2: Was ist die Alternative zum Spiel?
Ich ziehe die Kapuze ein Stück tiefer in mein Gesicht und den Umhang enger um meinen Körper, während ich durch die Schatten husche. Die Dunkelheit, die mich in sich hüllt wie ihr eigenes Kind.
Wachsam betrachte ich die Menge auf dem Markt und suche sie nach Wächtern ab. Lausche in das laute Murmeln nach einem bekannten Wispern. Zu meiner Erleichterung ist keiner der schwarzen Gestalten auf dem Platz und ich strecke den Rücken durch.
Talib meint es gut. Aber er weiß so gut wie ich, dass mich wegzusperren mehr schlecht als recht ist. Nicht meinetwegen per se, aber wir brauchen das Geld. Schließlich können wir keine Sägespäne essen. Die sind unglaublich trocken und machen einen noch hungriger, kommentiere ich meinen eigenen Gedanken. Vor Jahren habe ich es aufgrund einer verlorenen Wette tatsächlich probiert.
Wachsam dränge ich mich durch die enge Masse, der unwissenden Stadtbewohner. Dränge mich an aneinandergepressten Körper vorbei, die sich zu den Obst und Gemüseständen vorarbeiten. Der eigentlich angenehme süße Duft dieser wird mit einer schweißigen Note versehen.
Unauffällig schnappe ich mir einen Apfel aus dem Korb einer jungen Dame in einem geblümten Seidenkleid. Blicke ihr hinterher, während sie im nächsten Moment von der Masse verschlungen wird und beiße genüsslich in das Obst. Mich würde man niemals in so einen Fummel bekommen. Der Ausschnitt. Viel zu knapp. Und bunt.
Ich schüttele den Gedanken ab und beiße erneut in den roten Apfel. Der süße Saft tropft meine Kehle hinunter und vertreibt den Geruch der Menschen. Es ist das Erste, das mein Magen heute entgegennimmt und er bedankt sich mit einem leisen Grummeln. Ermöglicht mir so, mich erneut auf meine Umgebung zu konzentrieren.
Während die Bürger sich ihrem Einkauf widmen, huschen meine Hände in ihre Taschen und erleichtert sie einiger Silbermünzen oder Schmuck, die in meiner verschwinden. Der Markt ist mein Jagdgebiet, weshalb ich nicht Gefahr laufe Keir oder Talib zu begegnen und ich kann in unserer momentanen Bleibe sein, bevor sie zurück sind.
Ich greife nach einer goldenen Taschenuhr, die mein Inneres jubeln lässt, als ich im Augenwinkel einen schwarzen Schatten bemerke. Erschrocken drehe ich mich, mit angehaltenem Atem, zu dem vermeintlichen Wächter.
Ich atme erleichtert durch, als sich die schwarze Gestalt als Normalbürger entpuppt. Doch zu meinem Übel reißt mich ein fester Griff zurück zu dem älteren Herr, den ich gerade bestehlen wollte. Die Taschenuhr, die an seiner Hose befestigt ist, noch immer in der Hand.
„Dieb!", brüllt er wütend. „Ein Dieb! Holt die Stadtwache!"
Die Menschen in unmittelbarer Nähe weichen von uns, als habe der alte Mann gerade verkündet, ich habe die Pest. Ein paar Schaulustige formen einen Kreis, während andere erschrocken das Weite suchen. Drachenmist, verdammt!
In einer automatischen Bewegung ziehe ich eine Maske über die Nase, um mein Gesicht zu verhüllen und zerre an dem alten Mann, der meinen Arm umklammert.
Mein kräftiger Ruck reißt ihn beinah von den Beinen und im Schreck lässt er von mir ab. Gut, dass es eine alte Krähe ist.
Seine feine, passgenaue Kleidung verdeutlicht, dass er mehr als wohlhabend ist. Wie die meisten auf dem Markt. Der Verlust dieser Taschenuhr würde ihn nicht in den Ruin treiben, während es für uns Wochen an Lebensmittel und das Überleben sichert. Trotzdem lasse ich sie fallen und breche durch die Menschenmasse, die zu schockiert ist, um nach mir zu greifen. Talib sollte davon besser nichts mitbekommen.
„Fasst ihn! Fasst den Dieb!", brüllt der alte Mann und ich muss grinsen. Sucht gerne nach einem Jungen.
Mit einem breiten Grinsen presche ich durch die aneinander gedrückten Körper. Quetsche mich dank meiner schmalen Statur beinah problemlos an ihnen vorbei.
Ich drossele meine Schritte erst, als sich das Gedränge auflöst und ich genug Entfernung zwischen mich und den Schauplatz gebracht habe. Die Menschen am Rand des Marktes scheinen nichts von dem Treiben mitbekommen haben und widmen sich weiter seelenruhig ihren Einkäufen.
Mit schwerer Atmung ziehe die Maske von meinem Gesicht und trete in den Schatten eines Backsteinhauses, um den Blick über die Schulter zu wagen.
Gemurmel eines Diebstahls erreicht die Menschen. Wohlhabende Frauen in Sommerkleidern mit kräftigen Farben, die ein Vermögen kosten, und Männer in maßgeschneiderten Anzügen, die für meinen Bruder unbezahlbar sind. Gelegentlich tummeln sich Kinder unter ihnen oder Frauen der Mittelschicht, die einfachen Leinenkleider in Erdtönen tragen. Angestellte der sehr wohlhabenden Haushälter, die nicht selbst einkaufen gehen.
Doch trotz der beunruhigenden Nachricht, behält das Treiben des Marktes eine ruhige Atmosphäre. Sie drückt lediglich ihre Taschen näher an die Brust und blicken in regelmäßigen Intervallen über die Schulter. Als ob mich das stoppen würde.
Mit einem breiten Grinsen wende ich meine Aufmerksamkeit von den Menschen zu dem goldenen Siegelring in meiner Hand. Ich werfe ihn in der Luft; betrachte, wie er das Sonnenlicht bricht und fange ihn erneut auf. Zwar musste ich die Taschenuhr zurücklassen, doch den Verlust seines Ringes scheint der Alte nicht bemerkt zu haben. Vielen Dank, alte Krähe.
Ich will das Gold in meine Tasche stecken, als mich ein kräftiger Griff packt. Der Angreifer zieht mich tiefer in die Gasse, hinter ein Gebäude und drückt mich an die Fassade, bevor ich mich wehren kann. Abseits der Blicken. Ohne Chance, um nach Hilfe zu rufen. Doch wer würde mir schon helfen?
Mein Herzschlag schießt in die Höhe, meine Gedanken sammeln sich und ich nehme Kampfposition ein. Setzte zum Schlag an, als ich die blauen Augen erkenne, die mich feuerspeiend betrachte - aber mein Herz davon abhalten, sich aus meiner Brust zu kämpfen.
„Hey, Talib! - Schön, dich zu sehen." Mein Atem geht vom Sprint und Schreck gehetzt, aber die Erleichterung ist deutlich zu hören. Ich lächle meinem Bruder zu, dessen Lippen sich unter dem Druck weiß färben.
Ein tiefes Knurren geht seinen Worten voraus. „Ich habe dir klare Anordnung gegeben!"
„Ich habe es eher als Empfehlung gesehen, die ich nicht ..."
„Jemand hat dich bemerkt!" Es ist keine Frage. Eine Feststellung und eine feindselige dazu. Er war auf dem Markt? Eine andere Erklärung gibt es nicht. Aber wieso? Er meidet den Markt. Es ist ihm zu überfüllt.
„Ab und zu brauche ich den Rausch einer guten Verfolgungsjagd." Ich zwinkere meinem Bruder zu, in der Hoffnung, ihn zu beruhigen. Ihm die Sorge, um mich zu nehmen. Aber vor allem die Flammen aus seinen Augen, die mich zu verbrennen drohen.
Doch ich kenne ihn besser, als daran zu glauben.
Die Wut bleibt. Wird größer mit jedem Atemzug. Das nächste Mal fesselt er mich. Es wäre nicht das erste Mal.
„Es waren keine Wächter dort. Außerdem hat es sich gelohnt." Stolz grinsend halte ich ihm den Siegelring entgegen. Doch ein erneutes Knurren dringt aus ihm und er schlägt ihn beiseite. Der Ring fällt in den Staub.
Mein Grinsen stirbt und meine Augenbrauen formen eine steile Kante. Er könnte mich zumindest loben. Der Ring ist mehr wert, als die Beute der ganze Woche und er wirft ihn einfach in den Staub!
„Ist das alles ein Spiel für dich?", fährt Talib mich wütend an. Lodernde Wut in seinen Augen und bebendem Körper. Doch ich kenne den Grund dahinter. Die Sorge.
„Wenn die alternative Angst ist?", schreie ich ihn genauso wütend an. Wie oft hatten wir bereits eine ähnliche Diskussion.
„Ich nehme alles nicht ernst."
„Das Leben sei nur ein Witz für mich."
Aber wir können nicht alle mit Gewitterwolken im Kopf über diese Erde ziehen. Nicht jeden Tag kämpfen. Ums Überleben. Unentdeckt zu bleiben. Als Schatten - unsichtbar für uns selbst. Wie lange bis das Überleben uns diktiert und wir vergessen zu leben?
„Wenn wir aufhören zu kämpfen, können wir beginnen zu spielen." Es gibt Zeiten in denen wir vorsichtig sein müssen. Aber das bedeutet nicht ängstlich im Schatten zu kauern.
„Amaya, du spielst gegen den Tod!" Sein Griff um meinen Arm wird schmerzlich. Doch eines gequälten Lautes, der meinen Lippen entweicht, lockert er ihn nicht. Vielleicht bin ich dieses Mal zu weit gegangen. War zu leichtsinnig.
Die Wut überschattet selbst die Sorge, die Talib normalerweise zur Vernunft bringt. Schürt so jedoch den Ärger in meinem Inneren.
„Ein Spiel kann man gewinnen! Die Fluch in Angst nicht - sie endet mit einem erbärmlichen Tod. Also ja, es ist ein Spiel! Ich sterbe lieber mit einem Lächeln auf dem Gesicht, anstatt einem Blick über die Schulter." Meine Stimme ist inzwischen so laut, dass das Murmeln des Marktes nicht zu hören ist.
„Der Blick über die Schulter ist, was unser Leben rettet!"
„Mutter scheint es nicht geholfen zu haben!" Mit einem Schlag verstummt mein Bruder. Seine Augen glitzern nicht länger vor Wut und er hält den Atem.
Ich bin zu weit gegangen.
Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, der selbst mir nicht erlaubt ist.
Talib macht sich seit ihrem Tod dafür verantwortlich. Dass er sie nicht beschützen konnte. Ihr nicht helfen konnte. Genau diese Reue mischt sich jetzt in seine blaue Iris.
Schlechtes Gewissen packt mich. Frisst mich innerlich auf, sodass der Gestank der Gasse mein verrottetes Inneres veranschaulicht. Ich muss mich entschuldigen.
Mein Bruder nimmt einen tiefen Atemzug und will etwas erwidern, als er unterbrochen wird.
„Ist hier alles in Ordnung?" Die tiefe Stimme lässt uns versteifen. Eine unbekannte Stimme. Doch sein Akzent, die Kraft hinter den Worten, die veränderte Atmosphäre, - kündigt die Präsenz einer ganz bestimmten Sorte Mann an.
Ich hätte ihn hören müssen.
Das Wispern.
Das Wispern, das ich nun laut und deutlich vernehme. Mir jegliche Farbe aus dem Gesicht zwingt und mich das Atmen vergessen lässt.
Das Wispern, das uns sonst vor Zusammenstößen bewahrt; da uns genug Zeit bleibt, uns zu verstecken.
Das Wispern, das ich aufgrund unserer Schreie nicht gehört habe. Die Präsenz, die ich aufgrund der aufgeladenen Wut nicht gespürt habe. Die Vibration der schweren Schritte, die ich aufgrund meines bebenden Körpers nicht bemerkt habe.
Mein Blick geht von den blauen Augen meines Bruders zu dem Fremden. Zu dem Wächter, der den einzigen Fluchtweg versperrt.
Schachmatt.
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