10: Merry Vishmas (2)
Ich wurde erst wieder wach - oder eher geweckt - als die Geschenke verteilt wurden. Gähnend setzte ich mich auf und rieb mir die Augen.
"Ist der Prinz auch endlich wach?", hauchte Vishous neben mir und ich sah zu ihm auf. "Du hättest mich auch früher wecken können.."
Vishous grinste und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Dann hätte ich jetzt kein süßes Bild von dir, wie du in meinen Armen schläfst."
Ich lief rot an und boxte ihn. "Lösch das sofort!", befahl ich und wollte mich schon auf die Suche nach seinem Handy machen, als mein Onkel meinte, wir sollten aufpassen, wen meine Tante aufrief, um die Geschenke zu bekommen. Sie verteilte sie jedes Jahr.
Vishous lachte leicht und wuschelte letztendlich durch mein Haar, dass er gerade eben doch gerichtet hatte. Ich wollte protestieren, doch schon wurde ich aufgerufen und meine Tante gab mir einen Umschlag und ein kleines Päckchen. Ich bekam meistens nur Geld, weshalb ich es komisch fand, etwas Materielles zu erhalten. Ich wollte das Papier schon zerreißen, da hielt sie mich schon auf.
"Das machst du lieber alleine", lächelte sie und strich mir sanft über den Rücken. Ich mochte ihr verhalten nicht, doch legte ich es auf meinem Schoß ab. Wenn das ein Scherz sein sollte, würde ich wohl so etwas wie Kondome oder einen Vibrator darin finden. Ich seufzte und sah auf, als gerade Vishous dran war. Natürlich hatten sie an ihn gedacht. Ich schmunzelte bei seinem sprachlosen Ausdruck und stand auf um mein Geschenk für ihn zu holen. Ich hatte ihm einen Pulli besorgt. Ich wusste einfach nicht, was ich ihm sonst hätte schenken sollen.
"Frohe Weihnachten", wünschte ich ihm lächelnd und drückte ihm das Verpackte in die Hände. Er lächelte mich breit an. Wie ein kleines Kind. "Danke!"
Vishous packte die Geschenke noch nicht aus, sondern meinte, er spare sich das für später, in Ruhe. Also folgten noch die weiteren Geschenke an meine Familie, meine Tante bekam einen Mixer, für ihre neue Sucht nach grünen Smoothies - die meiner Meinung nach ganz scheußlich schmeckten -, der Rest eher normale Sachen, die so jeder an Weihnachten bekam; Schmuck, Filme und Süßigkeiten.
Ich fühlte mich immer gleich gut, wenn ich alle so lachen sah. Ich vermisste sie manchmal, aber ich konnte ja alle in den Ferien immer besuchen. Wenn ich mal Zeit oder Motivation fand. Immerhin war das mit dem Zug etwas ganz anderes.
Der Abend verlief nun etwas ruhiger, bis letztendlich der letzte Gast das Haus verlassen hatte und meine Tante uns ins Gästezimmer brachte. Welch Ironie: Es gab natürlich wieder nur ein Doppelbett.
"Dieses mal teilen wir aber von Anfang an, ja?", Vishous warf den Haufen an Geschenken aufs Bett, der ihm heute überreicht worden war. Ich freute mich für ihn. Jedes mal, wenn er einen Blick auf die bunten Päckchen warf, leuchteten seine Augen voller Vorfreude - eben wirklich das kleine Kind, dass endlich Weihnachten erleben durfte.
"Nur wenn du dich benimmst."
Ich fragte mich, ob ihm seine Familie heute fehlte...
"Ich benehme mich immer! Ich bin per~fekt!"
Kopfschüttelnd, leicht schmunzelnd, legte ich den Brief weg und setzte mich auf den Bettrand um das Päckchen zu öffnen.
Diesmal behutsam zog ich die Schleife ab und zerriss das Papier an der Faltlinie. Meinem Blick eröffnete sich die Rückseite eines Bilderrahmens. Etwas, dass ich nie im Leben erwartet hatte. Warum schenkte sie mir einen..ein..
Meine Augen weiteten sich, als ich den Rahmen umdrehte und nun das Bild anstarrte. Ich drückte den Holzrahmen sofort an mich, als schon die ersten Tränen kullerten und ich einmal wohl zu auffällig aufatmete, da Vishous sich mit womöglich besorgtem Blick vor mich lehnte.
"Hey.. alles okay?", fragte er flüsternd und nahm mich in den Arm, als ich nur aufschluchzte. Er war so warm.
Ich vergrub das Gesicht an seiner Brust und biss stark auf meine Unterlippe. Ich wollte nicht mehr weinen. Zuviel hatte ich schon darüber geweint. Stundenlang, über Tage, Monate. Jetzt kam alles wieder hoch.
Es war so ein kleines Geschenk und doch bedutete es mir plötzlich alles.
"Sh", murmelte Vishous und streichelte mir immer wieder über den Rücken. Aber ich konnte nicht aufhören; erst als meine Augen ganz ausgetrocknet waren, kamen keine Tränen mehr - doch ich schluchzte leise weiter.
Eine halbe Ewigkeit später konnte ich einfach nicht mehr. Ich war zu erschöpft um meinen Frust weiter freien Lauf zu geben. Viel zu müde.
Ich setzte mich etwas auf und sah zu Vishous. Ich erkannte ihn kaum durch das inzwischen dunkle Zimmer. Wer hatte das Licht aus gemacht?
"Es.. geht wieder", murmelte ich und drückte mir ein Lächeln auf, dass nur ich spüren konnte. "Danke."
Seine Hand striff meine Wange. "Vielleicht sollten wir jetzt schlafen", erwiderte er. Seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum hörte. Vielleicht lag es auch an mir.
Ohne weitere Worte legte ich mich neben ihn und zog die Decke bis zu meinem Kinn, den Bilderrahmen immer noch in meinen Armen und an meine Brust gedrückt.
Ich hörte noch Vishous etwas murmeln. Dann weiche Lippen an meiner Schläfe -
und schließlich wurde es still.
Es war eine kurze Nacht gewesen. Zumindest hatte es sich so angefühlt, nachdem meine Tante uns schon zum wahrscheinlich dritten Mal versuchte, zu wecken. Wir hatten also nachzugeben und endlich aufzustehen.
Gähnend rollte ich mich auf die Beine, stellte den Rahmen auf dem Nachttisch ab und sah dann zu Vishous, der überhaupt nicht hoch kam. Also konnte ich zuerst in Ruhe duschen - er würde immer hin noch eine Weile brauchen.
Wie befürchtet traf ich im Schlafzimmer also wieder auf ihn, wie er immer noch da lag.
"Hey, Vishous.. du musst aufstehen", flüsterte ich ihm zu und bekam als Antwort nur ein "Mh-Mh" zu hören.
Ich seufzte leise und machte mich auf in die Küche, wo das inzwischen kalte Frühstück nur so auf mich wartete.
"Na wenigstens einer frühstückt mit mir", bemerkte meine Tante und klopfte auf den Stuhl neben ihr. Mein Onkel schlief also auch noch.
Dass ich halbnackt war, störte sie aber keineswegs.
"Der Weihnachtsmarkt ist nur noch heute, aber Abends ist es fort am schönsten.. -"
"Also kann ich dir im Haus helfen", beendete ich ihren Satz.
Sie lächelte und schlürfte ihren Kaffee runter.
"So ein guter Junge", lobte sie mich und holte dann noch die Dose mit den Keksen, die von gestern übrig waren.
Das würde ein langer Tag werden.
"Sicher, dass du nicht länger bleiben wolltest?"
Vishous fragte mich das schon zum fünften Mal. Und wie jedes Mal zuvor, schüttelte ich den Kopf.
"Lass uns den Markt ansehen und dann nach Hause", brummte ich.
Schon von Weitem sah man die Lichter. Grell und bunt. Eine riesige Traube an Menschen, die sich durch den Gegenverkehr an Menschen drückte. Hätte meine Tante Vishous nicht so neugierig gemacht, wäre ich nie hierher gekommen. Zumindest nicht freiwillig.
Nichts hier war freiwillig.
Das erste, was einem - und Vishous - wohl auffiel, war das Riesenrad. Natürlich war ich nicht so begeistert davon, sondern verspürte eher den Drang eine neue Packung Tabletten aufzumachen. Ich hatte in den letzten Tagen keine gebraucht, aber dieses Monstrum zwang mich förmlich in die Knie.
"Hey, willst du Punsch?", fragte Vishous und brachte mich damit glücklicherweise auf komplett andere Gedanken. Er deutete auf einen kleinen Stand, an dem nur eine kleine Schlange wartete.
Nickend zog ich ihn gleich mit und stellte mich an. "Aber nichts für dich. Du fährst."
"Wir können uns auch ein Hotel nehmen-"
"Wenn du nicht leise bist, fahre ich gleich mit dem Taxi und lasse dich nicht mehr rein."
"Gemein", murrte er und kaufte mir ein Glas. Und trotz meiner Warnung und all dem, nahm er einen Schluck, ehe er mir das heiße Getränk überreichte.
"Indirekter Zungenkuss", flüsterte er und leckte sich grinsend über die Lippen.
Ich rollte mit den Augen, drehte das Glas und nippte von der anderen Seite. Vishous' Ausdruck war göttlich. Fast schon, als hätte ich ihn betrogen. So ein beleidigter Blick, der aber irgendwie süß aussah.
Ich lachte leicht.
Er legte einen Arm um mich.
"Du bist zu süß, um dir böse zu sein", stöhnte er mit einem genervten Unterton.
Diesmal lehnte ich mich sogar etwas an ihn. Es fühlte sich behütet, wohlig an. Als gäbe es die ganzen Menschen gar nicht mehr. Als wären wir hier alleine.
"Danke." Das Wort platzte einfach aus mir raus.
Vishous' Augen wanderten über mein Gesicht.
"Für den Punsch? Kein Problem."
"Nein", ich redete ganz leise, "für letzte Nacht."
Ich hob die Mundwinkel.
Vishous schmunzelte und drückte mich fester an ihn.
"Wenn du reden willst...", begann er, "Ich bin da. Ich werde immer für dich da sein. Solange du mich nicht rauswirfst."
Seine Worte wurden immer schneller, weswegen ich den letzten Satz kaum verstand.
Das machte nichts; ich war glücklich, Vishous machte mich glücklich.
Schließlich lächelte ich jedoch nur und nickte.
"Lass uns nach Hause gehen, einen Film gucken oder so?", schlug ich vor.
Das passte mir viel mehr, als das immer näher kommende Riesenrad.
"Netflix & chill?"
"Was hältst du von einer Dokumentation über Weihnachtsmärkte und Kakao?"
Vishous seufzte.
"Na gut. Aber irgendwann Netflix & chill ja?"
"Nur über meine Leiche."
"Das sagst du jetzt."
Ich drückte seinen Arm von mir und jagte den Punsch immer weiter meine Kehle runter.
"Ja - und falls ich jemals meine Meinung ändere, kannst du dir sicher sein, sage ich dir Bescheid."
"Jemals heißt nicht niemals!", grinste er triumphierend und ich schüttelte nur den Kopf. So ein Idiot.
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