7.2 Unerwartet - Darius
Obwohl die Hitze sich einfach nicht aus seinem Wohnwagen hatte vertreiben lassen – er musste unbedingt daran denken, die Fenster morgens wieder zuzumachen und endlich den Ventilator aufstellen –, hatten Helena und er sich davon nicht unterkriegen lassen. Geduldig hatte sie die Einkaufsliste geschrieben und sich sichtlich gefreut, als er sie dabei nach ihren Vorlieben und Meinungen gefragt hatte. Da sie als sein Gast aber offensichtlich ein paar Tage länger, als ursprünglich erwartet, bleiben würde, war es jetzt einfach selbstverständlich, dass er sie in seine Pläne einband.
Tatsächlich war ihm eben sogar flüchtig der absurde Gedanke durch den Kopf geschossen, sie zu fragen, ob sie – nun ja – weiter mitkommen würde. Denn der Zirkus hatte in Berlin nur eine Art Zwischenstopp; ein recht spontanes Gastspiel, das der Direktor mit dem amtierenden Bürgermeister klargemacht hatte, der ein bekennender Zirkusfan war. Drei Tage Spielzeit, dann würden sie bereits ihre Zelte wieder abbrechen und weiterziehen.
Doch er hatte sich noch rechtzeitig gestoppt. Es wäre ein Wunder, wenn sie überhaupt bis Sonntag bleiben würde – sicher hing ihr der Lebensstil der Schausteller bereits zum Hals heraus. Vorhin hatte sie mehr als deutlich gemacht, dass ihr Leben ganz und gar nichts mit dem des Artisten zu tun hatte. Außerdem war sie gerade mal drei Tage da und hatte noch nicht eine einzige Vorstellung erlebt und wer wusste schon, wie ihr die ihr zugewiesene Aufgabe im Endeffekt überhaupt gefallen würde. Darius hatte zwar das Gefühl, dass ihr das Laufen auf den Stelzen Spaß machte – einschätzen, ob sie es nach drei Stunden laufen auch noch so lustig fand, konnte er aber nicht.
Ein wenig gedankenverloren sah er zu Helena, die einträchtig neben ihm her schritt und ihre Augen fest auf die Liste geheftet hatte.
Er wusste gar nicht, was daran so interessant war.
„Weißt du, was mir gerade auffällt?"
Neugierig horchte er auf. „Was denn?"
Helena hob den Kopf, um ihn ein wenig vorwitzig zu mustern. „Auf unserer Liste fehlt Käse."
Überrascht blinzelte er und lachte dann verlegen, was seine Gesprächspartnerin scheinbar ein bisschen irritierte. Zumindest ließ der Blick, den sie ihm nun zuwarf, darauf schließen.
„Ich finde es wirklich interessant, auf was du achtest", gab er ehrlich zu, als sein Lachen nur noch ein großes Lächeln war, „aber du hast recht – ich esse keinen Käse. Ich hasse Käse ... in jeder Form."
Das Erstaunen, das in ihrem Blick lag, steigerte sich sichtbar ins Unermessliche. „Ich glaube nicht, dass wir befreundet sein können, Darius", meinte sie dann plötzlich.
Sie sagte es aus heiterem Himmel heraus und so trocken, dass er wieder anfangen musste zu lachen. Ihr gelang es wirklich immer wieder in erneut in Staunen zu versetzen. Helena, die immer noch neben ihm her schritt, stieß ihm – sehr viel sanfter als er es von seiner Partnerin gewohnt war – mit ihrer Schulter in die Seite.
„Lach mich nicht aus! Ich meine das ernst. Du bist wirklich seltsam."
Aus purer Gewohnheit schlang Darius den Arm um die junge Frau neben ihm – eine solche Aktion hätte auch von Ana kommen können. Wahrscheinlich mit einer spitzeren Zunge und einem schmerzhafteren Rempeln, trotzdem hätte es auch seine Partnerin sein können, die gerade hier mit ihm entlang schlenderte. Sein Arm lag also um ihre Schultern und hatte sie sanft, aber bestimmt an seinen Körper gezogen. Dabei geriet Helena zwar ein bisschen ins Stolpern ob der unerwarteten Umarmung, sie sah aber lächelnd zu ihm auf. Die kleinen roten Flecken, die sich mal wieder auf ihren Wangen gebildet hatten, gefielen ihm irgendwie.
„Ich mag seltsame Menschen."
Es war nur ein kleines, heiseres Murmeln, aber Darius hatte es trotzdem hören können und sein Lächeln vergrößerte sich merklich. Helena räusperte sich hörbar – anscheinend hatte sie gar nicht so leise sprechen wollen und ihm fiel auf, dass die Röte in ihrem Gesicht zunahm.
„Ich mag dich auch, Helena."
Das Kichern, das die junge Frau in seinem Arm jetzt hören ließ, gefiel Darius noch mehr als ihr Erröten. Einen kurzen Augenblick lang wurden seine Züge eine Spur weicher und sein Puls deutlich schneller. Kurz schwiegen sie sich wieder an – Darius verlor dabei den Klang ihres Kicherns noch nicht aus den Ohren. Eigentlich erwartete er, dass sich Helena aus der Umarmung befreien würde, doch sie machte keine Anstalten sich zu lösen und er hatte auch nicht das Bedürfnis, sie wieder loszulassen.
Darius genoss also einfach nur stumm das Gefühl des Körpers, der sich während des Gehens seltsam geübt, aber doch zarter als gewohnt, an seinen schmiegte.
„Was schulde ich dir eigentlich noch für gestern Abend?"
Beinahe wäre ihm ganz frech ein Kuss über die Lippen gekommen, doch er hatte noch rechtzeitig den Blick, den er ihr zugeworfen hatte, wieder aus ihren hellgrauen Augen befreit. Ihre Art machte ihn bisweilen wirklich vollkommen fahrig.
Hoffentlich legte sich das mit der Zeit.
„Was solltest du mir schulden?", fragte er und runzelte – tatsächlich unwissend – die Stirn.
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