Überlegungen
Frau Barisa sah ihren Mann Rowald von Mieste sowohl stolz als auch dankbar an.
Jedem, der diesen kleinen Rachefeldzug miterlebt hatte, war noch das Blut vor Aufregung am kochen im Körper. Und dies trotz aller Anspannungen wegen der Gefahr der Entdeckung und der Übermüdung an Körper und Geist.
Doch Frau Barisa und Rowald hatte dieses gemeinsame Erlebnis näher gebracht.
Herr Bohumer jedoch hat in diesen letzten Nachtstunden durch das Erlebnis ein Stück seiner Vergangenheit selbst hingerichtet.
Bohumer war nicht anzusehen, wie es ihm erging oder was er an Gefühlen jetzt gerade fühlte. Der neue Herr von Wulfesal führte sein Pferd, er war jedoch in Gedanken dabei.
"Herr Bohumer?" Arno wollte sich für ein Gespräch anbieten. "Gibt es etwas, was euch bedrückt? Ich habe den Eindruck, die Ereignisse der Nacht liegen wie eine Last auf Euch?"
Bohumer versuchte durch ein kurzes Lächeln, seine Sorgen abzuweisen.
"Es ist nichts, Herr Arno. Danke!" Gesenkte Blicke sagten anderes.
"Ich habe es vom Wall aus mit angesehen. Und ich ...."
"Es ist gut so. Glaubt mir. Doch fürchte ich, ich werde ihren Blick in diesem einen Moment nie mehr vergessen und immer wieder vor Augen haben." Bohumer blickte seitlich zu Arno. "Und wir schulden euch Dank, Herr Arno. Euch selbst und den Freunden von Herrn Rowald, der auch sehr besonnen war."
Einer der voraus geeilten Späher kam zurück und sprach kurz mit Herrn Bohumer- reichlich zur linken Seite der Bewegungsrichtung mit Gesten zeigend.
Bohumer nickte und schickte den Mann erneut los. Dann blieb er stehen und drehte seine linke Hand über seinem Kopf. Der Tross blieb im Wald stehen.
"Zwei Karren auf dem Weg vor uns. Wir müssen warten. Hier im Wald. Doch nach der Straße sind wir wieder in unserem Land."
"Herr Bohumer? Die Lutizen sind gewiss nicht dumm. Wer auch immer der Spionin den Auftrag gab- er wird erahnen können, dass wir ihrem Leben ein Ende machten und die Burg niederbrannten."
"Ich habe gelernt, auf Eure Erfahrenheit sollte gehört werden, Herr Arno. Auch wenn der Preis schmerzlich war. Also- was schlagt ihr vor?" Bohumer streichelte seinem Pferd über die lange Nase und klopfte es danach lobend.
"Gebt zu, dass ihr ein Stück in das Lutizenland gegangen seit!"
"Was?"
"Ihr entsendet einen Boten zu der Nachbarburg, die hier verantwortlich ist. Sagt durch den Boten, ihr entschuldigt das Eindringen in deren Gebiet, doch seit ihr drei Mördern auf der Spur gefolgt, die nach Norden ging. Ihr musstet dann jedoch abbrechen- die Spur hatte sich verloren."
"Ihr meint? Ach so. Ich soll andeuten, ich weiß, dass ihr die Mörder geschickt habt- hab die Mörder gleich selbst gestellt. Euer Plan ist gescheitert und- ja und- ich kenne die Wahrheit, die niemand aussprechen wird."
"Ja Herr Bohumer. So etwas in der Art. Allerdings hatte ich es nicht so ausgeschmückt!"
Beide Männer lachten. Von vorn kam ein Zeichen- man konnte nun weiter gehen.
Die letzte Passage nach dem Wald gelang und auf Linonen- Gebiet konnten die Pferde die Leute dann bis nach Wulfesal bringen. Wulfesal als Grenzburg war dann auch alsbald erreicht- zur großen Erleichterung aller.
Beim Abrüsten der Pferde kam Bohumer kurz an Arno heran.
"Ich habe es so getan, wie ihr es mir geraten habt. Ich habe einen guten Mann geschickt- einen , dem ich vertraue und der nicht mit war. Diesmal will ich gleich richtig handeln. Und um offen zu sein- wenn ihr bleiben wollt als mein Freund und Berater? Überlegt es euch. Bruder Laurenzus würde es auch freuen, denn er wäre dann nicht mehr der einzige West- Elbische hier."
Arno ehrte dieses Angebot.
Und es war, als wäre der Moment dieses Angebotes bewusst so gewählt, denn Larna stand neben der Eingangstür des Voigthauses und blickte erfreut und auch erwartend zu Arno. Arno erwiderte Larnas Blick- auch in der Hoffnung, mit ihr vielleicht am Abend noch einmal sprechen zu können.
Auch Arno wollte offen zu Larna sein- und Larna bitten, mitzukommen zur Draburg.
Doch was wäre dann dort - wenn sie sich von ihren Gefühlen leiten lassen und Larna mitkommen würde. Sie wäre eine Fremde für alle- für die Kinder, die Leute, die Ritter im Umfeld. Und eine Slawin! Hier galt ihr Wort- auch wenn sie schwach war- hatte sie ein sehr gutes Auskommen, wie es erschien. Auf Draburg? Sie könnte Barbara helfen, vielleicht die kleine Kammer erhalten- denn mit Arno und den Kindern durfte sie nicht im Palas wohnen. Sie war nicht die Herrin! Vielleicht ein Lehmhaus oder ein Grubenhaus im Ort? Und Arno? Würde die Verbindung zu der Magd bekannt, wäre seine Tugendhaftigkeit und Ehrlichkeit unter den Gräflichen bezweifelt. Vielleicht sein Lehnsanspruch für sich und die Erbfolge in Frage gestellt, denn Kuno von Regenstein schien nur einen Grund zum Zwist zu suchen.
Arno wollte dann doch erst einmal Larnas Meinung hören.
Leno von Stapelburg klopfte im Vorbeigehen Arno auf die Schulter. "Kommt, mein Freund. Der Held der letzten Nacht. Lasst uns ordentlich essen und dann legen wir uns aufs Ohr- morgen soll die Rückreise zur Fährstelle sein. Bis zum morgigen Mittag wird verladen und dann können wir aufbrechen."
Leno ging mit einem Lächeln der Erleichterung schon einmal vor in den Saal des Voigthauses.
Ja. Vieles hatte sich gewandelt seit Beginn dieser Reise.
Vorurteile verschwanden.
Vor einer Woche noch hätte niemand gewagt, ohne Aufforderung Bolkos in den Saal zu treten- jetzt ging man unaufgefordert dort hinein.
Fremde wurden Freunde und Verbündete.
Oder gar Geliebte? Kein schönes Wort- für das, was Arno fühlte.
Ja, auch Arno war sehr erschöpft. Schon nach dem zweiten Becher Wein zeigte sich dies- Müdigkeit griff nach Arno und lies ihn fortwährend gähnen. Den Fisch lies Arno dann auch liegen- es zog ihn in seine zugewiesene Hütte und auf das Lager zur Nacht.
Er schlief schnell ein- einfach nur, weil er seinem Atem gelauscht hatte. Und obwohl er doch abwarten wollte, ob die kleine, zierliche Slawin noch einmal zu ihm kommen würde.
Doch Larna erschien nicht.
Unerwartet für Arno kam noch vor dem Aufstehen Bruder Laurenzus an die Hütte Arnos und lies von der Türöffnung den Morgen auf Arnos Fell- Lagerstätte fallen.
"Herr von Draburg? Ich werde Euch heute nicht zurück begleiten, da mich andere Aufgaben binden. Ich habe hier eine Schriftrolle- ich bitte sie dem Herrn Rikdag persönlich zu überreichen. Sie schildert Herrn Rikdag das hier Erlebte- allen Ritter, auch dem Ellertsfelder, dessen Leiche wir noch finden und bestatten müssen- werden zu Hause Ehren zuteil. Entschuldigt, wenn ich dies sage- ich habe Euren Einsatz für die Sache in höchsten Tönen gelobt. Anderes habe ich verschwiegen. Es war mir eine Ehre, Euch kennen gelernt zu haben."
Bruder Laurenzus legte die Schriftrolle in Arnos Truhe.
"Danke." sprach Arno verschlafen von seinem Lager. "Und mich hat gefreut, einen Geistlichen, wie euch kennen gelernt zu haben."
Mit einem Lächeln ging der Bruder Laurenzus hinaus aus der Hütte.
Dies war dann das Signal zum Aufstehen für Arno und zum Zusammensuchen seiner Sachen.
Als alles zusammen getragen war, legte sich Arno erneut auf das Fell.
In Gedanken - döste er noch ein wenig vor sich hin.
Gedanken an daheim, die Kinder, die Burg, die Leute daheim.
Und Gedanken an das hier und jetzt- an die kleine schwächliche Larna, die so viel geben konnte. Arno besah die kleine verschorfte Wunde am Arm, die Larna ungefragt versorgt hatte- aufgetaucht aus dem Nichts- wie selbstverständlich war sie da.
Gedanken an die Hochzeit von Rowald und Barisa.
Und auch Gedanken an diese ereignisreiche Nacht der Bestrafung in Lüschen.
Arno war stolz, alles bestanden zu haben- die Aufgaben gelöst zu haben.
Knechte brachten zwei Karren in den Innenhof- für die Habe der Reisenden.
Arno besah sich das riesenhafte Zweihandschwert. Damit galt es noch zu üben- daheim jedoch.
Der Schladener mit seiner Verwundung wollte auf einem Karren reisen- das Reiten schien ihm zu schmerzend. So wurde er zum Hüter von Arnos Truhe und Habe auf dem Karren.
Die Karren hinzustellen, war wie ein Signal an alle zum Aufbruch. Alle Ritter brachten ihre Sachen heran und verluden diese. Mägde brachten Essen.
Am zweiten Karren wurden Unmengen an Truhen mit Frau Barisas Habe verladen, auch die andere Brautjungfer Barisas, Gerbotha, sah man helfen- jedoch von Larna sah Arno in der Burg nichts. Es war, als würde sie sich beabsichtigt fern halten von ihm.
Pferde wurden mit Decken belegt und gesattelt, Zaumzeug festgemacht.
Moment des Abschiedes.
Bohumer kam zu den Männern, sah Arno verständnisvoll an. "Die Entscheidung ist wohl gefallen, Herr Arno?"
"Ja. Ich habe Familie daheim- zwei Kinder um genau zu sein."
Bohumer nickte, hielt Arno am Unterarm fest, wie ein Freund. So ging er reihum. Bei seiner Schwester und dem Schwager blieb er länger zum Abschied- man wechselte Worte der Wiedersehens- Hoffnung.
Dann wurde aufgesessen und die Abteilung aus Rittern, Frau Barisa, vier Knechten und zwei Karren setzte sich in Bewegung.
Oben am Torhaus! Da stand sie! Im Gespräch mit einem Wachmann! Larna.
Sie lächelte Arno- und wohl nur ihm- noch einmal zum Abschied zu. Winkte vorsichtig aus der Hüfte. Dann warf sie ein Kopftuch über, ging zur anderen Seite- mit Blick zum Knüppeldamm.
Arno ritt langsam hinaus- blickte noch einmal hoch.
Larna freute sich, zwinkerte ihm zu - doch sie schien auch zu weinen!
Ab dem Knüppeldamm drehte sich Arno nicht mehr um. Vielleicht war es besser so? Er war sich hierüber nicht sicher. Doch sein Pferd schien hierüber sicher zu sein- zufrieden schnaubte es lautstark und lang.
Zurück nach Süden ging es erst am Fluss entlang und später wie auf der Anreise wieder durch hohe Wälder und vorbei an feuchten Niederungen.
Unweit des Lagers am Anlieger kamen die Männer am frühen Abend dann zu Angesicht der Elbe.
Wie eine Grenze zum gelobten Land- der Heimat- lag die Elbe vor Ihnen allen. Auch wenn die Heimat noch Tage entfernt war in den Harzbergen für Arno oder irgendwo im Harzgau für Leno und die Anderen- der Anblick der Elbe lies jetzt jeden aufatmen.
Nur Barisa- sie sah die Elbe als Grenze zu ihrem neuen Leben weniger gern. Denn sie lies ihre Heimat zurück, wenn sie dort drüben an Land trat.
Nach der Übernachtung am Anleger kamen die Kähne erst gegen den nächsten Mittag an. Mit dem Verladen wurde begonnen- jedoch im Angesicht des anbrechenden Abend, verwarf man die Rückkehr und schob sie auf den Tag darauf.
Ufernah und langsam stackten die Fährleute die Kähne- jedoch an der westelbischen Seite, wegen der Zuflüsse an der anderen Flussseite. Die Fährknechte benötigten viel Kraft für die Reise gegen den Strom, an manchen Stellen halfen sich die Fährleute durch Treideln der Kähne. Gegen Abend war man doch zum Lager gelangt- die Fährleute waren erschöpft und völlig ermattet.
Wieder Zelte, wieder bischöfliche Kutschen- drei diesmal.
Zur Rückreise wurden die Kutschpferde mehr geschont als zur Reise nach Norden. Mit jedem Hufschlag kam man dem Harz näher.
Am Lager nördlich Magdeburg trennten sich Rowald von Mieste mit Barisa von den Harz- Reisenden. Ihr gemeinsamer Reise- und Lebensweg ging nach Westen von hier.
Sechs Tage, fast sieben Tage bis Regenstein- für eine Strecke, welche bei Anreise in drei Tagen bewältigt war.
Der Meißener Markgraf Rikdag wartete schon in der Vorburg der Burg Regenstein. Bischöfliche Boten hatten bereits die Kunde der Erledigung des Auftrages und der Festigung des Bundes zwischen Ritterschaft und ostelbischen Slawen nach Brandenburg und nach Magdeburg und Halberstadt getragen.
Auch wenn Rikdag mit seinem Knappen in Eile schienen und wohl schnell aufbrechen wollten- Arno gelang es, dem Mann die Schriftrolle zu übergeben.
Rikdag laß darin.
"Wisst ihr, von was hier berichtet wird? Herr Arno von Draburg?" fragte Ritter Rikdag streng.
"Nein Herr. Meine Aufgabe war es, die Schriftrolle nur an Euch persönlich zu geben- mehr weiß ich nicht darüber." sprach Arno ernst.
"Was hier steht, werde ich dem Kaiser berichten! Ich verspreche es Euch. Mehr jedoch nicht! Doch eines noch- meinen Dank an euch, denn wie es scheint ist die Aufgabe nur Dank Euch gelungen!"
Ein Handschlag zu diesem Markgrafen- Dank. Das war alles? Ja. War es wohl!
Arno ließ gleich den Grauen aufsatteln. Er wollte vor der Nacht endlich daheim sein. Wollte seine Kinder sehen und in seinem Hause schlafen gehen. Auf seiner Draburg- seinem Zuhause.
Die Sachen hatten die Regensteiner zur Draburg zu schaffen, wie Rikdag noch verfügte. Doch das Zweihandschwert brachte Arno an sich und zog es vor dem Sattel ein.
"Du bekommst einen Ehrenplatz! Im Palas!" sagte Arno zu sich selbst- das Schwert betrachtend.
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