Die Ankunft auf Draburg
„Herr, der Karren ist fest! Wir werden umspannen müssen, vielleicht auch abladen."
„Gut Christian, dann mach das. Fangt gleich damit an."
Arno von Gebra hatte es befürchtet. Dieser Weg ist zwar breit und in weiten Strecken auch gut zu befahren, jedoch die Regengüsse der letzten zwei Tage hatten zu verschiedenen Verschlammungen des Weges geführt. Gerade hier in diesem Abschnitt am Bachlauf war solch Schlammnest dem mittleren und auch schwersten Karren seines kleinen Trosses zum Verhängnis geworden. Ritter Arno hoffte nur, dass die massigen Holzräder nicht zu sehr litten unter der Nässe und dem Gewicht des Wagens.
Der kleine Tross war nun schon den vierten Tag unterwegs. Alle waren durchnässt- seit gestern schon.
Für die Männer weniger ein Problem, die waren solche Strapazen gewohnt, aber Arno war in Sorge um seine beiden Kinder.
Beide Kinder kauerten in dicke und von der Nässe schwer gewordene Decken auf dem ersten und leichtesten Karren, beobachteten das Treiben hinter sich.
Noch einmal ein Nachtlager suchen? Oder versuchen, nur mit dem ersten Wagen wenigsten zum Ziel zu gelangen?
Schaffen könnte es Arno mit Sicherheit heute, denn soweit kann die Draburg nicht mehr sein.
Der Bauer mit dem Ochsenkarren vorhin hatte von vielleicht zwei Wegstunden gesprochen und davon, dass man die Burg nicht verfehlen könne. Mit dem leichten Wagen war er sicherlich schneller dort.
„Männer. Hört zu. Ich habe mich entschlossen vorzugehen. Ich nehme den leichten Karren mit. Versucht Ihr noch heute den Weg hinter euch zu bringen. Ich schau mich am Ziel um und versuche in Erfahrung zu bringen, ob wir dort auf Draburg etwas Essbares haben werden und heute ein trockenes Nachtlager finden."
„Ja Herr." bestätigte Tobias, der zweite Waffenträger im Tross. Er war damit beschäftigt am Wegrand nach einem längeren, festen Holz zu suchen, welcher als Hebel geeignet sein konnte.
„Wir machen das schon!" rief Christian vom dritten Karren, wobei er am Zaumzeug des Pferdes einen Knoten löste. „Ist ja nicht das erste Mal, stimmst Tobias!"
„Ja." bestätigte der Mann am Waldrand. „Und wenn es heut nichts mehr wird, dann sehen wir uns nach einen besseren Ort für ein Lager um."
„Gut so Leute!" Damit war es für Arno von Gebra beschlossen. Also weiter. Die ledernen hohen Stiefel trieften vor Schlamm. Auf dem Weg zum vorderen Karren stampfte Arno erst einmal an guter Stelle das Gröbste davon ab.
Die Kinder hatten alles gehört und aufmerksam mit angesehen.
Lisbeth stand kurz auf, auf dem zweiräderigen Karren leicht wackelig. „Dann geht es weiter Vater?"
„Ja, aber nur für uns Drei." sagte Arno beim Passieren des Wagens. „Wenn der Graue ordentlich zieht, sollten wir auch bald am Ziel sein." Mit diesen Worten griff er die Zuglounge recht kurz am Maul des Pferdes. „Los, Grauer."
Der Karren kam mit einem Ruck in Bewegung. Lisbeth setzte sich schnell wieder und umwickelte sich erneut mit der Decke. Arnos Sohn Lukas blickte zu den zwei Männern am zweiten Karren zurück. Tobias hatte nun einen längeren, schweren Stamm gefunden und brachte ihn soeben aus dem Wald. Christian winkte dem Jungen. Lukas winkte vom Wagen zurück.
Arno von Gebra konnte sich auf seine zwei Waffenknechte Tobias und Christian verlassen. Er kannte sie seit mehreren Jahren. Sie waren stark und zuverlässig, jeder für sich gute Männer.
Tobias war groß, jedoch dünn und hager. Ein zäher Bursche im Alter um die fünfunddreizig Jahre. Er war im Kampf mit schweren Dolchen durch seine Schnelligkeit ein sehr guter Mann an Waffen, zudem ein ausgezeichneter Bogenschütze und Helfer bei der Jagd. Tobias war ein ruhiger Mensch, der hart und fleißig arbeiteten konnte. Arno sicherte ihm zu, als Erster seine Frau mit den 3 Kindern nachholen zu dürfen, wenn es die Geschicke auf der Draburg erlaubten. Auch den schweren, großen Karren könne er dafür nehmen. Arno war sich sicher, Tobias würde den Karren für den Hausrat brauchen.
Ganz anders dagegen war Christian, der auch groß gewachsen war. Christian war stärker gebaut und mit kräftigen Armen gesegnet. Kein anderer Mann auf der Herrmannsburg konnte Kraft in einen Axthieb setzen wie er. Nun ja, abgesehen einmal von Arno selbst. Axt und Speer waren Christians bevorzugte Waffen. Christian war auch gut sechsunddreizig Jahre alt. Allerdings schien er nicht auf ein Familienleben vor Gott viel Wert zu legen. Es gab niemanden, den Christian nachholen musste. Er liebte gutes Essen, gutes Bier und war dann im Rausch ein lautstarker aber nur wenig begnadeter Sänger.
Als dritten Waffenknecht hatte Ritter Baldo von Herrmannsburg den dreiundzwanzig Jahre alten Andreas zugestanden. Andreas galt unter den anderen Wachen als leicht schwachsinnig, vermutlich auf Grund seines seltsamen Auftretens, seines narbigen Gesichtes und geistlos wirkenden Lächelns. Arno mochte Andreas dennoch gut leiden, denn Andreas hatte Bärenkräfte und eine unerschütterliche Gesundheit, ein Mann des Waldes. Der gute Späher und Waldläufer war mittelgroß mit starkem Oberkörper. Er war sehr ausdauernd und zuverlässig. Im Nahkampf war Andreas ein gefährlicher Gegner, selbst Arno unterlag ihm mehrfach im einfachem Kräftemessen.
Manthey als vierter Waffenknecht hingegen war fünfzig Jahre und eher faul. Er schätze gutes Essen, was man ihm ansah. Der Witwer war gottesfürchtig und eignete sich gut als Torwache. Mit seinem Mundwerk konnte er jeden zurückweisen. Manthey jedoch ist trotz der ausgestrahlten, aufgesetzten Ruhe und seines sehr hohen Alters auch ein guter Kämpfer, der Einiges an Erfahrung zu haben schien. Besonders im Schildkampf war dies Arno bereits mehrfach aufgefallen.
Während Herr Ritter Baldo sich über die Auswahl von Tobias und Christian ärgerte, hatte er Andreas und Manthey selbst befohlen. Der eigentlich abzustellende fünfte Mann wurde nie benannt- Baldo von Herrmannsburg gab vor, niemanden weiter von den Waffenknechten abgeben zu können.
Andreas und Manthey sollten im zweiten Tross unter Führung von Tobias- nach dessen erwartbarer Rückkehr- mit dem Restgut nachfolgen.
Der Weg bog in eine lange und gut einsehbare Kurve ein, stetig leicht bergan führend. Der Wald war an dieser Stelle nicht sehr dicht bewachsen, die wenigen Laubbäume ließen einen guten Blick auf das Umfeld des Weges zu.
Von oben- am anderen Ende der Kurve näherte sich das Gespann eines Holzfällers. Ein Ochse zog mehrere lange Stämme langsam hinter sich her bergab.
Das Pferd schnaubte kurz. Arno von Gebra zog den Grauen weiter und suchte mit dem Blick eine Stelle, um dem Ochsengespann auszuweichen.
Erst jetzt merkte Arno, wie sehr seine Beine wehtaten, zudem verspürte er Durst.
An einer flachen Wegbreite lenkte er den Grauen mit dem Karren an die Seite und klopfte zur Belohnung auf den Hals des Tieres. Auch der Hals des Grauen war von der Anstrengung warm und feucht.
„Lukas, den Eimer. Füll einmal etwas Wasser aus dem Schlauch ein- für den Grauen."
Schnell und behände sprang der Junge aus seiner Decke hervor, angelte den Eimer von der Wagenseite.
Arno äugte in den Wald.
Vorsicht ist in diesen Wäldern immer angezeigt. Eine einzelne Karre ohne Unterstützung eines Trosses war immer leichte Beute für Räuberpack.
Der leicht gefüllte Eimer wurde heruntergereicht, so dass Arno von Gebra dem Pferd etwas Trinken geben konnte. Der Ochsenkarren kam näher.
„Heda, guter Mann!" rief Arno schon von weitem. „Zur Draburg müssen wir. Ist das noch weit?"
„Nicht weit, Herr. Dort oben kommt eine Lichtung. Ihr werdet dort auch den Rauch des Ortes schon sehen." sagte der vollbärtige Mann mit der Lederhaube.
„Ich danke euch. Und guten Weg." Arno kippte den Rest Wassers aus und gab den Eimer auf den Wagen zurück. „So ! Und weiter, komm."
Die Draburg! Viel war Arno nicht bekannt bislang. Nachdem die Belehnung bekannt war, hatte er versucht von Vorbeireisenden etwas in Erfahrung zu bringen- doch viel war es nicht. Sie liegt am Drogwege, einer der wichtigeren und größeren Handelswege hier durch den Harz. Der Drogweg ist eine der Hauptpassagen durch den Harz zwischen Nord und Süd. Bekannt wurde Arno auch, dass dort eine wichtige Fuhrt in der Nähe war und gute Wälder dort stehen. Die Burg sei an einer steilen Klippe erbaut und sei zum großen Teil aus Holz.
Aber keiner hatte auf der Durchreise dort genächtigt oder erinnerte sich genauer an den Herrensitz. Keiner konnte etwas mitteilen zu Ausstattung, militärischem Wert oder den Leuten dort.
Nur der Drogweg- der sei als Straße dort bedeutsam.
Offenbar ein unbedeutender Flecken in Gottes Land.
Aber was auch immer Arno von Gebra dort vorfinden würde, es würde genügen und zu seinem Heim werden müssen. Zu seinem Heim, zu einem zu Hause der Kinder. Irgendwie werden sie es sich richten.
Eine höhere Ebene war nun erreicht und eine größere Lichtung öffnete sich. Hier und dort waren Pflöcke auf der Lichtung eingetrieben, als ob hier einmal Tiere weideten. Zwei Schafe waren am hinteren Ende auf der Weide zu sehen. Auch ein abgeerntetes Feldstück war erkennbar. Der Weg war hier breit und gut zu bereisen.
Der Holzfäller hatte Recht- das Lehen konnte nicht mehr weit sein.
Einige Häuser und auch Rauchschwaden von Feuerstellen waren dort schon zu erkennen. Die ersten sechs Hütten der Siedlung links und rechts am Weg waren unbewohnt und eingefallen. Nahe liegt, dass das Holz dieser Lehmhütten schon durch andere davongeschleppt worden war. Dann kamen mehrere kleinere bewohnt wirkende Hütten ins Blickfeld. Einige Gatter waren an den Hütten, Schweine grunzten, Hühner scharrten dort. In einem der Häuser hustete jemand sehr lautstark. Am Wege waren keine Leute zu sehen.
Weiter vorn endeten die Hütten.
Der Hauptweg bog dort bergabwärts führend in langem Auslauf nach rechts ab. Nach links jedoch führte ein kleinerer kaum wahrzunehmender Nebenweg ab.
Arno führte den Grauen weiter und der zog mit Stetigkeit den Wagen durch die kleine Ansiedlung weiter. An der kleinen Weggabelung hielt Arno die Karre an.
„Ho!" sagte er langgezogen zum Pferd, so dass der Wagen anhielt.
Erst jetzt sah Arno, wie seine Kinder aufrecht und aufmerksam bereits im Wagen gesessen oder gekniet hatten. Auch sie waren voller Neugierde und Anspannung- sie starrten in Richtung der Spurfolge des kleinen abzweigenden Weges.
Arno kniff die Augen fest zusammen und atmete für sich lange und tief durch. Dann streichelte er den Kopf des Grauen und ging zu dessen anderer Seite. Erst jetzt wagte Arno von Gebra den allerersten Blick auf sein neues Zuhause.
Die Draburg- das war sie also?
Nun ja! Es wird genügen!
„Was Kinder? Das ist doch wahrlich nicht schlecht, oder?" Was Arno beim ersten Anblick der kleinen Burg wirklich dachte, konnte Arno schlecht den Kindern sagen.
Als Erstes war Arno der schlechte Zustand der Burg aufgefallen.
Blitzschlag hatte offenbar den hölzernen Bergfried und ein steinernes Gebäude linksseitig beschädigt, vielleicht auch zerstört, denn dort waren nur noch verschmorte Balken erkennbar. Rechts war ein gutes steinernes Haus mit dicken Mauern zu sehen. Die Palisaden waren an vielen Stellen eingefallen, so dass man auf den Innenhof sehen konnte. Das Tor schien massiv aus Holz und stabil, jedoch der Durchgang war halbseitig offen. Die äußeren Wälle waren kaum vorhanden, dortige Palisaden erkennbar alt. Ein Ziehbrunnen war vor der Burg rechtsseitig erkennbar, daneben eine Lehmhütte in gutem Zustand.
Nun ja! Es wird genügen.
Die Kinder auf dem Wagen blickten genau wie Arno auf die Burg. Keiner von Beiden sprach aus, was er oder sie dachte.
„Lukas, komm herunter. Du führst den Grauen. Und zieh ihn gut, der Weg kann schlammig sein. Lisbeth? Komm wir gehen voraus."
„Ja Herr Vater." bestätigte Lukas.
Flink und gewandt kletterte der Zehnjährige herab, um den Zügel zum Führen des Pferdes zu übernehmen.
Lisbeth kletterte vorsichtiger herab, gesellte sich neben ihren Vater. Arno nahm ihre Hand, um das Voranschreiten zu bedeuten. Augenscheinlich bedurfte es bei Lisbeth auch der Führung, denn ihr Blick ruhte wie gelähmt auf der Burg.
Der Weg vor der Burg war weniger schlammig als Arno angenommen hatte. Zudem ging auf halber Strecke zur Burg ein weiterer Weg nach links weg, einen Hang hinab.
Eine kurze, noch gut erhaltene Brücke überquerte etwas, was wohl vor längerer Zeit einmal als Graben ausgehoben war. Gras und Brennnesseln hatten sich hier ein Zuhause gesucht. Nach einigen Metern kam eine weitere gute Brücke, die kurz vor dem Torhaus der Burg endete. Links und rechts waren hier Stufen vom Weg weggehend erkennbar. Das Torhaus sah wirklich gut und massiv aus. Aber dieses Tor - eine Seite davon fehlte ganz, die andere Hälfte davon war halb geöffnet. Ein Knüppel stand dagegen gestemmt, um es offen zu halten.
„Lisbeth. Du darfst als Erste von uns die Burg betreten, ich versuche das Tor für den Karren zu öffnen."
Lisbeth schritt langsam und andächtig durch das Torhaus aus Holz in den Innenhof. Obwohl Arno schon mit der Torhälfte und dem Aufschieben zu tun hatte, glaubte er in Lisbeths Gang auf den Hof eine gewisse Andächtigkeit und Stolz zu erkennen.
Der von Lukas geführte Karren polderte bereits über die zweite Brücke, als endlich das Tor den Weg richtig frei gab. Arno stellte den Knüppel erneut schräg dagegen.
Nun erst konnte auch Arno den Innenhof betrachten.
Links einen Stall und eine offene Werkstatt, wie es schien. Das Steinhaus dahinter mit ausgebranntem Dach. Der hölzerne Bergfried, ähnlich einer Motte war im Bereich eines unteren Geschosses offenbar gut erhalten, darüber jedoch hatte Feuer sich seinen Preis geholt. Durch die zerstörte Palisade auf der rechten Seite nach dem Torhaus konnte man komplett hinaussehen, mehrere Palisadenbalken lagen kreuz und quer, innen sowie außen. Einzig das große Steinhaus schien bewohnbar und wie ein leichter Rauch erkennen ließ, war dort wohl auch jemand im Hause. Ein Rinnsal in der Mitte des zum Torhaus abschüssigen Burghofes lief dann am Torhaus rechts durch einen Durchlass aus. Der Geruch biss in der Nase.
Ein Rabe krächzte mehrere Male von den verkohlten Resten des Bergfrieds herunter.
Ja, lach du nur!, dachte sich Arno von Gebra.
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