Der alte Herr
Draburg erstrahlte an diesem Herbsttag 988 unter einer kräftigen Septembersonne.
Es war Arno erneut gelungen, sich von den Aufgaben auf der Burg Bodfeld zurück zu nehmen, damit er für zwei Tage nach Draburg zurückkehren konnte.
Während es hier im Harz sicher war und man weitab von weltlichen Konflikten der Arbeit nachgehen konnte, hatten andere Regionen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nicht solch Ruhe.
Im Vorjahr - 987- begannen Zwistigkeiten im Bereich der Elbe erneut aufzuflammen. Die Slawen waren erneut in die Gebiete des Reiches vorgedrungen, mehrere Kastelle an der Elbe eingenommen und verheert. Dies erfolgte überraschend im Juni und Juli 987.
Doch die Sachsen wollten dies nicht hinnehmen. Schon im August war ein eilends aufgestelltes Heer der Sachsen zum Gegenschlag in den besetzten Gebieten erschienen. Die Gegenangriffe eroberten die verlorenen Gebiete und Garnisonsorte und wie zum Hohn gegen die Slawen erfolgte der Neuaufbau der Kastelle eben an dem Ort, wo beim Eintreffen der Sachsen nur noch Trümmer vorgefunden worden waren.
Auch Lukas von Draburg ging mit diesem Heer, kam jedoch unbeschadet an Gesundheit und Lebenskraft Anfang Oktober zurück in die Harzer Berge.
Wie sich herausstellte, hatte Lukas seiner Gemahlin Miriam ein besonderes Geschenk beim Abschied hinterlassen. Sie ging schwanger über Herbst und Winter und gebar Ende April 988 ein gesundes Mädchen, dass - im Gedenken an Lukas gutherzige Mutter und Arno's verstorbene Gemahlin- Eleonor benannt wurde.
Das Leben auf Draburg war damit nicht einfacher geworden, denn an Platz mangelte es seit Lukas Rückkehr von Dullide. Obwohl Susenburg auch bewohnt werden konnte, entschied sich der neue Voigt an der Draburg zu bleiben.
Dank der von Susenburg kommenden Güter und auch mit gutem Bodfelder Rat Arno's wurde der Ausbau der Burg fortbetrieben- der neue Bergfried war nunmehr nach über einem Jahr Bauzeit vor der Fertigstellung. Und man hatte für Gaste und durchreisende Leute zusätzliche Stallung geschaffen und durch einen Holzbau am Innenhof der Burg 3 neue Kammern gewonnen.
Arno hatte seine Habe aus der Kemenate in die Voigtkammer der Burg Bodfeld beräumt. Auch der Wappenschild und den Palas schmückende Sachen Arnos, wie der aus Slawischer Hand übergebene Andergaster waren nun Zierte in Arnos Stube auf Bodfeld. Zur Nacht zog es den grau gewordenen Arno auf das Lager in Katharinas kleiner Hütte an der Burg. Auch wenn die Stube oftmals sehr kühl erschien und die neuen Kammern nahen Platz an der Burg boten- Herzenswärme zog ihn dorthin, Glück mit Katharina und Ruhe und tröstenden Zuspruch erhielt er hier- auf Bodfeld war dies immer noch untersagt und Arno achtete den Ratschlag des Bischofes hierüber.
Nach der Belehnung durch vollzogenen Handgang auf Burg Regenstein hatte im letzten Jahr neu bestätigte Graf des Harzgaues, Kuno von Kucksburg- nunmehr Kuno von Regenstein- seinem Schwager Lukas einen neuen Wappenschild anfertigen lassen. Der Gebraer Stern zierte auch hier den Schild- doch nunmehr ein neues Muster kam hinzu, um den neuen Herrn heraldisch zu belegen. Lukas zeigte verantwortungsvoll, dass er den Lehen Draburg und Susenburg gewachsen war, die nunmehr verschmolzen im Lehen Draburg aufgingen.
Lisbeth und Kuno lebten nun seit dem Tode des alten Grafen auf Burg Regenstein, dem Machtzentrum im Nordharz- Schutz des Bistum Halberstadt und Sicherung des Stiftes Quedlinburg. Auch der kleine Bruno von Regenstein blieb nicht allein als Kind. Lisbeth gebar zum Sommerbeginn im letzten Jahr ein weiteres Kind- einen Sohn, der Albrecht benannt wurde.
Arno hatte sein Geheimnis offenbart. Sowohl seine Kinder als auch Katharina hatten ein Recht nach seinem Befinden, zu wissen, dass in der Fremde an unbekanntem Ort ein weiterer Sohn Arnos- gezeugt mit der Slawin Larna- war. So hatten es Lisbeth und Lukas dem Vater Arno in die Hand versprochen, dies Geheimnis zu wahren. Und sollte ein Knabe oder Mann mit dem Namen Larno sich vorstellen, so sollte man ihm mit Respekt aufnehmen und die Türe öffnen, auf dass sich der Knabe nicht beschwere. Arno hatte geschworen, nicht nach dem Jungen zu suchen- und er stand dazu bis heute, wenngleich ihn an manchem Tage die innere Stimme anderes auftragen wollte.
Arno saß neben seiner Katharina auf geschichteten Holzbalken, die für den Dachausbau des Bergfriedes auf der Felsnase der Draburg lagen. Beide schauten hinunter in das Tal des Flusses Rappbode, der sich durch die schmale Aue zwischen den herbstlichen Wäldern schlängelte. Die Aussicht war friedvoll, die Sonnenstrahlen wärmen die Kleidung und die Haut. Selbst die Balken gaben nun am Tagesende noch Wärme ab, wie Arno fand.
"Liebste Kati. Als ich am Morgen zum Waschen in den Wassereimer sah, da erblickte ich einen grau gewordenen Mann."
Katharina umarmte den Rücken ihres Liebsten Arno, als müsse sie ihn wegen dieses Eingeständnisses Trost geben.
"Doch dieser graue Herr ist dankbar! Unendlich dankbar! Dankbar gegenüber Gott, der ihm ein längeres Leben gab, als vielen seiner Begleitern. Und dafür werde ich einen Altar stiften, der Gott diese Dankbarkeit belegen wird. Sobald ich auf Bodfeld bin, werde ich die besten Holzschnitzer dafür bestimmen. Und dankbar bin ich, dass ich in diesen vielen Jahren so viel erleben durfte! Die Kinder- und gar auch deren Glück und schöne Tage und deren Kinder obendrein noch! Und dieser graue, alte Herr ist dankbar, Dich gefunden zu haben und das Glück mit dir- möge es uns Beiden noch lange erhalten bleiben. Das Wort des alten Herrn hat noch Gewicht in diesen Landen- viel mehr sogar, als sich der alte Herr je von Gott erbeten hätte. Doch die Kraft des alten Herrn schwindet, liebste Kati. Die Kraft der Arme ist gewichen, seid ich nicht mehr selbst mit anpacken muss und anderen Leuten Auftrag gebe. Doch noch sind sie stark genug, um Schild und Speer zu halten, sollte es der Manneskraft des alten Herrn bedürfen. Dieser alte Herr hier.", mit dem Zeigefinger der rechten Hand zeigte Arno auf seine Brust und schaute hierbei seiner Katharina tief und lieb in die Augen. "Dieser alte Herr hier- neben dir, meine liebste Kati- dieser Herr ist stolz und dankbar. Und dieser alte Herr hier ist darum mit sich zufrieden. Denn wenn ich erneut am Waschtrog stehe und hineinblicke, dann sehe ich einen zufriedenen alten Mann, der graues Haar trägt, der jedoch viel bewirkt hat mit seinen vielen Jahren auf dieser Erde."
Katharina sagte nichts hierzu. Sie spürte Arno mit der Umarmung und wusste um Arno's Zufriedenheit.
Kleine Tränen flossen aus Arnos Augen, so dass er sie wegwischen wollte. Doch Katharina tat dies mit ihrer rechten Hand. Leise zischte sie dabei, als müsse sie ein Kind beruhigen. So streichelte ihre linke Hand Arnos graue Haare, bevor sie den Arm wieder um Arnos Rücken schlang.
Lange blickten beide- einfach nur dasitzend- in das Tal und den dort dahinfließenden Fluss.
"Wie dein Leben!", sprach Katharina leise zu Arno.
"Ja! Wie mein Leben. Hin und her. Und von der Sonne und Glück bestrahlt.", gab Arno zurück.
Katharina legte ihren Kopf an Arnos Arm an.
"Wie mein Leben!"
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