Kaltenstein
Ich stieß die Tür zum südlichen Lagerhaus auf und rannte hinein.
"Fayris!", rief ich aus, als ich die Rothaarige am anderen Ende des Raumes entdeckte, wo sie von zwei Männern gleichzeitig angegriffen wurde. Ohne darüber nachzudenken zog ich meinen Dolch und warf ihn direkt auf einen der Angreifer. Die Klinge traf ihn im Rücken und stöhnend ging er zu Boden. Fayris nutzte diese Chance und rammte dem anderen Mann einen ihrer Pfeile mit bloßer Hand in den Hals, was auch ihn tot zusammensacken ließ.
Erleichtert ausatmend lief ich das letzte Stück zu ihr herüber.
"Alles okay?", fragte ich besorgt, als sie sich schwer atmend über ein paar blutende Kratzer auf ihrer Wange fuhr.
"Ja.", antwortete sie und nickte etwas, "Aber ohne deine Hilfe hätte es übel ausgesehen. Danke!" Sie lächelte etwas, was ich kurz erwiderte, ehe ich wieder ernst wurde.
"Das alles war eine Falle.", erklärte ich und Fayris' Augen weiteten sich leicht.
"Jaakon!", rief sie aus, "'Wir müssen ihm helfen!'"
"Dazu werdet ihr nicht mehr kommen, Süße!", ertönte es da hinter uns und zeitgleich fuhren wir herum zum Eingang, wo mehrere bewaffnete Männer eingetreten waren und nun bedrohlich auf uns zu kamen. Und so wie es aussah, hatten sie auch noch mehrere Magier dabei.
"Das sind zu viele. Lauf!", sagte ich zu Fayris, welche daraufhin zum Ausgang hinter uns herumfuhr, welcher zum Hafen führte. Ich folgte ihr nach draußen und hörte die Männer direkt hinter uns.
"Zum anderen Lagerhaus!", rief ich der Rothaarigen zu, als wir quer über den großen Platz am Hafen sprinteten. Glücklicherweise schienen wir schneller zu sein als unsere Verfolger, denn als wir bei der Tür zum nördlichen Lagerhaus ankamen, hatten wir gerade genug Zeit sie zu öffnen, hineinzulaufen und sie zu zuschlagen, bevor man uns erreichte. Zusammen mit Fayris presste ich mich nun mit aller Kraft gegen die Tür, in der Erwartung, dass die Schmuggler gleich versuchen würden, sie gewaltsam zu öffnen. Doch geschah dies nicht. Als hätten sich unsere Feinde in Luft aufgelöst, blieb es vor der Tür vollkommen ruhig.
"Wo sind sie hin?", flüsterte Fayris, doch ich wusste keine Antwort darauf. Unsicher löste ich mich von der Tür und blickte mich nun in dem mit Fackeln beleuchteten nördlichen Lagerhaus um.
Ich erkannte zwei Gestalten in der Mitte des Raumes, welche uns anscheinend noch nicht bemerkt hatten, da sich die Tür, durch die wir gekommen waren, in einer dunklen Nische befand.
"Da ist Gerling.", hauchte ich, als ich die erste Person erkannte. Er war an einen hölzernen Pfeiler gefesselt worden und schien nur begrenzt bei Bewusstsein zu sein. Die andere Gestalt war ein menschlicher Mann mit weißem Haar und grimmigen, kalten Gesichtszügen, bei welchen es mir kalt den Rücken runterlief. Er trug eine ebenfalls weiße Robe, was darauf schließen ließ, dass er ein Magier war. Und so wie er vor Gerling auf und ab ging, stand er wohl nicht auf unserer Seite.
"Was machen wir jetzt?", murmelte Fayris, als plötzlich Schreie zu hören waren. Mein Blick schnellte zu dem Gang, der zum anderen Eingang führte, wo gerade zwei Wachen in Flammen aufgingen und schreiend zu Boden fielen. Keinen Moment später trat Jaakon in mein Blickfeld, in der rechten Hand einen Feuerball, welchen er zuvor wohl schon gegen die Wachen benutzt hatte. Ohne zu Zögern trat er auf den weißhaarigen Mann zu und schoss eine riesige Feuerwelle auf ihn ab. Dieser wehrte die Attacke jedoch gelassen mit einem Schutzschild ab, ehe er selbst in seinen Händen eine Kugel aus Elektrizität formte.
"Nein!", rief Fayris aus und lief aus der Nische hervor.
"Fayris!", warnte ich und packte sie am Arm, als der Magier sein Geschoss abfeuerte und Jaakon mitten in der Brust traf. Dieser stöhnte erstickt auf, als sein ganzer Körper erzitterte, ehe er zu Boden sank und sich nicht mehr rührte.
"JAAKON! NEIN!" Fayris' Schrei hallte durch das gesamte Gebäude und der Schmerz in ihrer Stimme ging durch Mark und Bein. Ich musste ihre Arme nun mit beiden Händen umgreifen, um zu verhindern, dass sie auf den Magier losging, während ich geschockt auf Jaakon starrte.
Er war tot...
Natürlich hätte ich ihn für diese Erkenntnis erstmal untersuchen müssen, doch in meinem Inneren konnte ich die Wahrheit spüren: Jaakon war nicht mehr bei uns.
"'Warum habt ihr das getan?!'", rief Fayris aus, die noch immer versuchte sich aus meinem Griff zu befreien. Ein kaum wahrnehmbares Beben war in ihrer Stimme, was stark darauf schließen ließ, dass sie mit den Tränen kämpfte.
"'Er hat mich angegriffen, meine Liebe. Reicht das nicht?'", sagte der Magier kühl, ohne uns eines Blickes zu würdigen, "'Wenn Ihr mich nun entschuldigt, ich habe noch andere Verpflichtungen.'" Mit diesen Worten schritt er an den Leichen seiner Soldaten und Jaakon vorbei zum Ausgang, während er aus einer Hand beiläufig eine merkwürdige leuchtende Kugel fallenließ, die zur Mitte des Raumes rollte und dort begann, alle möglichen Kisten, Fässer und lose Gegenstände im Raum zu sich zu ziehen.
"Jaakon!", rief Fayris und entriss sich aus meinem Griff, um zu ihm zu rennen, doch kam sie nicht so weit, da sich in diesem Moment vor uns ein riesiger Koloss aus Holz und Schrott aufbaute, der durch den Zauber des Magiers wohl zum Leben erwacht war.
"Fayris, pass auf!", rief ich und geradeso konnte die Rothaarige dem ersten Hieb dieses Monsters ausweichen. Ich lief zu ihr und postierte mich neben sie, als sie ihren Bogen zog und einen Pfeil auf das Vieh abschoss. Doch dieser blieb einfach in einem Holzbalken stecken ohne einen wirklichen Effekt zu haben.
"Wie kämpft man gegen sowas?", fragte ich etwas überfordert, als wir einem weiteren Angriff auswichen.
"Ich weiß es nicht.", murmelte Fayris kopfschüttelnd, als mir etwas einfiel. Der Koloss bestand doch zu 90 Prozent aus Holz. Und Holz war brennbar.
"Nimm die hier!", sagte ich zu Fayris und warf ihr die Brandpfeile zu, die ich den Schmugglern abgenommen hatte, "Lenk das Ding ab und warte auf mein Zeichen!"
Damit rannte ich so schnell ich konnte an dem Ungetüm vorbei, hinüber zu Gerling, der noch immer halb bewusstlos am Pfeiler gefesselt war und zerschnitt seine Fesseln mit meinem Dolch, ehe ich ihn halb ziehend halb tragend von dem Monster wegschleifte, welches glücklicherweise gerade auf Fayris konzentriert war. Phex sei Dank war Gerling nicht besonders groß gewachsen, so dass ich ihn schnell außer Reichweite gebracht und neben Jaakon abgelegt hatte.
Nun sah ich mich suchend im Raum um. Ich hatte, als ich mit Bardo das Lagerhaus untersucht hatte, viele Behälter mit Öl und Pech gesehen. Tatsächlich standen auch in diesem Lagerhaus solche Behälter und auch der Schrottgolem hatte solche Gefäße am Körper.
"Fayris!", rief ich und die Halbelfe blickte zu mir, "Schieß auf solche Behälter mit den Feuerpfeilen!" Ich deutete auf einen der Öl-Kanister, der in meiner Nähe stand und sie nickte.
Sie entzündete zwei Pfeile, legte sie an, zielte und schoss. Die Pfeile trafen genau ihr Ziel und entzündeten das Öl, welches sich über den Koloss ausbreitete und ihn vollkommen in Flammen setzte. Hätte Das Vieh Stimmenbänder gehabt, hätte es wohl geschrien, als es mit einer Druckwelle, die Fayris und mich von den Füßen riss, in sich zusammenbrach und eine riesige Staub- und Aschewolke erzeugte.
Hustend richtete ich mich auf, als sich der Dreck langsam wieder legte und ich Fayris' Stimme hörte.
"Jaakon! Wach auf! Der Kampf ist vorbei! Es ist alles gut!", sagte sie zitternd und ich blickte zu ihr. Sie hatte sich über Jaakon gebeugt und schüttelte ihn leicht, als würde sie ihn aus einem Traum wecken wollen.
"JAAKON, WACH AUF!", wiederholte sie lauter und begann zu wimmern. Langsam lief ich zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter, als sie vollends in Tränen ausbrach. Mein Blick glitt zu Gerling, der wohl zu sich gekommen war und entsetzt die Szene musterte.
Ich schloss die Augen und atmete hörbar aus. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen.
Diese Nacht war ein Fehler gewesen.
***
"Das war's.", sagte ich, als ich meine Erzählung beendet hatte und blickte zwischen Forgrimm, Ardo und Cuano, die mich alle drei ungläubig musterten, hin und her.
Gerling hatte mir nach den Geschehnissen gestern Nacht erlaubt, die drei einzuweihen, als ich ihm von ihnen erzählt hatte, da wir momentan jede Hilfe brauchten, die wir kriegen konnten, vor allem nach Jaakons Verlust. Laut Gerling war dieser Mann, der ihn auf dem Gewissen hatte, ein Magier namens Kaltenstein. Jedoch wusste er außer seinen Namen auch nicht viel mehr über ihn. Unser einziger Anhaltspunkt war die Aufschrift "SB", die Gerling auf einer Kiste der Schmuggler gesehen hatte, kurz bevor er gefangen genommen worden war. Er vermutete, dass es sich hierbei um den Kommandanten der Zollfeste Thûrstein namens Stitus Blumfold handelte, was erklären würde wieso die Zöllner bisher nicht in der Lage gewesen waren, gegen die Flusspiraten vorzugehen. Auch der Brief, den ich bei der Karawane mit der Aufschrift "SB" gefunden hatte, passte in diesen Verdacht.
"'Hm...'", murmelte Forgrimm schließlich, "'Aber wenn dieser Kaltenstein entkommen ist, wissen wir ja wieder nicht, wo die Piraten ihr Versteck haben! So werden wir die...'", er hielt kurz inne, "'Die gestohlene Ware nie zurückbekommen!'" Ich horchte auf. Ihnen war etwas gestohlen worden? Das hatten sie bisher nie erwähnt. Ich beließ es jedoch fürs Erste dabei.
"Nicht ganz.", sagte Fayris, die neben mir saß, "Gerling konnte vor seiner Gefangennahme ein Gespräch belauschen, die den Kommandanten der Zollfeste Thûrstein sehr verdächtig machen. Er könnte etwas mit der Sache zu tun haben."
"'Der Kommandant der Zollfeste, sagt ihr?'", fragte Cuano und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, "'Dann sollten wir dem Herrn vielleicht einen Besuch abstatten. Was meinst du, Ardo?'" Fragend blickte er zu dem Blonden und alle anderen taten es ihm nach.
"'Ja, ich denke wir sollten dort mal nach dem Rechten sehen.'", er blickte zu mir, "'Was ist mit Euch? Seid Ihr auch dabei?'" Ich überlegte kurz. Eigentlich hatte ich mich ja nur auf diese ganze Sache eingelassen, weil ich Ardo für meine Rettung vor den Piraten etwas geschuldet hatte und weil ich für Dilga ebenfalls ein paar Informationen über die Schmuggler in Erfahrung bringen wollte. Dass ich mich so tief darin verstricken würde, war nicht geplant gewesen. Und dennoch erschien es mir falsch, Ardo und vor allem Fayris, die gerade erst Jaakon verloren hatte, mit dieser Sache allein zu lassen.
"Ja.", antwortete ich, "Ich bin dabei."
"Sehr gut.", hörte ich Cuano murmeln und verkniff mir ein Augenverdrehen, während ich seinen Blick tunlichst mied. Ging das schon wieder los.
"'Dann treffen wir uns alle am Hafen. Dort wartet bereits unser Schiff.'", sagte Ardo nickend, als er und die anderen beiden Männer sich vom Tisch erhoben und Richtung Tür gingen, jedoch gab Cuano mir wie schon einmal zuvor einen Handkuss, was mich nun doch die Augen verdrehen ließ. Am Anfang hatte ich ja diese Tändeleien noch mit gemacht, da es eine nette Ablenkung gewesen war, doch wenn wir fortan zusammen arbeiten sollten, war das höchst unangebracht. Vorallem wenn meine Vermutung zutraf, dass Cuano einer von jenen Männern war, die alles taten um eine Frau ins Bett zu kriegen, nur um sie dann fallenzulassen.
"'Etwas bärbeißig, aber durchaus liebenswürdig. Ich glaube, ich mag deine Freunde.'", sagte Fayris neben mir und ich sah sie belustigt an.
"Immerhin eine von uns.", sagte ich kopfschüttelnd, als wir ebenfalls aufstanden.
"Magst du sie nicht?", fragte Fayris, während wir die Taverne verließen. Ich zuckte mit den Schultern.
"Sie sind ganz okay. Ich kenne sie ja kaum, also...", sagte ich, ehe ich das Thema wechselte, "Ist Gerling schon abgereist?" Fayris nickte leicht.
"Ja, gleich heute Morgen nach Jaakons Begräbnis... Er müsste schon halb in Ferdok sein." Sie lächelte etwas, doch ich sah, dass es nicht echt war.
"Du musst nicht die starke Elfe spielen, weißt du?", sagte ich leise, was ihr Lächeln sofort verschwinden ließ, "Du hast jedes recht traurig zu sein." Sie nickte etwas und sah zu Boden.
Ich legte tröstend eine Hand auf ihren Arm.
"Dafür wirst du nicht für immer traurig sein." Das ließ sie aufblicken und nun lächelte sie erneut, doch diesmal war es echt.
"Danke.", murmelte sie und ich nickte, ehe ich ihren Arm wieder losließ, als wir dem Haus der Diebesgilde zum Stehen kamen.
"Hey, geh doch schon mal vor zum Schiff. Ich muss mich noch verabschieden.", sagte ich und deutete auf das Gildenhaus.
"Okay. Beeil dich.", erwiderte Fayris und wandte sich ab Richtung Hafen, während ich das Gebäude betrat.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro