6. Schicksalhafte Begegnung
Der Name des Unbekannten ist anscheinend Nai. Wie er will, dass wir seiner Gilde beitreten? "Ist das dein ernst?", frage ich ihn ungläubig, woraufhin er mich ausdruckslos ansieht und schweigt. Provoziert er uns gerade oder wie? "Hast du nicht gerade die peinliche Niederlage mitbekommen?", frage ich weiter und rege mich innerlich darüber auf, dass ich das auch noch laut aussprechen muss.
Jetzt zuckt er unbeeindruckt mit den Schultern. "Was hat der Kampf denn damit zu tun? Ich wurde beauftragt Leute für unsere Gilde anzuwerben und das tue ich." Das nennst du Anwerben? Solltest du nicht irgendwie motivierter sein? "Die meisten hier hätten gegen euren Gegner verloren. Außerdem warst du von Anfang an im Nachteil, immerhin hättest du dich mit deiner Wassermagie gegen Elektrizität im schlimmsten Fall nur selbst verletzt, vor allem gegen so einen Gegner.", fügt er in monotoner Stimme hinzu, weshalb ich davon ausgehe, dass seine Worte keine Aufmunterung sein sollen, sondern ernst gemeint sind. Und das obwohl wir 2 vs. 1 verloren haben!
Auf einen Schlag finde ich diesen Jungen namens Nai sympathisch. "Dann führ uns doch mal zu deiner Gilde.", lächel ich ihn freundlich an, was er durch die Maske vermutlich eh nicht mitbekommt. Er nickt kurz und steuert dann direkt auf den Wald zu. Linus und ich werfen uns kurz einen zweifelnden Blick zu, bevor wir ihm schweigend folgen. Auf dem Weg scheint Nai sich über Direkt-Nachrichten mit den anderen Gildenmitgliedern zu verständigen und einen Treffpunkt auszumachen.
Auf einer Lichtung kommt er endlich zum Stehen, setzt sich aber direkt auf die Wiese. Ratlos blicke ich zu Linus rüber, der nur mit den Schultern zuckt. Warten wir jetzt auf die anderen oder wie? Wir haben doch nicht den ganzen Tag Zeit! Nervös blicke ich auf den Timer: Nur noch eine halbe Stunde!
Plötzlich ertönt vor uns ein lautes Rascheln aus den Büschen. Etwas oder jemand scheint auf uns zu zukommen. Vorsichtshalber stelle ich mich auf einen Kampf ein, auch Linus scheint wachsam auf die Ankunft des Unbekannten zu warten. Nur der ruhige Nai rührt sich sorgenlos nicht von der Stelle.
"Wie du hast jemanden gefunden?!", schreit plötzlich eine laute Stimme und ein auffällig verdächtiger Kerl springt aus dem Busch. Was ist das denn für ein Verrückter? Erschrocken mache ich einen Schritt zurück. Entgeistert starre ich den Punk an, der vor mir steht. Violettes Haar, das ihn bis zu den Schultern geht und seine rechte Gesichtshälfte verdeckt. Ein violettes Auge, das uns neugierig mustert. Großer, schlanker Körperbau. Komplett in schwarz gekleidet mit zwei Piercings am linken Ohr. Ist schwarze Kleidung momentan irgendwie angesagt oder wieso ist jeder Zweiter so gekleidet?
"Daiki.", ruft Nai ohne jegliche Gefühle in der Stimme, doch auf seinem Gesicht spiegelt sich ein winziges Lächeln wieder. Daiki? Ich kneife meine Augen zusammen und fokusiere die Stelle über dem Kopf des Neulings. Daiki ist sein Name. Verstehe!
"Hey, schön dich kennen zu lernen.", sprechen Linus und ich gleichzeitig und halten ihm jeweils eine Hand hin, die er sofort energetisch ergreift und kräftig schüttelt. "Ebenfalls! KeiShiro und KaiKuro?" Nach der Begrüßung verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht und er analysiert uns misstraurisch von oben bis unten. "Zwillinge?", murmelt er gedankenversunken vor sich hin. Dann ändert sich seine Haltung aufeinmal. "Nai, haben sie dir irgendetwas angetan?", wendet er sich ziemlich laut an seinen Kumpel. Hey, hey, wir stehen alle neben dir, du musst doch nicht so herumschreien! Nai seuftzt: "Natürlich nicht." Daiki scheint seinen Worten nicht 100%ig zu glauben, denn er schaut uns immer noch ziemlich grimmig an. Was ist denn mit dem los?
Linus versucht die Atmosphäre etwas aufzulocker, indem er ein Gespräch anfängt. "Nai hat uns eingeladen eurer Gilde beizutreten." Daikis Gesicht hellt sich wieder auf. "Ich weiß! Hat er toll gemacht. Er ist der Einzige von uns, der erfolgreich war. Dann hat er auch noch zwei gefunden!", er lächelt begeistert. Wie ihr habt nur uns zwei erfolgreich angeworben? Seid ihr unbeliebt oder einfach nur unfähig? Naja, ich kann irgendwie verstehen woher das kommt. In diesem Moment bin ich froh, dass mein Gesicht verdeckt ist und es somit meine Gedanken nicht verrät.
"Wie viele seid ihr denn in der Gilde?", will ich wissen. "Vier, mit euch sechs, perfekt, nicht?" Ja, das ist durchaus erfreulich für uns, da wir somit sofort ins Team kommen, aber es macht mich gleichzeitig auch stutzig. "Wie lange gibt es eure Gilde denn schon?" - "Etwa seit 8 Monaten.", antwortet Daiki eifrig auf meine Frage. Ziemlich gesprächig der Kerl, ganz im Gegensatz zu Nai. Warte, seit 8 Monaten?! Und trotzdem besteht die Gilde nur aus vier Mitgliedern? Irgendwas ist hier doch faul! "Seid ihr aktiv?" - "Ja, eigentlich schon. Unser Gildenmeister ist sogar ein richtiger Suchti! Soweit ich weiß, ist er jeden Tag online." Okay, irgendwas stimmt eindeutig nicht mit dieser Gilde! Ich werfe Linus heimlich einen Blick zu, der natürlich sofort versteht. Allerdings scheint ihn das Ganze nicht wirklich zu stören.
"Wenn man vom Teufel spricht! Da ist ja unser Meister." Mein Blick wandert in die Richtung, in die sein Finger zeigt. Unwillkürlich klappt meine Kinnlade herunter. Meister? Es ist eine Meisterin! Und was für eine! So eine Schönheit habe ich bisher nur in Filmen gesehen. Diese Tatsache macht es nur noch verdächtiger, dass die Gilde so wenige Mitglieder hat, allerdings vergesse ich das sofort wieder. Wirklich atemberaubend!
Ihre Augen funkeln uns aus der Ferne wie zwei wunderschöne Rubine entgegen. Ihre langen, gewellten, blonde Haare wehen durch die leichte Windbrise sanft um ihr schmales Gesicht. Außerdem ist sie ziemlich groß gewachsen und schlank. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie bis auf das lange rote Kapuzencape ziemlich männlich gekleidet ist, nämlich in einfachen knielangen Shorts und einem einfachen T-Shirt und wie es der Zufall so will, natürlich in schwarz! Durch das Sonnenlicht beleuchtet sieht sie wahrlich aus wie der Star des Waldes oder auch wie Rotkäppchen, ein Mädchen aus einem uralten Märchen, das man sich immer noch erzählt.
Mit jedem Schritt den sie näher kommt, werde ich nervöser, bis ich endlich ihren Namen ablesen kann: Zui.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro