Kapitel 8
Bea hatte sich entschieden zu bleiben. Zumindest für ein paar Nächte.
Lou Ellen, die Hüttenälteste der Hekate-Kinder hatte sie mit offenen Armen empfangen, ihr ein Bett gezeigt und frische Klamotten geliehen. Sie war sehr froh ein neues Gesicht bei sich willkommenheißen zu können. Dass Bea nicht ihre Halbschwester war, interessierte sie nicht.
Bea war positiv überrascht, aber auch etwas überfordert mit der ganzen Aufmerksamkeit. Lou hatte das auch bemerkt und gab ihr rücksichtsvoll den Raum, den sie brauchte.
Als Bea alleine war, machte sie sich erstmal mit der Hütte vertraut. Insgesamt gab es Betten für acht Leute, aber scheinbar waren momentan nur 5 belegt - mit Bea wären es nun 6.
Als Bea das Badezimmer fand, kam sie aus dem Staunen nicht mehr raus und entschied sofort duschen zu gehen. Das war eh dringend nötig, da sie immer noch ihr zerfetztes, blutiges T-Shirt trug und sich ziemlich sicher war, dass ihr Körpergeruch weit von Rosen entfernt war.
Als sie den Verband löste, sah sie erstmals ihre Wunde. Die Schnitte waren noch nicht vollständig verheilt, aber zumindest rissen die Wunden während des Duschens nicht wieder auf.
Sie war gerade dabei in eine Jogginghose zu schlüpfen, als es an der Tür klopfte. "Herein", rief sie, während sie sich wunderte, wer wohl etwas von ihr wollte.
Die Tür öffnete sich und Liam trat in ihr Blickfeld. Bea zog erstaunt die Augenbrauen hoch, während Liam sie überrascht musterte. "Tut mir leid, ich wusste nicht, dass-"
"Schon gut", unterbrach Bea ihn. Sie hatte sich das Camp-Shirt noch nicht angezogen und stand somit nur in BH vor Liam. Sie selbst störte das keineswegs und Liam schien sich auch nicht allzu unwohl zu fühlen, da er sie weiter geradewegs anschaute. "Was führt dich zu mir?"
"Jemand sollte sich deine Wunde nochmal anschauen und Will ist gerade verhindert, daher wurde ich geschickt", erklärte Liam sachlich und ließ seinen Blick über Beas Körper wandern. Wie die meisten anderen Halbblute war auch sie sportlich gebaut. Ihre Wunde am Bauch verunstaltete das sonst schöne Bild etwas, aber Liam störte das nicht allzu sehr.
Bea nickte schweigend und ließ sich auf ihr neu errungenes Bett sinken. Liam ging zu ihr, kniete sich vor ihr auf den Boden und musterte die drei Schnitte genau. Seine Hand hob sich und strich vorsichtig über die Haut. Seine Finger waren erstaunlich warm, wahrscheinlich lag das an seinem Dad.
"Sieht gut aus. Das Ambrosia hat wohl stärker gewirkt, als gedacht", äußerte sich Liam schließlich und stand wieder auf. "Ich würde keinen neuen Verband anlegen, damit die Wunde schneller verheilt. Allerdings solltest du dann etwas besser aufpassen, damit es nicht wieder aufreißt."
"Okay", Bea stand auf und zog sich das orangene Camp-Shirt über, das sie von Lou bekommen hatte. Es war nicht wirklich ihr Stil, aber es passte und war bequem, also würde sie sich nicht beklagen.
"Es gibt gleich Essen. Findest du den Speisepavillon?", erkundigte sich Liam.
Bea nickte als Bestätigung und schaute Liam fragend an, als er weder etwas sagte, noch die Hütte verließ. Seine Hand vergrub sich in seiner Hosentasche und umgriff etwas, aber er holte nichts heraus.
Liam sah aus wie die meisten Apollo-Kinder, die Bea bis jetzt getroffen hatte. Blonde, gelockte Haare, die er an den Seiten etwas kürzer trug als oben. Blau leuchtende Augen, die eine Freundlichkeit ausstrahlten, die bei Liam sonst eher selten zu finden war. Im Gegensatz zu Will war Liam allerdings kräftiger gebaut und auch ein gutes Stück größer.
Bea war das komplette Gegenteil von ihm. Ihre Mutter war zur Hälfte Italienerin gewesen und diese Gene bestimmten ihr Aussehen bis zum letzten Bisschen. Ihre Haut war von Natur aus dunkler, ihre dunkelbraunen Haare fielen ihr in leichten Wellen auf die Schultern und ihre Augen waren in einem sanften Braunton gehalten. Mit dem Rest der Hekate-Kinder hatte sie nichts gemeinsam.
Ein Gong ertönte, der das Essen ankündigte. Bea und Liam hörten auf den jeweils anderen zu mustern und begaben sich schweigend zum Ausgang der Hütte. Ohne ein Wort miteinander zu sprechen erreichten sie den Pavillon.
Liam setzte sich zu Will an den Apollo-Tisch, während Bea nach Lou Ausschau hielt. Einen Augenblick später entdeckte sie sie und ließ sich neben ihr auf die Bank sitzen. Nach und nach trudelten auch die anderen ein.
Das Essen war sehr lecker, auch wenn Bea nicht ganz verstand, wieso die Halbblute einen Teil von ihrer Mahlzeit opferten. Bea hatte es noch nie gemacht und war bis jetzt gut zurecht gekommen. So wichtig konnte es doch also eigentlich nicht sein.
Der Nachmittag verging schnell. Bea erkundete das Camp, die anderen Camper ließen sie meist in Ruhe, da noch nicht allen aufgefallen war, dass es ein neues Mitglied gab. Aber ihr konnte das nur recht sein, weil sie eh noch nicht wusste, wie lange sie bleiben wollte.
Abends lag Bea im Bett und konnte nicht schlafen. Das hatte mehrere Gründe.
Erstens waren ihr zu viele Leute mit ihr im Raum und die Geräusche waren sehr ungewohnt und ließen sie nicht zu Ruhe kommen. Zweitens gab es die Geschehnisse des heutigen Tages, die sie wach hielten.
Wenn Chiron die Wahrheit sagte - und eigentlich war es zu hundertprozentig sicher, dass dem so war -, wusste Bea nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Er war nett zu ihr gewesen, während sie ihn angeschrien, beleidigt und verflucht hatte. Trotzdem bot er ihr an in Camp Half-Blood zu bleiben.
Vielleicht wollte er sie aber auch nur im Camp wissen, damit er sie und das Drachenauge im Auge behalten konnte. Das Drachenauge. Bea musste es morgen unbedingt wiederfinden, bevor es jemand anderes in die Finger bekam.
Schaden konnte zwar nur von Kindern der Hekate verursacht werden, aber Bea war darauf angewiesen. Allein mit ihren Kampfkünsten könnte sie außerhalb der magischen Grenzen vom Camp niemals überleben. Auch wenn ihr Vater solch schreckliche Dinge damit geplant hatte; sie würde niemals die gleichen Fehler machen wie er; sie konnte das Drachenauge kontrollieren.
Vielleicht könnte Bea das Drachenauge verwenden, um Gutes zu tun.
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Am nächsten Morgen verschwand Bea möglichst unauffällig nach dem Frühstück im Haupthaus. Den Weg in die Krankenstation fand sie ohne Schwierigkeiten und zur Sicherheit schloss sie die Tür hinter sich, damit sie niemand bemerkte. Es kam schließlich nicht allzu vertrauensvoll rüber, wenn sich eine neue Camperin ins Haupthaus schlich und den Raum durchsuchte.
Die Suche dauerte lange.
In ihrer Panik und Trauer hatte Bea sich nicht merken können, in welche Richtung sie das Drachenauge geworfen hatte. Und da der Raum groß war, bedeutete das eine lange Aktion.
Sie lugte unter die Betten und Schränke, schaute hinter die bodenlangen, blauen Vorhänge, schaute hinter jedes Möbelstück und in jede Ecke. In ihrer Verzweiflung hob sie sogar ein paar Bettdecken hoch, um darunter zu schauen und öffnete selbst die Schränke, um sicherzugehen.
Aber das Drachenauge blieb unauffindbar. Bea war eine Idiotin, das stand für sie fest (und wahrscheinlich auch für alle anderen, wenn sie hierüber Bescheid wüssten). Sie hatte es 17 Jahre lang geschafft auf diese verdammte Kette aufzupassen und in der Sekunde, wo sie auf Chiron trifft, gerät alles durcheinander.
"Was machst du hier, Bea?"
Bea erstarrte und ließ die Schranktür zufallen. Mit einem gefakten Grinsen im Gesicht drehte sie sich um und blickte Liam entgegen. "Was meinst du?", fragte sie blöd und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
"Hast du nicht schon genug Zeit auf der Krankenstation verbracht? Willst du dir nicht lieber mal andere Teile des Camps anschauen?" Liam lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Sicher, du hast recht", Bea lächelte immer noch gezwungen und setzte sich in Bewegung, um den Raum zu verlassen. "Ich war die letzten beiden Tage so durch den Wind, da hab ich die Innenarchitektur einfach nicht schätzen gewusst, weißt du?"
"Ah, sicher", stimmte Liam zu, machte aber keine Anzeichen ihr Platz zu machen.
"Ja, also...", Bea blieb vor ihm stehen und schaute fragend zu ihm hoch. "Lässt du mich dann jetzt raus? Ich hab noch einiges zu erkunden und diese Architektur der Hütten ist wirklich außergewöhnlich."
"Du solltest mal mit Annabeth reden, sie ist auch ein großer Fan von Architektur. Ihr würdet euch bestimmt gut verstehen. Welcher Baustil gefällt dir denn am Besten?"
Bea zog überrascht die Augen hoch. "Das ist eine echt schwierige Frage", erklärte sie, um Zeit zu schinden. "Also, ich... ich fand... Also die Gotik fand ich schon immer beeindruckend. Ich mach mich dann direkt mal auf den Weg zu Annabeth, in Ordnung? Lässt du mich...?" Bea ließ den Satz unbeendet und deutete auf den versperrten Weg zur Flur.
"Aber sicher", Liams Mundwinkel zuckte leicht, während er sich zur Seite drehte und somit Platz für Bea schaffte, die sich sogleich in Bewegung setzte, um schnellst möglich zu verschwinden, bevor Liam merkte, was sie für Schwachsinn redete.
Bea war gerade mal einen Schritt an Liam vorbeigegangen, als er sie stoppte. "Hältst du mich wirklich für so blöd?", er klang höchst amüsiert und Bea erblickte das Drachenauge direkt vor sich. Bevor sie es packen konnte, zog Liam es schon wieder über ihren Kopf hinweg aus ihrer Reichweite.
"Gotik? Was besseres ist dir nicht eingefallen?", fragte er provokant und musterte das Drachenauge in seiner Hand. "Das ist echt ein schönes Teil. Ich hab es gestern per Zufall hier gefunden."
In diesem Moment entschied Bea, dass Liam ein Arsch war. Leider Gottes ein ziemlich gut aussehender Arsch. "Gib es mir zurück", sie beherrschte sich mühsam, um nicht direkt auszuflippen.
"Wer's findet, darf's behalten", zitierte Liam amüsiert.
"Liam", stieß Bea drohend vor, "letzte Chance. Gib es mir zurück!"
"Wieso sollte ich?"
Bea grinste. "Die Antwort ist leicht. Weil es immer noch an mich gebunden ist und meinen Befehlen untersteht. Beh, aprite!" Ein Lachen entwich ihren Lippen, als Liam erschrocken zusammenzuckte, nur weil sich das Auge öffnete. "Muss ich weiter machen, oder reicht dir das?"
Liam zögerte und schaute von Beas ausgestreckter, fordernder Hand zu seinem neuen Fundstück. Eine Sekunde später überreichte er ihr es ohne einen weiteren blöden Kommentar. Er hatte sie eh nur ärgern wollen und das war erfolgreich gewesen.
"Herzlichsten Dank, Sonnenknabe", sagte Bea sarkastisch und verließ das Haupthaus ohne zurückzusehen.
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Hallo zusammen,
mögt ihr Liam oder findet ihr wie Bea, dass er ein Idiot ist? XD
Ich persönlich mag ihn ja, vermutlich weil ich ihn mir selber ausgedacht habe, aber egaaal :D
Auch wenn ich ein bisschen früh bin, wünsche ich euch schon mal ein schönes Wochenende :)
Bis Montag, thegreeni
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