Kapitel 2
"Wovon wurde sie verletzt?", fragte Will aufmerksam und wandte seinen Blick von dem Mädchen zu Annabeth.
"Wir haben gegen Werwölfe gekämpft", erklärte Percy, der gerade wieder aus der Küche zurückkam. In seiner Hand hielt er ein Glas Wasser, das er an Nico weiterreichte.
Der Sohn des Hades nahm es dankend an, auch wenn er sich eigentlich viel zu erschöpft für's Trinken fühlte. Man würde ja meinen, dass es mit Übung leichter werden würde, aber Schattenreisen laugten ihn immer noch aus. Besonders, wenn er eine andere Person mitnehmen musste.
"Und ihr wisst, dass sie eine Halbgöttin ist?", hakte Will erneut nach und inspizierte die Wunde des Mädchens erneut. Quer über ihren Bauch zogen sich drei lange Schnitte, die der Werwolf ihr mit seinen Krallen zugefügt hatte. Sie waren nicht allzu tief, aber der Blutverlust hatte das Mädchen geschwächt, auch wenn er schon jetzt fast vollkommen gestoppt hatte.
Annabeth zögerte mit ihrer Antwort. "Wissen tun wir es nicht. Aber so wie sie sich in den Kampf gestürzt hat, ist sie entweder verrückt oder ein Halbblut. Und sie konnte den Werwolf verletzen, also war ihr Messer wahrscheinlich aus himmlischer Bronze."
"Also soll ich es riskieren?", hakte Will nach, welcher dem Ganzen immer noch etwas skeptisch gegenüber stand. Einer Sterblichen Ambrosia oder Nektar zu verabreichen hatte katastrophale Folgen, für die er ganz sicher nicht verantwortlich sein wollte.
"Wenn du so fragst, wohl lieber nicht", antwortete Percy, der sich jetzt auch von Wills Skepsis hatte anstecken lassen. "Sie wird uns schon nicht verbluten und wenn sie aufwacht, können wir sie immer noch fragen."
"Okay", erwiderte Will, bevor er sich an die Arbeit machte. Vorsorglicherweise hatte Percy schon das Verbandszeug aus dem Badezimmer geholt, nachdem Will und Nico informiert worden waren.
Durch die Iris-Botschaft hatte Annabeth Will schnell erreichen, die Situation erläutern und ihn mit seinem schattenreisenden Freund herbeordern können. Natürlich wäre sie auch in der Lage gewesen, die Wunde der Verletzten zu versorgen, allerdings wollte sie auf Nummer sicher gehen, nachdem sie ihnen ziemlich aus der Patsche geholfen hatte.
Auch wenn das schwarze T-Shirt der Unbekannten ziemlich zerstört und verschmutzt war, schob Will es nur hoch. Jetzt, wo er die Wunde genau betrachten konnte, entspannte er sich, da sie keineswegs lebensbedrohlich war oder bleibende Schäden hinterlassen würde.
Nachdem die Wunde gesäubert und verbunden war, mussten die vier Halbgötter einfach abwarten. Leichter gesagt als getan, in Anbetracht der Umstände, dass ADHS bei Kindern mit göttlichem Vorfahren nicht gerade selten vorkam.
Die Stille, die nun entstand, nutzten die Halbgötter, um die Fremde zu mustern. Ihre Kleidung gab nicht allzu viel her. Sie trug eine schlichte Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine Sweatshirtjacke. Das Besonderste war, dass sie ein ebenfalls schwarzes Tuch trug, welches ihr halbes Gesicht verdeckte.
Percy entschied für sich, dass er dem auf dem Grund gehen wollte. Die Kapuze des Mädchens war mittlerweile heruntergerutscht, aber das enthüllte auch nur ihre seidigen dunkelbraunen Haare, die hinter ihrem Kopf zu einer Frisur gesteckt waren.
Wiedermal beugte sich Percy über das Mädchen, genauso wie eine halbe Stunde zuvor in der Gasse, und näherte sich mit der Hand dem Gesicht des Mädchens. Doch noch während er das Tuch vorsichtig nach unten zog, schnellte die Hand des Mädchens nach oben und packte Percys Arm.
Es dauerte nur eine Sekunde, in der sich das Mädchen aufsetzte, Percy ordentlich den Arm verdrehte und ihn von sich wegstieß. In der nächsten Sekunde stand sie schon wieder auf den Beinen. Ihre rechte Hand schnellte zu ihrem Hinterkopf, umfasste ihre Haarnadel, zog diese heraus und richtete sie drohend auf Annabeth, welche ihr am nächsten war. "Keinen Schritt weiter!"
Der bedrohliche Ton des Mädchens ließ Annabeth direkt stehenbleiben und sie hob abwehrend die Hände. "Wir tun dir nichts", sprach sie mit möglichst ruhiger Stimme und probierte die Unbekannte freundlich anzulächeln. "Leg die Waffe weg und wir können dir alles erklären."
"Ich brauch keine Erklärung!", zischte das Mädchen und ließ ihren Blick wachsam durch den Raum wandern, die Nadel immer noch auf Annabeth gerichtet. "Wer sind die?", verlangte sie zu wissen und nickte in Wills und Nicos Richtung.
"Ich bin Will", stellte sich der blondhaarige Junge freundlich vor und deutete dann auf seinen schwarzhaarigen, müde aussehenden Sitznachbar, "und das ist Nico. Ich habe deine Wunde versorgt, als du bewusstlos warst."
Der Blick der Unbekannten wanderte nach unten zu ihrem Bauch. Ihre linke Hand hob das T-Shirt und enthüllte Wills gut angelegten Verband. Dem Mädchen entfloh ein leises Ächzen, da das Adrenalin so langsam wieder abzuklingen schien und sich die Schmerzen bemerkbar machten.
"Wir wollen dir nichts tun", sagte diesmal Percy, der sie beruhigend anblickte. "Das schwöre ich auf den Styx." Er wusste zwar nicht, was dieses Mädchen war und was sie wusste, aber schaden tat es bestimmt nicht. Entweder würde sich das Mädchen beruhigen oder sie würde ihn für verrückt halten. Mit beidem würde er wohl oder übel leben können.
Glücklicherweise verstand das Mädchen Percy und ließ sich daraufhin promt zurück auf die Couch sinken. Die Haarnadel hielt sie weiter in der Hand, allerdings zeigte die Spitze nicht mehr auf Annabeths Herz, was alle beruhigte.
"Ihr seid Halbblute", stellte das Mädchen ausdruckslos fest. Ob ihre Erkenntnis jetzt auf den Werwölfen, Percys und Annabeths Kampfkünsten und Waffen oder auf dem knitschorangenen Camp-Shirt von Will beruhte, war wohl egal.
"Ja", antwortete Annabeth, die entschieden hatte die Leitung dieses Gesprächs zu übernehmen. "Ich bin Annabeth und das ist Percy. Und wer bist du?"
Die Unbekannte zögerte, bevor sie antwortete und musterte die Anwesenden noch einmal ganz genau. Die Namen der Halbblute waren ihr keineswegs unbekannt. Schließlich waren Nico und Percy Söhne von Hades beziehungsweise Poseidon. "Ich bin Bea."
"Und wer ist dein göttliches Elternteil?", hakte Annabeth nach.
"Ich wüsste nicht, was dich das angeht", erwiderte die Unbekannte nicht wütend, aber mit Nachdruck.
"Also weißt du es nicht." Das war Percy, welcher sich die Schulter rieb, aufgrund des nicht gerade zimperlichen Angriffs von Bea. Aber das hatte er wohl verdient, da er ohne zu Fragen ihre Deckung entfernen wollte. Das hatte außerdem nicht allzu viel Erfolg gehabt, da Beas untere Gesichtshälfte immer noch verdeckt wurde.
"Das habe ich nicht gesagt, Wasserratte." Wieder sah es niemand, aber ein Grinsen schlich sich in Beas Gesicht, als Percy sie so verdattert anglotzte. "Ich habe nur gesagt, dass es euch nichts angeht."
"Gehörst du zu den Römern?", fragte Annabeth verwirrt. Es konnte wohl schlecht ein Zufall sein, dass Bea gerade Percy, den Sohn des Poseidon, als Wasserratte bezeichnete. Aber vielleicht hielt sie einfach nur Abstand zu den griechischen Halbgöttern, weil sie zur anderen Gruppe gehörte. Die Feindlichkeit war zwar beendet, aber einzelne Halbgötter beruhten noch auf den alten zerstrittenen Einstellungen.
"Nein", sagte Bea genervt und verdrehte ihre dunkelbraunen Augen. "Lasst mich einfach in Ruhe und ich verschwinde." Sie stütze sich auf der Sofalehne ab und erhob sich schwerfällig.
"Sicher?" Diesmal war es Will, der sich ins Gespräch einmischte. "Deine Wunde ist zwar nicht so tief, aber du solltest dich ausruhen. Ich kann dir Ambrosia geben, wenn du möchtest."
"Danke, nein", wehrte Bea ab und schüttelte den Kopf, was zur Folge hatte, dass kurzzeitig Sterne vor ihren Augen tanzten. "Vielen Dank für den Verband, aber mehr ist nun wirklich nicht nötig, Sonnenknabe."
"Bea, komm schon", versuchte es jetzt auch Annabeth und stellte sich der Dunkelhaarigen in den Weg, welche sich schon zum Flur gedreht hatte. "Sei vernünftig und ruh dich etwas aus, bevor du gehst. Wir können dich auch ins Camp bringen."
"Geh mir aus dem Weg." Das war das Einzige, was Bea dazu zu sagen hatte und blickte Annabeth kalt und ohne jegliche Emotionen in die Augen.
Annabeth wusste nicht, was sie falsches gesagt hatte, aber nachfragen konnte sie wohl auch nicht. Das vorher recht friedlich und ruhig wirkende Mädchen war jetzt weder friedlich noch ruhig. Annabeth bezweifelte nicht, dass Bea sie angreifen würde, wenn sie nicht aus dem Weg ging.
"Du kannst nicht ewig alleine draußen überleben", sagte Annabeth ernst und versuchte ein letztes Mal an die Vernunft des Mädchens zu appellieren. "Im Camp kannst du von Chiron trainiert werden, er passt auf uns auf."
Diesmal brannte Beas Sicherung durch. Sie hatte sich schon vieles von solch neunmalklugen Halbbluten anhören müssen, aber jetzt reichte es. "Ich brauche weder Chirons Training, noch seinen jämmerlichen Schutz!", spuckte sie regelrecht aus und packte Annabeth gewaltsam am Kragen, um sie zu sich zu ziehen.
"Und jetzt geh mir aus dem Weg!" Mit diesen Worten stieß Bea die Halbgöttin von sich, welche nach einem kurzen Stolpern von Percys abgefangen wurde, sodass sie sich wieder aufrichten konnte.
Das aggressive Verhalten hatte selbst Nico von seinem Platz aufstehen lassen, wobei sich die Halbgötter unsicher waren, wie sie auf diese Aktion reagieren wollten. Schließlich wollten sie Bea nichts tun.
Ihre Grübeleien wurden jedoch unterbrochen, da Bea geradewegs in den Flur marschierte, ohne einen Blick zurückzuwerfen. "Sollen wir ihr nach?", fragte Will besorgt, der seine Patientin lieber noch ein paar Stunden in einem Bett wissen wollte.
"Lieber ni-", Annabeth brach abrupt ab, als im Flur ein lautes Poltern ertönte.
Will atmete angestrengt durch. "Ich hab doch gesagt, sie soll sich erstmal ausruhen", brummte er genervt und ging gefolgt von Nico, Percy und Annabeth in den Flur.
Dort lag Bea ausgestreckt auf dem Boden, eine Hand zur Tür ausgestreckt, als wenn sie gerade nach der Klinke hatte greifen wollen, bevor sie zusammengebrochen war.
Will seufzte und ließ sich neben dem bewusstlosen Mädchen auf den Boden sinken. Mit Percys Hilfe schaffte er es, Bea auf den Rücken zu drehen. Man könnte meinen, dass sie nur schlafen würde, allerdings wurden ihr Gesicht und ihre Wunde verdeckt.
"Schluss mit den Versteckspielchen", brummte Will und zog Bea das Tuch runter. Viele Erkenntnisse brachte das zwar nicht, aber immerhin hatte die Verletzte jetzt eine uneingeschränkte Luftzufuhr.
"Für 'ne Italienerin ist sie aber ziemlich blass", kommentierte Nico, der sich bis jetzt komplett rausgehalten hatte und auch jetzt teilnahmslos daneben stand und die anderen beim Arbeiten beobachtete.
"Italienerin?", fragte Percy verwirrt nach, während Will leise, aber gut verständlich meinte: "Das sagt genau der Richtige!"
Nico schaute Percy verständnislos an, während Wills Kommentar von vornherein ignoriert wurde. "Der Akzent, ihr Aussehen, der Name? Brauchst du noch mehr Hinweise, Algenhirn?" Ein leichtes Grinsen schlich sich für einen kurzen Moment auf Nicos Lippen, als er Annabeths Spitznamen klaute.
Annabeth hatte Nicos Hinweise nicht gebraucht, um die Nationalität von Bea zu erraten, aber die Jungs waren scheinbar nicht ganz so aufmerksam gewesen. Zu ihrer Verteidigung; der Akzent war kaum hörbar im Vergleich zu Nicos.
"Was machen wir jetzt mit ihr?", hakte Will nach. "Sie sieht wirklich nicht so gut aus... Also ich meine, natürlich sieht sie gut aus, also für ein Mädchen halt, nicht, dass ich was gegen Mädchen hätte, aber-"
"Wir bringen sie ins Camp", teilte Percy den anderen mit und unterbrach - den Göttern sei Dank - Wills sinnloses Gestotter.
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So, das war also schon das zweite Kapitel. Ich hoffe, es hat euch gefallen :)
Bis in ein paar Tagen, thegreeni
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