14: Isaac
Isaac Miller. Ein großer Mann. Buchstäblich. Sogar Vishous überragte er mit Leichtigkeit. Nur in Breite übertraf ich ihn womöglich. Er war wie ein Streichholz in der riesigen Landschaft, aber er verbreitete durch seine selbstbewusste Ausstrahlung irgendwie eine Art von Stärke.
Lisa liebte diesen Mann und ich grübelte seit Jahren darüber, wie sie sich in meinen Psychologen verlieben konnte.
Für mich war er ein Monster, durch und durch grausam. Wollte immer nur 'das Beste' für mich und brachte mich damit an meine Grenzen.
Konnte er es nicht einfach lassen?
Wahrscheinlich hatte er aus Afrika ein paar neue Methoden zur Behandlung mitgebracht - dabei hatte ich mich gerade damit abgefunden, einfach bis an mein Lebensende Tabletten zu schlucken.
Vishous wusste immer noch nichts davon. Zumindest insofern, dass er nicht wusste, wie sehr meine Höhenangst in die Tiefe meines Geistes ging.
Ich fragte mich, ob er das lächerlich fand.
Ich schüttelte mich leicht, als ich die große, viel zu warme Hand ergreifen musste und ich kurz darauf auch noch von diesem Monster der Ängste umarmt wurde. Musste das sein?
"Freut mich auch, dich wieder zu sehen", murmelte ich gezwungenermaßen. Immerhin hatte er mich kurz nach dem Tod seines Vaters übernommen. Wir kannten uns also schon ziemlich lange - dafür, dass ich ihn eigentlich nicht wirklich leiden konnte. Er hatte sich immer zu mir ins Wartezimmer gesetzt und versucht, mich zu beruhigen. Ich hasste ihn also auch für seine viel zu gute Seele.
Ich seufzte.
Lisa umarmte Vishous und nahm dann wieder Isaacs Hand. Ugh, Pärchen.
Stimmt, wir waren nun ja selbst eins.
"Lasst uns essen", warf ich schließlich die Worte in die Runde und trottete in den Küchenbereich, wo ich das Essen auf den schön gedeckten Tisch stellte.
Ich war erstaunt, dass er nicht nach Vishous fragte, aber das sollte mir recht sein. Ich kannte ja die zwei anderen Gründe, warum er hier war;
Erstens, wegen Lisa. Die zwei waren wie ein frisch verheiratetes Ehepaar. Sie hatte sogar extra für ihn ein Kleid angezogen - und das sollte schon was heißen, da sie nie Kleider trug.
Nur über ihre Leiche.
Obwohl sie wahrscheinlich im Hosenanzug beerdigt werden wollen würde.
Zweitens, wegen mir. Natürlich wollte er mich weiterbehandeln. Er hatte es sich mit Lisas Motivation in den Kopf gesetzt, nicht eher zu ruhen, bis ich vollkommen "geheilt" war. Dabei war es schon die zweite Generation seiner Familie, die mich behandelte. Mit 60 wäre dann also wohl noch sein Kind dran. Sorry Lisaac-Junior.
"Heute ist der letzte Tag für den Wintermarkt. Wollen wir dort zusammen hin? Isaac war ja auch noch auf keinem dieses Jahr", schlug Lisa vor, strahlte erst uns und dann ihre groß Liebe an.
Noch ein Weihnachtsmarkt? Wintermarkt? War das nur eine Ausrede um den Verkäufern mehr Zeit zum verkaufen zu geben?
Begeistert war ich nicht, aber mit den ganzen Attraktionen, die Lisa ausprobieren wollen würde, würde ich das Monster erstmal vom Hals haben - immerhin erklärte sie mir, dass es sich um etwas Jahrmarkt-ähnliches handeln würde. Also nickte ich nur und sah Vishous an, welcher auch nur nickte.
"Na dann", meinte Lisa und lächelte breit, spazierte schon halb wieder raus, als wir uns anzogen.
Vishous als Freund zu haben war schonmal etwas ganz anderes. Jede freie Sekude versuchte er Küsse auf jedem auch nur erreichbarem Körperteil zu verteilen. Seine Hand suchte stetig nach meiner, wenn die beiden Turteltauben vor uns mal nicht aufpassten. Ich konnte es nicht anders beschreiben, aber irgendwie war ich glücklich.
Ich hob den Kopf und konnte jedes mal sofort in diese engelsblauen, strahlenden Augen sehen, die so warm und liebevoll zurück in Meine starrten.
Das Gefühl, das mich dabei durchfuhr, brachte mir immer zu eine Gänsehaut ein.
Doch noch war das alles nur ein Experiment für mich.
Ein 'Mal schauen'-Experiment.
Welches mir langsam gefiel.
"Lynel?"
Ich schreckte zusammen und blinzelte Vishous an, der auf Isaac zeigte. Er hatte meine Hand losgelassen, so dass die beiden nichts merkten.
Isaac sah schmunzelnd mit Lisa im Arm zu mir. "Wie wärs mit dem Riesenrad?"
Er sah mich herausfordernd an.
Ganz automatisch griff ich in meine Tasche. Aber da waren keine Tabletten. Ich schluckte schwer, blieb stehen.
Als ich merkte, dass Vishous besorgt zu mir sah, schüttelte ich schnell den Kopf. ."L-lieber nicht. Mir ist ein wenig schlecht", brachte ich endlich schnell die Lüge heraus.
'Ein wenig' war kein Ausdruck, ich wäre lieber gestorben als auf dieses Ding zu gehen.
Isaac hob beide Augenbrauen, sagte zum Glück jedoch nichts.
Vishous öffnete den Mund doch Lisa gab ihm nicht mal eine Chance auch nur irgendwas beizutragen. Sie streckte mir die Zunge raus, hakte sich bei beiden an und zog sie zur Schlange.
Vishous war nicht gerade begeistert davon, aber Lisa ließ ihn nicht los. Undso stellten sie sich in die Schlange.
Erneut seufzte ich, wie wohl heute schon den ganzen Tag.
Mir wurde kalt - und jetzt konnte ich auch noch fast eine halbe Stunde auf die Drei warten.
Sofort schwörte ich darauf, niemals wieder auf so ein Fest oder so eine Veranstaltung zu gehen. Niemals.
Ich packte die Hände in meine Jackentaschen und vergrub das Gesicht in meinen Schal. Es lag zwar schon längst kein Schnee mehr, doch die beißende Kälte blieb. Und ich war absolut nicht erfreut darüber.
Gelangweilt durchsuchte ich meine Taschen nach etwas anderem, als meinem Handy und fand absolut nichts, abgesehen von den paar Scheinen und Tempos die ich eingepackt hatte. Toll.
Mein Blick wanderte wieder rüber zu dem Riesenrad und geradewegs zu der Gondel, in die meine so genannten Freunde gerade eingestiegen waren.
Isaac winkte mir von weitem zu - und ich hatte nicht vor, diese Geste zu erwidern. Wie erkannte er mich überhaupt über diese Entfernung?
Ich sah zu Boden und grummelte vor mich hin, als mein Handy vibrierte und ich es schnell aus der Tasche holte. Eine Textnachricht von Isaac leuchtete auf.
Dieser Blödmann.
Ich war gerade erst zehn als ich zum ersten Mal wegen meiner Höhenangst zum Psychologen musste. Mein Lehrer hatte sich voller Besorgnis darüber beschwert, dass ich mich nicht mal zwei Stufen auf das Klettergerüst traute.
Damals hatte ich schon mehr Angst davor, nur zwanzig Zentimeter zu fallen, als jedes andere Kind, dass sich schon im Schwimmbad voller Freude vom zwei Meter Turm stürzte.
Ich war eben nie wie jedes andere Kind. Doch das war okay für mich.
Es vergingen viele Jahre in denen Mr Miller mich nicht einmal ansatzweise zu größeren Sprüngen verleitete. Und das war okay. Ich wollte mich auch gar nicht entwickeln. Alles war gut, so wie es war.
Ich lernte Isaac gleich zu Beginn kennen. Er war immer im Wartezimmer um uns 'aufzumuntern'. Bei mir hatte das jedoch nie geklappt.
Eher hatte er das Gegenteil verursacht.
Doch auch wenn er, als er später die Praxis übernommen hatte, mich selbst einmal behandelte, schaffte er ebenfalls keine nennenswerte Durchbrüche. Isaac ließ jedoch nicht nach.
Und so entwickelte sich langsam der Hass, dorthin zu gehen. Vielleicht hatte ich es nie wirklich richtig versucht, doch das ganze Psychologen-Zeug kam mir schon immer so eigenartig vor.
Konnten wir nicht einfach Tabletten schlucken und versuchen, glücklich zu sein? Ich brauchte keinen unnötigen Stress, den ich durch Höhen erlangte.
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SIE HABEN 1 NEUE NACHRICHT.
Isaac, 15:03:
Trau dich endlich.
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Ich konnte mir schon denken welcher "psychologische Ausflug zu meiner Seelengesundheit" in Verbindung mit dem "Lynel in unangenehme Situationen bringen", als nächstes anstehen würde. Und Isaac würde damit auf keinen Fall, jemals - auch nur ansatzweise - durchkommen!
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