Drache und Silber 84
Eine Übermacht gesichtsloser Feine bedrohte mich. Sicherlich kannte ich jede einzelnen der Wachen, doch sie verbargen ihre Gesichter hinter eisernen Helmen.
Ich war unbewaffnet und nur bekleidet mit leichtem Hemd und Hosen. Anzugreifen brachte mir überhaupt nichts.
Keine Lücke öffnete sich in dem Kreis. Es gab keinen Ausweg.
„Vigour. Hör auf mit dem Blödsinn. Das bringt dir doch nichts. Denk bitte nach."
Idiotisches Drachenbalg. Wenn er nicht seinen Willen bekam, rastete er aus. Früher hatte er dann mit Töpfen, Schüsseln und Möbelstücken geworfen. Heute flüchtete er in die Tyrannei.
„Bringt sie ins Drachennest. Die gelbe Stube ist frei.", befahl Vigour, ohne meine Worte zu beachten.
Das Drachennest war die Kinderstube des Wintersteins. Familien bekamen dort schöne Räumlichkeiten, in mitten von Einrichtungen, die sich um die Bedürfnisse von Müttern und Kindern kümmerten.
Da kaum Drachenbabys im Winterstein geboren wurden, waren die Zimmer verweist.
Eine freundliche Geste mir ein schönes Gefängnis zu geben. In letzter Zeit passierte es mir zu oft.
„Vigour. Komm zu Vernunft. Du verfluchtes Balg. Komm her und prügel dich wie der König, der du bist. Sei nicht so feige. Vigour."
Mein König rannte aus dem Thronsaal. Hoffentlich würde er irgendwo tief im Berg seinen Verstand wiederfinden.
„Nun komm schon. Iris. Wir bringen dich zur gelbe Stube. Bleib auch du vernünftig. Keiner von uns möchte dich verletzen."
Eine bekannte Stimme.
Einige der Wache klappten die Visiere hoch, um mir ihre Identität zu zeigen. Freunde umgaben mich. Schwertkumpanen, die teilweise im Rubinkrieg direkt neben mir gekämpft hatten.
Sie folgten den Befehlen ihres Königs. Ich konnte keine Freilassung von ihren erwarten, deshalb fragte ich nicht danach.
„Was ist geschehen? Warum ist Vigour so außer sich?"
Tam trat vor. Ehemals begleitete er mich auf meinen Reisen. Vor fünf Jahren hatte er geheiratet und versuchte seitdem ein Kind zu zeugen.
Besorgt blickte er unserem König nach und lächelte mich dann verlegen an. Er nahm den Helm ab und fuhr sich durch das lange, schwarze Haar.
„Wir wissen es nicht genau. Scheinbar hat er Samuel seit gestern Abend in seinen Gemächern eingesperrt und lässt ihn nicht mehr raus. Wir haben Schreie gehört. Der König lässt niemanden ein. Nur ein Heiler war bei ihm."
Leicht fasste Tam mich an der Schultern. Beschämt verlangte er : „Iris. Du musst mit uns kommen. Wir hoffen der König wird dich bald wieder freilassen."
Geschlagen nickte ich. Einen Kampf gegen diese Übermacht war von Anfang an verloren.
Ich wollte diese Situation nicht schlimmer machen, als sie ohnehin war.
„Keine Sorge. Ich komme mit."
Hoffentlich beruhigte sich Vigour bald. Bevor meine Geliebte mitbekam, was geschehen war. So bald sie eingriff, entstand ein Konflikt zwischen Drachen und Elfen.
Ich zählte auf ihre Vorsicht, ihr Wissen um den wackligen Frieden zwischen unseren Rassen. Doch gleichzeitig erinnerte ich mich an die Geschehnisse von heute Morgen.
In ihrer Wut drohte sie Vigour den Berg hinunter zu werfen. Wie würde sie auf die Nachricht meiner Gefangennahme reagieren? Es bereitete mir die größten Sorgen.
Rasch und unauffällig, durch die verwaisten Dienstbotengänge, brachte mich eine Gruppe von zehn Wachen zu meiner Zelle.
Mit vielen Entschuldigungen ließen sie mich dort zurück.
Meine Schwester hatte kurz nach Momos Geburt in einer ähnlichen Stube gewohnt, bis ihr Mann sich davon gemacht hatte.
Die gelbe Stube machte ihrem Namen alle Ehre. Alle Wände des kleinen Wohnbereiches bestachen durch die Farbe.
Praktische Möbel aus weißen Holz mit Blumenschnitzereien, zierten den Küchen und Essbereich und die zwei Schlafzimmer.
An den Wänden spielten Babydrachen in Blumenwiesen. Auf flauschigen Teppichen lag vergessenes Spielzeug. Ich hob ein schmutziges Püppchen auf und streichelte über das verfilzte, blonde Wollhaar.
Hier fühlte ich mich vollkommen fehl am Platz.
Die Königin fehlte mir. Wieder stürzte ich sie in Ungewissheit und Furcht. Solchen Gefühlen hatte ich sie nie wieder aussetzen wollen.
Ein schüchternes Klopfen an der Tür schreckte mich auf.
„Herein.", bat ich mit fester Stimme.
Jetzt schon auf eine Befreiung zu hoffen, war zu viel verlangt.
Zwei Dienerinnen traten ein. Junge Mädchen in blauen Wollkleidern, mit weißen Hauben. Wie die meisten Halbdrachen aus dem Dorf am Fuß des Wintersteins, waren sie mir unbekannt.
Durch die geöffnete Tür erkannte ich mehrere Wachen auf dem Gang, die mich bewachten. Auf diesem Weg würde mir eine Flucht nicht gelingen.
Die Mädchen blieben stumm und hielten den Blick gesenkt. Sie stellten eine Platte, reich gefüllt mit Speisen und einen Wasserkrug auf dem Tisch ab.
Bevor ich mich bedanken konnte, huschten sie schnell davon. Scheinbar hatten sie Angst vor mir, obwohl Drachenblut durch ihre Adern floss.
Galt ich bereits als Verbrecher?
Die Tür fiel ins Schloss. Wieder allein stieß ich einen langen Seufzer aus.
Eine Flucht war riskant. Wenn der ganze Winterstein mich jagte, konnte mich selbst die Elfenkönigin nicht schützen. In diesem Fall wurde ich zu einer Gefahr für sie.
Wenn sie nur nicht hier wäre. Ich machte mir zu viele Sorgen um ihr Wohlergehen. Der Winterstein war kein sicherer Ort mehr für uns beide.
„Juna. Es tut mir Leid. Juna. Mach nichts Dummes. Kehr nach Hause zurück. Ich komme nach so bald ich kann."
Meine Worte verklangen ungehört.
Sorgfältig prüfte ich meine Zelle, auf Gegenstände, die ich zu Waffen umfunktionieren konnte und Fluchtwege. Alle Fenster lagen hoch genug, um mir erfolgreich den Hals zu brechen, wenn ich es wagte hinauszuspringen.
Als Waffen fand ich ein paar Löffel, Scherben kaputter Tonschüsseln und Teile von Möbeln, die ich im Notfall zu zertrümmern plante.
Alles nicht sehr erfolgreich.
Enttäuscht setzte ich mich zum Essen, um Kräfte zu sammeln.
Was auch immer Samuel Vigour mitgeteilt hatte, es hatte eine Katastrophe ausgelöst. Tollpatschig war ich mitten hinein gestolpert.
Extra
„Samuel. Hey. Mein Kleiner. Schläfst du noch?"
Vorsichtig strich ich ihm das noch immer blutige Haar aus der Stirn. Ich wagte es nicht, die Strähnen zu reinigen. Das Wasser würde den Verband um seinen Kopf durchnässen.
„Dummkopf. Dummkopf. Dummkopf.", schimpfte ich leise.
Wen meinte ich damit? Mich oder ihn? Uns beide?
Samuel wachte einfach nicht mehr auf.
Dicht hielt ich mein Ohr an sein Gesicht und lauschte auf seinen schwachen Atem.
Der Heiler hatte mir geschworen, ich brauchte nur zu warten.
Die Entscheidung zu mir zurückzukehren, würde Samuel selbst fällen.
Eng kuschelte ich mich an ihn, schlang die Arme um seinen Bauch und fädelte die Hand unter seinen Kopf.
„Aufwachen. Samuel. Ein neuer Tag beginnt.", wisperte ich.
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