Wiedergutmachungen
"Wie geht es Euch, Herr Arno?"
Die Frage von Knecht Christian zu beantworten, fiel Arno sichtlich schwer- Arno wollte nicht über die zeit seines Arrestes auf Burg Regenstein berichten. Was sollte er jetzt auch sagen? Seine Gesundheit hatte die Haft- wie durch ein Wunder- gut überstanden. Dennoch hatte die Kühle und die Feuchtigkeit des Felsenverschlages ihm zugesetzt. Er fühlte sich alt und leer. Die Tatkraft früherer Zeit schien im Moment nicht mehr da zu sein.
Arno nickte mit zugekniffenen Lippen seinem Knecht und auch Freund daher nur kurz zu, als er das Pferd festband.
Ein erster Blick auf die Draburg sagte ihm, dass in der Zwischenzeit nichts verändert war.
"Dem Carl Bader haben wir schon Euer Eintreffen gemeldet. Er bittet Euch in den Palas, nehmt dort bitte im Saal Platz. Ich kümmere mich um das Pferd."
Christian zeigte einen besorgten Blick im Angesicht seines Burgherren. Ihm war sicherlich bewusst, dass Arno nicht als der Mann zurückkehrt, der er vormals war. Arno schien verändert.
Ohne Wort- und fast kraftlos wirkend- ging Arno in den Saal des Palas, nahm dort am Tisch Platz und sah sich im Raum um. Auch hier war nichts verändert worden.
Carl Bader kam die Wendeltreppe herunter und kam in den Saal.
Beim Anblick von Ritter Arno verharrte er kurz im Schritt, kam sodann jedoch an den Tisch dazu.
"Herr Arno. Willkommen zurück auf Draburg, eurem Heim."
Arno blickte Herrn Carl Bader an, sagte auch jetzt noch kein Wort zur Begrüßung. Unbemerkt von Arno hatte der Regensteiner Knecht seinen Fuß ebenfalls in den Palas- Saal gesetzt.
"Herr Bader? Wie es der Graf angewiesen hatte, übergebe ich Euch hiermit Ritter Arno. Wenn ihr einverstanden seit, dann würde ich mich gleich auf den Rückweg begeben?"
"Ja. Ich danke dir. Hast du auf Burg Regenstein Bericht zu geben?"
"Nein, Herr Bader. Nur Herrn Arno zu begleiten."
"Gut. Dann wünsche ich dir einen guten Heimweg. Vor der Nacht solltest du es schaffen, zurück zu kommen."
"Ja Herr. Auf Wiedersehen, Herr Bader. Voigt Arno- auch Euch ein auf Wiedersehen."
Arno nickte kurz und sah dann wieder Carl Bader an, innerlich sehr begierig darauf, zu hören, was der auf Draburg eingesetzte Mann zu berichten hat.
Carl Bader faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. Es schien, als müsste Carl Bader nach den richtigen Worten suchen. Er wich Arnos Blick aus- dies war ihm anzusehen.
Arno blickte zu der Wand hinter dem Tisch und Stuhl des Burgherren. Dort hing der Wappenschild, den Carl Bader vor Jahren einmal für Arno angefertigt hatte.
Arno musste sich räuspern, um ein Wort sagen zu können. Er hustete kurz den Staub der Reise aus, dann zeigte Arno auf seinen Draburger Schild mit dem Wappen.
"Seht ihr diesen Schild, Herr Bader? Ihr sagtet mir seinerzeit, dass dies Eure beste Arbeit war. Und nun berichtet mir- und überlegt gut. Überlegt, wie ihr einem Manne schildern wollt, was ihr in seinem Hause vollbracht habt. Und sagt mir nun endlich, was es mit dem Arrest auf Draburg für mich auf sich hat."
Arno sprach fest und deutlich. Dies muss Herrn Carl Bader wohl beeindruckt- ja fast ein wenig eingeschüchtert haben, denn Carl Bader holte tief Luft. Dann begann er zu reden.
"Ehrenwerter Voigt Arno von Draburg. Ich bitte Euch, mich anzuhören- bevor ihr ein Urteil über mich fällt."
'Ehrenwert?', Arno hatte erkannt, dass sich die Dinge wohl zu seinen Gunsten entwickeln. Schon durch die überraschende Aufhebung des Arrestes auf Burg Regenstein.
"Nun gut, Herr Arno. Mir ist aufgetragen worden, für den Euch übereilt ausgesprochenen Arrest im Namen des Grafen Kuno von Regenstein um Verzeihung zu bitten. Euch wird das Allodium Draburg mit Land und Burg nun wieder in die Hände gegeben. Ich habe Euch für eine Zeit des Überganges noch zur Seite zu stehen. Ich werde Euch Rede und Antwort geben, so gut ich es vermag."
"Ihr sollt mich um Verzeihung bitten? Ich habe Graf Kuno noch gesehen auf Burg Regenstein. Sein Betragen sprach kein Wort von einer 'Bitte um Verzeihung'!"
"Herr Arno, ich habe es Euch nur bekannt zu geben. Macht mir nicht den Vorwurf."
"Doch bin ich neugierig, Herr Bader. Was bewegte den Grafen zu solch einer Wandlung?"
"Ich weiß es nicht."
Zwischen den Männern herrschte ein kurzer Moment der Stille. Arno überlegte. Ihm war klar, dass Herr Carl Bader nur der Handlanger des Grafen in dieser Angelegenheit war. Der Graf war kein Mensch, der seine Absichten und die Hintergründe für seine Entscheidungen mit ein niederen Leuten besprach. Immer noch hatte Arno das Antlitz des Grafen vor Augen, als er aus dem Arrest gebracht wurde- hochnäsig, arrogant und abweisend stand sein Lehensherr da.
"Wie dem auch sei, Herr Arno. Nun seid ihr aus dem Arrest genommen. Dies habe ich mitzuteilen."
"Für mich ist dieses Jahr- ein verlorenes Jahr. Ich habe nichts bewerkstelligen können. Meine Gesundheit durfte den Regensteiner Arrest kennen lernen, was mir nicht sehr gut tat. Ich komme hierher zurück und es wurde nichts geschaffen hier. Aber- ich erhalte eine Bitte um Verzeihung des Grafen. Verzeiht mir, Herr Bader- Ich werde dem Grafen nichts verzeihen."
"Ritter Arno, ich verstehe Euch- glaubt mir. Doch nun, hört mich bitte weiter an."
Arno legte seinen Kopf in die aufgestützte linke Hand und sah den Tisch vor sich an. Carl Bader sah dies als Zeichen an, dass Arno weiterhin zuhören würde.
"In eurem Allodium war ein schlechtes Erntejahr. Den Leuten- vor allem den Menschen in Drudenstein geht es schlecht im kommenden Winter. Der Graf hat- auf mein Bitten hin- eingewilligt, dass die Draburger Abgaben - mit Ausnahme der kirchlichen Abgaben- auf zwei Jahre ausgesetzt werden. Zudem ist Graf Kuno damit einverstanden, dass ihr die Einkünfte aus dem Bergbau wieder zu Eurer eigenen Verfügung erhaltet. Er sieht die Absprachen, welche ihr für die Hochzeit Eurer Tochter Lisbeth mit dem Sohn des Grafen getroffen habt, als erfüllt an. Darüber hinaus sind die Holzabgaben nur noch zur Hälfte zu leisten- ihr könnt die verbliebene Hälfte nach eigenem Willen verwenden."
Carl Bader wusste, dass dies gute Nachrichten für den Herren auf der Burg waren. Aber Arno reagierte darauf nicht. Arno schien in Gedanken versunken zu sein- gestützt war der Kopf auf der Hand und Arno zeigte sich ohne Interesse an den Nachrichten.
"Auch habe ich Eure Stube hier im Palas vorbereiten lassen. Es wird euch freuen, zu erfahren, dass ich zu keiner Zeit Eure Stube selbst genutzt habe. Ich habe mir die große Kammer darüber über die Zeit eingerichtet gehabt."
Arno setzte sich aufrecht hin. Dies hatte er nicht erwartet. Arno selbst hatte angenommen, dass sich Carl Bader sogleich ausbreitet im Palas. damals, nachdem er als Burgwalter eingesetzt war. Es war sehr respektvoll von Herrn Bader. Arno war überrascht über diese Aussage.
"Verzeiht mir meinen Unmut, Herr Bader. Die Haft hat mich wohl ein wenig verbittert gemacht. Dem Anschein nach jedoch- habt ihr doch einige Dinge gut verrichtet."
Carl Bader lächelte ein wenig. "Nun, Herr Arno. Ihr habt mir dafür gut den Boden bereitet hier. Dennoch- die Speicher und Lager der Burg sind leer geworden. Ihr werdet es schwer haben."
"Hmm. Und Bodfeld?"
"Herr Sigurd von Heimburg verwaltet die Burg nicht mehr. Graf Kuno selbst hat die Verwaltung dort wieder an den Regenstein gebracht. Der junge Herr Sigurd war der Herausforderung nicht gewachsen, wenn ich dies offen eingestehen kann."
"Hmm. Was noch?"
"Ihr werdet es beim Ankommen nicht gesehen haben, aber der Bau der Kapelle am Ort ging in diesem Sommer voran. Das Haus ist bis zum Dach fertig, nur innen sind noch Arbeiten zu verrichten. - Und ein freier Mönch aus Darlingerode- vom dortigen Kloster- ist bestimmt, ab dem nächsten Frühjahr hier in der Siedlung Gottesdienste zu geben und sich der Menschen hier anzunehmen."
"Das ist gut. Nachdem Bruder Ademar verstorben war, lag mir sehr daran."
"Aus dem Bergbau habt ihr höhere Einnahmen zu erwarten. Ein Bergmann Gregor mit seinen Männern, der vormals im Lehen der Susenburger Erz abbaute, hat sich an die Erschließung von Erzadern in Eurem Lehen gemacht. Hier sind die Lagerstätten ergiebiger, wurde mir versichert."
"Gut. Doch wird es Herrn Gero von Susenburg weniger erfreuen." Arno stand auf. "So. Und nun verzeiht. Ich muss erst einmal ausruhen. Und endlich im eigenen Bett."
"Wie ihr es für richtig haltet, Herr Arno."
Arno ging hinauf in seine Kammer.
Eine klare Luft stand in dem Raum.
Obwohl die Sonne noch am Himmel stand- Arno war körperlich erschöpft.
So schlief er ein- und schlief sehr lange.
Am nächsten Morgen lag Arno sehr lange mit geöffneten Augen in seinem Bett. Im Obergeschoss des Palas hörte Arno auch Herr Bader schon herum spazieren. Das Holz verriet jede Bewegung in irgendeiner Art und Weise.
Zumeist knarrte es, wenn man sich oben bewegte. Mal stärker, mal weniger laut und knarrend.
Was soll man nunmehr unternehmen? Wo war nun wieder anzufangen?
Zuerst einmal war es wichtig, wieder zurück zu alter Kraft und Stärke zu finden. Zu lang waren Arnos Möglichkeiten auf ein kleines Felsenloch begrenzt worden- nun wollte der Herr der Burg sich bewegen. Die neue Freiheit in sich aufnehmen.
Alte Freunde gaben Arno hierbei Halt.
Es war ungewohnt- auch die neue Magd, Eva Balthasar, in der Küche vorzufinden- und nicht Katharina. Doch war dies ja auch eine Folge dessen, dass Arno seine Liebste Katharina in Sicherheit wissen wollte. Eva war Arno auch gut bekannt und sehr bemüht, jedoch- es fehlte Arno irgendetwas.
Doch Carl Bader hatte sich dem Anschein nach gut um die Abläufe gemüht. Auch der Menz schilderte Arno, dass es kein einfaches Jahr wegen der schlechten Ernte war. Nun hoffte man auf bessere Ernte im kommenden Jahr- im Dorf Drudenstein, in der Ansiedlung nahe der Draburg und auch auf der Burg selbst.
Mit Christian ging Arno einige Zeit durch den Forst. Für Arno Gelegenheit auch einen eigenen Fehler einzugestehen.
"Ich hätte dir nicht alle Waffenknechte nehmen sollen. Als ich geholt worden bin, hatte ich mir schon bald darauf Vorwürfe gemacht. Zu sehr hatte ich nur daran gedacht, meine eigenen Belange zu richten. Der Schutz an der Burg war wohl danach schwierig für die verbliebenen Wachen und dich."
"Nun, Herr Arno- ihr habt nicht unrecht. Doch jeder hat eure Beweggründe verstanden. Tobias und ich haben jedoch schnell Ersatz gefunden. Tobias Sohn, der Melchior ist nun 16 Jahre und hatte sich auch nicht lange bitten lassen, Knecht auf der Burg zu werden. Melchior möchte wohl schon seit Jahren seinem Vater in euren Dienst folgen. Aus der Familie Hegenbrecht aus Drudenstein haben wir den Karl zur Burg befehlen lassen. Der ist noch jung, knapp 19 Jahre. Der Hendrik war ja auch noch da. Und der Stephan Masur ist noch auf Bodfeld überstellt. Er hat dort eine Magd kennen gelernt- ich habe beide vor kurzem dort gesehen. Ein nettes Mädchen, für meinen Geschmack etwas zu stark gebaut."
"Und der Felix?"
"Den haben wir bei den Holzfällern belassen. Doch hoffen wir auch auf eine Rückkehr von Roland und Paul von der Kucksburg- nun, da ihr wieder hier seid."
"Ich möchte sie auch alle wieder hier haben. Wie macht sich der Karl Hegenbrecht?"
"Gut. Wir müssen ihn manches Mal noch antreiben. Doch ein Wort erlaubt mir noch: Auch der Carl Bader stand als Wache- als Tobias krank war. Der Bader ist nicht der schlechteste Kerl."
"Hmm."
"Bader ist nicht euer Feind, Herr Arno- dessen bin ich mir gewiss."
"Hmm."
"Tobias Tochter Miltred könnte der Eva auch schon in der Küche zur Hand gehen, wie mir Tobias versichert hat. Seine jüngste Tochter soll seinem Weibe an Haus und beim Vieh weiter helfen. Doch dazu könnt ihr nun wieder entscheiden, wenn es Euch beliebt, Herr."
"Lauter neue Gesichter in meinem Haus. Ich komme mir nach der langen Zeit fast wie ein Fremder vor. Doch sage mir- was hat sich mit Eurer Unterbringung getan?"
"Nichts. Wir kauern in den Kammern und schnarchen uns gegenseitig die Ohren voll. Warum fragt ihr?"
"Weil wir uns alsbald mühen sollten, den Bergfried wieder voran zu bringen. Wenn gegebene Versprechen eingehalten werden und der Graf nicht wieder eine Laune hat, so sollte es uns in mancher Hinsicht alsbald besser gehen. Nur die Ernte macht mir Sorgen."
"Herr? Willkommen daheim auf Draburg."
Auch wenn es Christian nicht vom Stande zustand, sich mit Arno von Draburg wie einem Freund von einfachem Stande zu unterhalten- die vielen gemeinsamen Jahre und das gemeinsam durchlebte Geschehen hatten durch Arnos Abwesenheit diese Freundschaft nicht brechen lassen.
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