Erster Abend und erste Fragen
„Hallo? Hallo, ist hier jemand?" rief er lautstark und ging zu dem Steinhaus herüber. „Hallo?"
Die kleine und niedrige Tür zum Haus wurde von innen geöffnet, eine dahinter befindliche Stoffdecke war weggezogen, fiel jedoch mehrfach zurück, um die Wärme im Raum dahinter zu halten..
„ JA?" drang die Stimme eines älteren Mannes aus dem Raum. „Ja, hier sind wir. Hier!"
Arno ging näher zu der Tür am Haus.
Ein älterer Mann um die 60 Jahre mit weißem Haar und zusammengekniffenen Augen suchte Arno und Lisbeth zu erkennen, blickte auch auf den Karren, den Lukas gerade mit staunenden, aufgerissenen Augen auf den Innenhof zog.
„Guter Mann?" Arno ging näher zur Tür, ohne bedrohlich wirken zu wollen, Lisbeth ging neben ihm. „Guter Mann. Wir suchen ein Obdach bei Euch."
„Ein Obdach?" fragte der Mann.
„So ist es, guter Mann. Und dies nicht nur für heute." sagte Arno ergänzend.
„Wernherr, wer ist dort draußen?" fragte eine Frauenstimme und sogleich wurde die Decke, die dem älteren grauhaarigen Mann schützte noch mehr zur Seite gezogen und eine Frau mit dunklen lockigem Haar auch gut 60 Jahre alt erschien.
„Ein Ritter, wie es scheint, Barbara?" sprach der Mann zu der Frau, welche die drei Besucher mit einem Blick prüfte und zum Tor blickte, ob noch jemand folgte.
„Mein Herr? Ihr sucht ein Obdach bei uns?" fragte die Frau staunend.
„Ja gute Frau! Und wie ich diesem guten Mann schon sagte- nicht nur für heute. Ich bin der Voigt dieser Burg."
„Oh Gott- mein Herr! Tretet ein, bitte! Kommt!" sagte die lockige Frau sofort und schiebt den Mann bei Seite.
Der ältere Mann wirkte ebenso überrascht wie die Frau. Doch die kurze Vorstellung des Ritters als der neue Voigt blieb auch bei ihm nicht ohne Wirkung. Schnell ging er aus der Tür, so dass Arno - der neue Herr- eintreten konnte in die Stube. Lisbeth folgte ihrem Vater nach. Dennoch war der Mann wortlos und musterte Arno mit großen Augen.
Arno klopfte sein dickes Wams ab, er stampfte mit den Füßen mehrmals auf den festen Steinboden des Raumes auf, wodurch einige bereits getrocknete Schlammreste vom Stiefel abfielen. Vom Wams oder vom Umhang gesellten sich zwei laubgelbe kleine Blätter hinzu.
Der Raum war angenehm beheizt. Man spürte sofort eine Hitze im Gesicht und auch die Glieder unter den Sachen erreichte die Wärme sofort.
Arno blickte sich kurz herum, um zu erkennen, dass er hier in die Küche der Burg eingetreten war.
Ein großer, hoher Raum. Links neben der Tür stand eine große Truhe, daneben in einer Nische verschiedene Besen, Eimer, ein Butterfass und Geräte. Der komplette Platz zur Linken war ausgefüllt durch eine große, massig wirkende Feuerstelle- erhöht aus festem Stein und überrahmt durch eine riesige Esse als Rauchabzug nach oben. Dicke Holzscheide knisterten dort unter einem großen an Haken hängenden Topfkessel. Einige Gewürzpflanzen- Büschel hingen kopfunten an einer Leine, ebenso trocknete dort ein weites Hemd. Kleine Fleischstücken waren abgehängt unter der Decke. Holz wurde zum Trocknen an der Seite des Herdes gestapelt. Geradezu stand ein hoher Schrank neben einer weiteren ausgehangenen Stoffdecke- vermutlich war dort eine Tür dahinter. Der Raum ging auch rechts noch ein Stück weiter. In der einen Ecke rechts erkannte Arno einen größeren Waschzuber aus Holz, in dem zwei Fässer leicht Platz finden könnten, daneben weitere Hausgeräte und kleinere Fässer und Behältnisse. Auf einigen Leinenzügen dort hingen weitere Hemden und eine schwere Decke, die man an groben Ösen- Ringen zuziehen konnte, um diesen Bereich etwas abzuteilen. Jetzt nahm Arno auch einen vierkantigen Lufteinzug neben der Tür und einem einfachen Weidenregal wahr. Der Lufteinzug war klein und fast oben an der Decke. Mitten im Raum vor dem Herd stand ein großer massiver Tisch, daneben ein etwas kleinerer Tisch, dennoch groß genug um Platz für mindestens acht Personen daran zu bieten. Sechs gute Stühle waren dort vorhanden, ein weiterer stand beim Waschzuber als Ablage für einen Eimer.
„Herr, ich bin Wernherr Rötlein, der Knecht hier. Dies hier ist meine Frau Barbara, die Magd und Köchin." erklärte der ältere weißhaarige Mann, der nun die Sprache wieder gefunden hatte.
Arno musterte die Beiden.
Der Mann schien agil und rüstig für sein Alter. Wenn der Eindruck nicht täuschte ein offener und vermutlich auch herzlicher Mensch. Er hatte starke Hände.
Die Frau war kleiner und etwas rundlicher von Gestalt. Sie strahlte Gemütlichkeit aus und schien dem ersten Blick nach vertrauenswürdig zu sein.
„Ich bin Arno von Gebra. Dies hier ist meine Tochter Lisbeth, ein gutes Mädchen. Im Hof ist noch mein Sohn Lukas bei Pferd und Karren. Ich denke, wir werden uns noch besser kennen lernen mit der Zeit."
Arno legte den Umhang ab und über einen Stuhl, dann trat er an das Feuer des Herdes und rieb sich dort die Hände aneinander.
„Wernherr? Seit so gut und helft meinem Sohn. Bringt den Karren zur Tür hier heran, wir werden ihn nachher noch abladen. Bitte versorgt das Pferd bis dahin."
Der ältere Mann nickte zustimmend und ließ sich nicht erneut bitten. Er warf eine dicke Weste aus Schaffell über und ging hinaus. Von draußen hörte man noch „Kommt, junger Herr. Lasst euch helfen!"
Die Magd Barbara rieb Liesbeth den Rücken warm. Lisbeths Blick verriet der Frau, dass ihr dies gut tat.
„Gute Frau Barbara? Was habt ihr noch im Topf? Ich möchte offen reden- Wir sind hungrig nach der beschwerlichen Reise." Arno von Gebras ehrlich gestellte Frage brauchte nicht lange auf Antwort warten.
„Eine einfache Kohlsuppe, Herr. Doch ich habe gestern erst gebacken- auch Brotlaibe habe ich da. Käse und ein paar eingelegte Eier kann ich auch auf den Tisch bringen."
„Suppe und Brot wird uns genügen. Und Barbara- bitte streckt die Suppe. Ich erwarte noch zwei Waffenknechte, auch deren Mäuler werden hungrig sein und sich über ein warmes Mahl freuen." wies Arno lächelt an.
Lisbeth setzte sich auf einen Stuhl am Tisch. Sie zeigte durch ein kurzes Schaudern, dass es ihr fröstelte. Arno sah dies und trat zu seiner Tochter heran, legte seine Hand auf ihre Schulter.
„Bleib erst einmal hier im Warmen, mein Kind. Ich gehe raus zu den Männern und mache mich nützlich."
Gesagt und getan ging Arno zur Tür, zog die Decke bei Seite und trat hinaus. Noch hatte der Tag Licht- da konnte heute noch einiges getan werden.
Wernherr Rötlein und Lukas lenkten bereits Pferd und Karren in Richtung der Tür der Küche. In dem eng zusammenlaufenden Burghof musste der Karren einige Male hin und her bewegt werden, bis er gut stand und das Pferd abgespannt werden konnte.
„Wernherr. Ich habe vorhin einen Ziehbrunnen vorm Torhaus gesehen. Wie ist das Wasser? Ist es brackig oder gut?"
„Das Wasser ist gut, Herr. Der Brunnen geht recht tief, so dass es daran nicht mangeln soll."
„Eine gute Nachricht." stellte Arno fest.
Beide Männer lächelten sich kurz zu.
„Mein Sohn Lukas und ich laden ab- erstmal in die Küchenstube. Versorgt bitte den Grauen und helft mir dann bei den schweren Stücken hier."
„Ja Herr." antwortete der Knecht.
„Ach und Wernherr- ist der Waschzuber dicht? Ich denke, die Kinder und ich können nach den vier Reisetagen und den Lagern im Freien einmal ein gutes Bad vertragen."
„Nein Herr, der Zuber ist gut abgedichtet."
„Dann lasst uns nach dem Essen einige Wassereimer schleppen. Ich befürchte, unser Tag ist heute noch nicht zu Ende, guter Mann!"
Lukas half fleißig. Das Abladen schritt schnell voran. Was nicht in die Küche brauchte, wie Speere und Waffen wurde erst einmal in den unteren Raum des Bergfriedes verbracht. Der Raum war offen und fast leer. Da die Männer zupackten, so dass der Wagen mal hier und mal zur Küche entladen wurde, verging nicht viel Zeit und man konnte sich in der Küche wieder an den Tisch setzen. Da nun alle hier zusammensaßen, eine gute Zeit zu reden und eine gute Zeit erste Antworten auf offene Fragen zu erhalten.
„Herr, wie viele Betten braucht ihr?" fragte Magd Barbara.
„Für mich, die Kinder und erstmal nur für die zwei Knechte. Haben wir den Platz zur Nacht?"
„Ich richte für Euch und die Kinder nachher gleich die größte und beste Stube her. Sie liegt genau hier oberhalb. Die Tür dort hinaus. Geht rechts den Gang bis zur Treppe. Oben dann die letzte Tür zur Linken. Die Esse heizt den Raum oben mit, ihr werdet Euch wohl fühlen. Allerdings ist dort nur ein großes Bett?"
„Fürs Erste reicht es sicherlich. Wir sind genügsam. Und die Knechte?"
„Können für heute erstmal hier schlafen." Wernherr zeigt in die Ecke unter dem Lufteinzug. „Ich schaffe dort noch zwei Weidenmatten hin und Strohsäcke zum Liegen. Dann haben auch sie es erstmal warm."
Die Magd kam von der Kochstelle mit zwei Holzbechern zurück und stellt die Becher vor die Kinder. „Milch – warm- mit Honig, Kinder." lächelte sie den Kindern zu.
Diese Barbara Rötlein scheint gutherzig zu sein, dachte sich Arno bei sich. Den Kindern scheint es zu gefallen. das ist gut- nimmt den Kindern die erste Scheu und Vorsicht etwas. Kochen kann sie auch, denn obwohl die Suppe gestreckt worden ist, hatte sie einen guten Geschmack. Auch das Brot war kross und trocken.
Arno entschloss sich, angesichts des Zusammensitzens eine für ihn wichtige Frage zu stellen.
„Ihr guten Leute- erlaubt mir eine Frage: Was ist hier geschehen, dass dieses Lehen so wenig einladend und wehrhaft wirkt? Die Burg hat sicher schon bessere Zeiten erlebt- auch der Ort, wie es scheint?"
Wernherr als Knecht erklärte sich, aber mit dem gebotenen Respekt vor dem neuen Herrn: „Ja Herr. Die Burg hat nun gute 40 Jahre die Drogfurth im Tal und den Drogweg zu schützen. Davor gab es hier eine andere, hölzerne schon. 15 Jahre wurde gebaut, ich war schon als Knabe dabei. In guten Tagen lebten hier 20 Bewaffnete. Am Ort gab es Schmied und Bauern. Sogar Feste gab es hier auf der Burg."
Barbara fiel mit großen Augen nun ins Wort: „Doch vor über 4 Wintern kam der alte Herr beim Brand des Pallas ums Leben. Auch die Herrin, der Knappe und ein Gast befanden sich damals im Pallas- keiner wurde gerettet."
Lukas und Lisbeth lauschten gespannt der Geschichte.
Wernherr sprach weiter: „Der Brand griff auf den Bergfried über. Bis zum Morgen danach hat das Dorf Wasser zum Löschen geschleppt! Kaum etwas wurde gerettet."
Arno fragte neugierig weiter: „Wie kam es zu dem Brand? Was ist bekannt?"
„Nur Gerüchte und Vermutungen, Herr." sprach die Magd. „Der damalige Herr hat gern guten Wein getrunken. Mit dem Alter immer mehr- doch man dachte damals, dass er mit einer Kerze oder Fackel des Nachts im Hause umging- betrunken gestürzt ist- unglücklich gestürzt. Das redete man, weil im Kamin auch ein Glutnest war. Viel Gerede gab es , dass er noch weiter trinken wollte oder zum Apport musste. Die Wahrheit werden wir nicht erfahren."
Wernherr fuhr nun fort: „Aber der Kaminzug im Pallas ist noch sehr gut. Herr, mit fleißigen Händen könnten wir den Pallas im nächsten Jahr reparieren!"
„Und der Bergfried?"
„Keller und unteres Geschoss sind gut, aber oberhalb? Die Flammen haben viel Schaden angerichtet."
„Was ist mit der Palisadenwand- im Hof?"
„Ein Baum, Herr. Wir hätten ihn früher vom Fels schlagen sollen, dachten auch, er stürzt nach vorn herab. Allerdings unter Schneelast im diesem Frühjahr fiel er zum Hof um und riss die Wand einfach ein. Verzeiht, wenn ich es allein noch nicht richten konnte in der Zeit."
„Hmm." brummte Arno vor sich hin.
Im Gespräch war die Mahlzeit schnell gegessen.
„So- Kinder wir kommen noch zu einem Bad. Wernherr und ich schaffen das Wasser herbei. Bis dahin helft ihr Frau Barbara mit dem Zimmer. Bringt gleich unsere Habe hinauf." verteilte Ritter Arno gleich die nächsten Arbeiten.
Auch dann ging alles Hand in Hand.
Beim Wasserschöpfen und Eimer schleppen erfuhr Arno noch einiges über die Leute im Dorf, auch darüber, dass viele Junge mittlerweile gegangen waren. Das Land herum sei nur dünn besiedelt. Holz und Erzabbau seien Haupteinnahmequelle des Voigtlehens. Das Holz werde von der Drogfurth aus flussabwärts gestakt. Die neuen Rodungsgebiete- besonders in den Auen seien für Ackerbau und auch für das Vieh ertragreich. Am Fluss Rappbode könne man gut fischen, ebenso an 2 kleineren Teichen im Umfeld. Der Wald ist auch reich an Wild, jedoch hier habe nur die Herrschaft das Recht der Jagd. Und Wölfe und Bären seien ab und an gesehen worden. Besonders die Wölfe seien eine Plage dieses Jahres. Die letzten Räuberburschen hat der Voigt der benachbarten Susenburg letztes Jahr ergriffen und gerichtet. Auch kenne Wernherr eine Stelle mit vielen Nussbäumen in der Nähe. Von den Vorbeireisenden habe schon lange niemand mehr Obdach gesucht auf der Burg- sie wirkt vielleicht wirklich nicht sehr einladend im jetzigen Aussehen. Daher reisten viele weiter nach Bodfeld zum Königshof oder zur Susenburg. Der Zehnte wurde auch dorthin abgegeben, nur ein Mindestvorrat auf Draburg zugestanden. Aber dies werde sich alles bald ändern.
Während Arno all diese wichtigen Informationen bekam, hatten die Kinder im Hause die Sachen aus der Küche geräumt, so gut es eben von Kräften ging.
Die Magd Barbara bereitete die Lager für die Familie und auch für die erwarteten Knechte. Barbara fand guten Zugang zu beiden Kindern.
Und ihrerseits waren es hier Lukas und Lisbeth, die der Magd das Familienleben auf der Herrmannsburg beschrieben.
Lisbeth erzählte vom gütigen Großvater, dem guten Herrn Vater Arno und dem frühen Tod der Mutter.
Das Ritter Arno im Krieg gegen die Ungarn erfolgreich kämpfte, wusste Lukas lebhaft zu berichten, auch von seiner eigenen Zeit als Page beim unglückseligen Voigt Ewald von Erichsburg.
Die Magd hörte aufmerksam zu.
Ebenso fiel ihr auf, dass Lukas bei seinen Erzählungen über die Pagenzeit merklich leiser wurde. Dennoch erfuhr sie, dass Voigt Ewald von Erichsburg ein grober Mensch war und wegen seiner eigennützigen, unchristlichen Wegelagerungen nach Belagerung seiner Burg durch die Stolberger in Haft kam. Die 120 Mann unter Waffen, darunter auch 6 Ritter, haben die Burgpalisaden niedergerissen, die Gräben verschüttet und die Hütten der Burg verbrannt. Lukas war unter den eingekerkerten und sein Vater habe ihn nach 3 Wochen dort für einiges Silber ausgelöst. Seit zwei Jahren nun bildet ihn sein Vater weiter aus. Der Junge hatte dem Reden nach eine schlimme Zeit gehabt, er bekam Trost von der Magd gespendet.
Zuerst durfte Lisbeth ihr Bad nehmen, dann Lukas.
Kaum war Arno als Dritter dem wohltuenden Bade entstiegen und hatte sich das Hemd übergeworfen, hörte er schon auf den Hof die Wagen poltern in der anbrechenden Nacht. Endlich hatten es auch seine Männer hierher geschafft.
Tiere wurden versorgt, dann die Männer, die mit Arno und Wernherr noch einige Zeit am Feuer der Küche saßen. Sie redeten und planten den morgigen Tag. Abladen und die Gebäude inspizieren auf deren Zustand. Einräumen ins Haus und die vorhandenen Vorräte prüfen, die nach Wernherr Rötleins Meinung jedoch sehr gering waren.
Dünnes Bier wurde getrunken, bis sich alle zum Schlafen legten.
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