38. Kapitel: Familie
Atreus:
Es sah ganz anders aus, als in dem bisschen, was ich meine Erinnerungen vor dem Orden nannte, aber das überraschte mich nicht. Immerhin war dieses Dorf, Tundren, beim Angriff des Ordens komplett niedergebrannt und all seine Bewohner getötet worden, womit es nun völlig dem Verfall überlassen blieb. Wenn es nur wenigstens nicht ganz so bitterkalt sein würde! Ich hatte mir schon einen dicken Fellmantel, -stiefel, besonders wegen der Armschiene -handschuhe und -mütze angezogen, froh aber trotzdem noch weiterhin. Schließlich hielt ich meine Schritte vor einem fast vollständig zerstörten Gebäude an und betrachtete es ganz genau. Vermutlich war es einmal die Schmiede gewesen, irgendetwas in mir hatte diese Antwort sogar schon gewusst, bevor ich in den rostigen Amboss in den Überresten der ehemaligen Werkstatt gesehen hatte. Ein weiterer Beweis, dass ich hier am richtigen Ort war, meinem ehemaligen Zuhause, wenn ich meine Erinnerungen richtig interpretierte. Schließlich zog es mich wieder weiter und so noch tiefer in die Dorfruine hinein, wo ich ein Haus, oder was davon noch übrig war, nach dem anderen genau in Augenschein nahm. Genau konnte ich es nicht erklären, aber ich hatte das Gefühl, als würde mein Unterbewusstsein hier nach etwas suchen, nur konnte ich selbst nicht sagen, was das war. Am Ende hielt ich dann vor einem der Hausruinen an und begutachtete sie ganz genau. An sich unterschied sie sich in keiner Weise von den übrigen hier, aber irgendein Gefühl verriet mir einfach, dass ich hier gefunden hatte, was ich suchte. Fragt sich nur noch, was genau das denn jetzt war. Langsam schritt ich ins einstige Innere der Hütte und stand nun vermutlich in dem Teil, der früher mal den Wohnbereich gebildet hatte. An einer Stelle konnte ich sogar noch etwas sehen, was wie ein völlig verwitterter Stuhl oder so aussah.
Einige Bilderfetzen tauchten plötzlich wieder vor meinem Inneren Auge auf und schnell versuchte ich sie festzuhalten, leider nur mit mäßigem Erfolg. Aber trotzdem konnte ich noch erkennen, wie ich mit einigen Menschen, vermutlich meinen Eltern und Aliena, an einem großen Tisch hier saß und wir uns zusammen über einen großen Braten hermachten. Wir alle schienen so... glücklich zu sein, wie auch in all den anderen Erinnerungsfetzen, die ich zuvor schon gesehen hatte. Leicht frustriert ballte ich die linke Hand zur Faust, da es mich doch etwas ärgerte, dieses Gefühl aktiv noch nie selbst gespürt zu haben. Bisher erinnerte ich mich ja nur an Zeiten, wo er die Kontrolle hatte und da hieß es immer nur Auftrag erfüllen oder schlafen, wobei ich von Letzterem ja natürlich nichts mitbekam. Als ich kurz darauf weiter die Ruine untersuchte, stieß ich mit einem Mal gegen einen kleinen Gegenstand, der halb unter der Erde vergraben war. Leicht irritiert bückte ich mich daraufhin und hob besagten Gegenstand auf, es war eine kleine Figur, in Form eines Wikingerkriegers, die mir aus irgendeinem Grund verdächtig bekannt vorkam. „Die ist von unserem alten Keule und Klaue-Spiel, erinnerst du dich?", fragte da plötzlich eine mir viel zu vertraute Stimme hinter mir. „Hallo... Schwerster", murmelte ich leise und drehte mich nur langsam zu ihr um. Anders als bei unseren bisherigen treffen trug sie nicht einfach nur ihre schneeweiße Rüstung, sondern darüber noch einen schön warmen Mantel. Sehr wahrscheinlich jetzt auch nur wegen der hier herrschenden Kälte, die mich langsam wirklich nervte. Hätte ich nicht auf einer schön tropischen Insel zuhause sein können? „Nicht wirklich... Ehrlich gesagt erinnere ich mich an kaum etwas von meinem alten Leben... Das heißt, wenn man einmal davon absieht, dass wir Geschwister sind und das hier... Das war mal unser Heimatdorf, oder? Tundren?", gab ich ihr Antwort und Frage zugleich.
„Ja, das war es... Zumindest bevor der Orden des Ewigen Feuers es so zugerichtet hat", bestätigte Aliena leise und sah mich abschätzend an. Das konnte ich ihr auch nicht mal verübeln, die letzten Male hatte ich mich ja nicht besonders freundlich ihr gegenüber verhalten. „Es tut mir leid, dass ich das jetzt fragen muss, aber... Wer redet hier gerade mit mir?", erkundigte sie sich schließlich und ich konnte sehen, wie sehr es ihr schmerzte diese Frage zu stellen. „Unsere Mutter trug den Namen Kari... Sie und Goliath, unser Vater, waren Jäger und haben in einigen Wintern gut das halbe Dorf mit Fleisch versorgt... Uns haben sie dieses Handwerk auch beigebracht, wobei ich immer besser im Pirschen war, du aber dafür im Verwerten der Beute... Ich habe dir immer so gerne Streiche gespielt, wobei dir einer einmal zu weit ging und du deshalb als Rache meine Stiefel über Nacht mit Schnee gefüllt hast...", erzählte ich lächelnd von den paar Erinnerungen, die ich klar einordnen konnte. „Hm, ich erinnere mich an das mit den Stiefeln... Du konntest an diesem Tag kaum stillstehen, weil dir gefühlt immer die Zehen eingefroren sind... Zumindest hast du es mir später so erzählt", meinte ich und kam einen Schritt auf mich zu. „Daran erinnere ich mich nicht...", gestand ich leise und senkte den Blick zum Boden. „Das wundert mich nicht... Ehrlich gesagt war ich schon überrascht, an was du dich alles erinnert hast... Atreus", sprach sie mich zum Schluss wieder mit meinem richtigen Namen an. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte ich leise und hob meinen Blick wieder. „Es schien mir das einzig Logische zu sein, wo du hinwollen könntest. Immerhin müsstest du dich ja daran erinnert haben, dass wir Geschwister sind und da wir diese Insel niemals verlassen haben, bevor Tundren zerstört wurde, mussten deine Erinnerungen von hier stammen...", erklärte meine Schwester leise und kam noch etwas näher.
„Ich nehme einmal an, dass... du hier bist, um mich mit zu dir auf die Drachenklippe zu nehmen, richtig?", fragte ich im Anschluss und sah sie ernst an. „Wenn du es so ausdrücken willst... Ja", bestätigte sie nickend. „Bist du dir denn sicher, dass das eine gute Idee ist?", wollte ich, selbst eher zwiegespalten über dieses Thema, von ihr wissen. „Natürlich... Die anderen wissen ja schon längst, wer du bist und auch dass du dem Orden nicht freiwillig gedient hast... Glaub mir, sie werden dir schon nichts tun", versuchte sie mich zu beruhigen. „Das ist... schön, aber... Ich weiß nicht, ob ich ihn unter Kontrolle halten kann, deshalb bin ich auf Johanns Insel auch nicht bei dir geblieben... Ich kann mir einfach nicht sicher sein, dass er nicht wieder das Ruder übernimmt und euch allen wehtut, oder... schlimmer", erwiderte ich und musste ein paar Tränen unterdrücken. „Bitte Atreus... Wir kriegen das schon irgendwie wieder hin, ganz egal, was sie dir angetan haben. Oder glaubst du etwa, dass es besser wird, wenn du nur hier in der Einöde bleibst und zu niemandem wirklich Kontakt hast?", fragte Aliena unverhofft zurück. „Nein...", gestand ich leise. „Dann komm mit mir mit... Es gibt auf der Drachenklippe mehr als genug ruhige Orte, wo du dich ausruhen und die Wunden heilen kannst. Außerdem haben wir auch einige Verbündete, die dir möglicherweise dabei helfen könnten... Ganz genau weiß ich es nicht, aber die Beschützer des Flügels zum Beispiel sollen sehr oft meditieren, um auch im Kampf stets ruhig bleiben zu können. Noch dazu ist ihre Insel ziemlich einsam und wird auch gut von ihnen bewacht, also müsstest du dir auch nicht so viele Sorgen darüber machen, dass du Unschuldigen schaden könntest", berichtete meine Schwester und kam noch etwas näher zu mir. „Klingt fast nach einem perfekten Ort für so jemanden wir mich...", musste ich dann doch gestehen und kam Aliena einen Schritt entgegen, nun war der Abstand zwischen uns praktisch kaum noch vorhanden.
„Dann komm mit mir...", bat sie und nahm meine Hände in ihre, wobei sie kurz zusammenzuckte und auf meine rechte Hand blickte. „Ich konnte sie nicht ablegen... es fühlte sich einfach irgendwie falsch an... Zwar habe ich es mehr als nur einmal versucht, aber ich habe es niemals geschafft...", erklärte ich und sah meine Schwester mit Tränen in den Augen an. „Darum kümmern wir uns noch... versprochen", meinte sie und blickte mich entschlossen an, was mich doch etwas zum Lächeln brachte. „Na geht doch", fügte meine Schwester nun ebenfalls lächelnd hinzu und umarmte mich danach ohne Weiteres. Zwar wurde ich von dieser Geste vollkommen überrumpelt, aber es dauerte nicht allzu lange, da erwiderte ich sie auch schon und nahm meine Schwester ebenfalls in den Arm. Eine ganze Weile lang standen wir einfach nur so da und hielten uns gegenseitig im Arm, bis sich Aliena schließlich etwas von mir löste und etwas ernster ansah. „Es ist an der Zeit", meinte sie daraufhin und sofort verstand ich, worauf sie hinauswollte. „Also gut... Wo genau hast du deinen Drachen denn gelassen?", fragte ich vorsichtig. „Ayla, ihr Name ist Ayla... und sie wartet oben an der Waldgrenze des Dorfes, wir können also praktisch sofort losfliegen. Außer natürlich, du hast noch irgendwas auf dem Schiff, mit dem du, denke ich mal, hergekommen bist?", wollte meine Schwester noch wissen. „Nein... Das habe ich nicht...", antwortete ich nur und blickte in die Richtig, die Aliena vorhin gemeint hatte. „Dann fliegen wir los?", erkundigte sie sich vorsichtig. „Dann los", bestätigte ich und nickte einmal kurz. Schmal lächelnd löste sich Aliena endgültig von mir und führte mich anschließend durch das völlig zerstörte Tundren zum nahen Waldrand. Dort wartete, wie sie schon gesagt hatte, ihre schneeweiße Tagschatten-Dame auf uns. Als sie mich jedoch sah, wurde ihr Blick mit auf einen Schlag wachsamer und ich konnte genau hören, wie sie ganz leise knurrte, aber sie setzte noch zu keinen Angriff an.
Die Botschaft dahinter war mehr als offensichtlich, sie würde mich wohl vorerst akzeptieren, allerdings hatte sie noch nicht vergessen, wie ich versucht hatte sie zu töten... „Ganz ruhig Ayla, ganz ruhig", schaltete sich da plötzlich Aliena dazwischen und krauelte ihr Mädchen kurz, „er hat dir und mir zwar wehgetan, aber nichts davon aus freiem Willen. Daran erinnerst du dich doch noch, oder?" Es dauerte ein paar Sekunden, aber schlussendlich hörte Ayla auf zu knurren, sah mich aber noch immer misstrauisch an, was sich vermutlich auch nicht so schnell ändern würde. Nur verständlich, wenn man mein vergangenes Verhalten ihr und meiner Schwester, ihrer Reiterin, gegenüber bedachte. Mir persönlich reichte es fürs Erste auch einfach nur, dass sie mich nicht sofort in Stücke riss, der Rest konnte ja potenziell noch kommen. „Na dann... Fliegen wir nachhause, Kleines", meinte meine Schwester zu Ayla gewandt, worauf diese kurz freudig gurrte, zumindest soweit ich das beurteilen konnte, und ihrer Reiterin die Möglichkeit gab in den Sattel auf ihrem Rücken zu steigen. Ich für meinen Teil zögerte kurz, immerhin hatte ich ja noch nie in meinem Leben auf einem Drachen gesessen, tat es meiner Schwester jedoch schließlich gleich, auch wenn ich mich dabei vermutlich ziemlich übervorsichtig anstellte. Kaum hatte ich dann Platz genommen, breitete der Tagschatten auch schon seine Flügel aus und schwang sich mit einem kräftigen Satz in die Lüfte, wobei ich mich schlagartig an Aliena festklammerte. Schmunzelnd nahm meine Schwester dies zur Kenntnis, tat vorerst aber nichts weiter, als wir jedoch eine gewisse Höhe erreicht hatten und Ayla auch recht ruhig flog, drehte sie sich halb zu mir um.
„So, jetzt brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Von nun an fliegen wir ganz ruhig und ohne weiteres durch bis zur Drachenklippe", meinte Aliena und lächelte dabei leicht amüsiert. „Danke...", gab ich noch immer etwas kleinlaut zurück und versuchte mich zu entspannen. „Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, es kann absolut nicht passieren selbst, wenn du mal runterfällst, Ayla fängt dich dann einfach wieder auf", versuchte sie mich zu beruhigen, was sogar funktionierte. „Wenn du das sagst...", gab ich nur zurück. „Komm schon, versuche das hier bitte ein klein wenig zu genießen, ja? Ich meine, wir fliegen gerade auf einem Drachen durch den Himmel! Also lehn dich etwas zurück und entspanne dich ein klein wenig", bat Aliena mich und ich warf ihr beim letzten Teil ihrer Aussage nur einen Ernsthaft-Blick zu. „Na gut, lehn dich lieber nicht zurück, solange du noch nicht so viel Flugerfahrung hast aber versuch wenigstens dich etwas zu entspannen... Es ist noch ein weiter Weg bis zur Drachenklippe, sogar über die Luft", korrigierte sie sich anschließend selbst und lachte dabei leise. „Hm, na schön...", lenkte ich ein und versuchte ihrem Rat zu flogen. Also schloss ich die Augen, atmete mehrmals tief durch und versuchte meinen Geist zu beruhigen, was mir nach einer Weile auch tatsächlich gelang.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro