1: Willkommen im Himmel?
Ein ferner Blick auf den Skilift hatte meine Beine schon zum zittern gebracht. Mir wurde schlecht und ich fühlte mich, als würde ich gleich zusammenbrechen.
Ich wollte gar nicht versuchen aufzustehen, als der Bus vor dem Resort hielt. 'Erholung und Spaß im Schnee'. Ich schnaubte und klappte das Buch auf meinem Schoß zusammen. Das unwillkommenste Schild, dass ich mir je hätte vorstellen können, ragte vor dem Eingang und überall fanden sich große Menschentrauben. Ich glaubte, langsam entwickelte ich auch noch eine Phobie vor Menschenmassen.
"Kommst du Lynel?', fragte Jason, welcher, mit mir, einer der letzten im Bus war.
„Eh - ja, klar."
Ich stand auf und war erleichtert, als meine Beine nicht nachgaben. Mit einem tiefen Seufzer, fuhr ich mit der freien Hand in meine Hosentasche. Zum Glück hatte ich Beruhigungstabletten dabei.
Meine Lebensretter.
Als ich aus dem Bus trat, blies mir der kalte Wind entgegen. Mein Dad hätte gesagt, es wäre "perfektes Skiwetter". Natürlich hatte er mir auch voller stolz beigebracht zu fahren - für mich aber nur gut, solange ich hochlaufen konnte und nicht den Lift nehmen musste. Genaugenommen wurde ich schon therapiert, seit ich sechs war.
Nur war mein Therapeut, welcher mit dem Rest meiner Familie komplizierte, freundschaftliche Beziehungen hatte, im Moment für ein Jahr nach Afrika gereist und so konnte ich mein 21. Lebensjahr fast vollkommen frei bestreiten.
Doch waren bis jetzt meine größten Erfolge mit meiner Höhenphobie, einzig und allein einen wackeligen Aufzug zu fahren und auf einer riesigen Brücke zu stehen. Obwohl ich danach jedes mal zusammengebrochen war.
Darüber reden wir nicht.
Solange ich nicht hinsah und nicht zu viel darüber nachdachte war alles okay. Das redete ich mir zumindest von Zeit zu Zeit ein.
" Lynel? ... Lynel!", Jasons Rufe schreckten mich aus meinen Gedanken heraus und ich nahm schnell meine Tasche aus dem Stauraum des Reisebusses, in welcher ich auch gleich mein Buch verstaute. "Schon unterwegs", meinte ich knapp und folgte nun endlich dem Rest zur Rezeption des Resorts. "Sicher das alles okay ist?", fragte er mich zum hundertsten Mal und ich nickte nur mit einem leicht angedeuteten Lächeln. Abgesehen davon, dass ihr mich hierhin geschleppt habt, ist alles okay. Im Resort selbst sah es sogar gar nicht mal so schlecht aus. Die Schilder an der Wand wiesen auf eine Sauna, ein kleines Schwimmbad, eine Bar und ein Restaurant hin. Das ganze Ski-Zeug verlief in einer anderen Hütte.
Trotzdem waren hier eindeutig zu viele Menschen.
Viel zu viele Menschen.
Das ungute Gefühl wurde nicht besser, als ich die Massen an ratlosen Gesichtern in der Lounge saßen sah. Koffer und Jacken in der Hand, meist in unwilliger Diskussion mit ihrem Gegenüber.
Zum Glück hatten diese Vollidioten reserv- "Aber ich habe reserviert!", fuhr plötzlich einer meiner Unifreunde die Frau am Computer an.
„Was ist los?", fragte ich stumpf und kam neben ihm nach vorne. "Sie haben einen Platz zu wenig weil wir 'zu spät' sind. Das waren maximal nur fünf Minuten die wir gebraucht haben um vom Bus hierher zu kommen!", grummelte er weiter.
„Und?"
Für einen Moment hatte ich an den guten Service eines so gut bewerteten Resorts geglaubt.
„Naja, einer von uns kann nicht mit uns in ein Zimmer", murmelte er seufzend. Sein Blick zeigte weniger unglückliche Emotionen, als ich mir erhofft hatte.
Ich seufzte ebenfalls einfach nur entnervt auf und sah die arme Frau an der Rezeption an. Sie war schon gänzlich überfordert und trotzdem half uns ihr entschuldigender Blick auch nicht weiter.
Anscheinend hatte sie schon einem anderen Urlauber einen Platz in dem Zimmer vergeben. Womöglich auch mit der Hoffnung, dass jemand aus der Gruppe spontan aussteigen wollte oder nicht mehr mitkommen konnte.
Es fühlte sich irgendwie unfair an, erst über mehrere Wochen zu diesem Trip überredet zu werden und nun wohl die einzige Person zu sein, die sich dazu zusammenreißen konnte.
Warum sie den ungebeten Gast im großen Zimmer nicht einfach mit jemand anderem zusammensteckten, schien mir jedoch ein Rätsel, welches zu banal für ein Drei-Sterne-Resort war.
Geschweige dessen fasste ich mir ein Herz und bereitete mich mental für den Abschuss vor.
Wenn ich schon nicht mit ihnen den Lift fahren und etwa 90 Prozent der Zeit so wieso nur hier rumlungern und Kakao schlürfen würde, könnte ich auch damit klar kommen, wo anders zu schlafen. Zumindest wollte ich nett sein und ihnen den Urlaub nicht kaputt machen.
„Okay, ihr könnt zusammen bleiben, ich gehe in ein anderes Zimmer", meinte ich geradezu heldenhaft selbstbewusst und alle sahen mich sofort dankend an.
„Naja, wir würden Sie dann in Zimmer 32 unterbringen. Wenn es für Sie okay ist?" Einfacher und schneller als gedacht war diese kleine Hürde also geklärt. Ich nickte nur und sie übergab mir die Schlüssel.
Die restlichen Schlüssel folgten und schließlich machten sich alle auf dem Weg ins Zimmer.
„Du kannst immer noch nachts zu uns schleichen und auf dem Boden schlafen", meinte Jason und klopfte mir auf die Schulter. Natürlich würden sie nicht teilen - und da klang ein eigenes Bett schon mal viel besser. Wenigstens hatte ich dann meine Ruhe.
Wir besprachen, dass wir uns zum Mittagessen unten treffen würden. Also hatten wir zwei Stunden um uns etwas umzusehen und alles in die Schränke in unseren Zimmern zu räumen. Eigentlich hatte ich nicht wirklich Hunger - nachdem ich den Lift gesehen hatte - aber ich konnte nicht gleich am ersten Tag so herausfallen.
Ich schloss mein Zimmer auf und sah mich um.
Warte, war das wirklich mein Zimmer? Ich guckte noch einmal raus und starrte die silberne 32 an der Tür an. Der 'Resort'-Teil des Skiresorts überwog hier auf jeden Fall. Ich warf meine Tasche Richtung Schrank und ließ mich auf das große Doppelbett fallen, nachdem ich die Türe geschlossen hatte. Jetzt wo ich hier war, kam es mir gar nicht mal mehr so schlimm vor, alleine zu sein. Naja. Nach einigen Minuten stand ich aber schnell wieder auf um meine Sachen in den Schrank zu packen. Ich nahm eine der Tabletten, aus der kleinen Dose in meiner Hosentasche und legte sie für später auf den Tisch, während ich mir schon halb das Shirt über den Kopf zog und letztendlich ins Bad ging. Duschen, ein Nickerchen machen, essen gehen; Der Plan hörte sich gut an.
Lächelnd marschierte ich also in das kleine Bad und huschte unter die Dusche. Mein Lächeln starb jedoch sofort wieder, als ich den riesigen Spiegel, direkt gegenüber der Dusche sah.
Wie sollte man sich auch erholen und entspannen, wenn man damit bestraft wurde, seinen Schwächlichen, mit Sommersprossen befleckten Körper ansehen zu müssen? Irgendwie war ich ja auch selbst Schuld, dass ich keine Muskeln hatte. Sport ist, war und wird immer Mord sein.
So behauptete ich es zumindest immer in meinen Gedanken.
Ich schreckte hoch als ich Schritte hörte, jemand die Tür aufschloss - ich konnte mich nicht einmal rechtzeitig bedecken, da ich nach der kurzen Dusche nur meine Boxershorts an hatte - und mich plötzlich zwei wunderschöne, eisblaue Augen anstarrten.
"E-eh", stotterte ich und zog schnell eines der Handtücher über meinen Körper. Wie ich nun recht spät bemerkte, war es ein Mann. Etwa in meinem Alter, aber sein Körper glich natürlich dem, eines Supermodels. Blöde Gene. "Ehm, hallo", grüßte mich der junge Mann lächelnd und sah sich um. "Wie's aussieht müssen wir uns das ganze hier jetzt teilen."
Ich war nicht gerade begeistert davon, dieses Zimmer teilen zu müssen. Vor allem nicht mit einem total Fremden in einem Bett zu schlafen! Inzwischen hatte ich mich schnell angezogen und beobachtete ihn, wie er seine Sachen in die andere Hälfte des Schrankes räumte. Ich musste zugeben, dafür dass ich auf Frauen stand, würde ich ihn anmachen - wenn ich mindestens bi wäre. War ich aber glücklicherweise nicht. Welcher Mann konnte aber auch Brüsten und heißen Kurven widerstehen? "Ach ja, ich bin Vishous, und du?", stellte sich plötzlich der Mann vor und lächelte mich an. Was ein komischer Name. "Lynel", entgegnete ich knapp. Nicht das mein Name normaler wäre. "Interessant, habe ich noch nie gehört." Sein Lächeln hatte irgendwas warmes, liebevolles; als wäre er durch und durch ein Engel. Seine Augenfarbe sprach auch dafür. "Einem 'Vishous' begegne ich heute auch zum ersten Mal." Er zog einfach nur wieder seine Mundwinkel hoch und begann damit, ein Lied vor sich hin zu summen, während er seine Sachen einfach kreuz und quer im Schrank verteilte. Es tat meiner Seele weh, diese Unordnung vor Augen zu haben; jedoch wollte ich mich nicht weiter beschweren, bis auf den Fakt, dass ich das Bett alleine bekam. Ich starrte eine Weile auf mein Handydisplay, bis ich merkte, dass es Zeit war. "Wir reden später nochmal über.. das hier", sagte ich kalt und deutete besitzergreifend auf das Bett. Vishous schmunzelte und nickte. "Ich schlafe garantiert nicht auf dem Boden." - "Ich auch nicht. Und auf keinen Fall mit einem Fremden in einem Bett!", erwiderte ich, ehe ich meine Schlüssel nahm, meine Schuhe anzog und aus dem Zimmer, Richtung Restaurant stürmte. Ich konnte schon spüren, dass es einen Krieg um das Bett geben würde.
"Hey, Lynel!" Jason winkte mich zu sich und grinste mich breit an. "Und? Ist dein Zimmer okay?" Ich zuckte leicht mit der Wange, aber ich wollte sie in dem Glauben lassen, das alles okay war. "Ja, klar. Ich habe es ganz für mich alleine", verkündete ich prallend und bekam einfach nur ein Schulterklopfen von ihm - wie immer. "Gutgut, wir wollen heute Abend gleich auf die Piste, bist du dabei?" Ich dachte einige Sekunden nach, ehe mir einfiel, dass ich meine Tabletten vergessen hatte. Ohne die würde ich mich nicht einmal in die Nähe des Lifts trauen. "Ehm, ich glaube ich stelle mich für heute nur an die Seite und trinke meinen Kakao", redete ich mich heraus und Jason nickte einfach nur, als würde er verstehen was mit mir los war. Das tat jedoch keiner. "Aber morgen machen wir ein Wettrennen, klar?", drängte er mich wieder und diesmal konnte ich nicht anders als zuzusagen. Mit meinem Dad als einstmaliger Champion war das aber auch kaum auszuschlagen. Irgendwie würde ich Jason schon überreden, nicht den Lift zu nehmen. Das Essen im Restaurant war gut. Dafür, dass ich so ziemlich alles in mich stopfen konnte - ganz egal was es war, war es aber auch ziemlich einfach. Nichts besonderes. Die Jungs redeten über ihre Skikünste und wollten die ganze Zeit Tipps von mir hören. Aber ich war nicht mein Vater, ich fuhr einfach, ohne darüber nachzudenken. Naja, wenn ich mal überhaupt im Winter rausging um Ski zu fahren.
Auf dem Weg zum Zimmer holte ich mir einen großen Becher Heißer Schokolade und nippte immer wieder daran. Jedes mal fluchte ich, da ich mich fast verbrannte, aber es schmeckte einfach zu gut! Angekommen entsinnte ich mich wo die Tablette lag und war ein bisschen genervt, als ich sie nicht fand. Vishous kam frisch geduscht, aber in vollem Aufzug einer Jogginghose und eines Winterpullis, aus dem Bad. "Suchst du was?", fragte er beiläufig und lächelte mich wieder so warm an. "Ich habe hier eine Tablette hingelegt, hast du sie gesehen?", fragte ich knapp und sah ihn an. Er war zum Glück nur ein paar Zentimeter größer, so dass ich meinen Hals nicht verbiegen musste um Augenkontakt zu halten. Er kratzte sich am Kopf und sah mich entschuldigend an. "Ich dachte sie war vom vorherigen Besucher und hab sie weggeschmissen, tut mir Leid." Ich seufzte und ging mir eine neue raussuchen. Wie sollte ich mit nur 20 Tabletten, zwei Wochen auskommen? "Tut mir Leid."
"Schon okay, kein Problen", versicherte ich und ich erhaschte einen Blick, wie er skeptisch auf das Döschen starrte. "Das sind keine illegalen Drogen, keine Sorge", lachte ich. Solange man nicht mehrere auf einmal nahm um wie ein Hippie vollkommen High in der Ecke zu sitzen. Zumindest benutzte ich sie nicht für diese Wirkung. Ich schluckte die Tablette mit der Heißen Schokolade runter und beantwortete seine Frage, bevor er sie überhaupt stellen konnte. "Im Eingangsbereich steht ein Kaffee- und Kakao-Automat." Er nickte lächelnd. "Hab den gar nicht gesehen - zeigst du ihn mir?" Ich überlegte einige Sekunden, ob ich einfach um ihn zu ärgern, nein sagen sollte. Schließlich nickte ich jedoch, da ich zu gutherzig war. "Klar, habe so wieso für heute nichts mehr zu tun."
"Super", erwiderte er und strahlte mich an. War er verheiratet? Ich wette, ihm liefen täglich die Frauen nur so hinterher. Er trug zumindest keinen Ring. "Können wir?", fügte er hinzu, als ich mich nicht in Bewegung setzte und ich nickte eifrig. Zusammen gingen wir also zum Automaten und ich wartete sogar mit ihm in der Schlange. "Hey, da ist frei. Setzen wir uns ans Fenster?" Ich schlürfte an meinem zweiten Becher und zuckte mit den Schultern - was so viel heißen sollte wie 'Von mir aus'. Immer noch mit diesem fetten Lächeln im Gesicht zog er mich dann einfach schnell zum Platz, bevor irgendjemand anderes ihn nehmen konnte. Kaum zu glauben, dass ich mich anscheinend gerade mit einem Typen anfreundete, den ich nur etwa eine Stunde kannte. Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass wir die perfekte Aussicht auf den Lift hatten. Zum Glück hatte ich die Tablette im Vorraus genommen. "Machst du hier alleine Ferien?", fragte er mich um Smalltalk anzufangen. "Ich bin mit meinen Unifreunden hier; aber du siehst wohl selbst wie voll es hier ist, also hat die Rezeption mich in ein Einzelzimmer abgeschoben. Und du?"
"Alleine hier. Genau genommen bin ich vollkommen spontan und ohne Reservierung gekommen", erzählte er und ich war von seinem Glück beeindruckt. "Wow, da hattest du ja echt Glück." - "Jup." Ich konnte nicht anders als zu Lächeln, als ich das hörte. Irgendwie klang es niedlich. "Was studierst du?", fragte er weiter und nippte an der Tasse. Seine Lippen waren mindestens genauso schön, wie seine Augen. "Uh eh, Deutsch auf Lehramt", ratterte ich herunter und er schmunzelte. "Lehrer? Hey, Check!", er hielt mir die Hand zum High-Five hin und ich schlug zögernd ein, "mit meiner LRS war Mathe praktisch die einzige Möglichkeit." Er war also nicht nur gut aussehend sondern auch intelligent.
Wir redeten so noch eine ganze Weile, bis wir uns langsam auf den Weg, zurück ins Zimmer, machten. Leider verstanden wir uns in Thema Bett nicht ganz so gut.
"Entweder schläfst du mit mir oder auf dem Boden", murrte Vishous, der sich nun auf dem Bett ausgebreitet hatte. Ihn schien es nicht wirklich zu kümmern, ob er sich nun ein Bett teilte oder alleine schlief; solange es bequem und warm war, war er zufrieden. Ich überlegte mir ehrlich, es einfach zu akzeptieren und mich neben ihm hinzulegen; jedoch schlug mein Gehirn Alarm und bittete sofort um den weit möglichsten Sicherheitsabstand, als ich Vishous so liegen sah. Warum konnte ich nicht normal sein und wie die braven Kinder im Schullandheim einfach neben jemandem schlafen, weil ich auch einfach nur schlafen wollte? Ich rieb mir die Schläfen und packte seufzend eine weitere Tablette aus dem Döschen. Sie würden mir eindeutig nicht reichen, wenn ich diese zwei Wochen irgendwie überleben wollte.
A*N
Oben könnt ihr Lynel sehen :)
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