14: Mein Feuer
Meine Gedanken verstummen, meine Welt fällt zurück in ihre Bahn und ein Gedanke bricht durch das Chaos. Empört stoße ich den jungen Mann von mir.
„Lass das sein!", schreie ich um Atem ringend.
„Ihr hattet eine Panikattacke." Der Dunkelhaarige zuckt unschuldig mit den Schultern.
Zwar geht meine Atmung und vor allem mein Herz noch zügig, doch die drohende Bewusstlosigkeit hat von mir abgelassen.
„Das nächste Mal schütte einen Eimer kaltes Wasser über mich!" Ein spitzbübisches Lächeln, das ich von Azarias nicht kenne, legt sich auf seine Lippen.
„Das Feuer passt zu Euch", bemerkt er leise, als er sich vom Bett erhebt.
Ich rutsche zur anderen Seite, um ihm nicht die Möglichkeit zu geben, mich erneut zu küssen. Bemerke erst jetzt das angenehme Brennen meiner Lippen. Beinah streiche ich über sie, um mir das Gefühl seiner weichen und vor allem warmen Lippen erneut vorzustellen. Wohlig, vertraut und nicht so abstoßend, wie ich es mir wünsche. Aber mein Herz weist mich zurecht. Er ist nicht Keir. Azarias ist ein Fremder und mein Kerkermeister dazu.
„Warum sucht der König sich nicht eine andere Feuerseele?!", versuche ich den erneuten Kuss zu verdrängen. „Ich habe kein Interesse daran, Drachen zu erwecken, die er abschlachten kann, um seine Wächter auszurüsten. Krieg hin oder her!" Azarias schnaubt belustigt, wird aber wieder ernst.
„Drachenseelen wachsen nicht auf Bäumen. - Ihr seid die Einzige." Bedauern schwingt in seiner Stimme mit.
„Und was, wenn ich das nicht tun werde? Drachen für den Schlachter erschaffen?" Seine Augen werden groß und ein Schimmer zieht durch sie.
Azarias sagt etwas in der merkwürdigen Sprache und sieht mich abwartend an.
„Ihr versteht es nicht?" Er klingt enttäuscht, etwas verzweifelt, aber zum größten Teil verletzt.
„Die merkwürdigen Worte?"
„Drachensprache."
Ich schüttele den Kopf und werde von dem Themenwechsel erfolgreich abgelenkt.
„Euer Feuer ... Ihr könnt es nicht kontrollieren?" Mein Blick fällt auf meine Hände, die ich von allen Seiten mustere.
Mein Feuer?
Mir ist bewusst, dass wenn ich Angst habe Dinge in Flammen aufgehen. Aber, dass es wirklich mein Feuer ist, das sich in Holz und Menschen frisst, habe ich nie in Betracht gezogen. Kann ich Feuer, wie ein Streichholz, erschaffen? Rufen? Lenken? Kontrollieren?
„Die Drachenseele ist mehr als ein uns umgebender Schimmer, von dem wir Teile in einen Drachen legen können. Ihr solltet in der Lage sein Drachensprache zu verstehen, zu lesen. Als rote Seele das Feuer kontrollieren. Ihr verfügt über erhöhte Heilung, Ausdauer und Lebensjahre."
Mein Blick geht zurück zu dem jungen Mann, der mich fragend mustert. Reißt mich aus dem intensiven Gedanken rund um das Feuer. Der Idee, dass ich es rufen könnte.
„Wie habt ihr das Feuer auf der Lichtung erschaffen?" Ich zucke mit den Schultern.
„Ich hatte Angst", antworte ich kleinlaut.
„Wie habt Ihr den Drachen gerufen; ihn kontrolliert?"
„Das habe ich nicht. Er ist von allein aufgetaucht."
„Er hat Euch gefunden." Die Erkenntnis gilt ihm selbst. „Das erklärt, weshalb er sein Feuer nicht nutzten konnte. Aber wie ist das möglich? Wieso kann sie nicht ...?", murmelt er zu sich selbst, bevor er mir erneut direkt in die Augen blickt.
„Wenn Ihr mich anschaut, was seht Ihr?" Fragend verziehe ich die Augenbrauen. „Umgibt mich ein Licht? Ein blauer Strudel?" Ich schüttele den Kopf. Das einzige merkwürdige sind seine blau glühenden Augen und die angenehme Aura, die ich jedoch nicht sehen kann. „Was hat Eure Mutter mit dem Drachenei getan?" Regungslos blicke ich zu ihm auf. Verliert er doch den Verstand? Ist all das, was er gesagt hat, nur ein Hirngespinst? Nein. Etwas tief in mir weiß, dass es keine Lügen sind.
Meine Stille muss ihm Antwort genug sein.
Azarias wendet sich ab und blickt aus dem Fenster, hinter dem der Nachthimmel die Kulisse beherrscht. Das goldene Blitzen, den schwarzen Himmel.
„Deshalb kann sie es nicht spüren", glaube ich, den jungen Mann verletzt murmelt zu hören.
Wie lange er aus dem Fenster starrt und ich auf seinen Rücken weiß ich nicht. Als seine blau funkelnden Augen wieder vor mir blitzen, löse ich mich aus der Starre, in der ich das neue Wissen in Endlosschleife gehört habe.
„Ihr solltet schlafen. Wir gehen morgen weiter", sagt er knapp und tritt zur Tür.
Gegen meine Hoffnung, er würde das Zimmer verlassen, setzt er sich auf die Truhe und lehnt sich an die Wand. Sein Blick noch immer auf mir.
„Ihr habt noch nie einen Drachen berührt?" Es ist nur ein Flüstern, wie das Murmeln zu sich selbst zuvor, aber sein Blick gilt mir und geht nicht durch mich.
„Bis vor ein paar Tagen habe ich noch nie einen gesehen."
„Es tut mir leid." Ich lege den Kopf schief. Verstehe das Mitleid, das in seinen Augen funkelt, nicht.
Die Stille der Nacht gewinnt die Oberhand. Der junge Mann sitzt mit verschränkten Armen und geschlossenen Lidern auf der Truhe und versucht zu Ruhe zu finden. Obwohl sich alles in mir sträubt, gewinnt das schlechte Gewissen.
„Azarias?"
Der junge Mann zuckt und reißt die Lider auf. Sieht sich in dem dunklen Raum um, als befürchte er eine Bedrohung. Als sein Blick auf mich fällt, nimmt er einen tiefen Atemzug und lächelt.
„Willst du die ganze Nacht auf der Truhe schlafen?" Sein rechter Mundwinkel zuckt und er nickt.
Ich beiße auf die Unterlippe und blicke zu der freien Fläche neben mir. Das Bett bietet genug Platz für drei ausgewachsene Männer. Vier, wenn sie sich nah stehen. Ich wende mich zurück zu dem jungen Mann.
„Du kannst dich aufs Bett legen. - Aber über der Decke und wenn du mich anfasst ... beiße ich zu." Ich knurre die letzten Worte bedrohlich, trotzdem lacht er amüsiert und schüttelt den Kopf. „Warum nicht?"
„Ich kann nicht im selben Bett mit Euch nächtigen. Das würde Euch entehren, Amaya." Dieses Mal bin ich es, die lacht. Absurd. Nicht nur hat er mich zweimal ungefragt geküsst; haben wir im selben Zelt gehaust und sind aneinander gedrückt geritten. Zudem hat er mich nackt gesehen. Das erkläre ich ihm, ohne den letzten Teil.
Widerwillig rappelt er sich auf, schleicht zur anderen Seite des Bettes und blickt noch einmal überprüfend zu mir. Ich nicke und wende ihm den Rücken zu. Das Bett lässt nach und dann wird es still. Und der Schlaf empfängt mich, wie zuvor auf dem Ritt.
***
Als mich der Sonnenschein weckt und ich die Lider aufschlage, finde ich mich allein im Bett vor. Und sogar im Zimmer. Die Informationen der letzten Nacht haben mich in den Traum verfolgt. Neben tanzenden blauen und roten Lichtern flogen Drachen über meine Köpfe. Talib und Keir warfen Dracheneier hin und her, während ich, wie ein panisches Kind versuchte, dass diese nicht zu Bruch gehen.
Müde setze ich mich auf und strecke meine schweren Glieder. Obwohl der Schlaf gutgetan hat und meine Schmerzen mit jedem Tag nachlassen, ist es die Abwesenheit meines Bruders und Keirs, die mir schwer im Magen liegen. Dass ich in meiner Gefangennahme das allererste Mal allein bin, legt einen Lichtschimmer in all das Chaos und meine Mundwinkel heben sich. Zwar ist eine Flucht am Tag riskanter, aber vielleicht liegen die Wächter noch mit ihrem Rausch in den Betten und das Dorf in ihren.
Vorsichtig belaste ich meinen geschundenen Fuß und bemerke, dass dieser zwar noch leicht drückt, aber durchaus belastbar ist. Da ich am Abend das Kleid nicht mehr ausgezogen habe, zumal ich keine Kleidung zum Wechseln habe, muss ich mich damit abfinden.
Kaum, dass ich in der Mitte des Raumes stehe, wird die Tür geöffnet. Im nächsten Moment kommt der schwarze Haarschopf von Azarias in Sicht. Dieser hält ein mit Köstlichkeiten beladen Tablet und erstarrt, als er mich bemerkt.
„Guten Morgen?" Sein Blick fällt auf meinen Fuß und betrachtet ihn besorgt. „Ich dachte, Ihr würdet es bevorzugen, auf dem Zimmer zu essen."
„Ich würde es bevorzugen, in einer dreckigen Gasse mit Keir und Talib zu essen. Aber ich denke, das darf ich nicht." Als mir die Härte meiner Stimme auffällt, schlucke ich den Trotz herunter. „Darf ich sie je wiedersehen?"
Ich vermisste die beiden mehr als ich je für möglich gehalten habe. Als fehlt ein Stück von mir. Ein großer Teil. Zugern hätte ich Talibs grimmige Kommentare gehört und Keir belustigte Miene, wenn ich versuche meinem Bruder einzureden alles besser zu sehen. Aber sie sind nicht hier. Sind irgendwo und sterben vermutlich vor Sorge. Suchen mich und bringen sich dabei in Gefahr, während ich hier gemütlich schmause und in einem richtigen Bett schlafe.
„Bald werdet Ihr sie wiedersehen."
Meine Augen reißen auf und mein Herz setzt mehrerer Schläge aus. In meinen Ohren klingt es nach einer Drohung. Sie leben, das hat es mir versichert. Aber ich habe nie gefragt, ob sie frei sind. Der Gedanke verdreht mir den Magen und ich taumle einige Schritte zurück. Wo sind Keir und Talib? Was haben sie mit ihnen vor?
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