10: Wollt Ihr es wirklich wissen?
Ein unerträglicher Schmerz explodiert in meinem Kopf. Er reißt mich aus einem Zustand, der nicht als Schlaf bezeichnet werden kann, da ich keine Ruhe fand. Zu dem Schrei, der meine Kehle verlässt, gesellt sich unbezwingbare Angst. Ich bin in einem verfluchten Zelt! Drachenmist! Das brennt noch schneller als der Dachboden.
Als ich die Lider aufreiße und mich aufsetze, ist die einzige Flamme in meiner Umgebung, die in einer Feuerschale.
Die Blitze in meinem Sichtfeld lassen mich zu spät erkennen, dass Azarias vor mir kniet. Seine blauen Augen stechen aus der sonst düsteren Umgebung wie Sterne. Doch nicht einmal seiner beruhigenden Aura gelingt es den Schmerz und die Angst zu lindern, die mich zwischen schweren Atemzügen gequält schreien lassen.
Mit den Fingerspitzen berührt er zu jeder Seite meine Schläfe und lässt mich nach Luft schnappen. Ich bin die warme Berührung nicht gewöhnt. Sie ist nicht heiß. Aber da sonst jede kalt ist, gleicht es einem Feuer. In Kreisbewegungen massiert er die Stelle. Tatsächlich löst sich der Schmerz. Meine Atemzüge werden ruhiger und die Blitze erlöschen.
Azarias löst die Finger von mir, träufelt etwas auf sie und massiert den letzten Schmerz aus meinem Kopf. Nach einem überprüfend blickt in die Auge, nimmt er Abstand. Da mich erneut das wohlige Gefühl seiner Nähe packt - das ich nicht spüren will - ziehe ich die Knie an die Brust, um eine Barriere zu errichten.
Das Zelt ist so groß wie der Dachboden in Brix. Neben der Pritsche, steht ein Tisch mit Stuhl, aus dem ein Schachbrett steht und davor die Feuerschale. Auf der anderen Seite steht eine Waschbank und zwei große Truhen in den Stoffwänden, die meine Verlies bilden. Vermutlich ist es kein Luxus für die Wächter, doch für eine Gefängniszelle und besonders für mich gleicht es einem Palast.
„Was ist das?" Ich nicke mit dem Kopf zu der Phiole, die Azarias zurück in seine Holzkiste verstaut. Das schwache Licht des Feuers flackert in der klaren Flüssigkeit.
„Das wollt Ihr nicht wissen." Der junge Mann klappt die Truhe zu und verschließt sie mit einem Klick.
„Jetzt will ich es erst recht wissen!" Obwohl ich viel zu kurz geschlafen habe, fühle ich mich plötzlich erholter. Kräftiger. Mutiger.
„Drachentränen." Meine Augen werden groß und ich warte auf eine Erklärung, der Blume, der Heilpflanze oder des Krauts. Doch es folgt nichts.
Meint er wirkliche Tränen eines Drachens?
Der junge Mann nickt, als habe er meine Gedanken gehört. Mein Atem stockt. Die Vorstellung, wie er an diese Tränen gekommen ist, verkrampft mein Inneres. Hastig wische ich mir über die Schläfe, doch die Flüssigkeit ist bereits in meine Haut gezogen und brennt sich in mein Gewissen.
„Der Schmerz kommt vom Talisman. Aber in ein paar Tage sollte er sich lösen." Azarias deutet auf die Kette, die mir umgelegt wurde. Eine goldschimmernde Murmel, gefangen in einem Kettennest. Clippers Drohung, was die Manschetten angeht, habe ich ebenso auf die Kette bezogen, weshalb ich sie nicht abgelegt habe.
Aber, wenn sie der Grund für die Schmerzen ist ...
Ich will die Kette ablegen, doch Azarias' Stimme lässt mich innehalten.
„Das solltet Ihr nicht tun?"
„Tötet ihr sonst Talib und Keir?", frage ich verärgert und lasse von dem Metall ab. Er zieht die Augenbrauen zusammen und legt den Kopf schief.
„Nein, es ist zu Eurem Schutz." Ich schnaube verächtlich. Zwar war er bis jetzt aufrichtig und zuvorkommend, - hat nicht einmal die Fußfessel zurück angelegt - aber wie soll der Schmerz mich schützen?
„Das Gefühl einer Klinge in meinem Schädel ist zum Schutz?" Azarias stemmt sich auf; schenkt Wasser in einen Becher und reicht ihn mir. Ich leere ihn gierig, doch behalte den wütenden Ausdruck.
„Es ist um das Wispern zu verstummen." Ich blicke über den Becherrand in die blauen Augen. Tatsächlich war mein Rachen unglaublich trocken und der Honig darin beruhigt meine wunde Kehle. „Ihr dürft es gerne ablegen, aber das Wispern wird Euch in den Wahnsinn treiben." Mir wird bewusst, dass ich tatsächlich das Wispern der Vulkanascherüstung nicht höre. Woher weiß er davon? Mein Bruder und Keir können es nicht hören.
Ich bin nicht so naiv, seinem Wort einfach zu glauben und lege die Kette ab.
Einen Wimpernschlag passiert nichts. Doch im Nächsten bricht ein tosender Windsturm in mich. Gefolgt von der fremden Furcht. Mit zitternden Händen lege ich die Kette erneut an und atme erleichtert auf, als es verstummt. Keine Lüge.
„Was ist das?" Ich betrachte die Murmel, in der goldener Staub schwimmt. Azarias setzt sich auf den Stuhl, lehnt sich mit verschränkten Armen nach hinten und überkreuzt die ausgestreckten Beine.
„Glaubt mir, das wollt Ihr wirklich nicht wissen."
„Du hast mir nicht zu sagen, was ich wissen will oder nicht." Ich glaube ein amüsiertes Schnauben zu hören, doch das Knistern des Feuers verschluckt es.
Mir fallen seine dunklen Augenringe auf, der müde Schleier seiner Augen und das Gähnen, das er erfolglos verhüllt. Azarias legt den Kopf in den Nacken und schließt die Lider.
Flucht.
„Du solltest in dein Zelt gehen und schlafen. Du siehst nicht gerade ... Schlaf könnte nicht schaden." Erneut schnaubt der junge Mann; dieses Mal sehe ich, als Bestätigung, seine Brust zucken. Mein kläglicher Versuch mich allein zu lassen, wohl auch für ihn offensichtlich. „Wieso gehst du nicht in dein Zelt?" Weil er mein Wachhund ist. Drachenmist!
Den Versuch ist es trotzdem wert, was habe ich schon zu verlieren.
„Ihr stellt ganz schön viele belanglose Fragen."
„Und du weichst ganz schön vielen aus." Ich verschränke die Arme und betrachte den jungen Mann genauer. Er scheint kein Wächter zu sein. Inzwischen trägt er ein einfaches dunkelgrünes Leinenhemd und eine schwarze Hose, die an den Waden enger liegt.
Wie ich. - Wie ich in die Kleidung gekommen bin, will ich mir nicht vorstellen.
Er trägt keine Schuhe, doch diese, keine Wächterstiefel, stehen am Eingang. Waffen scheint er nicht bei sich zu tragen. Bis auf das Messer am Unterarm — erinnere ich mich an den Zwischenfall mit Clipper. Azarias ist vermutlich kein Wächter, aber ich kann die Männer in der Vulkanascherüstung vor dem Zelt umhergehen hören. Ein Gefangener kann er nicht sein, da die Männer auf ihn hören. Kein Wächter. Was also ist seine Rolle?
„Ihr wollt wissen, weshalb ich nicht in mein Zelt gehe?" Erst jetzt bemerke ich, dass er erneut aufrecht sitzt und mich ansieht.
Ich nicke.
„Warum ich mich nicht auf meine Pritsche lege und den beraubten Schlaf nachhole?"
Ich nicke erneut. Vielleicht vergisst er die Fessel anzulegen, wenn er geht.
„Das liegt daran, dass ich bereits in meinem Zelt bin und Ihr auf meiner Pritsche liegt. Wenn Ihr nicht wünscht, diese mit mir zu teilen, so muss ich weiter auf dem Stuhl verweilen."
„Mein Verlies ist dein Zelt?" Der junge Mann schnauft amüsiert und lehnt sich in vorige Position zurück. Vielleicht ist er doch kein hochgradiges Mitglied des Königreiches, wenn sein Zelt so einfach ist und er es mit mir teilen muss.
„Nicht ganz", brummt er. Vielleicht sollte ich warten, bis er einschläft und mich dann hinausschleichen. „Gefangene schlafen normalerweise nicht im Zelt."
„Wo denn?" Es ist Neugier an der falschen Stelle.
Wenn ich erfahre, wer Azarias ist, verstehe ich vielleicht den Grund meiner Gefangennahme. Das Motiv der Wächter, die mich all die Jahre jagten. Alles, was ich weiß, ist, dass Talib unserer Mutter schwören musste, mich vor den Wächtern zu verstecken; nie zu lange an einem Ort zu bleiben und immer in Bewegung zu sein. Keine Wurzeln schlagen. Den Grund, hat sie ihm nie genannt und ich war zu jung, um zu verstehen, was vor sich geht. Es war das einzige Leben, das ich kannte. Immer auf der Flucht. Als ich es wirklich begriff, war sie bereits tot. Wir wissen lediglich, dass das Königshaus mich schon immer suchen.
„Das wollt Ihr nicht wissen." Meine Gedanken werden zurück ins Zelt geschleudert und der Frage, um meinen eigentlichen Schlafplatz.
„Wie bereits gesagt, bin ich durchaus in der Lage, das selbst zu entscheiden."
„Ihr seid ganz schön forsch für eine Gefangene", schnaubt er amüsiert. Es liegt zum größten Teil an seiner Aura, dass ich mich frei ausdrücke. Aber ich bin kein Mensch, den man leicht unterkriegt. Nicht nach all dem Drachenmist in meinem Leben. Obwohl die Angst mich das manchmal kurzzeitig vergessen lässt. Wenn es sein muss, beiße ich zu.
„Ich kann mir vorstellen, dass ein eingeschüchtertes, braves und unterwürfiges Gör dir als Gefangene lieber wäre. Falls ich zu anstrengend werde, kannst du mich jederzeit gehen lassen." Seine Worte reizen mich mehr, als sie sollten. Zum ersten Mal lacht Azarias und ruft die Wut. „Was ist?", blaffe ich.
„Ich verstehe jetzt, wie Ihr Hauptmann Clipper so verärgern konntet." Mein Atem stockt, weil seine Worte mich an den Vorfall erinnern. Wäre Azarias nur eine Minute später zurückgekommen ...
„Und das rechtfertigt seine Tat!?" Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Wäre es nicht für meinen Knöchel, den ich für eine Flucht schonen muss, würde ich den jungen Mann anspringen wie Riker.
Azarias verstummt, reißt die Lider auf und hebt den Kopf. Seine Miene wird ernst. Er scheint sich seinen Worten bewusst zu werden. Und sie zu bereuen. Ob er die Angst sieht, die hinter meiner Wut versteckt liegt, kann ich nicht sagen.
„Keinesfalls!", schreit er entrüstet und enttäuscht von sich selbst.
Die ungezwungene Atmosphäre versteift. Als würde ihm bewusst werden, dass wir keine alte Freunde sind, die nett plaudern. Ich bin eine Gefangene; er mein Kerkermeister. Drachenmist und Feuerdreck!
„Ihr solltet Euch ausruhen. Wir ziehen morgen weiter und die Reise wird anstrengend für Euren geschwächten Körper."
„Das ist den Schlägen und Tritten von euch Monstern zu verdanken", knurre ich. Es sind nicht nur die Schmerzen, die mich verärgern. Sondern die Flucht, die mir aufgrund der Verletzungen erschwert wird. Obwohl mein Knöchel zum größten Teil mein Verschulden ist. Wäre ich nicht aufgrund ihrer Brutalität bewusstlos gewesen, wäre auch das nicht passiert!
„Ihr solltet nicht versuchen, aus dem Zelt zu schleichen. Es stehen Wächter darum", fügt er, meine Aussage missachten, hinzu. „Versucht zu schlafen, Amaya." Es klingt beinah fürsorglich und ich glaube, einen Moment meinen Bruder zu hören. Wie es Keir und Talib geht? Sind sie wirklich noch am Leben? Suchen sie nach mir?
Ich muss flüchten!
Legt ein bisschen Licht ins Dunkeln und lasst mir ein Sternchen da. Danke <3
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