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Ich bin über mich selbst überrascht, dass ich es schaffe, mich am Montagmorgen aus dem Bett zu quälen, um schnurstracks zur Arbeit zu radeln. Lucky muß diesmal warten, bis ich Feierabend habe. Mir fehlt heute morgen einfach die Motivation ihn auszuführen.
„Wow, so pünktlich heute!" Anerkennend schnellen Maras Augenbrauen in die Höhe. Ich beschließe sie einfach zu ignorieren und gehe an ihr vorbei in den Besprechungsraum.
Ich mache mir nicht die Mühe, ein Lächeln aufzusetzen, sondern murmele nur ein kurzes „Guten Morgen". Verlegen ignoriere ich die flammende Hitze, die mir in die Wangen schiesst, als ich Lucas Blick bemerke, der stirnunzelnd auf mir ruht. Die Tatsache, dass er mich nach meinem besoffenen Anruf wahrscheinlich kündigen wird, ist nicht der Grund für meinen Wunsch, mich augenblicklich in Luft aufzulösen. Vielmehr ist es das Gefühl, dass er etwas von dem peinlichen One Night Stand ahnt, in dem der Blind Date Abend für mich endete.
So sehr ich es auch versuche , ich kann mich nicht davon abhalten, seinen Blick zu erwidern. Dunkle Ringe liegen unter seinen Eisaugen und das markante Kinn wird von einem Dreitagebart verziert.Heute lehnt er nicht lässig wie sonst an der Tischkante, sondern steht mit seitlich herunterhängenden Armen da.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, deutet er auf die Stühle rund um den Besprechungstisch. „Setzt euch bitte."
„ Heute sogar mit Luna." Staunt Mara nochmals. Und Tim, ein ziemlich neuer Kollege nickt grinsend.
„Sie sieht aus, als ob sie das Wochenende durchgezecht hat," höre ich ihn sagen. Er macht sich nicht die Mühe die Worte leise auszusprechen. „Sie sieht furchtbar aus, wenn du mich fragst. Sieh dir nur die Ringe unter ihren Kulleräuglein an. Als wäre sie von den Toten auferstanden oder so," pflichtet Mara ihm bei.
„Ruhe!"Donnert Luca so unvermittelt, dass Mara einen spitzen Schrei ausstösst.
Stille senkt sich über die Anwesenden, bevor er mit der üblichen Emotionslosigkeit die Themen des Tages aufzählt.
Wie durch Nebel dringen seine Worte zu mir heran, aber ich kann mich nicht konzentrieren. Im Gegenteil, nur mit Mühe kann ich verhindern in einen verhängnisvollen Sekundenschlaf hinüberzudämmern.
„Das Wichtigste zum Schluss," erklärt er schliesslich mit ausdrucksloser Miene.
„Wie ihr wisst, wollen wir in Kürze ein neues Projekt starten." Er tritt zu dem Flipchart in einer Ecke des Raumes und ergreift einen Stift.
Angestrengt versuche ich, eine möglichst beteiligte Miene aufzusetzen.
"Unser Hazelwood" schreibt er auf das erste Blatt.
„Die Hazelwood Kampagne," seufzt Mara genervt.
„Morgen wird der Neffe des Geschäftsführers vorbeikommen, um uns die genauen Vorstellungen seines Onkels mitzuteilen. Er hat ein eigenes Marketinguntrenhmen und wird uns über die Firmen informieren, die in der Serie erwähnt werden sollen. Selbstverständlich erhalten wir exklusive Einblicke in die Unternehmen über die es sich seiner und unserer Ansicht nach zu berichten lohnt."
„Unsere Klientel liegt im Altersdurchschnitt bei 55 aufwärts." Gibt Mara zu bedenken. „Sicherlich sind die nicht sonderlich an den neuesten Start Ups interessiert. Und die paar Lokalunternehmen, die einen Artikel wert sind, könnte man auch selbst befragen."
Luca kneift die Augen zusammen und greift sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel.
„Ich habe kaum geschlafen, Mara", gibt er ungewohnt freimütig zu. „Stell meine Geduld also nicht unnötig auf die Probe, okay?"
Mara räuspert sich und betrachtet ihre langen spitzen Fingernägel. „Für dich bin ich ja eh nur die kleine dumme Tippse," murmelt sie beleidigt.
„Das wäre dann erstmal alles," erklärt Luca, ohne auf ihre Worte einzugehen. Wieder spüre ich seinen Blick auf mir ruhen. Noch vor ein paar Tagen hätte ich bei soviel Beachtung seinerseits irgendwo im siebten Himmel geschwebt. Jetzt fühle ich Nichts mehr als eine alles verschlingende, düstere Leere. Fast ist es, als wäre die Erinnerungslücke ein Teil von mir geworden, der alle Erinnerungen, die mir etwas bedeutet haben in sich aufgesogen und gelöscht hat, zusammen mit meinen unerwiderten Gefühlen für Luca.
Wie immer nehme ich mir die Mappe mit den Aufträgen, um ebenfalls damit in mein Büro zu gehen. Beim Gedanken daran, was er mir als Nächstes aufbrummen wird, verspüre ich den Drang, die Mappe in Stücke zu reissen und einfach davon zu laufen. Ganz weit weg. Aber die Welt funktioniert nicht auf diese Weise. Es ist unsere Aufgabe, Leid und Unglück zu ertragen, ohne unsere Mitmenschen etwas davon wissen zu lassen, wie es tief in unserer Seele aussieht. Schlimm genug, dass Audra die erbärmliche Wahrheit kennt. Und natürlich Jason. Hoffentlich hört mein Verstand bald auf , mir immer wieder sein Gesicht zu präsentieren.
Sobald ich das Besprechungzimmer verlassen habe, spüre ich eine Hand an meinem Unterarm. „Luna, würden sie bitte mit mir in mein Büro kommen?" Irritiert blicke ich in das eisige Blau von Lucas Augen.
Außer einem Nicken bringe ich Nichts zustande und folge ihm in sein großzügig geschnittenes Refugium.
Ohne den Blick von mir zu nehmen, lehnt er sich an die Kante seines Schreibtisches.
Ich starre an ihm vorbei auf die Landkarte direkt über dem großen Schreibtisch. Map of the United States. Lese ich wieder und wieder, um das aufgeregte Hämmern meines Herzens zu beruhigen.
„Ich nehme an, sie haben sich Freitag noch prächtig amüsiert?" Der Blick seiner Eisaugen bohrt sich in Meinen. Wortlos stehe ich da und versuche das Engegefühl in meiner Brust zu ignorieren, das mit jedem Atemzug unbarmherziger wird.
Verdammt, ich darf jetzt nicht an Jason denken. Darf nicht zulassen, dass ich wieder die Kontrolle verliere und meine Würde vernachlässige.„Ich habe ihnen den Artikel geschickt." entgegne ich schliesslich.
„Wie schön." Erwidert er kalt, bevor eine unbehagliche Pause entsteht.
„Ich habe versucht sie zu erreichen, " die Worte klingen gepresst, als hätte er sie mit aller Macht zurückhalten wollen.
„Ja. Ich weiß. Tut mir leid, dass ich nicht zurückgerufen habe."
Luca stösst sich vom Schreibtisch ab und macht einen Schritt auf mich zu. Meine Kehle wird trocken, doch ich spüre den vertrauten Stich in der Magengrube, als mir der Duft seines Aftershave in die Nase steigt. Du kleines Sexmonster, hallt Jasons Stimme in meinen Gedanken. Verzweifelt beisse ich mir in die Innenseiten meiner Wangen und fixiere den von Holzwurmlöchern übersäten Parkettboden.
„Ist irgendetwas vorgefallen?" erkundigt sich Luca ungewohnt sanft und beugt sich leicht herunter , wie um die Antwort auf meinem Gesicht abzulesen. Resigniert stelle ich fest, dass ich mich geirrt habe. Nichts hat sich geändert. Noch immer schlägt mein bescheuertes Herz viel zu laut in seiner Gegenwart.
Sekundenlang bin ich sogar kurz davor, wie ein kleines Kind in Tränen auszubrechen, um ihm die ganze demütigende Wahrheit zu erzählen. Doch dann erinnere ich mich daran, dass es genau dieser Mann war, der da vor mir steht , dem ich das missglückte Blind Date zu verdanken habe. Ohne ihn wäre ich George und vor allem Jason niemals begegnet.
„In ihrem Artikel erwähnen sie ihren Dating Partner mit keinem Wort." Er steht jetzt so nah vor mir, dass ich seinen Atmen auf meinem Gesicht spüre.
„War das Date so toll, dass du ihn lieber aus dem Artikel heraushalten möchtest, weil er vielleicht beleidigt wäre , wenn er feststellt, dass es nur um einen Arbeitsauftrag ging?"
Bei seinen Worten wird mir augenblicklich schlecht. Warum hört er nicht einfach auf nach diesem Abend zu fragen, den ich einfach nur noch vergessen will?
„Luna?" Stirnrunzelnd mustert er mein Gesicht als ich den Kopf hebe.
„Ähm..ja, Mr. Blackwater." Bringe ich hervor. Obwohl ich mich nicht mehr ganz an die Frage erinnern kann , die er mir gestellt hat.
„Dann weiß ich ja Bescheid." Erklärt er . Der Hauch von Wärme, der in der Stimme lag, ist von dem gewohnten Eishauch vertrieben worden.„Schätze ...,"er räuspert sich..."der Typ mit der Spinne hat es geschafft, sich ein zweites Date mit ihnen zu sichern, was?"
„Zweites Date?" Wiederhole ich seine Worte, nun völlig verwirrt von seinem sprunghaften Wechsel zwischen "Sie "und "Du".
„Ja. Ganz ohne Zwang und vollkommen freiwillig." Er setzt ein anzügliches Grinsen auf und weicht einen Schritt zurück, um sich wieder an den Schreibtisch anzulehnen.
„Wie mir scheint konntest Du das Notwendige tatsächlich mit dem Praktischen verbinden, Luna."
Irritiert suche ich in seinem Gesicht nach der Erklärung für diese Worte, die er mit einem Tonfall hervorgebracht hat, den man nicht anders als gekränkt bezeichnen kann.
„Ich habe Nichts mit Irgendwas verbunden, sondern nur versucht meinen Job zu machen." Verteidige ich mich. "Und außerdem habe ich in dem Artikel mit keinem Wort eine Spinne erwähnt."
Lucas Augen weiten sich. „Die Spinne...ja. Man hat sich bei Marcio davon erzählt, ich war am Sonntag dort." Haspelt er und kratzt sich mit seiner großen Hand am Hinterkopf, woraufhin das dunkle Haar nach oben über den Rand seines Kopfes ragt. Absurderweise ist er immer mehr dabei, sich vor meinen Augen in den Luca von vor drei Monaten zu verwandeln. Doch es ist zu spät, nun zu versuchen an diesen Abend anzuknüpfen.
„Ich möchte, dass wir wieder zum Sie übergehen, Mr. Blackwater. Dieses ganze Hin und Her überfordert mich langsam. Ich bin eine Angestellte und Sie sind mein Vorgesetzter, nichts weiter." Krächze ich. " Ich habe den Auftrag, den Sie mir gegeben haben erledigt. Was nach dem Date geschah ist meine Privatsache und geht Sie nichts an."
Der Ausdruck auf Lucas Gesicht gleicht dem eines kleinen Jungen, der zum ersten Mal in seinem Leben geohrfeigt wurde.
Ohne ein weiteres Wort lasse ich ihn einfach stehen und haste aus seinem Büro.
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Den Rest des Tages vermeide ich es so gut es geht Luca über den Weg zu laufen. Einzig Mara und Tim beäugen mich misstrauisch und verstummen abrupt, wenn ich an ihnen vorbeigehe während sie am Kaffeeautomaten stehen.
Zu meiner Verwunderung sind sämtliche Aufträge, die Luca mir erteilt hat, vollkommen harmlos.
Ein Konzert im Seniorenheim, über das ich berichten soll, sowie ein Bericht über den maroden Zustand des hiesigen Kinderspielplatzes . Außerdem ein Artikel über Niklas von Bernstein, den Sänger der Band Fame and Death, der aus Hazelwood stammt. Letzteres beinhaltet lediglich etwas Recherchearbeit in der Stadtbibliothek und dem Internet, ohne dafür eine aufwendige Reise unternehmen zu müssen.
Nachdem ich bereits ausgiebig recherchiert und einen ersten Entwurf zu jedem der drei Themen geschrieben habe, verbringe ich die letzte Stunde meiner Arbeitszeit damit , immer wieder Richtung Uhr zu blicken. Ich kann es kaum erwarten, mich nach dem üblichen Spaziergang mit Lucky in meiner Wohnung einzuschliessen und ein heißes Bad zu nehmen. Danach werde ich hoffentlich in einen tiefen Schlaf fallen, der mich diese triste Welt einfach nur noch vergessen lässt.
Doch es ist mir nicht vergönnt, die letzte Stunde meiner Arbeitszeit in Frieden zu verbringen.
Das dreifache Läuten der Türklingel kündigt einen Besucher an. Mit klappernden Absätzen eilt Mara zur Tür und dumpfes Gemurmel ertönt. Kurz darauf höre ich, wie Luca aus seinem Büro kommt, um den Ankömmling ebenfalls willkommen zu heißen.
Der Name, den er ausspricht, jagt mir tausende Schauder zugleich über den Rücken. Augenblicklich wird mir speiübel.
„Hey Jason ! So eine Überraschung! Du wolltest doch eigentlich erst morgen herkommen."
Wie benommen lausche ich den Stimmen , die sich meinem Büro nähern.
„Unsere Redakteurin für den Lokalteil wird sich freuen, Sie kennen zu lernen," erklärt Mara. „Sie ist zwar etwas schüchtern, aber das gibt sich mit der Zeit."
Ruckartig öffnet sich die Tür und Mara erscheint im offenen Türrahmen. Sie macht einen Schritt zur Seite und ich blicke geradewegs in das breit grinsende Gesicht meines One Night Stands.
1769 Wörter
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