Kapitel 14.
Rie brüllte auf, wie es nur ein wütender Drache konnte. So laut und kräftig, dass durch das Echo in der Höhle kleine Stein aus der Decke brachen und zu Boden fielen.
Ihr ganzer Körper verkrampfte sich, während heiße und kalte Schauer sie abwechselnd durchliefen.
Die ganze eiskalte Wut, die sich in ihr angestaut hatte, verdichtete sich und wurde zu einem schwarzen Etwas, welches sie schon in der Tempelhalle gespürt hatte.
Es wuchs und wuchs, stetig an. Und je mehr es wuchs, desto mehr fühlte es sich an, als würde es sie innerlich zerreißen.
Doch spürte sie fast verdeckt von diesem Gewirr aus Schmerz, Wut und Kälte im tiefsten Grunde ihrer Seele, wie sich etwas in ihr veränderte. Was sie jedoch nicht beschreiben oder greifen konnte.
Langsam ließen die Krämpfe etwas nach und vorsichtig, auf jede Bewegung bedacht, setzte sie sich auf die Knie.
Völlig in sich gefangen bemerkte sie nicht, dass ihr der Bannzauber nichts mehr auszumachen schien.
Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und legte mit geschlossenen Augen und zusammen gebissenen Zähnen den Kopf auf die Knie.
Ihr Kopf war kurz davor zu explodieren und jeder einzelne Knochen im Leib tat ihr weh, als würde glühende Lava hindurch fließen und somit auch ihr Blut zum kochen bringen.
Plötzlich schien es, als würde schwarzer Dampf von ihrem Körper aufsteigen und sich als eine schwarze Aura um sie legen.
Sie waberte und zuckte wie schwarzer Neble, um sich schließlich auf ihrem Rücken zu sammeln und mehr und mehr Gestalt anzunehmen.
Als es fast vollendet war, durchfuhr sie ein brachialer Schmerz. Sie bäumte sich auf, riss den Kopf in den Nacken und brüllte so laut sie konnte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, waren ihre Schreie verebbt und in stummer Qual, schlug sie die Augen auf, die nun vollkommen schwarz geworden waren. Kein Weiß war mehr vorhanden und auch ihre ansonsten smaragdgrüne Iris, war verschwunden.
Nur noch tiefste und abgrundloseste Schwärze war zu sehen.
Noch eine heftige Schmerzwelle und dann war alles vorbei, keuchend sackte sie in sich zusammen.
Unendlich langsam rappelte sie sich wieder auf und schaute in die Gesichter um sich herum, die sie mit vielen verschiedenen Emotionen anstarrten.
Bakúm war irritiert, hatte aber das Lächeln eines Kindes im Gesicht, das gerade ein neues Spielzeug entdeckt hatte.
Koga und Tsuki schaute sie mit großen Augen und offenen Mündern vom Boden aus an.
In Lúcca's Gesicht spiegelt sich erst pures Entsetzen, was dann allerdings von tiefster Sorge abgelöst wurde.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Nein! Bitte nicht! Nein! Bitte, bitte nicht!" murmelte er, als er ihr direkt in die Augen sah, in denen sich keinerlei Gefühlsregungen mehr ablesen ließen.
Es kümmerte sie kaum, nur tief in ihrem Inneren fing etwas an zu schreien.
Ihr Selbst schien in den Hintergrund gerückt worden zu sein und sah nur von Weitem zu was geschah.
Prüfend schloss und öffnete sie immer wieder ihre Hände, alles fühlte sich irgendwie fremd für sie an. Als sie aufstand merkte sie auf einmal ein ungewohnte Gewicht an ihrem Rücken.
Der Nebel hatte sich nun komplett verdichtet und ein paar Flügel gebildet. Es waren große, samtig, schwarze Flügel, die aussahen wie eine Mischung aus Drachen und Engelsflügeln.
Sie kannte sie, denn sie gehörten zu ihrer ganz eigenen speziellen Verwandlungsform, die des Geisterdrachen Engels, doch heute war es anders und doch eigenartig vertraut.
Neue Kräfte durchströmten sie, es war ein berauschendes Gefühle und die Wunden, sowie die Schmerzen, die sie hatte interessierten sie nicht mehr
Ihr gesamtes Bewusstsein hatte Platz für den puren Instinkt und zwei Gefühle gemacht: Rachedurst und Mordlust.
„Phantastisch! Ausgezeichnet! Ich weiß schon, warum ich dich unbedingt haben wollte!" jubelte Bakúm laut und klatschte in die Hände.
Rie ignorierte ihn, sie war völlig in sich versunken und erforschte ihren scheinbar neuen Körper, bis er einige Schritte auf sie zu machte.
Ihr Körper schien automatisch zu reagieren, wie ferngesteuert hob sie den Kopf, legte ihn schief und sah Bakúm ausdruckslos an.
Dieser lächelte. „Diese Augen! Wie schwarze Onyxe!" schwärmte er und schickte sich an noch näher zu kommen.
Plötzlich lief alles wie von selbst ab.
Ein Impuls stieg in ihr auf und sendete eine gewaltig Schockwelle aus, die Bakúm von den Füßen riss, ihn nach hinter weg schleuderte und die umliegenden Kristalle in tausend Stücke zerspringen ließ.
Augenblicklich erlosch der Bannzauber und Tsuki und Koga kamen ächzend wieder auf die Beine.
Sofort wollte Tsuki auf Rie zu laufen, doch Lúcca hielt sie zurück. „Nein! Bleibt weg von ihr!" brüllte er, Tsuki zuckte zusammen und schaute ihren Bruder sichtlich verwundert an. „Im Moment, ist sie nicht sie selbst!" setzte er nach.
Koga mischte sich ein. „Woher weißt du das? Wir kennen diese Form von ihr doch schon." sagte er, während sie zu Lúcca gingen.
Rie beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus und hörte was sie sagten, doch ihre Aufmerksamkeit galt Bakúm, der sich gerade an der Wand aufzurichten versuchte, gegen die er gekracht war.
„Könntet ihr mich vielleicht freundlicher Weise erst einmal hier runter holen? Allmählich schlafen mir die Arme ein!" maulte Lúcca und klapperte mit den Ketten.
Koga fing an zu grinsen. „Och, nun stell dich doch nicht so an, eigentlich machst du dich ganz gut da oben. Du hängst da so schön lässig und bequem." stichelte er.
Lúcca funkelte ihn an. „Wir können gerne tauschen! Mal sehen wie lange du es aushältst!" fauchte er giftig zurück.
Koga ballte die Fäuste und ging ein paar Schritte auf ihn zu. „Suchst du Streit? Den kannst du gerne haben!" meinte er angriffslustig.
„Jungs, echt jetzt!" mischte Tsuki sich ein. „Es ist ja schön wie lieb ihr euch habt, aber wir haben im Moment wirklich andere Sorgen. Wenn wir wieder Zuhause sind, könnt ihr euch von mir aus gern die Köpfe einschlagen, aber jetzt reißt ihr euch zusammen, kapiert?" sagte sie und ließ keinen Raum für Widerspruch.
Beide sahen sie kurz irritiert an, jedoch nickten sie unter ihrem strengen Blick schnell und schluckten schwer.
So befreite sie Lúcca von seinen Fesseln und holten ihn vorsichtig zurück auf den Boden. Doch dieser ging gleich, wenn zwar noch etwas wacklig auf den Beinen zu einer bestimmten Stelle, bückte sich, hob etwas kleines, glitzerndes auf und ging langsam wieder zurück.
Koga sah ihn neugierig an. „Was ist das?" fragte er und reckte den Hals, um besser sehen zu können.
„Es ist die Kette, die die Zwillinge und ich für Rie gemacht haben. Sie hat sie vorhin verloren, als sie gegen die Wand geschleudert wurde." sagte Lúcca und sah traurige auf das glitzernde Kleinod in seiner Hand. „Ich wusste nicht, dass sie sie schon hat."
Tsuki lächelte ihn warm an. „Kurz bevor wir hierher aufgebrochen sind hab sie sie ihr gegeben und sie hat sich sehr darüber gefreut." sagte sie und Lúcca lächelte seine Schwester dankbar an.
In dem Augenblick in dem Rie die Kette sah, regte sich etwas in ihr, es war wie ein warmer Hauch weit unten in ihrem Bewusstsein, doch es wurde gleich wieder übertönt, denn Bakúm hatte es endlich geschafft wieder sicher auf den Beinen zu stehen.
Er lächelte sie an. „Nicht schlecht, das muss ich dir lassen. Den Schlag habe ich nicht kommen sehen. Aber noch mal wirst du mich so nicht erwischen." meinte er und zog ein großes Breitschwert von der Wand neben sich.
Mit einem kalten Lächeln, zog Rie ihren Säbel aus der Scheide und ging in Angriffsposition.
Bakúm preschte nach vorne und hob, mit brutaler Wucht sein Schwert gegen ihren Kopf, oder er versuchte es zumindest.
Rie's Körper reagierte instinktiv, mühelos blockte sie den Schlag ab und ihr anfängliches Lächeln wurde zu einem Grinsen.
Schlag um Schlag versuchte Bakúm sie aus dem Konzept zu bringen, doch egal was er machte, welche Taktik oder Finte er auch aus dem Ärmel zog, Rie parierte jeden Einzelnen seiner Angriffe.
Beim nächsten Schlag von oben gegen ihren Oberkörper, wich sie geschickt zur Seite hin aus und donnerte ihm ihren Schwertknauf mit solcher Kraft gegen den rechten Oberarm, dass man es nur noch laut knacken hörte.
Er schrie auf, ließ sein Schwert fallen und faste sich mit dem linken an den rechten Arm, welcher nur noch schlapp an seinem Körper hing.
Entsetzt sah er sie an und nun dämmerte es ihm, dass er gegen sie kein Land sehen würde.
Die Angst und die Panik, die daraufhin in seinem Blick zu sehen war, bereite ihr außerordentliches Vergnügen und sie wollte mehr davon, wollte ihn leiden sehen!
Kichernd ging sie auf ihn zu und er wich panisch zurück, dann drehte er sich abrupt um und rannte auf die Wand zu, an der das Regal mit den Gläsern stand.
Dort angekommen, schnappte er sich eins davon, riss mit dem Zähnen den Deckel ab und hielt die Öffnung in Rie's Richtung.
Wie aus dem Nichts, schoss ein gewaltiger Tornado auf sie zu, hob sie von den Füßen und schleuderte sie so wuchtig gegen die Decke, dass ihr der Säbel aus der Hand geschlagen wurde.
Es hätte wohl sehr wehtun müssen, doch sie spürte nichts.
Einige Sekunden lang, drückte sie die Gewalt des Windes gegen den harten Stein und über das donnernde Tosen, hörte sie Bakúm schreien. „Und, wie gefällt es dir von der Magie deiner eigenen Rase plattgemacht zu werden?" Er lachte und freute sich über seinen Triumph.
Zu früh. Der Wind ließ nach, doch anstatt zu Boden zu fallen wie die Steine, die der Tornado aus der Decke gebrochen hatte, fingen sie ihr Flügel ab und brachte sie sanft zu Boden.
Prüfend begutachtete sie sie, bewegte sie auf und ab. Sie waren stark, das spürte sie.
Ihr Gegenüber war aus seiner Starre erwacht und griff zum nächsten Glas.
Gleich darauf flog ein gewaltiger Feuerball auf Rie zu.
Leise hörte sie Lúcca und die anderen Fluchen und wie Tsuki erschrocken ihren Namen rief, während sie hinter einem großen Felsen in Deckung gingen.
Doch die Sorge war unbegründet, mit der Eifrigkeit eines alten Dienern's schlossen sich diese großen, starken Flügel wie ein Schild um sie.
Die Magie prahlte einfach ab und das Feuer flog in alle Richtungen davon, sodass es den Berg zum beben brachte.
Vorsichtig öffnete sich ihr Schild wieder und sie sah einen völlig verängstigten Bakúm, der sie nur ungläubig anstarrte.
In blinder Panik warf er jedes Glas, das in seiner Reichweite war auf sie, während sie immer weiter auf ihn zuging. Jedoch erreicht keines der Wurfgeschosse sein Ziel, die Flügel fegten jedes Einzelne einfach beiseite.
Ringsherum erfüllten, von den berstenden Gläsern erzeugte Explosionen den Raum und auch Lúcca, Tsuki und Koga mussten einige Male die Köpfe einziehen.
Eines dieser Geschosse, landete direkt neben Bakúm und detonierte in einem wunderschönen blaugrünen Licht, was sein linkes Bein arg in Mitleidenschaft zog.
Er taumelte Rückwärts und fing sich an einem der Regalbretter ab, wo er stehen blieb und weiter versuchte Rie's Vorwärtskommen zu verhindern.
Mittlerweile, schwankte und ächzte der ganze Berg über ihnen, unter dem unerbittlichen Bombardement.
Immer größere Felsbrocken fielen herab und in diesem Chaos aus Explosionen und herabstürzenden Steinen, ging Rie immer weiter, lächelnd auf Bakúm zu, bis sie schlussendlich unmittelbar von ihm stand.
Unterdessen war ihm die Munition ausgegangen, so stand er nun wie versteinert, mit weit aufgerissenen Augen einfach nur da und starrte sie an.
In einer fließenden Bewegung, packte sie ihn an der Kehle und hob ihn ein paar Zentimeter vom Boden in die Höhe.
Mit seinem gesunden Arm packt er ihr Handgelenk und versuchte den unerbittlichen Würgegriff irgendwie zu lockern, was jedoch nichts brachte.
„Rie!" brüllte es plötzlich durch die Höhle.
Es war Lúcca's Stimme, er und die anderen kamen auf sie zu gelaufen. Doch noch bevor sie die beiden erreicht hatten, breitete Rie ihre Flügel aus und flog zusammen mit Bakúm zur Decke hinauf.
Die drei stoppten und konnten ihnen nur noch hilflos hinterher sehen, wie sie langsam und stetig an Höhe gewannen.
Ganz oben angekommen, schlug Rie kräftig mit den Flügeln auf und ab um sich und Bakúm auf der Stelle zuhalten.
Er wand sich, fluchte und schimpfte, er versuchte alles um sich zu befreien.
Sie sah ihn schief an und zum ersten Mal seit sie sich verwandelt hatte, sprach sie.
Ihre ansonsten weiche Stimme war rau, tief und bedrohlich. „Nun ist dein Ende gekommen. Ich hatte es dir versprochen. Das ist für all die Leben, die du ausgelöscht hast. Viel Spaß in der Hölle!" sagte sie.
Mit einem letzten Lächeln und einem Blick in seine vor Entsetzten geweiteten Augen, ließ sie los.
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