31) Ein unvergesslicher Abend
"Eine Beerdigung" Er spricht klar und deutlich, während ich bei jedem einzelnen Wort einen Lachanfall zu unterdrücken versuche. Er ist mir sehr sympathisch. Ich ahne schon, was er vorhat.
"Wie?", weiter kommt sie nicht, denn ein Schuss durchbohrt Beatrices Herz. Eine Kugel nimmt ihr das, was sie anderen Menschen in Massen nahm. Das Leben. Doch mit dieser Kugel erreicht sie der Tod.
Wieso habe ich das gesamte Ende des Films mitgeschrieben? Irgendwie ist mein Tagebucheintrag damit etwas ausgeufert. Aber es war einfach viel zu faszinierend, als dass ich diese Möglichkeit nicht nutzen konnte.
Beatrice. Wird jetzt mein Leben lang jede Blondine mit grünen Augen Beatrice heißen? Ich hoffe nicht! Denn das würde noch mehr Ärger bedeuten, als ich schon habe. Aber Ärger ist auch was Gutes. Eigentlich macht es sogar total Spaß, den Berg seines Lebens mit Anlauf hinunterzurodeln.
Seltsamerweise scheint ausgerechnet ein Thriller mich beruhigt zu haben. Noch dazu einer mit Beatrice. Seltsam. Vielleicht aber, weil sie dort gestorben ist. Ja, das sollte es sein.
Bisher kam ich nie dazu, um Mitternacht einen Film zu sehen, doch niemand wartet auf mich, wenn ich in das eiskalte Haus zurückkehre. Also wieso sollte ich früher kommen? Niemand kümmert sich um mich und zum ersten Mal in meinem Leben darf ich alles machen. Niemand da, der mich anschreit oder sich über mich lustig macht. Niemand, der auch nur annähernd ein Interesse an mir hegt. Und leider auch niemand, der mich liebt.
Die Straßen scheinen leer zu sein. Nur ein paar Betrunkene torkeln noch durch die ruhigen Straßen Marseilles. Am Rande dieser riesigen Stadt scheint es etwas ruhiger zuzugehen, als man meistens hört.
Ich werde diesen seltsamen Film bestimmt nie vergessen. Beatrice sterben zu sehen, hatte schon seine Freude mit sich gebracht. Selbst wenn es nicht einmal Beatrice war. Vielleicht wird Beatrices Todestag irgendwann genauso aussehen. Wäre das nicht schön? Ich weiß es nicht. Aber was weiß ich schon.
Aber vermutlich sollte ich nicht die ganze Nacht herumträumen, sonst komme ich nie an. Wenn die Häuser von Marseille tagsüber schon ein Labyrinth sind, dann ist es auch nicht gerade die beste Idee am Meer spazieren zu gehen. Wie leicht man einfach in den Fluten hätte verschwinden können ... In manchen Moment fühle ich mich da wirklich zum Meer hingezogen. Bestimmt würde mich niemand vermissen.
Dreieinhalb Wochen ist es her, seit ich Beatrice das erste Mal begegnete. Als Leiche. Und bald werde ich nachhause zurückgehen. Wenn ich dann ihr Geheimnis nicht kenne, dann weiß ich nicht, was ich machen soll. Es scheint die letzte Lösung für ein normales Leben zu sein, und doch scheint nichts so weit in der Zukunft zu liegen wie das. Furchtbar. Doch vielleicht sollte es so sein, sonst wäre es nie so gekommen.
Was ist nur mit ihr? Diese blauen Augen, die mich erst starr anblickten und dann in grüner Ausführung an meinem Esstisch erschienen. Alles schien so absurd, dass ich meinen Augen kaum trauen konnte. Alles schien so furchtbar irreal. Und doch war sie da. Ihre grünen Augen, die mir den Schreck meines Lebens verpassten. Und der rote Schleier um sie herum, der mich ins Verderben stürzte. Und doch faszinierte sie alle.
Beatrice. Man könnte es Hass auf den ersten Blick nennen. Wie sollte man auch eine Leiche mögen? Naja, heutzutage könnte ich es... Aber damals ist eben nicht jetzt. Und wird es niemals sein.
Wieso tauchte sie tot in meinem Zimmer auf? Und wieso war sie kurz danach wieder lebendig? Wieso jagte sie mich nur so sehr? Ich kann es einfach nicht begreifen. Sie scheint grundlos wahnsinnig zu sein. Oder ich.
Irgendwie finde ich mich nicht so gut zurecht, wenn ich mich gleichzeitig aufs Schreiben und auf den Weg konzentriere. Naja, vielleicht sollte ich stehenbleiben. Oder auch nicht, da mir langsam kalt wird.
Findest du eigentlich nicht, dass mein Aufsatz gestern sehr gut war? Auch wenn jede Zeile vermutlich einfach nur wahnsinnig war, so hatte alles dennoch irgendwie Stil. Ich wollte immer etwas in Richtung Bücher machen – noch schwanke ich zwischen Autorin, Lektorin und Bibliothekarin. So wie meine Mutter. Und doch hat sie meiner Werke nie gemocht – Dora konnte doch so viel besser schreiben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich Doras Geschichten nur gemocht, weil es eben ihre waren. Solch langweilige Ansammlungen von Seiten hatte ich nie in der Hand gehabt, von den Beschreibungen nicht zu sprechen. Und dort ging sie – in ihrem rosaroten Kleid mit Abermillionen von winzigen roséfarbenen glitzernden Pailletten besitzt, das das Sonnenlicht in sich aufzufangen schien und die Reinheit und Vollkommenheit ihrer Seele wiederspiegelte, wie auch ihre natürliche Ausstrahlung, die alle so in ihren Bann zog, sodass es unmöglich war, um ihre Schönheit und wundervolle, anfangs so unmöglich erscheinende Perfektion umherzukommen. Ein niemand wagte es, an ihr zu zweifeln, so zauberhaft wie sie war, und dort, mit ihrem endlos lang wirkenden Kleid und ihrer einen halben Meter hohen Turmfrisur, die sich aus ihren natürlichen Haaren und mehreren Klammern, Bändern und Verzierungen zusammensetzte. Krankes Zeug – so viel kann ich dazu sagen. Doch wenn Vater meint, dass dieser Text, der aus Doras Roman stand, genial ist, ist er genial. Ja, ich glaube langsam wirklich, dass nur drei Menschen dieser Welt mit dem Inneren dieses Charakters identifizieren. Dora, mein Vater und Beatrice. Denn auch wenn sie sich so sehr unterscheiden, so ähneln sie sich dennoch irgendwie. Mutter hingegen ... ich weiß auch nicht.
Endlich! Dieses blöde Haus schien verschwunden zu sein! Hoffentlich bemerkt niemand, dass ich um ein Uhr nachts zurückkomme. Wenn sollte es überhaupt interessieren? Mich jedenfalls nicht. In einem Haus, in dem eine Teilzeittote wohnt, stört es bestimmt keinen, wenn ein durchgedrehtes Mädchen zwei oder drei Stunden zu spät kommt. Außerdem war der Abend bis jetzt so cool, den kann mir niemand verderben.
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Rot.
Blut.
Rot.
Blut.
Beatrice.
Was haben nur diese Blutflecke im Zimmer zu suchen? Ist Beatrice etwa ... hier?
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