte, huschte meinen Blicken gleich, voll Angst über die Wände.
Dann streifte sie einen Tunnel. Ein Loch, so dunkel wie die Hölle selbst, das immer tiefer in das Gestein führte.
So erschreckend es doch aussah, es erfüllte mich mit Hoffnung. Ich sah keinen Tunnel, der immer tiefer in diesen Albtraum führte, ich sah etwas anderes:
Einen Fluchtweg.
Mit einem dumpfen Knall schlug ich auf dem Boden auf.
Meine Kopfschmerzen schien einen Rammbock zu benutzen, um aus meinem Schädel hervorzubrechen.
Bunte Punkte tanzten vor meinen Augen durch die Dunkelheit.
Ein gequältes Winseln erklang unter mir.
Mein Herz begann zu rasen.
Ich war auf das schnüffelnde Wesen gefallen.
Spitze Knochen bohrten sich in mein Fleisch. Das Ding musste schrecklich Mager sein.
Schnell und abgehackt atmend rappelte ich mich auf.
Ohne mich umzudrehen rannte ich auf den Lichtkreis zu. Ich würde bestimmt nichts zurücklassen und erst recht keinen Metalldetektor mit meinem Namen darauf.
Ich sprang auf die Metallstange zu. Hinter mir winselte der Schniefer kläglich.
Vielleicht war er ja verletzt, aber ich würde sicher nicht nach ihm sehen.
Wenn überhaupt, so würde mir seine Verletzung die Flucht doch um einiges erleichtern. Meine Hand schloss sich um das kühle Metall.
Ich rappelte mich auf, blieb am Rock das Kleides hängen und fiel erneut.
Die bunten Schlieren vor meinen Augen wollten nicht verschwinden und meine Kopfschmerzen plagten mich mit meinen brennenden Händen um die Wette.
Beim zweiten Versuch kam ich wieder auf die Füße. Mit der Taschenlampe leuchtete ich in die Richtung, aus der ich gekommen war. Der Tunnel im Fels, den ich während dem Sturz gesehen hatte, war gut zu erkennen, aber etwas stimmte nicht.
Es war nicht mehr da.
Er war nicht mehr da.
Noch immer war der aufgewühlte Sand an der Stelle, an der der Schniefer und ich aufgeschlagen waren, gut zu erkennen, doch das Wesen selbst ließ sich nicht im Lichtkreis meiner Taschenlampe blicken. Ich schluckte. Wo war er hin?
Nervös lauschte ich in die Dunkelheit, lauschte nach dem schniefenden Geräusch.
Ich konnte es nicht hören.
War der Schniefer geflohen? Wat er tot?
Oder... war etwas noch viel Schrecklicheres gekommen, um ihn zu holen, um ihn zu fressen?
Ich musste hier raus! Auf der Stelle!
Meine blutigen Finger schlossen sich enger um den Detektor und die Taschenlampe, dann rannte ich los. Meine Haare flattern in mein Gesicht.
Mein Kopf protestierte schmerzlich, doch ich blieb nicht stehen.
Ich rannte immer weiter, selbst als ich den Tunnel längst betreten hatte, bis ich zu einer Abzweigung kam.
Sollte ich gerade auslaufen, oder rechts abbiegen?
Erschöpft blieb ich sitzen. Ich brauchte eine Pause. Und etwas zu Essen.
Meine Hand wanderte an meinen Hals und umfasste ein schmales Lederband mit einer Jadeperle.
Jade.
Mina Jade.
Ich setzte den Rucksack ab und zog den Block hervor.
Ich suchte mit der Taschenlampe die Seite, auf die ich Erics Namen geschrieben hatte und schrieb Jade an den anderen Rand. Nach kurzer Überlegung schrieb ich noch Mina darunter.
Dann zog ich den Bleistift, und begann eine Karte zu zeichnen. Ich wollte in diesem Labyrinth ja nicht verloren gehen.
Eine markerschütternder Schrei hallte durch die Stollen.
Im Sand des großen Loches erhob sich eine bleiche, krumme Kreatur aus dem Sand. Sie hatte entfernte Ähnlichkeiten mit einem Menschen, doch schien alles, was einen Menschen schön machte, von ihr gewichen zu sein.
Der Schniefer hielt sich einen, in einem seltsamen Winkel abstehenden, Arm, warf den Kopf zurück und schrie erneut.
Ein Schrei aus den Stollen antwortete.
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