Wie man eine Entscheidung trifft
Reynas Worte hallen immer noch in meinen Ohren nach. »Niemand wusste es«, bestätigt Chronos meinen Verdacht. Schmerzlich pulsiert das Blut in meinen Adern. Heiß und lodernd fließt es durch meinen Kreislauf während mein Augenmerk zu der blonden Elfe wandert. Spöttisch zieht sie eine perfekt geschwungene Augenbraue hoch und mustert mich abfällig. Das der Körper des Dämons, der wie ein Schild vor mir steht, anspannt, bemerke ich kaum. Diese Frau hat Chronos getötet. Hat mir ein Leben mit meiner wahren Mutter und meinen wahren Vater zerstört. Wenn sie es nicht getan hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen. Ich hätte ein anderes Leben geführt und vielleicht wäre sogar Kova noch am Leben.
Kova ...
»Ich habe herausgefunden, wer Chronos getötet hat.«
»Chronos?« Ich habe keine Ahnung, von wem mein bester Freund spricht, aber ich glaube, das ist auch egal. »Bist du deswegen verletzt?«
Kova nickt. »Ja. Du musst mir jetzt ganz genau zuhören, Davina.«
Die Erinnerung an Kovas letzte Worte prasseln auf mich nieder. Sie brennen sich in mir ein, wie die Waffe damals Chronos.
Schmerzlich wird mir bewusst, das Reyna nicht nur Chronos getötet hat. Sie hat mir auch meinen besten Freund genommen.
Das Feuer in mir wird heißer, doch ich merke es kaum.
»Davina«, zischt Chronos. »Beruhige dich«, bittet er mich, doch ich höre ihm nicht zu. Diesmal lasse ich das Feuer gewähren. Ich wehre mich nicht, sondern begrüße die schmerzenden Flammen.
»Aedion!« Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich den verzweifelten Ausruf des ehemaligen Königs höre. Der Dämon vor mir reagiert nicht. Wie denn auch? Nur ich bin in der Lage Chronos zu sehen und zu hören.
Ich sehe nur rot – metaphorisch natürlich. Die Wut auf diese blonde Schönheit treibt mich an.
»Was schaust du mich so an, Mensch?« Reynas Stimme facht mich umso mehr an. Ein Schrei entweicht meinen Lippen und noch ehe meine eigene Stimme in meinen Ohren abklingt. Dann höre ich es. Das Brechen von Knochen. Das zusammenfügen von Gliedern. Es tut nicht weh, dennoch muss ich keuchen. Ich lasse meinen Blick auf meine Arme wandern. Kleine Schuppen in goldenen und schwarzen Farben sprießen aus meiner Haut. Erst sind es wenige, dann vervierfacht sich die Geschwindigkeit, in der sie sich bilden. Als ich wieder nach vorne schaue, sind Reynas Augen schreckensweit geöffnet. »Unmöglich«, wispert sie, während sie zurückspringt. Mein Kiefer fühlt sich komisch an und auch auf meinem Steißbein scheint sich mittlerweile etwas zu befinden, das vorher nicht da war.
Aus dem Augenwinkel nehme ich Aedion wahr, der sich zu mir umdreht. Ich schiele zu ihm herüber und stelle überrascht fest, dass er seinen Kopf senkt und langsam Abstand von mir nimmt. Wahrscheinlich um mir freie Bahn auf die Elfe zu geben.
Instinktiv lasse ich das schwere Gewicht, das von meinem Steißbein ausgeht, nach vorne schnellen. Mein schuppiger Schwanz trifft Reyna in den Magen und lässt ihren Körper durch den Saal fliegen. Die Wand am anderen Ende des Raumes stoppt ihren unerwünschten Ausflug. Stöhnend sinkt sie zu Boden und schaut zu mir auf. »Du hast Chronos und Kova getötet«, will ich sagen, doch nur ein animalisches Knurren entweicht meiner Kehle. Gütigerweise gibt Aedion genau die Worte wieder, die ich sagen wollte.
Ein unübersehbares Zittern durchfährt die Elfenprinzessin, als sie sich mit der Hand an der Wand abstützt und sich schwerfällig auf die Beine hievt. »Das ist nicht wahr«, versucht sie sich schwach zu verteidigen, doch ihr Geruch straft ihre Worte mit einer Lüge. Blanke Panik geht von der Blondine aus, was das Blut in mir nur noch mehr anfacht. Blinder Zorn flammt in mir auf und lässt mich nur an eins denken: Töten. Töten. Töten!
Langsam bewege ich mich immer näher auf Reyna zu. Ich öffne mein Maul, nicht sicher, ob ich sie meine Reißzähne oder meine Flammen spüren lassen will.
»Stopp!« Zwischen meine tödlichen Waffen und der Mörderin, die mir alles genommen hat, was mir wichtig war, stellt sich Rowan dazwischen. Er streckt seine Arme schützend vor Reyna aus. »Hör auf.« Warum mischt er sich ein? Habe ich mich geirrt? Handelt es sich bei Rowan überhaupt nicht um einen sogenannten Seelengefährten? War es nur das Verliebtheitsgefühl eines unwissenden Mädchens, das nur nach Liebe gesucht hat?
»Davina«, sagt der König eindringlich, ohne mich aus den Augen zu lassen. Noch immer bewege ich mich nicht und lasse mein Maul bedrohlich offen. »Bitte tu das nicht«, fordert er mich auf, doch ich bin nicht in der Lage auf ihn zu hören. Das Feuer in mir wütet unaufhörlich in mir weiter. Ich bin nicht in der Lage es aufzuhalten oder irgendwie in Schach zu halten. Der Zorn in mir will nicht nachlassen, nicht einmal für Rowan.
Ich blicke an Rowan vorbei und schaue auf die immer noch zitternde Elfenprinzessin. Gerade als ich dem Feuer in mir nachlassen will, um meinen Zorn freien Lauf zulassen und ihm so vielleicht endgültig zu entkommen, spüre ich etwas Warmes an meinem Gesicht. Mein Blick huscht von Reyna zu Rowan, dessen grünen Augen mich eindringlich fixieren. Seine Hand liegt auf meinem Kiefer. Langsam schließe ich mein Maul, aber nicht ohne noch einmal ein Knurren von mir zu geben. »Ich weiß, das es schwer ist«, flüstert er. »Aber du darfst dem Drachen in dir nicht lassen.«
Warum nicht, will ich ihn fragen, doch kein Laut entweicht mir. Stattdessen starre ich nur den Mann an, der es irgendwie geschafft hat, das Feuer in mir zu dämmen, sodass nur noch ein kleines Flämmchen in mir lodert. »Wenn du ihm nachlässt, wird es dir wahrscheinlich besser gehen.« Rowan macht eine kleine Pause, ehe er ein Seufzen von sich gibt und fortfährt. »Aber nur für den Moment.« Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, in der wir uns nur anstarren und niemand ein Wort sagt. Weder Rowan noch ich rühren sich vom Fleck.
»Ich kenne dich, Davina«, sagt er. »Du hast ein gutes Herz. Wenn du Reyna jetzt tötest, wird ein Teil von dir sich das niemals verzeihen.«
Fiepend schließe ich die Augen. Vielleicht hat Rowan recht. Vielleicht will ich ihm auch einfach nur glauben.
Ich höre meine Knochen knacken, wie sich meine Gliedmaßen zusammenziehen, bis sich mein Körper wieder federleicht anfühlt.
Als ich die Augen wieder aufschlage, steht Rowan immer noch vor mir. Er schenkt mir ein Lächeln, während sein Daumen sanft über meine Wange streichelt. Obwohl ich tief in meinen Gliedern spüren kann, das ich Rowans Berührung ewig spüren will, zieht sich der schwarzhaarige Mann zurück. Seine Hand hinterlässt eine kalte Spur auf meiner Wange.
Als ich meinen Blick von Rowan abwende, nehme ich wieder die anderen Personen im Saal wahr. Synchron knien sich die Männer und Frauen hin und verbeugen sich vor ... Ja vor wem eigentlich? Rowan oder mir?
»Dein Drache sieht meinen sehr ähnlich«, sagt Chronos. »Sie wissen jetzt, wer du bist«, erklärt er.
Ich wende meinen Blick von dem ehemaligen König von Lythanica ab und entdecke Aedion hinter ihm stehen. Er stülpt sich die Kapuze vom Kopf, reißt sich das Tuch von seinem Gesicht und legt eine Hand auf die Stelle an seiner Brust, wo sein Herz schlägt. Der Dämon verbeugt sich tief, sowie der Bluthund neben ihn.
Ich verenge die Augen. »Seit wann wusstest du es?«
Aedion richtet sich auf und schenkt mir ein belustigendes Grinsen. »Seit unserer ersten Begegnung, Davina Van Vera.«
Aber natürlich.
Ich könnte mir gegen die Stirn schlagen. Warum sonst, sollte ein Dämon so freundlich und zuvorkommend gegenüber einem unbedeutenden Menschen sein.
***
Seufzend lehne ich mich an einen Baum, in der Nähe des Schlosses, und lasse mich auf daran herunter sinken. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde, dass jeder sich vor mir verbeugt, sobald er mich sieht und mir jeden Wunsch erfüllen will. Es fühlt sich einfach nur komisch an.
»Versteckst du dich, meine Königin.« Aedion tritt aus einem schwarzen Nebelschwaden und deutet eine Verbeugung an.
»Nenn mich nicht so«, zische ich. Ich kann es nicht mehr hören. Ständig nennen mich Fremde Königin, dabei wollte ich das doch nie sein. Vielleicht hätte ich einfach zu meinem Ziehvater zurückkehren sollen.
Ich seufze, lehne meinen Kopf gegen den harten Stamm des Baumes und schaue Aedion an. Seit Tagen trägt der Dämon kein schwarzes Tuch mehr über seinem Gesicht und auch die Kapuze ruht nicht mehr auf seinem Kopf. »Warum hast du nie etwas gesagt?« Ich stütze mich vom Baum ab und richte mich langsam auf, um ansatzweise auf Augenhöhe mit dem Dämon zu sein.
Aedion zieht eine Augenbraue hoch. »Es war nie von Bedeutung, Davina«
»Warum?«
»Davina«, Aedion seufzt. »Noch einmal schwöre ich dir ...« Aedion kniet sich vor mich hin. Sein Arm ruht auf seinem rechten Bein, das er aufgestellt hat. »... mein Leben wird dein Schild sein, mein Körper wird dein Schwert sein. Bis zu dem Tag, an dem ich sterbe ...« Er hebt seinen Kopf und schaut mir in die Augen. Das eisige Blau in ihnen leuchtet strahlend hell. »... verspreche ich, ich werde dich nicht verraten.« Unwillkürlich zucke ich zusammen. Seine Worte gehen mir durch Mark und Bein. Ich wende meinen Blick von dem Dämon ab und kann nicht anderes Tun als zu Lächeln. Diesen Schwur, diese Szene, ich habe sie schon einmal gesehen. Damals war ich fassungslos, da eine so mächtige Kreatur einen solchen Schwur jemand Unbedeutendes, wie mir abgegeben hat. Doch ich bin nicht bedeutungslos. Das war ich nie. Das ist niemand, das weiß ich jetzt.
»Wo ist Reyna?«
Mein plötzlicher Themenwechsel scheint Aedion zu verwirren. Er blinzelt mehrmals, ehe er sich räuspert. »Immer noch in der Zelle.«
Ich nicke. »Veranlasse das sie nach Lythalum gebracht wird.« Asena hat mir vor einer Ewigkeit einmal erzählt, dass Drachen dort gefangen gehalten wurden. Ich finde es nur allzu passend, dass die Frau, die sowohl einen Drachen als auch einen Werwolf getötet hat, dahin verfrachtet wird. »Lasse sie einen Monat dort. Dann soll sie zurück zu ihrem Königreich gehen«, ordne ich an.
»Du lässt sie frei?« Aedion klingt überrascht.
»Verrate es ihr nicht. Aber wenn es soweit ist und du sie frei lässt«, sage ich. »Dann sag ihr, sollte sie sich noch einen Fehltritt erlauben, wird Nyx sie jagen.«
Aedion nickt. Ich wende mich von dem Dämon ab und gehe zurück ins Schloss.
***
Als ich die schwere Tür zu meinem Schlafgemach, das Schlafgemach, das für den König von Lythanica bestimmt war, öffne, erstarre ich in der Türschwelle. Breitbeinig sitzt Rowan auf meinem Bett. Seine Arme hat er auf seinen Beinen abgestützt. Raubtierhaft starrt er mich an. »Du gehst mir aus dem Weg.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich wusste, das ich Rowan nicht ewig meiden konnte, ich hatte trotzdem gehofft, etwas mehr Zeit zu bekommen. Noch konnte ich keine Entscheidung treffen. Ich weiß, das Rowan mein potenzieller Gefährte ist, doch wollte ich das?
Seufzend überquere ich die Schwelle und schließe die Tür hinter mir zu. Polternd fällt sie ins Schloss, während ich langsam auf den Drachen zugehe. Ich spüre die Verbindung, den Drang bei diesem Mann zu sein. »Ja«, gebe ich zu. Rowan zieht beide Augenbrauen hoch, ehe er sich von dem Bett erhebt und langsam auf mich zukommt. Unmittelbar vor mir bleibt er stehen. Er lehnt seine Stirn gegen meine. »Warum?« Seine Stimme kommt leise über seine Lippen und beschert mir einen wohligen Schauer bis zu meinen Fußspitzen.
Plötzlich verschwimmt Rowans Gesicht und mir wird schmerzlich bewusst, das meine sogenannte Begabung einsetzt.
Ich sehe ein kleines Mädchen, das mehrmals blinzelt und sich mit den Händen über die Augen reibt. In unmittelbarer Nähe entdecke ich einen von schwarzen Schuppen bedeckten Drache, der einen Wolf in Schach hält. Wimmernd senkt der Wolf seinen Kopf mit eingezogenem Schwanz. Knurrend dreht der Drache sich wieder zu dem Mädchen. Die grünen Augen des kleinen Drachen starren das verängstigte Mädchen für mehrere Herzschläge stumm an.
Einen Wimpernschlag später sehe ich statt die grünen Augen eines Drachen, Rowans.
Ich erinnere mich an die Szene. Ich war dieses kleine Mädchen. Damals war ich mir sicher, dass ich sterben werde, obwohl ich nicht mehr wusste, als meinen Namen. Doch dieser schwarze Drache hatte mich vor meinem Tod bewahrt.
»Du warst dieser Drache«, wispere ich. »Der Drache, der mich vor dem Wolf beschützt hat.« Rowan blinzelt mehrmals, ehe er langsam nickt. »Ich konnte nicht zulassen, das Dhara dich tötet«, sagt Rowan. »Damals wusste ich nicht warum, doch heute weiß ich es.«
Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Rowan wusste damals nicht, wer ich bin, nur das ich ein Mensch bin. Dennoch hat er mich gerettet. Er hatte entschieden, dass ich leben darf, obwohl ich ein Mensch war.
Mein Herz stolpert, als ich meine Hand an Rowans warme Wange lege. »Ja«, flüstere ich ihm zu. Mehr brauchte Rowan nicht, um zu begreifen, dass ich ihm meine Zustimmung gab.
Er ist damals das Risiko eingegangen, einen Menschen, trotz der Dinge die der Menschenkönig Nyr getan hat, zu retten, und nun bin ich bereit, das Risiko einzugehen, dass das Gefährtenband zwischen Rowan und mir uns zerstören könnte.
Sie sagen, er ist rücksichtlos. Jemand wie ich, die als Mörderin beschuldigt wurde, hätte von ihm sofort hingerichtet werden müssen. Aber wenn ich in Rowans grüne Augen schaue, spüre ich keine Angst. Wenn ich ihn küsse, kann ich sein eiskaltes Herz gegen meine Brust schlagen hören.
Mir, wispert eine Stimme in meinem Kopf. Er gehört mir.
Warnung an dieser Stelle: Das nächste Kapitel ist ein reines Sex-Kapitel, wer so etwas nicht gerne liest: Überspringt es einfach ^-^
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