Drache und Silber 150
Wie jedes Mal, wenn ich in den Winterstein zurückkehrte, schwappte eine Welle der Nostalgie über mich, die mich fast davonspülte. Dieser Funken wohliger Traurigkeit wuchs in meinem Herzen, wenn ich aus dem Schattenportal in die dunkle Empfangshalle des Berges hineintrat und verschwand erst wieder, wenn ich mich im Elfenpalast in die Arme meiner Liebsten sinken ließ.
Die Drache Statuten, die in der hohen Decke lebten, starrten mit leeren Blicken auf mich hinunter und lauschten dem Echo meiner Schritte. Kühle Luft prickelte über meine Haut, während der modrige Duft des Steins in meine Nase drang. Noch fühlte sich der Berg wie mein wahres zu Hause an. Tief in mir reckte und streckte sich der Drache und erwachte. Diese ersten Momente, die Erleichterung über meine Heimkehr, verblasste meist nach ein paar Stunden und ich sehnte mich nach der frischen Brise der Natur, dem Zwitschern der Vögel und Blätter rascheln. Und ein Funken Einsamkeit pikste mich aus dem Dunkel, weil Juna so weit entfernt von mir war.
Für diesen Moment aber, mochte ich den Besuch und wollte das Leben als Drache auszukosten.
Ranja boxte in meine Schulter.
„Nun komm, du zarte Braut. Wir haben ein reiches Drachenfrühstück für dich vorbereitet. Am Ende kippst du uns beim Brauttanz noch um, weil du dich seit Monaten von Gras und Beeren ernährst."
Ich ließ mich wortlos mitziehen, obwohl der Hochzeitsplan das Gegenteil eines reichhaltigen Frühstückes vorschrieb. Fasten, körperliche und geistige Reinigung und die stille Reflektion des bisherigen Lebens, gab das elfische Hochzeitsritual am ersten Tag der Feierlichkeiten vor. Der Gedanke daran hatte mich nie begeistert, aber ich hatte mich nicht gewehrt, denn wir versuchten die Bräuche der Drachen, sowie die der Elfen während der Feierlichkeiten zu ehren. Selbst wenn die Hochzeit mehr und mehr nach etwas klang, das es nur hinter sich zu bringen galt.
Ein deftiges Frühstück klang trotzdem verlockend. Drachen hielten ohnehin nicht viel vom Fasten.
Nach einem Frühstück aus Würsten, Gebäck mit Speck und Honig, Kohlrouladen, Hackbällchen mit Rakhmellien Marmelade, Erbseneintopf, Obstkompott und heißem Birnenbier, rollten wir auf den Trainierplatz am Fuße des Winterstein.
(Notiz der Beta: Rakhmellien sind Blumen, die in Kapitel 23 zum ersten Mal erwähnt wurden. Es sind rote Blumen, die von Drachen für Tee und Desserts verwendet werden und auch bei Bauchschmerzen helfen. Sie wachsen den ganzen Sommer über, sind aber wenig ertragreich, was durch ihre Baby-Kopf großen Blüten ausgeglichen wird.)
Wir lachten und scherzten, stießen und boxten uns, und rannten die Treppen hinunter, wild wie Drachenkinder. Esse beobachtete uns mit großen Augen und wahrte als einzige Elfe den Schein, in dem sie elegant die Treppe hinunter schritt. Das zarte Kleid vornehm angehoben. Rosalie und ich boxten sie auch ein bisschen und forderten sie auf mit uns zu laufen, aber die Heilerin lächelte nur. Meine Schwester blieb mit ihr zurück, während Milanda, Ranja und ich um die Wette rannten.
Ich sprang die letzten Stufen hinab, bereits die Arme in die Luft gerissen, und brüllte: „Ha. Erster!" Dabei stolperte ich beinah in meine Mutter hinein. Sie wartete am Fuß der Treppe, die Arme in die Hüften gestützt. Ihre blauen Augen glitzerten wütend.
„Närrisches Kind.", zischte sie und packte mich am Arm. „Das kann wohl nicht dein Ernst sein."
„Mutter. Es ist kein Verbrechen die Treppen nach unten zu rennen."
Ich riss mich aus ihrem Griff los.
„Du weißt genau, was ich meine.", zischte sie
Natürlich wusste ich, was sie meinte. Immer wenn ich in den letzten Monaten zum Winterstein gekommen war, gab es für sie nur ein einziges Thema. Meine Mutter versuchte mich von meiner Hochzeit abzuhalten.
„Können wir das jetzt lassen? Es ist buchstäblich mein Hochzeitstag."
Wie immer, war es ihr vollkommen egal, was ich wollte.
„Warum muss es eine Elfe sein. Iris. Willst du so wenig normal sein, dass du nicht einmal einen Drachen heiraten kannst. Machst du das nur..."
„Nein. Mutter. Ich mach das nicht, um gegen dich zu rebellieren. Beim weisen Drachen. Lass es endlich ruhen."
Ich drängelte mich an ihr vorbei und sie hielt mich fest.
Hinter mir hörte ich meine Freunde tuscheln. Esse und Rosalie kamen inzwischen die letzten Stufen herunter.
„Du rennst in dein Unglück.", kreischte meine Mutter. „Es gibt wundervolle Drachenfrauen in den anderen Reichen. Aber du willst dich nicht mal umsehen."
Sie presste ein Medaillon in meine Hand. Das Zehnte in den letzten Monaten. Darin befanden sich die Abbilder hochrangiger Drachen, die Ehepartner suchten. Zur Brautwerbung schickten sie Schmuckstücke in alle Drachenreiche. Ich hatte in kein einziges davon hineingesehen und auch dieses ließ ich ungeöffnet auf den Boden fallen. Es knallte auf den Stein, die kleinen Perlen auf der Abdeckung brachen heraus und rollten über den Boden. Meine Mutter sog scharf Luft ein.
„Dummes Kind.", brüllte sie und hob die Hand, um mich zu schlagen. Nur war ich kein Kind mehr und inzwischen doppelt so stark wie meine Mutter. Ohne Mühe fing ich ihren Arm und hielt ihn in der Luft fest.
„Jetzt aber ruhig.", brummte ich. Innerlich zitterte ich wie eine Spinne, die versuchte ihr Netz vor einem Angreifer zu verteidigen.
„Mama. Beruhige dich. Iris wird nicht tun, was du willst."
Rosalie trat neben mich und legte unserer Mutter die Hand auf die Schulter. Wie erstarrt, verharrten wir länger als ich es aushalten konnte, also trat ich zurück und sagte:
„Mutter. Ich bitte dich zu gehen. Ich möchte den Winterstein nicht sofort verlassen, aber ich werde es tun, wenn du mich nicht in Frieden lässt."
Da brach sie in Tränen aus. Nur ein weiteres Mittel, um ihren Willen durchzusetzen, aber ich kannte inzwischen alle ihre Tricks.
„Ich will dich doch nur vor einem großen Fehler bewahren. Ein Drache im Elfenreich. Du weißt, dass sie dich hintergehen und angreifen werden, sobald sie können. Und deine ach so geliebte Braut wird dabei zusehen und dich auslachen. Es sind Elfen. Hast du denn alles vergessen, was sie uns im Rubinkrieg angetan haben?"
Tatsächlich hatte mich die Elfen bereits angegriffen, aber davon wusste meine Mutter nichts. Und sie irrte sich mit ihrem Urteil meiner Liebsten gegenüber. Juna hatte mir so oft bewiesen, dass sie ohne Zweifel an meiner Seite stand.
„Ja. Ich habe alles vergessen. Und weil ich nicht daran denke, was vor Jahrhunderten passiert ist, kann ich heute glücklich sein. Juna ist wie Drachenflügel für mich. Ich weiß, du wirst es nicht verstehen, aber das musst du auch nicht. Du musst uns nur in Ruhe lassen."
„Wie Drachenflügel. Übertreib doch nicht.", nuschelte Milanda hinter mir.
Meine Mutter verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
„Du bist so verblendet. Du musst wohl erst in dein Unglück rennen, um zu lernen. Vergiss nicht, dass deine Mama dich trotzdem liebhat. Du kannst jederzeit zu mir kommen, aber wag es nur nicht deine Elfenhure mitzubringen."
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es verstieß gegen die Lehre des weisen Drachen, Eltern gegenüber respektlos zu sein. Die eigene Mutter niederzuschlagen, zählte sicherlich dazu.
„Sag das nicht noch einmal. Mutter.", knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Es blitzte in ihren Augen. Sie wollte mich unbedingt zum Äußersten treiben und öffnete den Mund für neue Beleidigungen. Wer rannte jetzt in sein Unglück?
Rosalie trat zwischen uns.
„Komm. Lass uns nach oben gehen. Mama. Ich habe viel gebacken und gekocht und es ist noch ein Haufen Essen da."
Wie immer versuchte meine süße Schwester die Situation zu entschärfen. Ihr Blick bat mich eine Eskalation zu verhindern. Ich machte kehrt und rannte davon, durch das große Tor hinaus auf den Übungsplatz. Dabei zitterte ich am ganzen Körper. Unter meinen Füßen wirbelte Staubwolken in den klaren, blauen Himmel hinauf. Eine der Strohpuppen, an der die Drachen Schwertkampf übten, stoppte meinen Weg. Auf dem Jutesack, aus dem Strohhalme herausragten, hatte jemand mit Kohle ein dämliches Gesicht, mit leeren Augen und breiten Grinsen gemalt.
Mit einem gezielten Schlag streckte ich die Puppe nieder. Sie überschlug sich zweimal, ihre Hülle platzte und trockenes Stroh regnete auf den Boden. Der Anblick meines Opfers verschaffte mir wenig Befriedigung. Aber die Drachenkinder, die auf der Tribüne herumlungerten, verfielen in lautes Kreischen und Klatschen.
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