Kapitel 32
Er hat mich doch noch zu Olivia gefahren, obwohl ich ihn echt überreden musste. Er war der Meinung, dass ich mich jetzt ausruhen muss. Ich habe mich schließlich gerade übergeben. Eigentlich würde ich auch gerne nach Hause wollen, aber ich habe das Verlangen, Olivia zu sehen. Ich muss ihr das hier einfach erzählen. Dabei kenne ich sie noch nicht mal so lange. Ich kenne sie wirklich erst einen Tag und trotzdem fühlt es sich so an, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Wäre schon ein witziger Zufall, wenn sie auch zu dieser ganzen Sache gehört. Vielleicht ist sie ja eine weit entfernte Verwandte von mir. Wäre jedenfalls witzig.
Aber das ist jetzt egal! Cole hat mich vor ihrem Haus herausgelassen und ist dann nach Hause gefahren. Er hatte mir noch auf der Fahrt hierher versichert, dass er meine Mutter wirklich liebt.
Langsam stapfe ich zur Tür und drücke auf die Klingel. Ein kleines Klingeln ertönt im Haus. Ich muss gar nicht warten und die Tür wird mit einem großen Schwung von Olivia geöffnet.
Sie scheint es sich gerade gemütlich gemacht zu haben, denn sie trägt einen weihnachtlichen Kuschelanzug. Stimmt, bald ist Weihnachten.
Bis ich aber auf ihre Hände gucke, merke ich, dass sie anscheinend etwas backt, denn an ihren Händen klebt Mehl.
„Was machst du denn hier?"
Ich grinse sie schief an und streiche mit meiner Hand eine Strähne aus meinem Gesicht. „Ich wollte einfach mal vorbeigucken, denn ich wollte dir etwas erzählen, aber wenn es gerade ein schlechter Moment ist, dann kann ich wieder gehen", und deutet hinter mir auf das nicht mehr vorhandene Auto.
Sie schüttelt den Kopf und wischt sich mit der Hand durch das Gesicht, was eine weiße Spur vom Mehl hinterlässt. „Nein, Quatsch! Komm rein! Ich backe gerade Kekse, aber vielleicht kannst du mir ja helfen. Meine Eltern sind übrigens nicht da."
Sie winkt mich ins Haus und ich lege meine Jacke ab. Die Schuhe stelle ich neben der Tür und folge dann Olivia in die Küche. Dort liegt ein Blech, auf dem schon ein paar ausgestochene Kekse liegen. Neben dem Blech liegt der ausgerollte Teig und mehrere Ausstechformen.
„Du kannst ein paar Kekse ausstechen!", meint sie und deutet auf die Ausstechformen. Sie hingegen wendet sich zu einem Teigklumpen und einer Teigausroller um, während ich, kleine Tannenbäume auszustechen.
„Also, was musst du mir erzählen?"
Ich muss kurz auflachen und erzähle ihr dann alles, was ich von Cole erfahren habe. Auch, dass er mich so in der Art entführt hat.
Stille.
„Okay, damit habe ich jetzt nicht gerechnet."
Ich nicke nur stumm und lege fertige Plätzchen auf das Blech. Mir ist Cole damals schon komisch gewesen, aber dann war er mir irgendwann richtig sympathisch. Jetzt ist er mir natürlich immer noch sympathisch, aber ich werde ihn nie wieder so angucken wie früher. Aber warum ging es mir auf einmal so schlecht und warum kann ich mich kaum mehr an den Traum von Onyx erinnern? Es gibt immer noch so viele Fragen, die nicht beantwortet sind! Wie lange werden diese Fragen noch unbeantwortet bleiben?
Auf einmal wird mir sehr kalt. Obwohl ich einen dicken Pulli anhabe, spüre ich, wie die Kälte über meine Füße, über meine Beine, hoch zu meinem Bauch klettert und sich dann am ganzen Körper ausbreitet. Es ist nicht diese normale Kälte, wenn man draußen steht, sondern diese schmerzende Kälte. Es fühlt sich so an, als würden kleine Nadeln meine Haut bearbeiten und ohne Hemmung in sie eindrängen.
„Juna, kannst du die Schokolade kleinhacken?", fragt Olivia mich und drückt mir ein Messer in die Hand. Das Messer fühlt sich unfassbar schwer an und ich kann es kaum halten, weil meine Hand so zittert. Ich umschließe den Griff mit beiden Händen, muss mich aber trotzdem an die Kücheninsel lehnen, weil mir auf einmal so schwindelig wird. Die Nadelstiche werden immer brutaler und ich habe mit einem schwarz werdenden Sichtfeld zu kämpfen.
Mir entweicht ein gedämpftes Stöhnen und ich spüre sofort, dass Olivia sich zu mir umdreht. Auch wenn ich ihren Blick nicht sehen kann, kann ich ihn mir gut vorstellen.
Wie muss das nur für sie aussehen?
Anstatt sich aber über mich lustig zu machen, eilt sie zu mir und greift besorgt nach meinen Schultern. „Juna, du siehst gar nicht gut aus! Möchtest du etwas trinken?"
Ich stammelte irgendwas vor mir hin, aber ich schaffe es nicht, die Vokale in Wörter zu bilden. Aber was hätte ich denn sagen wollen? Hilfe? Es tut mir leid?
Letzteres hätte ich wahrscheinlich gesagt.
„Oh nein, Juna! Du musst dich hinsetzen! Gib mir das Messer."
Und an diesem Punkt habe ich den Kampf gegen die Schwärze verloren, die nun brutal auf mich knallt.
Ich fühle mich so ein bisschen, als würde ich ertrinken. Die Schwere drückt mich immer weiter nach unten und ich habe keine Kontrolle über meinen Körper oder sonst, was ich mache.
Und so weiß ich auch gar nicht wirklich, was danach passiert ist. Ich weiß aber, dass ich auf Olivia gesprungen bin, mit erhobenem Messer, welches immer wieder in ihre Brust stach. Immer und immer wieder. Ich glaube, ihre letzten Worte waren: „Juna, bitte lass es! Es tut weh!" Es kann aber auch einfach nur ein Schrei gewesen sein. „Hilfe!"
Was auch immer Kontrolle über mich hat, ist es egal. Dieses etwas durchdringt immer wieder die Haut von Olivia, irgendwann spritzt etwas Warmes in mein Gesicht und ich weiß sofort, dass es Blut ist.
Und so geht es weiter und weiter. Olivia ist schon gar nicht mehr hier, aber das Messer sticht immer noch in ihre Haut, bis ich auf einmal eine Sirene höre. Dann stockt mein Körper. Was passiert hier nur für ein kranker Scheiß?
Jetzt, wo dieses Wesen eine Pause gemacht hat, versuche ich zurück an die Oberfläche zu schwimmen, was mir auch gelingt, trotzdem ist immer noch dieses Wesen da.
Es sind die Seelen der Drachen, wird mir auf einmal klar. Die Seelen sind in meinen Körper gedrungen, aber wie?
Zitternd drehe ich das Messer in meiner Hand um, so dass die Spitze auf meinen Bauch deutet.
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