Dr. Clarissa Franklin hatte gerade ihre Einkäufe erledigt und zwei schwere Tüten auf dem großen Esstisch abgestellt. Eine davon hatte sie im Supermarkt bestückt. Die andere stammte aus dem Drogeriemarkt und der Apotheke. In ihrer Handtasche befanden sich zudem ein paar nützliche Gegenstände aus dem Baumarkt. Wenn sie mit ihrer Vermutung recht behielt, würde sie bald einige davon gebrauchen können.
Wie aufs Stichwort klingelte ihr Handy. Sie braucht nur eine Sekunde, um zu sehen, wer anrief. „Hallo?", fragte sie pro Forma. Die Person am anderen Ende der Leitung erzählte kurz und knapp, welche neuen Informationen sie heute in Erfahrung gebracht hatte und dass sie kein Wort von dem glaubte, was sie dort gehört hatte.
„Inspektor Cotta denkt also, er ist so schlau, dass er mich täuschen kann." Dr. Franklin lächelte spöttisch. „Leider zeigt seine Einstellung dir gegenüber, dass er dir leider nicht vertraut. Für mich heißt das nun, dass du an deinem Wert für mich enorm eingebüßt hast, meine Liebe. Das entspricht so gar nicht meinem Plan und ich frage mich, ob ich dich jetzt überhaupt noch gebrauchen kann..."
Eine Weile hörte sich Doktor Franklin das Bitten und Betteln ihrer Informantin an. Dann unterbrach sie hart. „Ich habe keine Zeit, mir den ganzen Tag dein Gewimmer anzuhören", sagte sie streng. „Aber wenn du etwas gutmachen möchtest, positionierst du dich am besten direkt vor dem Schrottplatz und beobachtest alles, was da vor sich geht." Unmut war am anderen Ende der Leitung zu hören. Damit hatte Dr. Franklin gerechnet.
„Es ist mir egal, dass du morgen früh aufstehen musst. Kümmere dich um die Angelegenheit. Sobald du Skinner zum vereinbarten Treffpunkt gebracht hast, hast du deine Aufgabe erledigt. Wie du das anstellst, ist mir gleich. Du weißt ja, was für dich und deinen kleinen Sohn auf dem Spiel steht."
Ohne ein weiteres Wort legte sie auf.
Zufrieden über die Art, wie sie ihre Informantin in die Schranken gewiesen hatte, begann Dr. Franklin ihre Tüten auszupacken und in die dafür vorgesehenen Schränke einzuräumen. Einige Gegenstände verpackte sie direkt wieder in einen wasserdichten Rucksack, den sie später im Falle eines Falles direkt zu dem Treffpunkt mitnehmen konnte, den sie mit ihrer Informantin vereinbart hatte.
Als sie darüber nachdachte, wie plump die Polizistin vorgegangen war, schüttelte sie den Kopf. Cotta hatte bei der Polizei zwar keine große Karriere gemacht, doch das lag nicht daran, dass es ihm an der nötigen Menschenkenntnis oder dem Grips fehlte. Er war jemand, der gerne ein wenig weiter unten stand, um genug Handlungsspielraum zu behalten, die Dinge, wenn es nötig war, selbst in die Hand zu nehmen. Dr. Franklin hatte über jeden im Polizeirevier ausführlich recherchiert. Sie ließ sich nicht gerne überraschen. Überraschungen waren etwas für Romantiker oder solche, die nicht genügend eigene Ideen hatten, um sich vorzustellen, was jemand anderes plante. Clarissa konnte man nicht überraschen. Nur einmal hatte es jemand geschafft, sie mit seinem plötzlichen Besuch aus der Bahn zu werfen: Bob Andrews.
Als er vor einiger Zeit ohne Vorwarnung im Best Hope aufgetaucht war, hatte sie dies geschockt. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet, dass ausgerechnet dieser Junge sie dort finden würde. Sie hatte lange darüber nachgedacht, warum er sie aufgesucht hatte. Sie vermutete, dass er es selbst nicht so genau wusste und sie glaubte, dass vielleicht ihre Hypnose, die sie mit ihm während des Falls mit Mrs. Holligan durchgeführt hatte, damit zu tun haben könnte.
Die Auswirkungen, welche die Unterhaltung mit dem Unterbewusstsein eines Menschen haben konnte, waren noch nicht in aller Tiefe erforscht. Sicherlich, es gab viele Studien darüber. Und in ihren vielen Jahren als Psychologin hatte sie einiges an Erfahrung auf diesem Themengebiet sammeln können. Und doch. Ein paar Fragen blieben bis heute weitestgehend ungeklärt. Und eine davon hatte vielleicht damit zu tun, dass Bob Andrews sie sofort an ihrer Stimme erkannt hatte.
‚Bob', dachte sie ein wenig wehmütig. Er war einer dieser Patienten, den sie vielleicht noch länger auf der Couch hätte behalten wollen. Einfach nur, um zu sehen, was sie aus ihrem Leben machen würden. Und das dachte sie nicht, weil sie Interesse an seiner belanglosen Teeny-Romanze gehabt hätte. Nein, viel mehr hätte sie interessiert, wie er mit seinem arroganten Verhalten gegen die Wand gefahren wäre. Er hatte während der Sitzung eindeutig klar gemacht, dass er sich nicht helfen lassen wollte. In diesem Punkt war er dem jungen Eddy sehr ähnlich gewesen.
Auch Eddy hatte sich nicht helfen lassen wollen. Sie wäre ja bereit gewesen, ihn zu unterstützen. Er hätte ihr nur erzählen müssen, was passiert war, und sie hätte ihm die Absolution dafür erteilt. Sie hatte alle Macht gehabt, ihn vor der Polizei zu schützen. Sie hätte ihm das Gefängnis erspart, wenn er sich ihr doch nur geöffnet hätte. Aber natürlich wusste ein vierzehnjähriger viel besser, was gut für ihn war, als eine erfahrene Psychologin, die jahrelang studiert und schon viel Erfahrung gesammelt hatte. Leider war sie damals zu gutgläubig gewesen, als er schließlich doch bei ihr aufgetaucht war, mit einem blauen Auge und Tränen auf den Wangen.
Er hatte ihr glaubhaft versichert, dass er das alles hinter sich lassen wolle. Er hatte ihr sogar den Ort genannt, wo er das Amulett versteckt hatte. Sie hatte ihm nur versprechen müssen, dass sie ihn mithilfe des Schatzes vor dem Gefängnis bewahren würde. Und das tat sie. Sie versprach es ihm hoch und heilig, mit der Gewissheit, dass sie dieses Versprechen brechen werden müsste.
Denn er hatte sich zu spät entschieden, ihre Hilfe anzunehmen! Hätte er doch nur von Anfang an mit offenen Karten gespielt... Alles wäre so viel einfacher gewesen. Nun blieb ihr keine andere Wahl als ihn zu bestrafen. So, wie eine gute Mutter das tun würde. Damit er etwas lernen würde aus dieser Situation. Damit er nicht noch einmal vom rechten Weg abkommen würde. Und außerdem konnte sie das Geld, welches das Amulett bringen würde, gut gebrauchen.
Diese Kleinkriminellen zu therapieren war nicht wirklich lukrativ. Und der Anwalt, den sie gerade kennengelernt hatte und mit dem sie zusammengezogen war, verdiente sich leider auch nicht wie erwartet eine goldene Nase. Dennoch war sie ihm verfallen. Und so nahm sie das Angebot, dass Eddy ihr unterbreitete, etwas zu leichtgläubig an. Sie folgte ihm in die Berge. Bis zu der Höhle am Turtle Neck. Und als sie die drei Jungen sah, die gerade mit dem Amulett in der Hand aus der schmalen Tunnelöffnung stiegen, war es bereits zu spät.
Eddie hatte sich in einem unbeobachteten Moment davongeschlichen und irgendwo in der Nähe versteckt. Nun war sie allein mit drei pubertierenden Halbstarken, die ein sündhaft teures Schmuckstück in den Händen hielten und nicht vor und nicht zurück konnten, da sie den Eingang der Höhle versperrte.
Ihrer höflichen Bitte, man möge ihr das Amulett herüberwerfen, waren die Jungs leider nicht nachgekommen. Als sie dann noch ihre winzigen Taschenmesser präsentierten, musste Dr. Franklin kurz auflachen.
Die 9-Millimeter, die sie kurz darauf aus ihrer rechten Hosentasche zauberte, flößte den Jungs doch einen gehörigen Respekt ein. Der Dicke, höchst wahrscheinlich Billy der Boss, hatte solch eine Angst, dass sich ein dunkler Fleck in seinem Schritt ausbreitete. Sam, der das Amulett in den Händen hielt, schien noch der mutigste von ihnen zu sein. Er versuchte sogar, zu verhandeln. Doch Dr. Franklin wusste, dass nun jede Sekunde zählte. Die Polizei war sicherlich schon auf dem Weg. Mit auf die Jungen gerichteter Waffe zählte sie bis drei...
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