Kapitel 13.2
Ich erhob mich und meine Männer folgten. Obwohl Lionel mit wenig Soldaten da war, signalisierte ich meinen Männern, sich für den Kampf bereit zu machen.
Lionel hatte das Signal verstanden und brach in hysterisches Gelächter aus, wie ich es von ihm kannte. Es wurde deutlich, dass er mich nicht als Bedrohung wahrnahm, was mich beruhigte. Vermutlich glaubte er, dass er selbst hier gegen mich bestehen könnte oder dass es gar nicht erst zum Kampf kommen würde.
„Ich bin nicht hergekommen, um dich zu vernichten, Gideon", lachte er, wobei ich sein siegessicheres Lächeln sah. „Dafür ist später noch genug Zeit. Vielleicht tut mir aber auch diese Insel den Gefallen, dann muss ich mir nicht selbst die Finger schmutzig machen."
Die Worte waren so daher gesagt, doch ich verstand die Warnung. Irgendwas lag in der Luft. Als würde er etwas planen, damit er mit reinen Händen aus dem Kampf mit mir kam. Forderte er mich direkt heraus, würde das seinem Ansehen genauso schaden, wie ein hinterhältiges Manöver.
Ich kannte ihn genug, um zu wissen, dass er beides vermeiden würde, sofern es möglich war. Er hasste es, zu arbeiten und sein Ansehen war ihm wichtig.
„Vielleicht", antwortete ich, wobei ich nicht fähig war, meine Wut und Bitterkeit aus meiner Stimme zu verbannen. „Was wollt Ihr?", fragte ich und hatte Mühe, höflich zu bleiben. War er nur hier, um mich zu verspotten? Etwas, was ich ihm durchaus zutraute, doch warum die Kutsche? Ich ahnte, dass mir nicht gefallen würde, was darin war.
„Ich bin hier, um einen ganz besonderen Gefangenen abzuliefern", erklärte er und signalisierte seinen Männern, die Kutsche näherzubringen. Das bestätigte mein ungutes Gefühl und ich spannte mich an, je näher die Männer zur Kutschentür kamen.
Diese wurde geöffnet und eine junge Frau kam heraus, die sich überrascht umsah.
Entgeisterung huschte über mein Gesicht, als ich sie sah. Was machte denn eine so junge Frau hier auf der Insel und was meinte Lionel mit besonderer Gefangenen? Sie sah überhaupt nicht besonders aus. Zumindest so lange nicht, bis ich sehen konnte, dass ihre Drachenessenz dabei war zu erwachen. Sie war überraschend mächtig, was mich irritierte. Sollte er eine so mächtige Frau nicht lieber bei sich behalten und zu seiner Königin machen?
Lionels Verhalten ergab für mich keinen Sinn, weil ich nicht verstand, was er damit bezweckte. So lange nicht, bis er begann zu sprechen. „Sie ist ein wildes Ding", lachte Lionel. „Und sie hat eine riesige Menge Drachenessenz in sich. Ihre Verwandlung hat bereits begonnen, aber sie lässt sich trotzdem kaum bändigen und hat immer wieder versucht zu fliehen. Da ich nicht will, dass sie eines Tages einfach weg ist, wird sie jetzt hierbleiben, damit sie nicht entkommen kann", erklärte er, wobei ich die junge Frau nicht aus den Augen ließ.
Auf verdrehte Art und Weise machten seine Worte sogar Sinn. Vermutlich hatte er einfach keine Lust, sich mit ihr zu beschäftigen und sie zu bändigen. Daher suchte ich auch kurz die Umgebung nach einem Heiler ab, der die Wandlung vollziehen sollte, doch ich konnte niemanden entdecken. Darum blickte ich wieder auf die junge Frau, die scheinbar auch nicht ganz verstand, was los war.
Sie wirkte nicht ängstlich, sondern mehr überrascht und neugierig. Fast schon entspannt. Wusste sie vielleicht nicht, wo sie hier war oder hatte Lionel die Dinge beschönigt, damit sie sich nicht wehrte? Wenn sie versucht hatte zu fliehen, war das eine Option.
„Wer ist sie?", fragte ich, da ich nicht ganz verstand, warum Lionel eine adlige Frau auf die Insel brachte. Zumindest sprachen ihre Kleider für diesen Stand, denn das Kleid war für die Umgebung viel zu edel.
„Deine zukünftige Königin. Also behandle sie auch so, Gideon", wies er mich an, was mich ganz kurz zucken ließ. Hatte ich das richtige gehört?
Ich blickte zu Lionel. Dieser starrte zurück und ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Worte ernst meinte. Ich spürte die Drohung in seinem Blick, weshalb sich mir alle Nackenhaare aufstellten.
Es war Lionel, von dem ich hier sprach. Er brachte sie doch nicht ohne Hintergedanken hierher. Irgendwas daran war faul.
Mir wurde klar, dass dieses Mädchen eine Falle war. Ich verstand jedoch noch nicht ganz, was genau Lionel mit ihr und mir vorhatte.
Leider wollte er mir diese Dinge nicht erklären. Stattdessen bekam ich ein breites Grinsen, bevor er sich rumdrehte. Es war verlockend ihm einen Stich in den Rücken zu verpassen, doch er war noch immer mein Bruder und mir würde das mehr schaden als ihm.
„Lasst uns gehen", rief Lionel seinen Männern zu, die sich sofort umwandten. Dann galoppierten sie von der Insel, während sich Hodors Magie wieder manifestierte und den Schleier zurück an seinen Platz brachte.
Innerhalb weniger Minuten gab es keine Anzeichen mehr dafür, dass Lionel überhaupt hier gewesen war. Nur die junge, blonde Frau, die erst Lionel hinterherstarrte und dann zu mir blickte. Irgendwie wirkte sie nicht verloren oder hilfesuchend. Eher lauernd, als würde sie jederzeit mit einem Angriff rechnen oder die erste Gelegenheit nutzen, um zu fliehen. Kein Wunder, dass Lionel nicht mit ihr klarkam.
„Das ist eine Falle, Mylord", bemerkte Jace flüsternd und trat an mich heran. War das nicht offensichtlich? Sicherlich war das nicht nur mir, sondern auch meinen Truppen klar.
„Genau, wie Leon es vorhergesagt hat", murmelte Lucius und ich verspannte mich.
Stimmt, da war was gewesen. Leon hatte eine Frau gesehen, die in mein Leben trat. Aber ... Ich blickte zu dem Mädchen ... Sie?
„Ruhe", flüsterte ich wütend, denn ich wollte nicht, dass alle mitbekamen, was los war. „Verliert nicht eure Wachsamkeit und sagt keinen Unsinn in der Öffentlichkeit", wies ich die beiden zurecht, bevor sie weiter auf das Thema eingehen konnten. Hier war nicht der richtige Ort, um das zu besprechen. „Schnappt euch das Mädchen und trefft mich im Gemeinschaftsraum", wies ich sie an.
„Sehr wohl, Mylord", antworteten beide. Das war der Augenblick, wo ich sah, dass sich die Kleine dazu bereitmachte, wegzurennen. Ich hatte also recht gehabt. Sie schien niemand, der sich anderen beugte oder bloß auf sie hörte. Es sollte jedoch nicht meine Sorge sein. Nicht im Moment.
Darum würden sich Lucius und Jace kümmern. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihnen entkam.
Ich hatte genug Probleme, mit denen ich fertigwerden musste. Das Letzte, was ich brauchte, war eine Frau, die unter den Soldaten für Unruhe sorgte. Diese mussten wachsam und kampfbereit sein. Daher war jede Art der Ablenkung eine Gefahr. Ganz zu schweigen, dass sie hier unter Männern nicht gerade in Sicherheit war.
„Zurück zu euren Posten", rief ich meinen Männern zu. Diese betrachteten das Mädchen kurz, bevor sie von dannen zogen. Es gab ein oder zwei, die wohl darüber nachdachten, ob sie den Ärger wert war, doch sie entschieden sich dann, ebenfalls ihren Aufgaben nachzugehen. Das war gut, denn ich wollte keinen guten Mann verlieren, weil eine Frau ihn um den Verstand gebracht hat, sodass ich ihn hinrichten musste.
Erst, als ich sicher war, dass jeder wieder dort war, wo er sein sollte, bewegte ich mich schlendernd auf den Gemeinschaftsraum zu.
Dieser war mit einer Zeltplane überdacht, doch wurde von steinernen Mauern umzäunt, womit er gesicherter war als der Rest. Dennoch gab es auch hier nur das Nötigste.
In der Mitte des Raumes stand ein großer, runder Tisch. Ringsherum ein halbes Dutzend Hocker. Nicht gemütlich, aber praktisch.
Das war der Ort, an dem ich mich mit meinen Leuten beriet und wir uns über das weitere Vorgehen austauschten. Jetzt jedoch galt mein Augenmerk dem Frauenproblem, das ich ganz und gar nicht gebrachen konnte.
„Ihr seid für heute entlassen", sagte ich zu den Wachposten am Eingang des Raumes. Ich brauchte keine weiteren Zuhörer. Es reichte schon, dass die Männer gesehen hatten, wie Lionel sie hier abgeliefert hatte. Vermutlich würden sie darüber beraten, ob man sie umbringen sollte oder nicht. Ich hoffte sehr, dass sie auf die richtige Antwort kamen und die Finger von ihr ließen.
„Ja, Mylord", erhielt ich als Antwort, bevor sie sich auf den Weg zu einem anderen Teil des Lagers machten. Es war gut, dass sie nicht nachfragten, sondern einfach gehorchten. Vermutlich konnten sie sich ihren Teil bereits denken.
Jace und Lucius war es gelungen, das Mädchen zu fangen, denn sie brachten sie gerade in den Gemeinschaftsraum. Leon folgte ihnen und schien der Meinung, dass er gebraucht wurde, obwohl ich nicht nach ihm gerufen hatte. Etwas, was ich vermutlich getan hätte, da ich überprüfen wollte, ob es sich bei der Frau wirklich um jene aus seiner Vision handelte.
Ich nutzte die Gelegenheit und musterte sie genauer. Sie hatte blondes Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten war, die über ihre Schultern fielen. Im richtigen Licht schimmerte es sogar golden, was mich überraschte. So eine Farbe hatte ich noch nie gesehen. Sie war schön.
Ihre braunen, glänzenden Augen wirkten ziemlich groß für ihr schlankes, aber rundes Gesicht. Es wirkte sehr jung. Dazu kamen eine dünne, lange Nase und ein sanft gewölbter Mund mit zwei kecken, rosafarbenen Lippen. Sie wirkten anziehend und verliehen ihr ein sehr hübsches Antlitz, wären da nicht die Akneflecken, die ihre Wangen übersäten.
Sie war nicht das typische Bild von Schönheit und trotzdem hatte sie etwas Anziehendes. Trotzdem erklärte nur die Drachenessenz, warum mein Bruder sich für sie interessierte. Sie war überhaupt nicht sein Typ.
„Was zum Teufel denkt sich mein Bruder", rief ich frustriert aus. „Sie ist doch nur ein Mädchen", meinte ich und deutete anklagend auf sie, dabei wusste ich sehr genau, dass dieses Mädchen am wenigsten dafürkonnte.
Obwohl Lucius sie hielt, schien sie sich von meinen Worten geärgert zu fühlen, denn sie riss sich wütend los und machte einen Schritt auf mich zu. Kein Funken Angst lag in ihren Augen, was mir zeigte, dass sie eine Kämpfernatur war.
„Ich bin achtzehn", gab sie eingeschnappt zurück. „Ich bin schon lange kein Mädchen mehr." Obwohl sie das behauptete, war die Art und Weise wie sie sich gab und wie sie aussah, sehr kindlich.
Lediglich ihre Stimme war schärfer, als ich sie mir vorgestellt hatte und gab ihr eine erwachsenere Note. Sie hatte eine wirklich flinke Zunge und ein loses Mundwerk. Trotzdem war sie nichts weiter als ein Mädchen. Ihre Züge wirkten einfach viel zu jung, als dass ich ihr abkaufen würde, dass sie wirklich schon so alt war. Wo waren die Anzeichen dafür?
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