1.12 Unüberlegt - Darius
Darius riss sich zusammen, um nicht sofort in einen schnellen Spurt zu verfallen. Ana hätte er das vielleicht noch zumuten können. Aber Helena, die sowieso nicht wusste, wohin sie unterwegs waren, würde sicher zurückfallen. Die gemurmelten Befürchtungen seiner Partnerin waren aber zumindest unbegründet. Die einzige Person, die heute noch jemanden nahe an den Rand des Todes bringen würde, würde nämlich sie selbst sein. Und das schlimmste an dieser Tatsache war, dass er die arme Seele war, die sie zu foltern gedachte. Es schüttelte ihn bei dem Gedanken, dass sie ihn heute höchstwahrscheinlich keineswegs an das Trapez lassen würde. Und er verfluchte sich selbst, dass er so schlecht bei Schere-Stein-Papier war. Helena neben ihm war ein wenig außer Atmen, aber so unruhig und unkontrolliert wie sie die ganze Zeit während ihres Aufbruchs aus dem Zug atmete, war das auch kein Wunder.
‚Vielleicht ist sie doch keine Sportlerin?', wunderte er sich.
Oder aber sie konnte mit dieser blöden Zwischenart des Rennens und Gehens aber auch einfach nichts anfangen. Und das konnte Darius dem Mädchen nicht einmal verübeln.
„War es die Sechste oder die Siebte?" Ana klang ein bisschen verzweifelt.
„Mach dir keine Sorgen", versuchte er sie, einigermaßen atemlos, zu beruhigen. „Eine Straße noch. Dann nach links." Der letzte Satz von Darius ging eigentlich hauptsächlich an Helena.
Seine Partnerin wusste ja ungefähr, wo es langging. Die drehte sich jetzt flüchtig nach hinten, um sehen zu können, ob auf der Straße irgendwelche Fahrzeuge fuhren. „Es kommt nichts."
Darius lenkte sofort ein und schob die kleinere Blonde ein wenig nach links und zog dann beim Überqueren der Straße doch ein wenig das Tempo an. Helena passte ihre Geschwindigkeit sofort und gefühlt mühelos seiner an. Die alten Geschäftsgebäude, die den Weg lange gesäumt hatten, waren längst verschwunden und einer hässlichen Ansammlung von Baustellen gewichen. Immerhin besser als das dichte Gewusel in der Innenstadt, trotzdem hässlich.
Aber bei seinem Zuhause stand es ihm genau genommen nicht zu, sich zu beschweren. Die Plätze, auf denen sie ihr Zelt aufstellten und sich ein paar Wochen heimisch fühlten, waren immer groß und ausladend. Da konnte er es auf sich nehmen, für das Verteilen der Plakate durch eine blöde Stadt zu laufen. Das war ja ohnehin eher die Ausnahme als die Regel.
Dann konnte er endlich das Gelände sehen, dass für die Zeit während ihrer Vorstellungen als Parkplatz dienen sollte. Ein schneller Seitenblick auf seine Partnerin verriet ihm, dass sie seine Gedanken bereits kannte und womöglich auch schon vor ihm an das Gleiche gedacht hatte. Kurz überlegte er, ob er das der Blonden wirklich antun konnte. Allerdings siegte seine ehrgeizige, spielerische Seite schnell.
„Wer zuerst bei der großen Grünfläche da vorne ist?" Er deutete auf das freie Gelände und Helena nickte. Ana jedoch war bei seiner Frage schon losgerannt und Darius konnte nur lachen.
„Du Schummlerin!", brüllte er seiner Partnerin noch immer lachend hinterher, lief dann aber ebenfalls wie von der Tarantel gestochen los und versuchte, sie wieder zu erwischen.
Helena war jedoch immer noch gleichauf mit ihm. Ana aber kam zumindest wieder etwas näher und Darius zwang sich die Zähne zusammenzubeißen. Zumindest dieses Mal musste er gegen die Brünette gewinnen. Es dauerte noch einige Meter, dann waren die beiden Artisten gleichauf und er grinste frech. Allerdings hatten sie beide die Rechnung ohne Helena gemacht. Die überholte ganz plötzlich von rechts und Darius konnte nur noch entsetzt nach Luft schnappen. Die Grünfläche kam immer näher, aber weder er noch Ana kamen an die Blonde ran. Geschweige denn, dass sie sie überholen konnten.
„Nein!"
Ana beschleunigte noch einmal und so konnte Darius auch ihr nur noch verzweifelt hinterhersehen. Aber trotz ihrer Bemühungen konnte auch die Brünette nur zusehen, wie Helena sich als erste in das Gras fallen ließ und laut loslachte. Ana blieb stehen und stemmte die Hände in die Seiten, Darius kam kurz nach ihr zum Stehen. Er wollte gerade nach Luft schnappen, da fasste seine Partnerin den Entschluss, dass ein Stoß in seine Rippen jetzt genau das richtige war. Er stöhnte gespielt auf und ließ sich dann neben Helena nach vorne in das satte Grün der Wiese fallen. Ana stimmte in das Lachen der Blonden mit ein.
„Von einer Neuen geschlagen. Und ich war übrigens auch schneller."
Sie prustete und versuchte sich zu beruhigen, aber es gelang ihr nicht. Darius stöhnte nur noch einmal und ignorierte das Geschnatter. Stattdessen versuchte er schnell seine Atmung zu beruhigen. Dabei musste er aber doch grinsen.
„Ich konnte euch doch nicht verlieren lassen. Ich bin ein Gentleman der alten Schule."
Er schnaufte noch ganz schön, stimmte aber trotz seiner Atemlosigkeit in das Lachen der Mädchen mit ein. Auch wenn er sich denken konnte, dass sie statt mit ihm eher über ihn lachten.
„Außerdem bekomme ich schon noch meine Gelegenheit, um dich zu schlagen, Ana", stellte er überzeugt von sich selbst klar und stemmte sich schwerfällig wieder hoch.
Auch Helena war mittlerweile wieder auf den Beinen. Das Grinsen auf ihrem Gesicht gefiel Darius sehr viel besser als diese seltsame Miene, die er fast die ganze Zugfahrt an ihr beobachtet hatte. Sie hielt sich immer noch den Bauch, Ana neben ihr hatte sich fast wieder eingekriegt. Umständlich kam Darius endlich richtig auf seine Beine und schenkte der Blonden noch einen belustigten Blick.
„Du bekommst das auch zurück", drohte er mit erhobenem Zeigefinger und versuchte so böse zu schauen wie er nur konnte.
Es gelang ihm so gut wie überhaupt nicht, wenn man ihrem erneuten Lachanfall Glauben schenken konnte. Auch Ana musste frech grinsen und schlug ihm spielerisch auf den Rücken. Zu ihrer Belustigung stöhnte er noch einmal brav auf und tat, als hätte er nun Rückenschmerzen. Das unterband seine Partnerin allerdings schnell wieder.
„Oh, hast du Aua? Dann können wir heute ja gar nicht ans Trapez."
Sie zog eine Schnute und lachte dann, als Darius sie böse anblitzte.
„Komm jetzt, Weichei. Wir müssen heute noch trainieren."
Als sie sich nun umdrehten und ihre Begleitung das erste Mal so richtig ihre Umgebung begutachten könnte, hörte er deutlich, wie sie vor Überraschung nach Luft schnappte. Das stolze Grinsen konnte und wollte er sich gar nicht verkneifen.
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