12: Schleimige Giftschlangen
Küssen oder doppelt Trinken. Wenigstens hatte man die Wahl. Aber wenn man schon kaum sitzen konnte vom ganzen Alkohol, wurde es brenzlig mit den Mengen, die man sich noch runterkippen konnte.
Und ich hatte eindeutig genug.
Glücklicherweise kam ich auch erstmal nicht dran. Lisa durfte als Einzige und Erste die Ehre haben, mit jeder Person, die die Flasche zu schwenken hatte rumzumachen- aber SO ganz abgeneigt von all den Personen war sie auch nicht. Zumindest sah es nicht danach aus.
Nur einmal, um einen Millimeter, als hätte sie sich zu langsam gedreht, war plötzlich die Flasche auf mich gerichtet.
Durch die ganze Verwirrung und Erstaunniss, merkte ich gar nicht, wie Vishous sich genauso plötzlich über mich lehnte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er dran war.
Geschweige denn, konnte ich mich auch nicht daran erinnern, dass Vishous zuvor von jemanden hier geküsst worden war. Oder ob er getrunken hatte.
Er konnte nur getrunken haben - er hielt anscheinend ja wirklich viel mehr aus als ich dachte.
Oh fuck, der Alkohol hatte mich schon längst erreicht.
Aber ich konzentrierte mich wieder auf Vishous. Oder musste es eher ungewollt tun. War gezwungen, gefangen, von seinen fesselnden Augen.
Sein Atem roch stark nach Alkohol, weswegen sich meine Annahme bestätigt hatte, dass er die ganze Zeit nur getrunken haben muss.
Da meiner aber genauso schlimm roch, störte mich dieser Fakt nicht.
Eher sein Näherkommen beunruhigte mich. Lisa sah uns mit fast beleidigtem Blick zu. Wieso denn?
Und bevor ich irgendetwas machen konnte, küsste er mich schließlich; lang, energisch, intensiv, heiß, verlangend.
Ich schluckte stark in den Kuss, als mir ein Keuchen entwich und sich meine Sinne trübten.
Schnell war ich aber wieder dabei mich zu lösen, wollte ihm gerade ein giftiges Wort aus meinen Lippen werfen, als er mich wieder küsste.
Er küsste unglaublich gut.
Erst als ich all meine Kraft aufwand, um ihn von mir zu stoßen, löste er sich wieder.
Alles war still, bis der Erste loschrie.
"Ha! Gay!", einer von Alys Freunden ertönte am lautesten und lachte sich halb tot.
Vishous hatte, unberührt von diesen Worten, ein fettes Grinsen auf seinem Gesicht und lehnte sich entspannt zurück, striff dabei meine Hand. Scheiß Ar-
"Sorry Lynel, war nur ein Experiment," er wand sich um," wer will als nächstes?", raunte er zu den Mädchen.
Noch ein Zwinkern,
so brachte er alle zum kreischen.
War das grade wirklich passiert?
Ich zuckte mit dem Auge.
Hatte er das wirklich gesagt?
Gerade hatte er sich praktisch vor aller Öffentlichkeit geoutet, wobei ich eindeutig das Opfer war, und nun tat er wieder auf hetero? Experiment? Was für ein Experiment?
Grummelnd sah ich ihn an, wurde dann aber sofort von Lisa erinnert, dass ich die Flasche drehen musste - also gehorchte ich seufzend. Vielliecht verlor ich so schneller an Aufmerksamkeit und konnte schnell weg, nachdem ich die Doppelten unten hatte - die Wahrscheinlichkeit einen Jungen zu treffen war ja so ziemlich am höchsten.
Die Flasche drehte und drehte sich, wie in Endlosschleife.
Sekunden vergingen.
Sie kam langsam zum Halt.
Ich atmete auf und hob den Blick.
Oh fuck, auf keinen Fall.
Jetzt fiel mir auf, dass seine Taktik gar nicht so dumm gewesen war. Natürlich war er nur darauf aus gewesen, mit mir ganz offen rummachen zu können. Warum er mir sogar den Gefallen tat, es nicht gleich laut raus zu posaunen, wie sehr ich ihn anmachte, wusste ich nicht.
Wow, das kam wirklich aus meinen Gedanken.
Ugh.
Ich schüttelte mich. Nun konnte er jedoch dem ganzen schön ausweichen und seine 'männliche Ehre' bewahren, während ich zwischen einem Dilemma gefangen war;
Küss die widerlichste Tussi der ganzen Uni oder nimm an, dass du jetzt für alle schwul bist.
Oh, auf keinem Fall.
Vishous hatte bestimmt hier irgendetwas manipuliert.
Ich sah es in seinen Augen, die mich immer zu nur zum schwächeln brachten.
"Was ist los? Bist du etwa der Schwule hier?", grinste Alys Kumpel.
Wo schafften die 'Beliebten' es, sich immer solche 'Freunde' herzuholen? Egal ob männlich oder weiblich; Muskelprotz, iq - Erdnuss.
Mehr brauchte es wohl wirklich nicht um seinw Bestätigung zu bekommen.
Zum Glück half mir Lisa dabei, meine Hetereosexualität zu beschützen.
Dabei lenkte sie jedoch meine Wut auf sich.
"Er plant gerade nur, in welches Lovehotel er sie später bringt", protzte sie raus und boxte mir in die Schulter.
Ich rollte mit den Augen.
Also hätte ich nun eine andere Wahl.
Mein Blick fiel auf Vishous, der mir mit seiner Geste sehr klar machte, dass ich einfach doppelt trinken und damit leben sollte.
Das konnte er so was von vergessen.
Ich zog Aly grob zu mir und schob meine Lippen auf die Ihren, mit Lippenstift vollgeschmierten, fast monströs aufgeplumpten. Meine Zunge fand ihren Weg in ihren widerlichen, schleimigen, nach Minze schmeckenden, Mund, wo ich versuchte, mich einerseits nicht zu übergeben und andererseits all meine wenige Erfahrung in diesen Kuss zu stecken.
Ich wusste gar nicht, wie lange diese Züngelei angehalten hatte, bis ich endlich die neidischen Flüsterer und das Pfeifen des Beifalls hörte.
Ich hätte einen versifften Boden ablecken können und das Erlebnis wäre weitaus schöner gewesen.
Aly ging es anscheinend gar nicht so, denn sie sah mich an, als hätte ich kurz vor ihrem Orgasmus aufgehört.
Der Gedanke erschütterte mein Innerstes. Ich wollte gar nicht wissen, ob sie dabei wirklich so aussah.
Ihr Kumpel klopfte mir mit Stolz auf die Schulter, wie um zu sagen 'gut gemacht, willkommem zurück im Club'.
Ich legte ein falsches, triumphierendes Lächeln auf und rutschte von Aly weg, die viel zu paralysiert war, die Flasche zu drehen, weswegen es Lisa für sie tat.
Dieses Mädchen hatte den Award für 'Allerbeste Freundin ever' verdient.
Da nun also alle Leute damit beschäftigt waren, zu sehen, wie sie jetzt Lisa einen Kuss gab, da es natürlich sie getroffen hatte. Ich fragte mich, ob sie es absichtlich so gedreht hatte, damit wir uns später darüber unterhalten konnten, wie widerlich es war, sie zu küssen.
Warum die Jungs da wohl nicht 'gay' schrien, sondern eher ihre Kameras zückten? Hm.
Letztendlich schaffte ich es, den Blick etwas zu heben und traf dabei direkt auf Vishous kalte Augen. Er sah beleidigt aus. Mehr als das. Traurig.
Genauso gefiel mir das.
Mit einem Schaudern streckte ich ihm die Zunge raus und nippte an meinem Mischgetränk, während die anderen weiterspielten. Vishous schien plötzlich etwas übermotiviert weiter zu machen, aber ich hatte keine Lust mehr.
Ich gab Lisa den Blick, der hieß, dass jetzt Beste-Freunde-Klopause war. Nein, das hatte ich nicht erfunden. Genaugenommen war es auch eher ein 'Krisen-Meeting. Jetzt.'-Blick.
"Und, wie küsst sich die Giftschlange so?", scherzte ich, als ich mich gegen das Waschbecken lehnte, während Lisa es sich auf dem geschlossenen Toilettensitz bequem machte.
"Als würde man ein verdautes und wieder ausgekotztes Minzbonbon ablecken. Ein Hauch Rose von ihrem fünflagigem Lippenstift war auch dabei." Sie sah zu mir hoch.
"Dein erster Testlauf? Hat es sich gelohnt sie zu küssen, um weiter zu verheimlichen, dass du eigentlich stockschwul bist?"
Ich verschluckte mich und keuchte die gesamten 3 vergangenen Schlücke meines Getränks auf den weißen Samtteppich aus, der das ganze Bad ausfüllte.
"Ich bin nicht schwul", gab ich empört von mir, nicht wirklich bedacht, wie mein Glas den Teppich nun leicht braun färbte.
Sie sah mich an, als hätte sie mich nach jahrelanger Ermittlug endlich enttarnt.
"Nein", wiederholte ich und schüttelte heftig den Kopf.
Lisa zog eine Braue hoch und fuhr mit ihrem Zeigefinger den Rand des Glases entlang.
"Vishous hat sich davor geweigert jeden zu küssen. Und nachdem du Aly geküsst hattest, hat er dich so angesehen." Sie stoppte und schnippte gegen das Glas, was es leise zum klirren brachte.
"Sag mir doch wenn du jetzt auf Männer stehst! Letzten Monat waren echt süße Jungs im Club! Ich hätte dir einen aufgerissen!"
Ich atmete tief durch und schlug mir die Hand gegen den Kopf.
"Mein Gott Lisa! Ich bin nicht schwul!"
Zum Glück war die Musik laut genug, um das zu übertönen.
Sie sah mich skeptisch an.
"Sonst hätte ich keine Halblatte okay?", versuchte ich mich weiter zu verteidigen.
Genaugenommen war das während und kurz nach Vishous passiert, aber betrunken brauchte das eine Weile, bis es wieder runter kam.
Wenn sie nachgucken wollte, hatte ich kein Problem damit.
Jetzt wo ich darüber nachdachte, war die Idee doch nicht so gut gewesen.
"Warte. Ernsthaft? Von Aly? A L Y? Sicher dass du nicht gerade irgendwelche Erscheinungen hast? Musst du ins Krankenhaus?!"
Ich schluckte.
"Naja, sie hat ja schon was zu bieten", meinte ich schulternzuckend. Ihr ganzes "Fett" verteilte sich ja auch nur auf Hintern, Brust und Lippen - falls es bei letzterem möglich war.
"Bist du krank!? Hat sie dir was ins Getränk gemischt?!" Lisa versuchte mehr als besorgt, mir das Glas wegzunehmen und daran zu riechen, bevor sie es wegkippte. Danach legte sie mir die Hände auf die Wangen und schüttelte meinen Kopf, ehe sie drei Finger vor mein Gesicht hielt.
"Wie viele Finger siehst du?"
"Hmmmm."
"Verarsch mich nicht Lynel, ich mache mir ernsthaft sorgen, ob du gleich umkippst und sie dich in ihren Sexdungeon zieht, wo du dein ganzes Leben als Sklave verbringen musst", meinte sie hysterisch.
Ich verkrampfte mir ein Lachen.
"Zwei", log ich mit komplett ernster Miene.
Da ich wusste, dass sie mir kein Wort über Aly oder meine Sexualität glauben würde, versuchte ich es nun eben auszunutzen und einfach mitzuspielen.
"Doot. Das heißt 0 Punkte für Lynel und ab nach Hause mit dir!", meinte sie und schob mich aus dem Bad, geradewegs zu Vishous, der bei Flaschendrehen nicht mehr mit zu machen schien und nun auf der Couch saß und auf unbeeindruckt tat, während ein paar Mädchen praktisch vor ihm strippten.
Als er uns - oder mich - sah, stand er auf und sah zwischen mir und Lisa hin und her, als sie zu sprechen begann;
"Lynel ist durch, er muss eindeutig nach Hause", erklärte sie mit vollem Ernst. Wenigstens kam ich so auch noch früher nach Hause als geplant.
"Kein Problem, habe hier so wieso nichts zu tun. Soll ich dich mitnehmen? Danach wieder herkommen?"
Vishous sprach komisch. Oder kam es mir nur so vor?
Mit einem Schubser landete ich in Vishous Armen, der mich stützte, obwohl ich eigentlich keine Hilfe beim laufen brauchte. Lisa winkte uns hinterher - und gerade wollte ich etwas sagen, als Aly vor uns auftauchte.
Wie konnte ich nur darüber lügen, dass mir das gefiel? Sie sah noch schlimmer als vor dem Kuss aus.
"Gehst du schon?", fragte sie schmollend und legte die Hände an meine Hüften, ignorierte Vishous vollkommen.
Er jedoch schob sie - gott sei dank - gleich wieder weg.
"Aus Lynel bekommst du heute höchstens noch Kotze raus. Ich glaube die haben irgendetwas auf dem Bad genommen. Das solltest du mal kontrollieren", meinte er ruhig und Aly sah plötzlich mehr als geschockt aus. Versteckte sie dort Drogen?
Würde mich nicht wundern.
So gern ich ihre Reaktion auch miterlebt hätte, Vishous nahm mich plötzlich hoch in seine Arme und trug mich nach draußen, dort ein paar Meter weiter, wo er mich auf der Motorhaube eines fremden Autos wieder absetzte und sich über mich lehnte.
Die Musik dröhnte immer noch von drinnen.
"Dir geht es vollkommem fantastisch, habe ich recht?", murmelte er in mein Ohr und legte die Hände auf meine Oberschenkel.
"Ja, es ist fast schade, dass wir nicht bleiben konnten", hauchte ich leise und drückte ihn von mir. "Jetzt hör auf mich weiter anzuschwulen."
Vishous lachte leise auf und lehnte seine Stirn gegen meine.
Nicht nur meine Stirn war heiß.
Nun sah ich, dass sein ganzes Gesicht rot war.
"Hast du zuviel getrunken?", flüsterte ich und legte meine Hand wie selbstverständlich an seine Wange, um seine Temperatur besser fühlen zu können.
"Du bist heiß."
"Ich weiß", raunte er und leckte über meine Lippen, mit dem Versuch mich zu küssen.
Ich rollte mit den Augen, drehte dabei den Kopf weg und drückte ihn wieder ganz von mir.
"Soll ich ein Taxi rufen?"
Vishous ließ sich seufzend neben mir nieder und lehnte den Kopf auf meiner Schulter ab, was ich für ein 'Ja' hielt.
Also rief ich gleich eins.
"Wie spät ist es?"
"Kurz vor null."
"Erst?"
"Wir haben von Nachmittag an reingetrunken, Vishous", entgegnete ich.
"Eigentlich ist es auch gut so."
"Das Reintrinken? Was meinst du?", fragte ich und drehte den Kopf zu ihm.
Ich hörte ihn etwas ganz leise Flüstern, ehe er wieder lauter sprach.
"So kann ich es dir ganz persönlich sagen", begann er
und presste seine Lippen gegen Meine,
als die Kirchenglocke ertönte und die erste Rakete hochging.
"Ich liebe dich.
Frohes Neues, Lynel."
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