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Ich lief durch den Palastgarten, denn ich wollte zu Prinz Naratol. Ich empfand es als sehr ernüchternd, das ich gerade wieder mit Naratol reden konnte und wir wieder unsere Freundschaft erneuert hatten und ich jetzt gezwungen war nicht nur Somaria, sondern auch ihn zu verlassen. Deswegen musste ich ihn so schnell wie möglich finden, ich suchte im Garten, doch nirgendwo fand ich ihn.
Dann fiel mir ein Ort ein, an dem er auch schon oft war, als er noch ein Kind war. Also lief ich in das Schloss hinein und den Turm im Westflügel hoch, da die Tür nicht abgeschlossen war, ging ich davon aus das er sich dort aufhielt. Als ich die engen Treppen hinauf gestiegen war, sah ich ihn am Rand des Balkons stehen.
Die Sonne schien auf seine dunkelblonden Haare und ich beobachte gebannte wie er einfach nur da saß und in die Weite starrte. Nach einiger Zeit bemerkte er mich und drehte sich zu mir um. „Squila, was machst du denn hier!"
Ich setzte mich neben ihn und betrachtete den klaren Himmel, es war die Freiheit die mir bald bevorstehen würde, auch wenn ich mir wünschte Somaria nicht verlassen zu müssen. „Es tut mir leid, aber..." fing ich an, doch Naratol unterbrach mich mit einer Handbewegung. „Du brauchst es nicht zu sagen, ich weiß schon Bescheid..."
Natürlich wusste er es, er war wahrscheinlich anwesend als sein Vater mit Semerian darüber geredet hatte. „Ich habe mit meinem Vater geredet, ob er nicht jemanden anderes als dich schicken könnte, aber er wollte seine Entscheidung nicht mehr ändern, außerdem hatte Semerian ausdrücklich dich gewünscht. Ich konnte also nichts ändern." Er hörte sich niedergeschlagen an und es war deutlich dass er sich machtlos fühlte, denn obwohl er es verhindern wollte, konnte er nichts verändern.
Ich war völlig erstaunt, zu hören dass er sich für mich eingesetzt hatte und es bedeutete mir echt viel. Aus einem Impuls heraus umarmte ich ihn, alles andere war vergessen. Ich dachte nicht mehr an Semerian und meine Abreise, nicht mehr an die Veränderung, nicht mehr an seinen Status als Prinz und auch an sonst nichts, nur der Gedanke dass er sich für mich eingesetzt hatte zählte noch.
Irgendwann fiel mir auf was ich da gerade tat und löste mich von ihm. Ich brauchte nichts zu sagen er verstand auch so warum ich die Umarmung gelöst hatte und ich sah wie sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Es war schön zu wissen dass ich vermisst werden würde, sobald ich weg sein würde. Wir saßen dann noch eine Weile dort und sahen hinauf zum Himmel, ich wünschte es könnte immer so sein, doch dann merkte ich das die Sonne schon sehr tief stand und ich zu Semerian musste.
Eilig verabschiedete ich mich von ihm und rannte dann die Treppe hinunter zum Raum des Kriegers. Semerian stand bereits ungeduldig in der Tür, als ich den Flur herunter gelaufen kam. Ohne ein Wort zu sagen lief ich an ihm vorbei und stolperte in das Zimmer, schnell schlüpfte ich in ein neues Kleid und legte meine Schwertscheide in meine Kiste, es wäre nicht gut wenn es jeder sehen würde. Mit einem schnellen Blick in meinen Spiegel überprüfte ich ob ich mich so unter die Augen der Königsfamilie wagen konnte. Es war akzeptabel, also stand ich kurz darauf neben Semerian und wir gingen zu seinem Abschiedsbankett.
Das Festmahl sollte im großen Kreise gehalten werden und da es zu seinen Ehren stattfand waren alle anderen Gäste bereits im gut gefüllten Saal. Jeder der Rang und Namen hatte befand sich an diesem Abend hier, denn fast mit jedem hatte Semerian in der Zeit seinen Aufenthaltes hier Kontakt gehabt.
Ich folgte Semerian mit etwas Abstand als er in den großen Saal ging und die Gäste ihn in Empfang nahmen. Den ganzen Abend lang stand ich hinter Semerian und erfüllte meine Aufgaben als Dienerin, doch vom Bankett bekam ich eigentlich nichts mit, normalerweise hörte ich immer den Gesprächen zu, doch heute lagen meine Gedanken einzig beim Versuch eine Fluchtmöglichkeit vor der Reise nach Telara zu finden.
So bemerkte ich erst zu spät das Semerian Richtung König Pavol ging und ich musste mich beeilen um diesen Schnitzer nicht noch schlimmer zu machen, so hastete ich hinter ihm her und schaffte es gerade noch rechtzeitig hinter ihm zu stehen, als er den König ansprach. Mich interessierte es nicht worüber die beiden redeten, denn aus den Augenwinkeln sah ich Evion auf mich zukommen, wahrscheinlich nutzte er die Gelegenheit das Semerian abgelenkt war.
Als er neben mir stand drückte er mir ohne ein Wort einen Brief in die Hand, wessen Papier schon leicht gelblich gefärbt war. Schnell ließ ich ihn unter meinem Kleid verschwinden, hoffentlich hatte es keiner gesehen. Ich nickte Evion dankend zu, er lächelte mich kurz an, dann verschluckte ihn die Menge. Es war wahrscheinlich das letzte Mal das ich meinen Schwertkampflehrer gesehen hatte, doch ich war froh ihn wenigstens noch einmal kurz gesehen zu haben.
Ich hoffte, dass ich bald Gelegenheiten hätte den Brief meines Vaters zu lesen, doch vorerst musste ich weiter meiner Pflicht nachkommen. Das Abschiedsbankett wandte sich weit in die Nacht hinein, Semerian sprach mit fast allen Gästen und ein schmächtiger Gelehrte fiel mir ins Auge, denn ich hatte ihn öfters in der Nähe von Semerian ausmachen können, wahrscheinlich wäre er mir nicht aufgefallen hätte der Krieger ihn nicht extra zu sich gerufen.
Die weiße Mondsichel stand hoch am Himmel nur ab und zu von den Wolken verdeckt. Irgendwann leerte sich der Saal so das nur noch sehr wenige Gäste dort waren und auch Semerian wollte sich auf den Weg in sein Quartier machen, doch kurz bevor wir die Halle verlassen konnte, kam Prinz Naratol und verwickelte ihn in ein Gespräch, aber nicht ohne mir vorher noch ein Lächeln zu geworfen zu haben und ich es erwiderte.
Wie gerne ich doch gelauscht hätte nur leider fehlte mir die Gelegenheit dazu, denn im selben Moment kam Mei auf mich zu. „Squila! Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du uns wirklich verlassen musst! Eigentlich kann es keiner von uns, nur Falia ist überglücklich." Die anderen wollten es auch nicht wahrhaben? Dabei hatte ich mit ihnen doch nie viel zu tun gehabt und doch fanden sie es schade dass ich gehen musste?
„Ich weiß das du die meisten gar nicht wirklich kennst, doch du warst ein Teil von uns denn wir alle schufteten unter Falia und so haben wir alle eine Kleinigkeit für dich, die dich hoffentlich an deine Leidensgenossinnen erinnert. Es ist nicht viel aber bitte nimm es an." Sie hielt mir ein kleines geflochtenes Band entgegen und ich konnte es immer noch nicht fassen. Mit den Meisten hatte ich so gut wie noch nie ein Wort gewechselt doch wenn es hart auf hart kam standen wir alle zusammen.
Das Band knotete ich mir ums Handgelenk und umarmte Mei. „Danke" flüsterte ich „Und Danke auch an alle anderen! Ich werde an euch denken!" Als ich mich von ihr löste wies sie mit den Augen nach rechts und da wusste ich dass er auf mich wartete. Mit kurzen Worten verabschiedete ich mich von ihr und wandte mich zu ihm um.
Naratol war bereits gegangen und so stand er ungeduldig an der Tür. Mein Blick streifte nochmals Mei's Blick und meine Hand wanderte zu dem kleinen dunkel-blauen Armband, dann folgte ich ihm durch die mondbeschienenen Gänge hinauf zu unseren Räumen.
Ich fiel in mein warmes weiches Bett, doch musste ich aufpassen, dass ich nicht einschlief, denn ich wollte mich diese Nacht davon schleichen. Eigentlich hatte ich vor Semerian so viel Wein zu trinken zu geben das er tief und fest schlafen würde, doch leider hatte er den Alkohol ziemlich in Grenzen gehalten sodass ich es nun so versuchen musste, denn das war meine einzige Chance.
Semerian saß noch am Schreibtisch, denn ich sah den Kerzenschimmer durch den Türspalt, doch bald würde er sich auch hinlegen, er wollte morgen schließlich früh aufbrechen. Hoffentlich würde ich ihn gleich nicht wecken, denn sonst war die Flucht für mich unmöglich und ich wäre gezwungen dem Prinzen nach Telara zu folgen. Das Knarzen eines Holzstuhls erklang und kurz darauf hörte man das gleichmäßige Atmen.
Unruhig blieb ich noch etwas liegen, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und packte leise meine Habseligkeiten. Ich stopfte alles in meine Tasche nur das Buch welches mir Naratol geschenkt hatte, ließ ich widerwillig zurück. Es war zu unhandlich und würde mich bei meiner Reise nur stören, sollte ich stattdessen nur eine Seite aus dem Buch nehmen? Ich entschied mich dagegen, zwar hätte ich etwas von Naratol bei mir gehabt, doch brachte ich es nichts übers Herz sein Geschenk zu zerstören.
Mein neues Schwert band ich mir an die Hüfte und schließlich zog ich mir einen langen Umhang drüber. Mit dem Umhang wäre ich nicht sofort zu erkennen und es verbarg außerdem das Schwert, das ich ja gar nicht besitzen durfte. So präpariert schlich ich an die Verbindungstür und legte mein Ohr an diese. Außer des Atem war nichts zuhören und so öffnete ich ganz langsam und vorsichtig die Tür. Zum Glück quietschte die Tür nicht und so musste ich nur noch zur nächsten Tür und an dem schlafenden Krieger vorbei, auch wenn das die wahrscheinlich größere Hürde darstellte.
Mit vorsichtigen Schritten durchquerte ich das Zimmer, jeder Muskel war angespannt und ich zuckte zusammen als draußen ein Eulenruf erklang. Doch bis jetzt hatte Semerian sich noch nicht geregt, denn ich sah seine Umrisse unbewegt auf dem Bett liegen. Noch zwei Schritte und ich war an der Tür angelangt.Meine von Anspannung zitternde Hand legte ich auf das eiskalte Metall der Klinke und voller Erwartung zog ich an der Tür, sie bewegte sich kein Stück.
Sie war abgeschlossen! Das hätte ich mir auch denken können, denn Semerian wusste auch das ich den Versuch wagen würde. So leicht würde ich nicht aufgeben, er müsste den Schlüssel ja irgendwo hier im Zimmer haben. Vorsichtig trat ich einige Schritte vor und sah mich im Raum um, wo würde er den Schlüssel hintun so dass ich ihn nicht finden würde? Im Schreibtisch? Nein da käme ich wahrscheinlich zu leicht dran also musste er irgendwo in der Nähe des Bettes sein.
Auf Zehenspitzen schlich ich an sein Bett. Dort lag nun der Krieger, der mir noch immer nicht geheuer war, friedlich schlafend unter der Decke. Am Kopfende befand sich eine kleine Kommode und ich drückte mich an die Wand um in diesem kleinen Gang durchzupassen ohne an das Holz des Bettes zu gelangen. Meine Tasche hatte ich fürsorglicher Weise bereits an der Tür stehen gelassen, denn sonst hätte ich bestimmt schon etwas umgestoßen.
An der Kommode angekommen schob ich eine der Schubladen auf und fand nur einen kleinen Stapel Papier, auch in den anderen Fächern war nichts was einem Schlüssel auch nur ähnelte. Sollte ich doch beim Schreibtisch nachschauen? Ich zuckte zusammen, denn Semerian drehte sich im Schlaf, wie erstarrt stand ich da und hoffte nur, dass er nicht aufwachte.
Er bräuchte nur seine braunen Augen zu öffnen und schon würde er mich sehen. Der Mondschein fiel auf sein Gesicht, so friedlich und ruhig hatte ich den telarischen Prinzen noch nie gesehen und auch seine Haare leuchteten in dem weißen Licht. Doch der Mond zeigte nicht nur das Gesicht des Schlafenden, denn er beleuchtete auch einen metallenen Schlüssel, welchen er als Kette um den Hals trug. Das würde riskant werden.
Mein Herz klopfte so laut, dass ich Angst hatte Semerian damit aufzuwecken. In einer der Schubladen hatte ich eine kleine Schere gesehen, diese nahm ich mir jetzt und mit ein wenig Fingerspitzen Gefühl schaffte ich es, die Kette von seinem Körper anzuheben und wollte sie durchtrennen. Doch der schlafende Semerian wollte es mir nicht so leicht machen, nicht nur das er unruhiger wurde, nein ich stieß vor lauter Schreck auch noch gegen die Kommode.
Das Geräusch das darauf folgte war nicht laut, aber laut genug, und ich sah wie sich sein Körper langsam aus der Tiefschlafphase glitt. Verdammt was sollte ich jetzt tun? Er wurde mich entdecke! Ich gab bereits auf, wenn er mich jetzt entdecken sollte, hatte ich wohl oder übel keine andere Chance. Kurz darauf durchfuhr meinen Körper Hitze, sie breitete sich in mir aus, wollte aus mir heraus brechen, und ein starkes Hungergefühl überkam mich.Ein leichtes Schimmern legte sich über den Schlafenden, ungläubig und verwirrt rieb ich meine Augen, das Schimmern hatte ich mir anscheinend nur eingebildet, denn es war verschwunden. Semerian wurde nach einigen Sekunden auch wieder ruhiger, ich schaffte es das Band des Schlüssels zu durchtrennen, ohne dass er aufwachte und ich atmete erleichtert auf.
Mit schnellen aber leisen Schritten gelangte ich wieder zur Tür und wollte gerade den Schlüssel umdrehen, als ich ihn reden hörte. „Es tut mir leid" abrupt drehte ich mich um.
Ich erwartete bereits ihn direkt vor mir stehen zu sehen, doch er lag immer noch ruhig im Bett. „Ich konnte nicht anders" Wovon sprach er? Was konnte er nicht anders? „Ich konnte es einfach nicht! Ich hatte keine andere Möglichkeit"
Semerian träumte anscheinend und ich hätte liebend gerne mehr davon erfahren, doch mir fiel ein das ich mich beeilen musste um Somaria verlassen zu können ohne das die ersten Bediensteten wach waren. Ich ließ Semerian in seinem Zimmer zurück und schlich durch die Tür. Aus dem Raum für die Nachtdienst habenden Dienstmädchen kam kein Licht und ich hoffte dass sie schlafen würde, so dass ich unbemerkt von hier verschwinden konnte.
Das Glück war mir diesmal hold so dass ich vorbei schleichen konnte. Ich lief durch das dunkle ruhige Schloss und nur einmal musste ich einer Wachpatrouille aus dem Weg gehen so kam ich ohne große Zwischenfälle aus dem Schloss und hinein in die dunkle Nacht.
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