3. Heya
Heya hat die U-Bahn schon 3 Stationen später wieder verlassen und ist jetzt auf dem Weg nach Hause. Dabei erinnert sie sich daran wie sich für sie alles fast wie automatisch gefügt hat in ihrem Leben. Sie hat jeden Tag genommen wie er kann und die Tage haben ihr im Gegenzug stets gebracht was sie gerade brauchte.
An ihrem 18. Geburtstag, als sie das Kinderheim verlassen musste, meldete sich der Rechtsanwalt ihrer Großtante bei ihr und erklärte ihr, dass es im Stadtzentrum eine kleine Wohnung gibt, die ihr gehört, genauso wie ein monatliches Taschengeld aus einer Waisenrente. Dazu gab es eine Einmalzahlung - alles aus der Erbschaft ihrer verstorbenen Mutter. Nicht genug um reich zu werden oder teure Anschaffungen zu tätigen, aber genug, um die Wohnung nach ihren Bedürfnissen einzurichten und die laufenden Kosten des Apartments zu decken sowie ein paar andere, grundlegende Dinge zu finanzieren, wie zum Beispiel die Dauerkarte für die U-Bahn.
Ihr Haus ist eins der 10 höchsten Gebäude der Stadt und es ist auch sonst sehr groß. Außerdem hat es erhöhte Sicherheitsstandards. Es gibt eine Firma, die sich Tag und Nacht um den Wachschutz des Gebäudes und die Registrierung aller ein- und ausgehenden Personen kümmert. Selbst die Bewohner des Hauses haben keinen freien Zugang zu allen Etagen und zusammen mit dem Wachschutz, der Alarmanlage und dem restlichen Sicherheitssystem könnte man sich hier geborgen fühlen wie in Abrahams Schoß.
"Hallo Schwachmat, ich bin wieder da, diejenige die nicht in dieses Luxus-Edel-Gebäude zu passen scheint," flüstert Heya sich selbst zu, als sie das Gebäude betritt und zur Rezeption geht, weil der Mitarbeiter sie herbei winkt. "Lass mich raten, du brauchst erneut meinen Ausweis, weil du dir leider nicht alle Bewohner des Hauses merken kannst?" Der Junge hinter dem Tresen nickt mit einem teuflischen Grinsen und Heya ist sich sicher, dass sie die Einzige ist, die er immer wieder vergisst. Er ist nur einer der studentischen Aushilfen, die die Firma für die Rezeption engagiert hat und er sieht aus, wie Jungs in dem Alter eben oft aussehen - unfertig und schlacksig. Trotzdem bildet er sich etwas auf seine schlanke Figur ein und hat sie von Anfang an nur wegen ihrer Kurven abgelehnt. Im Laufe der Zeit hat Heya ihm aber weitere Gründe geliefert sie nicht leiden zu können und das beruht auf Gegenseitigkeit. Er insbesondere aber auch seine Kollegen an der Rezeption sind der Hauptgrund dafür, dass sie sich hier nie wirklich zuhause gefühlt hat.
"Du solltest anfangen Tagebuch zu schreiben. Wenn du in dem Alter schon so vergesslich bist, wirst du dich in ein paar Jahren nicht mal mehr an deinen eigenen Namen erinnern können." Mit diesen Worten dreht sie sich um und geht zum Treppenhaus, die Beleidigungen, die ihr nachgerufen werden stumpf ignorierend. "Oh ja, ich bin eine faule Schlampe. Sicher, ich sollte mehr Sport treiben und weniger essen. Oh, das ist neu, ich bin eine Griechin, weil ich auf Säulen statt auf Beinen laufe?" Okay, sie ignoriert es nicht, dass kann sie gar nicht. Aber es verletzt sie auch nicht mehr, im Gegenteil. "Lieber einen Körper, an dem es was anzufassen gibt, als ein Skelett, an dem du die Knochen zählen kannst." So sieht sie die Sache. "Was hat dieser Komiker (Michael Mittermeier) noch mal über Models und ihre Maße gesagt? Die will man nicht ficken sonder füttern." Und diejenigen, die solche Witze machen, wie dieser Junge an der Rezeption, hatten vermutlich noch nie jemanden in ihrem Bett, weder ein dickes noch ein dünnes Mädchen.
Ihr Apartment liegt in der absoluten Mitte dieses Hauses, im achten von fünfzehn Stockwerken mit mehreren Wohnungen rechts und links davon und der Wohnungstür direkt gegenüber dem Treppenhaus-Zugang, was einer der Gründe dafür ist, warum sie die Treppen statt den Aufzug benutzt. "Ich lebe im Zentrum eines Hauses, das in der Mitte der Stadt steht die inmitten unseres Landes zu finden ist und vermutlich auch noch den Mittelpunkt dieser Welt darstellt. Ich wünschte, ich könnte den Mann finden, für den ich dieser Mittelpunkt bin und nein - ich spreche sicher nicht von dem Jüngelchen an der Rezeption."
Der andere Grund für Ihr Treppen-Workout ist, dass sie einmal, nach so einer Auseinandersetzung mit dem hiesigen Personal, überraschenderweise im Fahrstuhl zwischen zwei Etagen stecken geblieben ist und ihr über eine Stunde lang niemand heraus half. "Die Treppen zu nutzen ist gut für meine Fitness, beweist, dass die Beleidigungen nicht gerechtfertigt sind und erlaubt mir, weiter gegen diese Unverschämtheiten zu Felde zu ziehen." In ihrer Wohnung angekommen geht Heya in ihr kleines Büro und startet ihren Computer. Es ist Zeit mit einem neuen Roman zu beginnen.
Heya war immer schon an Reisen interessiert, allerdings hat sie die Stadt noch nie weiter als bis zu den angrenzenden Parks verlassen. Trotzdem liebt sie es, anderen Leuten zu zuhören, wenn die von ihren Erfahrungen berichten. Mit 15 hat sie mit ihrem ersten Blog über Lustiges Reisen angefangen. Dabei hat sie die verschiedenen Erlebnisse von unterschiedlichen Reisenden zu einem bestimmten Reiseort gesammelt und zu einer Geschichte rund um ein von ihr erfundenes Paar zusammen gefügt. Und so macht sie es bis heute, auch wenn ihr Quellen umfangreicher und ihre Kurzgeschichten länger geworden sind. Ihr Blog wurde recht schnell bekannt und erlangte schließlich auch die Aufmerksamkeit eines Online-Magazins das ihr mit 18 anbot, eine eigene Kolumne bei ihnen zu übernehmen. Noch im selben Jahr wurde ein Buchverlag auf sie aufmerksam, der ihre ersten Kurzgeschichten als Sammelband heraus brachte. So wurde sie professionelle Schriftstellerin.
"Ich habe neue Mails, mal sehen, oh wie nett, das schicke Hotel in Paris, dass meinem Paar im letzten Roman als Unterkunft gedient hat, hat mich eingeladen dort umsonst zu wohnen, wenn ich das nächste mal in der Stadt bin. Sie wollen sich damit bei mir für die Werbung bedanken, die mein letztes Buch für sie gemacht hat. Wenn die wüssten dass ich noch nie in Paris war." Sie kichert vor sich hin und stellt sich all die schönen Plätze vor, die sie aus Fotos, Filmen und von Berichten anderer Reisenden kennt aber selbst nur in ihrer Phantasie besucht hat und zwar mit einem homosexuellen Pärchen das sie bunt hat schillern lassen damit es zu der Stadt passt. Es ist ihr erster vollständiger Roman mit 15 Kapiteln, eins für jede Sehenswürdigkeit inclusive einem Abstecher nach Disneyland Paris sowie einem Kapitel für die Anreise und ein Abschlusskapitel.
"Die Leute lieben meine Geschichten, weil sie alle lustig sind und ein bisschen romantisch. Und in einer Rezession hat sie jemand als Reale Phantasie bezeichnet." Irgendwann haben einige Leser die Plätze in ihren Geschichten besucht und heraus gefunden, dass viele Dinge wahr sind, vor allem die oft einzigartigen Charaktere der ortsansässigen Einwohner, die man dort tatsächlich antreffen kann. Auf diese Weise sind die Menschen selbst dort zu Sehenswürdigkeiten geworden und seit kurzem ist es populär, seine Freizeit damit zu verbringen in die erfundenen Fußstapfen ihrer Protagonisten zu treten. einige lokale Touristikbüros bieten sogar offiziell Heya-Touren an.
"Da ist eine neue Mail von meinem Buchverlag. Er will wissen, welche meiner Kurz-Geschichten aus meiner Kolumne ich im nächsten Buch bündeln will. Ich kann ihm schnell eine Liste erstellen. Und ein Reisebüro bittet um die Erlaubnis, ein Angebot für Heya-Reisen erstellen zu dürfen. Das leite ich direkt mal an meinen Anwalt weiter, damit er sich um die Verträge und das Finanzielle kümmern kann."
Nachdem sie mit den Mails und der dadurch entstandenen Arbeit durch ist wandern ihre Gedanken erneut zu den beiden Jungs und ihrer sogenannten Mutter. "Vielleicht waren sie auch Waisenkinder und sie hat sich um sie gekümmert. Ich erinnere mich daran, dass einige Kinder die Erzieherinnen irgendwann Mom nannten, weil ihre richtigen Mütter für sie immer mehr an Bedeutung verloren." Eigentlich sollte sie sich jetzt wirklich an ihr neuestes Buch setzen. Sie hat bereits ein paar Ideen, doch sie schafft es einfach nicht, sich darauf zu konzentrieren. "Es ist unglaublich, immer wenn ich meine Augen schließe, um mir mein neues Reise-Pärchen vorzustellen, tauchen diese beiden Männer aus dem Restaurant vor meinen Augen auf. Normal ist das nicht."
Die Erinnerung an ihre intensiven Blicke die die Dunkelheit scheinbar problemlos durchdrangen lässt sie noch immer erschauern. "Wie konnten die mich nur hören? Oder habe ich mir das nur eingebildet?" Laut geredet hat sie jedenfalls nicht und sie saß viel zu weit von der Gruppe weg, damit man ihr Flüstern wirklich hätte verstehen können. Dafür hätte es spezieller Abhörgeräte bedurft. "Hm, vielleicht sollte ich meiner Phantasie erst einmal Raum geben und eine Kurzgeschichte über zwei Männer in geheimer Mission schreiben, die ein Mädchen dabei erwischen, wie es sie belauscht. Ein paar Vorwürfe verwandeln sich in heiße, stürmische Liebe. Meine Fans auf meinem geheimen Blog werden sich freuen."
Vor kurzem hat sie einen zweiten Account und einen neuen Blog erstellt mit heißen, stürmischen, romantischen und lgbt-Geschichten. Dort erzählt sie eine ganz andere Art Geschichten unter dem Pseudonym Hot Thing! "Morgen treffe ich mich mit einem älteren Ehepaar in deren Wohnwagen um ihre Geschichten zu hören." Sie freut sich schon auf das Paar und hofft, dass es sie wieder in die Spur bringt. "Also gut, dann macht ihr zwei als Agenten jetzt halt etwas Liebe mit meiner Spionin Namens Virginia."
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