Gebra
Nach frühem Aufbruch auf der Mühlburg und einem halben Tagesritt kam in den Abendstunden Gebra in das Sichtfeld Arnos.
Sehr viele, schon fast verblasste Erinnerungen kamen in Arno wieder hoch im Angesicht der väterlichen Burg.
Sein Bruder Ludewig von Gebra war jetzt der Herr der Burg und der Lande hier.
Ludewig und dessen Familie hatte Arno seit fünf Jahren nicht mehr gesehen oder Kunde von Ihnen erhalten. Zuletzt hatte Arno die Information, dass Ludewigs drittes Kind- Arnos Nichte Amalie- mit einem Alter von 15 Jahren an einen Voigt aus dem Westharz verheiratet worden war.
Die Burg Gebra wirkte unscheinbar in der Landschaft und war von geringer Wehrhaftigkeit. Einzig ihre Lage am Handelsweg zwischen West und Ost im Südharz machte die Burg für Durchreisende- vor allem Edle- als eine Herberge interessant. Arnos Vater hatte immer darin die Stärke der Burg gesehen, die jedoch immer im Schaden der nahen Burg Lohra stand. Durch Heirat waren diese beiden Häuser einst verbunden worden- man achtete die Gebraer, jedoch die Burg Lohra würde immer für bessere Edle als Großlehen ein Objekt der Begehren bleiben, vielleicht einmal sogar Grafenburg werden. Ob Gebra eine solche Zukunft hatte, war ungewiss.
Burg Gebra war nahe der Furth durch den Fluss Wipper gebaut.
Die Niederungsfeuchte war auch ein Fluch, denn die Palisaden verrotteten am Erdreich sehr schnell und mussten stetig erneuert werden.
Es gab einen flachen, eingeschossigen Palas mit angrenzenden Wirtschaftsgebäuden, eine Schmiede, einen großen Stall und einen Vorratsbau. Ein Taubenschlag, wie ihn Arno noch kannte, war nunmehr verschwunden. Das Tor zum Innenhof stand offen.
Schafe sah man in Vielzahl auf den Weiden der Burg zwischen Fluss und einem Graben.
Arno ritt in die Burg, blickte sich um.
Drei Knechte verluden einen großen, geschnürten Ballen auf eine Karre, zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen- spielten vor dem Palas.
Der Junge nahm Arno zuerst wahr.
Der Knabe war im Alter von Lukas, jedoch ein wenig kleiner. Vom Gewand her waren beide Kinder edler Herkunft. Daher nahm Arno an, es könnte sich um zwei der Kinder von Ludewig und dessen Gemahlin Regina handeln.
„Guten Tag, Herr Ritter." rief das spielende, dürre Mädchen.
„Guten Tag, edles Fräulein!" grüßte Arno freundlich zurück.
„Seid ihr ein Krieger?" fragte der Junge und hielt einen wenig kampfbereiten Bogen vor sich.
„Nein, junger Herr. Ihr seid ein Krieger. Meine Zeit als Krieger ist schon lange vorbei." sprach Arno und stieg vom Grauen ab. „Du bist doch sicherlich der Konrad, oder?"
„Ja, Herr Ritter. Woher wisst ihr das?" fragte der Knabe.
„Dein ritterlicher Ruf ist in den Landen bekannt. Ich wollte mir selbst einen Blick verschaffen von deinen Waffenkünsten!" Arno musste lächeln über diese Schmeicheleien. „Ist dein Herr Vater in der Burg? Oder die Mutter?"
„Ja Herr. Beide sind im Hause."
„Dann geh hinein, Konrad. Und melde die Ankunft deines Onkels Arno."
„Onkel Arno?"
Ohne Worte zeigte Arno auf den Wappenschild am Grauen. Das Wappenzeichen des Hauses Gebra – der sechszackige Stern auf grünem Grund- war für den Jungen wohl eine schöne Überraschung. Ein Ritter, der das Familienwappen zeigte!
Stolz rannte der junge Konrad ins Haus. Das Mädchen blieb wortlos am Boden hocken und starrte Arno an.
Ein junger Ritter trat vor den Palas. Auch er trug einen guten Wams, hatte einen Überwurf darüber, der das Gebraer Wappen zeigte. Der junge Ritter war von mittlerer Größe und etwas rundlich in Gesicht und Statur.
„Onkel Arno?" fragte der junge Mann.
„Der bin ich! Verzeih mir- du bist bestimmt der Jörg. Ich erkannte dich sofort."
„Onkel Arno!" Ritter Jörg von Gebra trat auf den Hof hinaus.
Ihm folgte eine kleine, ebenso rundliche, junge Frau mit längerem, krauslockigem Haar, die sich die Hände abstrich. Auch sie hatte bessere Kleidung. Die Frau beäugte Arno neugierig, jedoch ein wenig misstrauisch- wie Arno empfand.
Arno schloss den Neffen Jörg in eine feste Umarmung.
„Groß bist du! Guter Neffe. Und gut genährt, wie es mir scheint." Arno lächelte den jungen Ritter an.
„Mutter kommt auch gleich. Sie wollte Euch nur nicht mit einfachem Gewand entgegentreten. Sie wird auch dem Vater eure Ankunft mitteilen wollen."
Der Ritter Jörg von Gebra pfiff in Richtung der drei Knechte, winkte einen von ihnen herbei.
„Versorg das Pferd dieses Ritters gut. Bring die Sachen ins Palas." gebot Ritter Jörg dem Knecht mit fester Stimme.
Arno war beeindruckt. Offenbar hatte das Wort seines Neffen Jörg hier großes Gewicht auf dem Gut.
„Kommt Onkel Arno. Ich möchte Euch mein Weib vorstellen, Helena von Gebra- Eure Nichte." Jörg schob Arno zu der kleinen Frau am Palaseingang.
„Liebste Helena. Dies ist mein Onkel, Ritter Arno von Gebra."
Arno gab der jungen Frau einen freundlichen Blick „Arno von Draburg nunmehr- aber aus diesem guten Hause hier, edle Frau Helena."
„Guten Tag, guter Ritter Arno." Das vorsichtige und abschätzende im Blick der jungen Helena wollte nicht weichen, jedoch erwiderte die Helena den Gruß von Arno, lächelte kurz verlegen. „Ich habe schon viel von Euch gehört."
„Und ich hoffe nur Gutes!" fügte Arno hinzu.
Arno warf einen Blick zurück über den Hof. Hier hatte sich kaum etwas verändert.
„Kommt herein, Herr Onkel." Jörg schob Arno weiter- in den Palas hinein. Man betrat einen großen und behaglichen Raum, der nach Brot, Gewürzen und vielleicht auch Braten roch. Jörg zeigte auf einen guten Stuhl am Tisch. „Bitte nehmt Platz."
Aus der kleinen Tür beim Kamin kam eine weitere, ältere Frau in Arnos Alter hinzu.
„Gute Schwägerin Regina! Welche Freude für mich, Euch zu sehen!" sprach Arno und drückte seine Schwägerin kurz an sich. „Wie geht es Euch?"
„Mir? Mir geht es gut. Es freut mich, dass Ihr Euch zeigt, Arno. Dann habt ihr die Nachricht doch erhalten."
„Eine Nachricht? Mich hat keine Kunde erreicht, edle Regina. Um was geht es denn?"
„Es geht um meinen Gemahl, Euren Bruder, Ludewig. Deshalb habe ich einen Boten nach Herrmannsburg geschickt im Frühjahr, der dort jedoch sehr unwillkommen schien."
„Edle Regina. Ich habe ein Jahr schon mit der Draburg ein eigenes Lehen. Ich stehe jetzt im Harzgau, dort im Dienst des Grafen von Regenstein. Ein Lehen des Erzbischofes von Halberstadt. Was ist mit meinem Bruder, dem Ludewig?"
Regina erzählte- und was sie vortrug schien sie sehr zu schmerzen. Ludewig habe nach mehreren Schwindelanfällen seit dem Frühjahr ein Siechtum erfahren. Er konnte nur mit helfender Stütze selbst noch auf den Beinen bleiben, fiel oft hin- ohne, dass sich dies ankündige. Daher liege er zumeist im Bett. Seine Beine sind zusehends schwächer geworden. Ludewig- einst ein stattlicher, kräftiger Mann- gehe nun wie einer der Alten. Stockend und kurz seien seine Bewegungen. Die gute Schwägerin Regina musste die Tränen bei der Schilderung zurückhalten. Doch sie gab auch zu, dass Ludewig wegen seines Zustandes sein Wesen geändert habe, die Zufriedenheit dem Gram gewichen sei. Ludewig sei über sich selbst sehr erbost zuweilen.
Auch erzählte sie, dass man nach Arno geschickt habe. Ritter Baldo habe zugesichert, Arno zu informieren. Umso enttäuschter waren alle auf Gebra, dass Arno nicht reagierte.
Ludewig wollte Arno das Gut übergeben. Nun hat Ludewig jedoch dem Jörg als ältesten Sohn und als Erben der Familie das Gebraer Gut in Aussicht gestellt, um die Nachfolge geregelt zu wissen.
Arno ließ sich zum Bruder bringen. Ludewig lag in der Kammer im Bett.
„Da ist der Jüngere dann doch erschienen. Wie geht es dir, mein Bruder?"
„Mir geht es gut. Ich kann nicht klagen über mein Leben. Jedoch über Dich hört man, deine Gesundheit verärgert dich. Wie geht es dir, mein lieber Ludewig?"
„Ein alter Mann bin ich geworden übers letzte Jahr. Mit einem Male war die Krankheit da- und sie mag nicht von meiner Seite weichen! Ich kann kaum gehen. Ständig brauche ich Hilfe beim Laufen. Selbst beim Pissen gehen muss man mich begleiten. Ich falle ständig um- von einem Moment zum anderen wird mir schwarz vor den Augen und ich krache langhin zu Boden. Das Aufwachen gelang mir immer, aber ich habe schon mehrfach blaue und rote Flecken dadurch im Gesicht gehabt."
„Du bist kein alter Mann, Ludewig. Deine Stimme bezeugt, dass du noch voller Kraft steckst."
„Arno, sei Gott gerecht und lüge mich nicht an. Ich hoffe noch auf einige gute Tage, doch Gott gefällt es, mich hier liegen zu sehen. Regina und die Kinder regeln alles um unser Heim auf Gebra."
„Bruder, dann meinst du, der Herrgott verlangt nach dir?" Arno rang mit sich. Im Halse spürte Arno einen Kloß sitzen.
„Wir werden sehen, Arno. Besser jedoch scheint es nicht werden zu wollen. Doch nun erzähl von Dir und den Kindern. Lass mich einmal bessere Kunde erhalten, als ich sie hier im eigenen Haus erfahre!" bat Ludewig und richtete sich im Bett auf.
So erzählte Arno. Von der Belehnung mit der Draburg und wie sich alle Mühen, aus der Brandruine wieder eine schöne, wehrhafte Burg zu schaffen. Arno redete über die Kinder- die nun zu guten Menschen geworden sind. Auch sonst habe er verlässliche Einfache um sich geschart, alle bemüht, das Beste aus dem Leben auf Draburg zu machen.
Regina, die dabei stand, fragte hier und da nach. Sie merkte, wie es ihrem Mann gut tat, mit dem Bruder zu reden. Allerdings merkte Regina auch, wie besorgt Arno im Angesicht seines Bruders war.
Es war an der jungen Edelfrau Helena, nach langem Reden zum Abendessen zu rufen und Arno mitzuteilen, dass seine Habe in einer guten Kammer untergebracht waren- dort, wo er auch ein gutes Bett finden würde.
Auf dem Weg zum Esstisch stützte Arno heute Abend seinen Bruder. Schlimm, wie der Ludewig einherschritt- wirklich wie ein Alter.
Doch das Reden mit dem Bruder und der Familie zu Tisch- über alten, gemeinsamen Neckereien und Taten- tat Ludewig sehr gut.
Am Esstisch erfuhr Arno auch von Ludewigs Zweitgeborenen, dem 23 Jahre alten Andreas von Gebra. Der stehe im Waffendienst des Thüringer Herzogs und folgte dessen Banner Jahr um Jahr. Man höre nur Gutes vom Tapferen, der in der unbekannten Ferne weilt. Ein Fähnlein führe er mittlerweile an. Regina war jedoch besorgt und ersehne eine gesunde Heimkehr irgendwann. Helena, Jörgs Gemahlin, gehe mit einem Kind schwanger- im Winter wird das Enkelkind erwartet. Konrad sei sehr pfiffig- jedoch habe man für ihn keinen Pagendienstgeber gefunden. Vielleicht könne sich der Onkel für den Konrad verwenden, wurde gebeten. Ja- und die kleinste im Hause Gebra- die kleine zwölfjährige Walburg- sei ein liebes Kind. Arno hatte sie mit dem Neffen Konrad im Hof gesehen. Ludewig wollte ihre Vermählung noch erleben, gestand der Bruder ein.
Arno sah sich deshalb veranlasst, auch über seine Kinder Bericht zu geben. Lisbeth sei nun fürwahr zu einer jungen Frau gereift, doch es lag Arno fern, Lisbeth zu einem Bund mit einem Ritter zu bringen. Arno wollte- dies war seine ehrliche Meinung- Lisbeth noch Zeit geben, um im Leben einen Platz zu finden. Für Lukas habe er nun auch die Knappengeschicke gelenkt- nach Dullide würde Lukas mit 15 Jahren gehen- gemeinsam mit Arnos Knappen Leonhardt. Dort würden beide Jungen in guten Dienst genommen werden.
Auch die Draburg hatte Arno zu beschreiben. Mit Stolz berichtete Arno über die Burg- zwei feste Häuser aus Stein, eines davon das zweigeschossige Palas, welches vor der Fertigstellung steht. Arno musste nicht hervorheben, dass dies schon eine Besonderheit für eine Burg war. Man hatte aus einem Haufen Trümmer mit guten Leuten und starkem Willen sehr viel erreicht auf Draburg.
Die junge Helena stellte auch die Frage, ob Arno sich erneut binden wolle. Warum Sie dies erfragte, blieb in der Runde offen.
Arno hatte den Wunsch nach einer Frau. An manchen Tagen sogar sehr stark. Doch ihm war noch nicht der Sinn bislang gekommen, sich umzuschauen - auch sei keine geeignet erscheinende Frau für Arno bislang zu finden. Eleonors Platz in Arnos Leben konnte auch nicht von jeder Frau ausgefüllt werden.
Und hier in dieser Runde wollte Arno eines klarstellen: Arno hat vor, auf Draburg bleiben zu wollen. Um Gebra- so sehr es den Bruder vielleicht auch schmerzt und so sehr Arno auch mit Gebra verbunden ist- sollten sich die Herrin Regina und der Jörg auch weiterhin bekümmern, so lang Ludewig dies nicht mehr recht selbst konnte.
Arno spürte die Erleichterung bei Jörg und seiner Gemahlin Helena.
Ludewig hingegen war über die Stellungnahme seines Bruders wenig angetan.
Der lange Abend ging bei Kerzenschein spät zu Ende.
Die weiteren drei Tage sorgte sich Arno mit Regina um den Ludewig.
Mit einem Karren fuhren beide Brüder am dritten Tag durch die Siedlung und redeten mit den Alten des Dorfes.
Am vierten Tag verabschiedete sich Arno dann. Das sein Blut mit dem Bruder Ludewig von Gebra so schlecht bei Gesundheit war, konnte Arno kurz verdrängen, es belastete sein Gemüt jedoch schwer.
Die edle Regina wusste nun, wo man dem Arno Nachricht geben konnte falls es darum Not tat.
Schweren Herzens nahm Arno Abschied von der Burg Gebra- Arno glaubte, es war ein Abschied für immer.
Doch Gebra hat Erben- die Linie wird fortbestehen.
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